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Die Inquisition hat in der ÖVP die Macht übernommen

Ein Herr Nehammer – seines Zeichens Generalsekretär der ÖVP – hat eine mir bisher unbekannte EU-Abgeordnete der Partei öffentlich des "Rassismus" geziehen und zur Zurücknahme eines Artikels gezwungen, den er für rassistisch hält. Einen relativ ähnlichen Vorfall gab es ein paar Tage davor in der FPÖ gegenüber einem Provinzpolitiker. Beide Vorfälle erwecken einen erschütternden Eindruck. Der verbiesterte linke Puritanismus, der jede nicht ganz genau dem Diktat der Political Correctness entsprechende Formulierung mit der geistigen und politischen Todesstrafe verfolgt, hat nun auch voll in den beiden Regierungsparteien Einzug gehalten. Das dürfte nun auch für Österreich das weitgehende Ende der Meinungsfreiheit bedeuten, wie wir sie – mit einer längeren und in sich sehr unterschiedlichen Unterbrechung von 1933 bis 1945 – seit mehr als 150 Jahren hatten.

Das ist tief deprimierend, weil die Meinungsfreiheit wohl das wichtigste und fundamentalste Grundrecht überhaupt ist. Diese Entwicklung ist aber zugleich auch ein Beweis für die politische Dummheit der beiden Parteien. Denn beide zensurierte Politiker haben Dinge ausgesprochen, die von etwa drei Vierteln der Österreicher laut oder insgeheim ziemlich ähnlich gesehen werden, die aber von linken Meinungszensoren aufgespießt und denunziert worden sind, worauf beide Parteiführungen wie eine Marionette die Zensurforderungen umsetzten.

Das ist aber gar nicht der Hauptpunkt. Die Maßnahmen beider Parteien wären nämlich auch dann zutiefst abzulehnen, wenn beide zensurierten Aussagen von keinem einzigen anderen Österreicher geteilt würden.

Ich glaube zwar nicht, dass ein Herr Nehammer sie versteht, aber dennoch will ich versuchen, einige Sätze eines der beiden größten österreichischen Philosophen der Gegenwart zu zitieren, die Konrad Paul Liessmann erst vor wenigen Tagen in der NZZ veröffentlicht hat, einem der wenigen wirklich liberalen Blätter in Mitteleuropa (Übrigens, um Anfragen zuvorzukommen: Der andere große Philosoph heißt Rudolf Burger, schreibt aber leider in letzter Zeit kaum mehr. Und noch ein Übrigens: Burger wie Liessmann waren in ihrer Jugend links, sind aber im Laufe der Jahre immer weiser, immer liberaler, immer weniger links, immer faszinierender geworden).

Liessmann schrieb dieser Tage – natürlich noch ohne Kenntnis der beiden aktuellen Fälle – folgende kluge Gedanken (das Zitat im Zitat bezieht sich auf John Stuart Mills):

"Wer sich einer Debatte verweigert, weil er glaubt, die Wahrheit schon zu kennen, beansprucht nämlich für sich eine ziemlich erhabene Position: «Jede Unterbindung einer Erörterung ist eine Anmaßung von Unfehlbarkeit.» Wäre dies nicht der Fall, müsste man nämlich zugestehen, dass man andere Meinungen aus Gründen der Macht, der Eitelkeit, der Feigheit oder der Unduldsamkeit nicht zulassen oder debattieren will. 
Da wir diese niederen Motive den hehren Hütern unserer Meinungsmoral nicht unterstellen wollen, bleibt nur die Unfehlbarkeit, die nun zu einem flächendeckenden Phänomen wird. 
Ob das in Zeiten der neuen Unübersichtlichkeit nun tröstlich ist oder nur zeigt, dass wir in Fragen der Meinungsfreiheit theoretisch und praktisch hinter die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts zurückzufallen drohen, bleibe einmal dahingestellt."

Liessmann und der große Liberale Millis erinnern insbesondere auch daran, dass "nur die Auseinandersetzung mit gegenteiligen Positionen die eigene Auffassung stärken und plausibilisieren kann oder dass es nicht ausgeschlossen ist, dass auch im größten Unsinn ein Körnchen Wahrheit steckt, und dass der Fortschritt im Denken auf mitunter abseitig erscheinende und zugespitzt formulierte Ideen angewiesen ist."

Um Liessmanns Copyright (und das der von mir sehr geschätzten NZZ) nicht allzusehr zu verletzen, verzichte ich darauf, ihn hier weiter zu zitieren und empfehle statt dessen die Lektüre des Textes in der NZZ.

Danach muss man zu dem Schluss kommen, dass der Herr Nehammer ganz offensichtlich mit den Gaben der Unfehlbarkeit und Allwissenheit ausgestattet ist. Was imponiert, hat doch nach katholischer Auffassung selbst der Papst die ihm theoretisch zustehende Unfehlbarkeit in den letzten 140 Jahren nur bei einer einzigen Aussage reklamiert. Und Allwissenheit wird überhaupt nur bei Gott geortet.

