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Sebastian im Glück

Das war wohl die schwärzeste Woche des Christian Kern. Und jedenfalls die bitterste. Das war wohl die härteste Woche des Sebastian Kurz. Und jedenfalls die erfolgreichste.

Der SPÖ-Vorsitzende ist in den letzten Stunden auch bei seinem bisher vorletzten und letzten Versuch gescheitert, gegen Kurz zu punkten und das Image eines Kanzlers mit Ablaufdatum loszuwerden. Und das, nachdem er schon in den Tagen davor mit allen anderen Anti-Kurz-Taktiken Schiffbruch erlitten hatte, diese jeweils nach einem Tag wieder aufgeben musste, was letztlich den Eindruck eines wilden Zickzack vermittelt hat.

Viele Österreicher spüren nun: Kern ist nicht wirklich ernst zu nehmen.

Zur Erinnerung ein paar Schlaglichter der letzten Tage:

  1. Kurz ist zuerst von der gesamten SPÖ-Regierungsriege in einer koordinierten Aktion (und dann erst recht von Kerns Sohn mit einer besonderen Geschmacklosigkeit) wild attackiert worden – aber wenige Stunden später ist ihm von Kern Honig ums Maul geschmiert worden und er hat versucht, Kurz mit öffentlichen Schalmeienklängen eine „Reformpartnerschaft“ einzureden. Schon das hat Kerns Glaubwürdigkeit stark reduziert.
  2. Dann hat Kern in Geheimverhandlungen mit den Oppositionsparteien die nächste Kehre eingeschlagen und versucht, bei diesen Unterstützung für eine Minderheitsregierung gegen die ÖVP, oder für ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten, also auch gegen die ÖVP zu finden. Das zeigte blanke Unfähigkeit zu rechnen: Da ja die FPÖ keinesfalls vor Wahlen bereit ist, in irgendeine Regierungsmehrheit hineinzugehen, hätte Kern gleich eine Vierparteien-Kooperation plus mindestens zwei der „wilden“ Abgeordneten gebraucht. Diese wacklige und windschiefe Allianz wäre nur mit dicken Gegenleistungen und vor allem nur unter der Garantie eines vollen Auslaufens der Legislaturperiode zusammenzuschustern gewesen, da praktisch alle Partner in einer solchen Notstands-Kooperation panische Angst vor Neuwahlen haben. Aber Kern hat diese Verhandlungen viel zu ungeschickt geführt, hat nicht begriffen, dass man da wirklich etwas anbieten muss.
  3. Kern war auch nicht imstande, die SPÖ-Propaganda gegen die sieben Punkte zu koordinieren, die Kurz der ÖVP als Bedingung gestellt und durchgebracht hat. Statt dessen gab es eine seltsame Kakophonie seiner Partei: Einerseits wurde wild gegen eine Mutation der ÖVP zu einer faschistoiden Führerpartei polemisiert. Andererseits versuchten aber die Angestellten des SPÖ-Klubs auf ihrer Homepage nachzuweisen, dass praktisch alles, was Kurz will, eh schon längst im ÖVP-Statut steht. Was auch immer stimmt – der Widerspruch ist eklatant.
  4. Genauso ein schwerer Fehler war es, dass sich Kern am Wochenende mit großen Interviews in Radio und Fernsehen gedrängt hat, obwohl gerade zu diesem Zeitpunkt für ihn Schweigen und taktisches Abwarten viel klüger gewesen wäre, wo noch nicht klar war, was bei der ÖVP passiert.

Kern hat also schon bis zum Wochenende wirklich alles falsch gemacht, nichts ist ihm geglückt. Dennoch war er so blöd, jetzt auch noch die (vorerst) letzten beiden Runden Rot kontra Schwarz mit großen, aber wiederum leeren Sprüchen auszurufen.

Die vorletzte Runde dieses „Schlammcatchens“ (Copyright H.C.Strache) ging um die Nominierung des Vizekanzlers. Kern wollte um jeden Preis Kurz als Vizekanzler unter sich haben, um ihn so zu entzaubern. Sein Ministeradlatus Drozda bezeichnete das vor Fernsehkameras sogar ausdrücklich als „Bedingung“.

Aber neuerlich entpuppte sich das als eine leere Drohung. Kern musste auf offener Parlamentsszene eine Kehrtwende machen und an Stelle von Kurz den Justizminister als Vizekanzler akzeptieren.

