Brauchen wir ein strafrechtliches Verführungsverbot?

Das Justizministerium plant die Einführung eines neuen Straftatbestandes. Die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung soll unter Strafe gestellt werden. Gemeint ist damit, dass über die Vergewaltigung hinaus auch Fälle erfasst werden sollen, bei denen sich das Opfer nicht körperlich zur Wehr setzt und auch keinen verbalen Widerstand leistet. Ein „Nein“ soll für eine Verurteilung reichen.

Gedacht ist also daran, dass eine Frau/ein Mann, die/der eine(n) zunächst unwillige(n) Mann/Frau verführt, mit dem Strafrecht Bekanntschaft macht. Selbstverständlich auch dann, wenn es um gleichgeschlechtliche Verführungen geht.

Wie bei so vielen Vorschlägen aus der Politik bedarf es auch hier des Hinterfragens, etwa hinsichtlich des Versuchs.

Das österreichische Strafrecht stellt ja nicht nur das vollendete Delikt, sondern auch den Versuch unter Strafe. Die Strafdrohung ist sogar dieselbe. Wenn es bloß ein Versuch gewesen ist, ist das nur ein Milderungsgrund. Wo aber beginnt der Versuch? Im Kopf? Beim Widerspruch gegen das Nein („Geh überleg es Dir“)? Im Bestreben, in Graubereichen nachzuschärfen, könnte die Republik den Richtern harte Nüsse zu knacken geben. Wie dies eben immer der Fall ist, wenn ein Gericht lediglich auf zwei – sich widersprechende – Aussagen angewiesen ist.

Der Ehebruch

Zwar ist der Ehebruch schon seit knapp 20 Jahren in Österreich nicht mehr strafbar. Die beabsichtigte Novelle könnte allerdings die Wiedereinführung durch die Hintertüre bedeuten. Nehmen wir an, ein Ehepartner geht fremd, der Betrogene klagt auf Scheidung und rechnet wegen des Verschuldensprinzips damit, um die Verpflichtung herumzukommen, an den fremdgehenden Ehepartner nach der Scheidung Unterhalt zahlen zu müssen. Da zerrt der betrügende Ehepartner seinen Sexpartner mit der Begründung vor Gericht, dass dieser das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt habe, weil er ein „Nein“ nicht akzeptiert habe. Dieser akzeptiert die Verurteilung, weil der betrügende Teil den Unterhaltsanspruch behalten will.

Pikant wird es, wenn die beiden Ehebrecher genau zu diesem Zweck zusammenwirken und letzterer auf Grund der übereinstimmenden Aussagen des betrügenden Ehepartners und des Fremdgehers verurteilt wird. Damit wird das Verschulden des betrügenden Ehepartners entfallen und er/sie behält den Unterhaltsanspruch – der mehr wert sein wird als die Vorstrafe für den Sexpartner. Juristische Beratung ist mehr gefragt denn je!

Die unfreiwillige Vaterschaft

Ein in der Praxis gar nicht selten vorkommender Fall ist jener der unfreiwilligen Vaterschaft. Sie sagt ihm, dass eh nichts passieren könne (jetzt oder überhaupt) – und sie wird schwanger. Jeder kennt solche Fälle. Könnte man nicht auch diesen Fall als „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ ansehen? Oder sollte man eher an Erasmus von Rotterdam denken, der in seinem Lob der Torheit schon vor mehr als einem halben Jahrtausend gemeint hat: „Man verachte mir die Dummheit nicht; wer weiß, wie viele von uns ohne so manch eine Dummheit gar nicht auf der Welt wären“?

Als spitzfindiger Jurist könnte man sogar auch den Fall der doppelten Strafbarkeit konstruieren: Zwei junge Leute treffen sich in der Disco, sagen einander abwechselnd Nein, provozieren sich in jugendlichem Leichtsinn wechselseitig, trinken vielleicht noch jeweils etwas zu viel und landen schließlich gegen beider Willen im Bett. Gehören beide vor den Kadi?

Der Verlust der Spannung

Eine alte Volksweisheit lautet: Eine Dame, die Nein sagt, meint Vielleicht. Eine Dame, die Vielleicht sagt, meint Ja. Und eine Dame, die Ja sagt, ist keine Dame. Es gehört zum Wesen der nichtkäuflichen Liebe, dass man nicht von vornherein weiß, wohin die Reise geht. Manch eine Frau geht davon aus, dass ein Mann, der nicht wirbt, nicht wert ist, erhört zu werden.

Ein Mann, der sich vom ersten Nein abschrecken lässt, sei eben ein Weichei (im Zeitalter der Emanzipation, in dem auch das einst schwache genannte Geschlecht immer aggressiver werden darf, darf das Beispiel selbstverständlich auch mit umgekehrten Rollen gedacht werden). Das Werben, das Herumkriegen und Erobern gehört zum ewigen Widerstreit der Geschlechter.

Wie viele Menschen würde es nicht geben, wie viele Beziehungen wären nicht zustande gekommen und wie viele Ehen nicht geschlossen worden, wenn man jedes Nein immer ernst genommen hätte!

Liebe Väter und Mütter der ins Auge gefassten Gesetzesbestimmung, begreift doch das Dynamische in den Beziehungen zwischen den Menschen. Wer vor vornherein alles klar machen möchte, verdrängt jede Spannung, jede Romantik, jedes Abenteuer. Das Menschliche bleibt auf der Strecke.

Siegt der Rationalismus in der Zwischenmenschlichkeit?

Durch den Versuch des Verbots der Verführung soll die Auseinandersetzung zwischen Vernunft und Leidenschaft endgültig zugunsten der Vernunft entschieden werden. Es ist leicht vorauszusagen, dass auch dieses Bestreben des sich weit überschätzenden Gesetzgebers scheitern und vielmehr dem Missbrauch und der Erpressung Tür und Tor öffnen wird.

Es gibt Bereiche wie jenen der zwischenmenschlichen Beziehungen, in die sich der Staat möglichst wenig einmischen sollte. Wo er der Liebe, die bekanntlich blind macht, oder auch nur der körperlichen Leidenschaft den Vorrang des Verstandes verordnen will, wird er kläglich scheitern. Ein Staat, der sich zum übermenschlichen Richter aufspielen möchte, erreicht wieder einmal jene Grenzen seiner Wirksamkeit, die schon Wilhelm von Humboldt vor zweihundert Jahre so trefflich beschrieben hat.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist seit der letzten Nationalratswahl Abgeordneter auf der Liste des Team Stronach.

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