Jedenfalls hat Nahammer erstens in den Worten der parteieigenen EU-Abgeordneten Claudia Schmidt sofort (nach Einlangen der üblichen Denunziationen) "Rassismus" entdeckt, und diesen umgehend mit dem großen Exorzismus bedroht. Worauf die aus Salzburg stammende Dame ebenso rasch in die Knie gegangen ist und ihren Text zurückgezogen hat. Schließlich sollen in Kürze die Kandidatenlisten für die EU-Wahlen fixiert werden. Und da sind in der ÖVP angeblich unkorrekte Anmerkungen in einem Text über Afrika weit schlimmer als die täglichen Stänkereien eines anderen EU-Abgeordneten namens Othmar Karas gegen die gesamte Wiener Koalition. Ganz im Gegenteil: Der Herr Karas tritt im Fall Schmidt gemeinsam mit Nehammer als Betreiber der Inquisition auf. Vermutlich war er dabei sogar ein Initiator des Vorganges. Aber zum beschämenden Skandal ist das Ganze eben erst durch Nehammer geworden.

Dabei ist die Dame im EU-Parlament sogar zuständig für Afrika, war auch oft dort. Wie übrigens auch ich. Aber Herr Nehammer weiß es ex officio besser.

Ich würde übrigens manches nicht so formulieren wie Schmidt. Aber das ist egal. Denn tendenziell hat sie weitgehend recht. Und wo nicht, dort sollte man sich eben sachlich mit diesen Punkten befassen, aber nicht durch solche üble Bedrohungen wie: "Solche Aussagen sind nicht akzeptabel und müssen deshalb sofort von Schmidt widerrufen werden." Schmidt müsse sich "aufrichtig und ehrlich" entschuldigen. Sie müsse ihren Text löschen. Sonst drohten Konsequenzen.

Ein unglaublicher Ton der Parteiführung gegenüber einer gewählten Abgeordneten, eine üble Repression. Was ist da in dieser Partei eingerissen? Das ist besonders absurd, weil Schmidts Worte nicht allzu weit von dem entfernt sind, was etwa ein gewisser Sebastian Kurz oft gesagt hat.

  • So hat sie geschrieben, dass "weder die afrikanische noch die moslemische Kultur kompatibel mit unserer Kultur" seien.
  • So hat sie geschrieben, dass "massive und willkürliche Zuwanderung aus kulturfremden Regionen" eine "große Bedrohung für unsere Gesellschaft" sei.
  • So hat sie geschrieben: "Die Zuwanderung führt zu einer Verschlechterung in Europa und zur Stagnation in Afrika selbst".
  • So hat sie geschrieben: "Es muss Schluss sein mit der Praxis, dass manche Länder großzügig Einladungen aussprechen und andere dann die Rechnung übernehmen müssen".
  • So hat sie geschrieben: "Wenn wir aber unsere Gesellschaft so wie sie ist bewahren wollen, dann können wir keine Einwanderung aus Afrika zulassen."

Über manche Formulierungen kann man debattieren. Aber keine einzige rechtfertigt irgendwie die Reaktion der Herren Nehammer und Karas. Es ist ja auch kein Zufall, dass diese beiden Inquisitoren bei ihrem pauschalen Todesurteil nie genau sagen, welche Formulierung Schmidts genau denn eigentlich so schlimm und rassistisch wäre.

Denn in der Gesamtintention hat Schmidt einfach Recht.

Zwar ist es unpräzise, so zu formulieren, es gäbe "die" afrikanische oder "die" moslemische Kultur. Die Unterschiede zwischen einzelnen Staaten wie auch einzelnen Menschen sind gewaltig. Sie verteilen sich wie ein Gaußsche Kurve mit dünnen Ausläufern an beiden Enden.

Jedoch ist ebenso eindeutig, dass sowohl für die Schwarzafrikaner wie auch die Moslems diese Kurven ganz anders aussehen wie bei den Europäern. Ob man nun die intellektuellen Leistungen, die Qualität der Universitäten, die Erfolge bei den Pisa-Tests, die Zahl der Nobelpreise, den Anteil der funktionierenden Rechtsstaaten und Demokratien, die wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten tausend Jahren oder Hunderte andere Dinge vergleicht.

Besonders absurd wird die Verurteilung von Urteilen über die Afrikaner als Einheit, wenn dies ausgerechnet von Menschen ausgeht, die Tag und Nacht an der Einheitlichkeit Europas arbeiten. Und zumindest noch vor dem Zähneputzen ihr erstens feierliches Bekenntnis zu dieser europäischen Einheit ablegen.