Es ist völlig rätselhaft, warum Kern überhaupt dieses Kräftemessen um die Auswahl des Vizekanzlers begonnen hat. Bei rechtzeitigem Durchdenken der Situation hätte er sich von vornherein ausrechnen können, dass er auch diese letzte Runde verlieren wird. Aus mehreren Gründen:

  • Er kann ja Kurz nicht zwingen, sich angeloben zu lassen.
  • Er hat auch kein Argument gegen den von Kurz aufgebotenen Brandstetter, der ja immer sehr SPÖ-freundlich agiert hat und völlig unpolitisch ist.
  • Es ist auch völlig unüblich, dass eine Koalitionspartei der anderen vorschreibt, wer für sie einen Regierungsjob macht.
  • Er verwechselt eine Koalition noch immer mit den autoritären Durchgriffsrechten eines ÖBB-Vorstandsvorsitzenden.
  • Und Kern hat vor allem keine Alternative, weil er seit Fixierung des Wahltags auf 15. Oktober keine Chance hat, eine alternative Mehrheit gegen Kurz zu zimmern. Bluffen ohne Alternative ist aber immer unklug – das hätte er in den letzten Tagen schon ein paarmal lernen können.

Und die letzte Runde, die Kern daraufhin eingeläutet, aber ebenfalls sofort wieder verloren hat, war die Androhung, dass er dann halt nicht mehr in der Regierung, sondern im Parlament Entscheidungen herbeiführen werde. Das war also noch einmal die Drohung mit wechselnden Mehrheiten. Aber auch diese Drohung musste Kern nur Stunden später rasch wieder verräumen. Kurz hatte nämlich ruhig und staatstragend gekontert, dass die ÖVP nicht vorhabe, die SPÖ in Verletzung des Koalitionspakts zu überstimmen. Da hat sich dann auch Kern nicht getraut, mit den Grünen zu gehen, als diese in ihrer linken Naivität ausgerechnet mit einem Vorstoß zugunsten der Schwulen-Ehe die SPÖ zu einem Bruch der Koalitionstreue veranlassen wollte.

Kern hält sich also vorerst doch an den Koalitionspakt. Und wieder hat er Kurz unnötigerweise punkten lassen, der sich von Anfang an für dessen Einhaltung ausgesprochen hat.

Es ist auch für die nächsten Wochen eher zweifelhaft, ob es Kern wagen wird, die ÖVP zu überstimmen. Denn dann steht er als Brecher des Koalitionspakts da – der ja trotz aller Streitigkeiten bisher noch nie gebrochen worden ist. Kern dürfte aber auch noch aus einem anderen Grund zunehmend davor grausen. Das zeigt sein Ja zu dem von den Neos initiierten „Pakt der Verantwortung“ Rot-Schwarz-Pink. Darin versprechen die drei Parteien, keine „verantwortungslose budgetäre Belastung“ zu beschließen, also anders zu agieren als 2008, als Werner Faymann die übrigen Parteien zu einem üblen Überfall auf die Staatskassa getrieben hat, welcher die Steuerzahler seither alljährlich drei Milliarden kostet, also weit mehr als alle Hypo- und Volksbank-Abenteuer zusammen.

Sollte dieses Verantwortungs-Abkommen wirklich eingehalten werden, dann ist aber jedenfalls auch allen drei Parteien dazu zu gratulieren. Das ist staatstragend.

Dann ist aber auch das gleichzeitige Herumgefuchtle Kerns mit „wechselnden Mehrheiten“ umso absurder. Aber jetzt – erst jetzt – scheint ihm langsam zu dämmern: Sobald er auch nur einmal etwa mit den Grünen gegen die ÖVP stimmt (und damit – siehe Schwulenehe – noch dazu in der Minderheit zu bleiben droht), hat natürlich auch diese völlig freie Hand, sich auch ihrerseits Mehrheiten zu suchen. Langsam bekommt auch Kern mit, dass im Parlament ja eine eindeutig rechte Mehrheit besteht. Die jederzeit aktivierbar ist, sobald sich die ÖVP nicht mehr an den Koalitionspakt halten muss.  Und in Sachen Migration, Islamisierung, Sicherheit, Bildung und Gesellschaftspolitik gibt es da auch viele gemeinsame Themen, ohne dass es zu „verantwortungslosen budgetären Belastungen“ kommt.