Nun wird natürlich sofort jemand aufstehen und rufen: Aber die sind doch alle Opfer des Kolonialismus!

Dieses Argument im Jahr 2018 zu verwenden, ist jedoch absurd. Denn die Kolonialzeiten sind heute rund 60 Jahre vorbei. Da sind inzwischen zwei Generationen nachgekommen. Den Kolonialismus als Universalentschuldigung zu verwenden ist so, wie wenn Österreich sich etwa noch 1990 oder 2000 in irgendeiner Hinsicht damit entschuldigt hätte, dass es 1945 eindeutig das ärmste Land Europas gewesen ist.

Kein Mensch wäre auf eine solche Argumentation gekommen. Ganz abgesehen davon,

  • dass es sehr viele sehr fundierte Hinweise und Studien gibt, die zeigen, dass die kolonialen Jahre neben vielen Schrecklichkeiten (am schlimmsten vielleicht durch die Belgier im Kongo) auch sehr viele Fortschritt gebracht haben: in Sachen Infrastruktur, in Sachen Verwaltung, in Sachen Bildung, in Sachen Medizin;
  • dass viele islamische Völker von einer anderen islamischen Macht – dem Osmanischen Reich – unterjocht gewesen sind, und nicht von den Europäern.
  • dass Österreich gar keine Kolonien hatte.

Es würde zwar diesen Rahmen sprengen, wenn man hier die gesamte afrikanische und islamische Geschichte kritisch aufarbeiten würde. Daher nur folgende drei Anmerkungen:

  1. Besonders oft wird derzeit auf die Erfolgsgeschichte Ruandas hingewiesen. Das relativ kleine Land hat in der Tat durch eine ausgesprochen neoliberale Politik tolle Wachstumsraten und Entwicklungsergebnisse (etwa auch speziell für Frauen). Nur ist es verlogen, wenn man nicht zugleich darauf hinweist, dass dort erst 1994 der weitaus schlimmste Genozid der jüngeren Geschichte stattgefunden hat (Hutus vs. Tutsis). 
  2. Anderes Beispiel Zimbabwe: Das Land war jahrzehntelang "die" Kornkammer Afrikas. Als Diktator Mugabe die rund 4000 weißen Farmer (Überbleibsel der Kolonialzeit) zugunsten von Schwarzafrikanern vertrieb, gab es binnen weniger Jahre nicht weniger als drei Millionen Hungerflüchtlinge aus Zimbabwe, die nach Südafrika geflohen sind.
  3. Und zu den Moslems nur folgenden Vergleich: Es sind zwar keineswegs alle Moslems Terroristen, aber 90 Prozent aller Terroristen der letzten Jahrzehnte sind Moslems.

Gewiss, Sebastian Kurz hat vor allem durch die EU-Präsidentschaft unglaublich viel um die Ohren, sodass er sich nicht viel um seine Partei kümmern kann. Aber irgendwann muss ihm schon klar werden: Bürgerliche, konservative Wähler lassen sich nicht pflanzen. Wenn der Kurs der Herren Karas und Nehammer wirklich dauerhaft der Kurs der türkisen ÖVP werden sollte, wenn die vielen Signale der Hoffnung, die Kurz ausgesendet hat, also wie Sternschnuppen verglüht sein sollten, dann wird auch bald der Aufstieg der ÖVP wieder verglüht sein. Er sollte sich nur einmal das Schicksal der Christdemokraten in Ländern wie Spanien oder Italien anschauen.

Sie sind gerade dort nicht mehr existent. Und es spricht übrigens auch wenig dafür, dass unbedingt H.C.Strache und seine Partei die Erben sein müssen. Dass sie die Orbans oder Salvinis Österreichs sein werden, die in ihren Ländern eine stärkere Aufbruchsstimmung denn je ausgelöst haben.

PS: Zu Verwendung des Worte "Neger" – die einem FPÖ-Lokalpolitiker ein ähnliches Schicksal beschert hat wie Frau Schmidt – ist seit Jahren viel publiziert worden. Dieses Wort ist weitgehend außer Gebrauch gekommen, was man wie etwa den Verlust des Wortes Trottoir gelassen sehen sollte. Das ist zweifellos auch ein Erfolg der Political Correctness. Es ist aber total absurd, die Verwendung dieses Wortes als Kapitalverbrechen zu behandeln. Noch absurder ist es, auch alle Substitute zu verbieten, wie "Schwarze", "Afrikaner" oder Ähnliches. Man kann einen Sachverhalt nicht durch Verbote von Worten aus der Welt schaffen. Es ist besonders absurd, wenn die Verwendung dieses Wortes so dramatisiert wird, wie es jetzt auch die FPÖ tut, während es ununterbrochen geschieht, dass Menschen und Gruppierungen ohne jeden Beweis als "Faschisten", als "Nazis", als "brauner Haufen" hingestellt werden.

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