Diese rechte Mehrheit wird zusätzlich mit Sicherheit auch ein echtes Ende der Stillen Progression beschließen, sobald die SPÖ den Verantwortungspakt bricht und in Faymannscher Art in die Kassen greift.

Damit steht Kern wirklich in einer Form gedemütigt und als Verlierer da, die man noch vor wenigen Tagen für schier unmöglich gehalten hat. Offenbar fehlt ihm halt doch jedes politische wie taktische Gespür, jede Erfahrung. Offenbar fehlt ihm auch die Intelligenz, um auch nur zwei Spielzüge vorauszudenken. Offenbar ist er ziemlich hilflos, wenn er im Zeitdruck allein und ohne Vorbereitungen von Spin-Doktoren agieren muss. Offenbar war er von seinem bisherigen Gegenüber Mitterlehner verwöhnt, der im Gegensatz zu Kurz letztlich immer nachgegeben hat, wenn Kern herumgepoltert hat. Mitterlehner hat sich ja stets vor Neuwahlen gefürchtet. Was es für Kern sehr leicht gemacht hat.

Kern hat so in der Summe Kurz ohne jede echte Notwendigkeit noch weitere zusätzliche Pluspunkte zu seiner ohnedies großen Popularität verschafft. Da werden in der SPÖ wohl manche genau mitgezählt haben und Kern zur geeigneten Stunde vorrechnen.

Auf der anderen Seite hat Kurz diese ganze Krisenwoche erstaunlich gradlinig durchgestanden. Er hat sich sowohl in der Koalition wie auch in der Partei voll durchgesetzt. Wobei er lediglich mit dem Reißverschlussprinzip für Wahllisten einen Fehler begangen hat. Der allerdings insofern gemildert wird, als Kurz ja auch ein echtes Vorzugsstimmensystem verspricht, das die dumme und qualitätsunabhängige Schematik eines Reißverschlusses beseitigen würde.

Das alles heißt nun nicht, dass er immer der Sebastian im Glück bleiben wird. Das heißt aber, dass Kurz derzeit hohe politische Intelligenz mit Nerven aus Stahl zeigt. Sein einziges erkennbares Defizit in diesen Tagen ist ein ganz offensichtlich akkumuliertes schweres Schlafdefizit.

Aber gleichzeitig hat er eine gewaltige Last auf sich geladen. Denn er steht ganz allein da und droht in einer Fülle schwieriger Entscheidungen unterzugehen. Hunderte Personalia sind zu regeln, die zeitaufwendige Gespräche erfordern. Nationale und internationale Medien drängen fast Tag und Nacht. Nach den Gesprächen mit allen Parteigranden sind jetzt langwierige Verhandlungen mit Koalitionspartner und Bundespräsident notwendig. Kurz hat auch auf die Ernennung eines Staatssekretärs verzichtet, da ja Harald Mahrer Wirtschaftsminister wird (was zwar zusätzlich populär macht, weil es einen Kopf in der Regierung einspart – auch davon hat Kern geredet, aber nur geredet –, was aber die Arbeitslast noch mehr auf Kurz konzentriert). Und Kurz hat zugleich noch keine einzige Sachfrage konkret festgelegt, sie durchdenken und mit Experten erarbeiten können, wobei er ja auch immer an die vielfältigen bürgerlichen Gruppen denken muss, die jetzt ein wenig in Messias-Erwartung auf ihn blicken. Und von denen bei jeder Sachentscheidung ein Teil verärgert werden könnte.

Gleichzeitig ist wie einst bei Schüssel die ganze Partei jetzt abwartend mit verschränkten Armen in die zweite Reihe zurückgetreten. Sie schaut Kurz mit einer Mischung aus Bewunderung, Erleichterung über die Rückkehr von tollem Leadership zu, aber auch ein wenig mit dem insgeheimen Gefühl: Er wollte ja die ganze Macht, da soll er sie jetzt halt auch alleine ausüben.

Der Vergleich mit Schüssel stimmt übrigens nicht ganz. Der hatte wenigstens noch sein Küchenkabinett, mit dem er sich eng abstimmte (vor allem: Molterer, Gehrer, Khol, Plassnik). Kurz hat das nicht. Nach menschlichem Ermessen kann das eigentlich nicht lange gut gehen, ohne dass auch gravierende Fehler passieren.

Aber vorerst ist anzuerkennen, dass nur sein Koalitionspartner diese Fehler begeht. Vorerst ist Kurz in einem wirklich erstaunlichen Flow, wo alles zu gelingen scheint.

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