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Bürgerbeschwer durch die Gesetzesbeschwerde

Einträchtig haben sie jetzt alle Parteien beschlossen: die sogenannte Gesetzesbeschwerde. Und dennoch ist sie ein Riesenmist. Sie ist nur ein Spielzeug für juristische Glasperlenspieler und Wichtigmacher; sie macht das Rechtssystem noch komplizierter, als es jetzt schon zum Leidwesen vieler Österreicher ist; sie wird Prozesse verzögern; sie gibt Querulanten ein neues Instrument in die Hand; und sie ist noch völlig unausgereift, weil die letztlich entscheidenden Nebengesetze fehlen (statt dass man das alles in einem Guss beraten und beschließen würde, wenn mans schon macht). Eine tolle Leistung, liebe Volksvertreter.

Aber die Koalition kann wieder ein Wort als „erledigt“ auf die Liste setzen. Dieser derzeit sehr gefährliche Erledigungsdrang der Koalition und Profilierungsneurosen einiger Verfassungsjuristen sind mit Sicherheit die einzigen Gründe für die Einführung der Gesetzesbeschwerde. Die ahnungslose und am Wirtschafts-Standort völlig desinteressierte Opposition glaubt in ihrer Populismus-Gier ja gar, die neue Regelung wäre populär. Dabei hat bis auf dreieinhalb Verfassungspuristen kein Österreicher auf diese „Erledigung“ gewartet.

Summum ius summa iniuria, sagen kluge Juristen seit 2000 Jahren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird aus immer mehr Recht nur immer mehr Unrecht. Wenn man ständig immer neue Rechtsinstrumente bastelt, wächst nur noch die Ungerechtigkeit für den Bürger. Und überdies wächst der Arbeitsanfall für die ohnedies überlasteten Oberstgerichte.

Was ist die Gesetzesbeschwerde konkret? Es geht darum, wer ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof anfechten kann. Bisher konnten das in Zivil- und Strafprozessen nur die Richter tun. Künftig kann das jede Prozesspartei schon in der ersten Instanz verlangen. Zwar hat man in die neue Verfassungsbestimmung hineingeschrieben, dass der VfGH binnen vier Monaten entscheiden muss, und dass das normale Verfahren gleichzeitig weiterlaufen soll.

Wers glaubt wird selig oder ist schon Politiker.

Natürlich wird der Gerichtshof oft länger brauchen. Ist er doch ohnedies jetzt schon durch die Tausenden – fast durchwegs auf Steuerzahlers Kosten agitierenden – Asylwerber schwer belastet. Und ebenso natürlich ist, dass fast jeder Richter den Prozess nicht gerade mit Energie und Tempo weitertreiben wird, wenn ein Höchstgericht ihm ja möglicherweise die ganze Arbeit abnimmt. Denn natürlich sind im Fall der Aufhebung eines Gesetzes alle Arbeiten eines Richters überflüssig. Und niemand arbeitet gerne überflüssig. Richter schon gar nicht.

Das Justizministerium hat auf all diese Gefahren auch intensiv hingewiesen, wenn auch nur hinter den Kulissen. Aber es blieb ungehört. Denn in ein paar wichtigen Kabinetten dieser Regierung sitzen halt Nobeljuristen, die ständig nach weiteren Verfassungs-Erfindungen suchen, mit denen sie sich in das Geschichtsbuch der Jurisprudenz einschreiben möchten. Im normalen Gerichtsbetrieb haben die hingegen nie gearbeitet.

Denn dann wüssten sie, dass ohnedies der Oberste Gerichtshof immer sofort ein Gesetz prüfen lässt, wenn die Richter einen Verdacht haben, dass es verfassungswidrig sein könnte. Dass es also gar kein Problem gibt. Überdies werden immer öfter von den Richtern Anfragen an den Europäischen Gerichtshof geschickt. In solchen „Vorabentscheidungen“ wird dann in Luxemburg mit großer Zeitverzögerung geprüft, ob eine österreichische Regelung nicht irgendwie dem EU-Recht widerspricht. Solche Anfragen werden auf Grund der Explosion des EU-Rechts immer häufiger, was ohnedies jetzt schon zu einer starken Verfahrensverlängerung führt. Bisher halt nur auf Gerichtsentscheidung und nur bei EU-Verstößen.

Jetzt aber wird das jede Prozesspartei tun können. Und auch gleich die ganze Verfassung ins Spiel bringen. In Strafprozessen wird ein Angeklagter es sogar tun müssen, bevor er sich an den Menschenrechtsgerichtshof wenden kann. Bei diesem muss man nämlich zuerst alle nationalen Rechtsmöglichkeiten ausgeschöpft haben, bis man sich dann in eine (im Schnitt fünfjährige!!) Warteschlange zum Erhalt einer EGMR-Entscheidung reihen darf.

Noch viel ärgerlicher und schädlicher ist die neue Verfassungsbestimmung aber vor allem im Zivilprozess. Denn in diesem gibt es mindestens eine Partei, die ein rasches Urteil haben und keineswegs auf Spitzfindigkeiten aus dem Verfassungsgericht warten will.

Jeder, der ein bisschen eine Ahnung von Zivilprozessen hat, weiß, dass in der dortigen Praxis angeblich verfassungswidrige Gesetze in keiner Weise ein Problem oder Thema sind. Sehr wohl sind das aber solche Parteien, die um jeden Preis, mit jedem Trick und mit jeder nur möglichen Verfahrensschleife nur eines wollen: verzögern und schleppen. Der Grund liegt sehr oft auf der Hand: Die wirtschaftliche Lage dieser Prozesspartei ist schlecht; oder sie verschlechtert sich im Lauf des Prozesses bis hin zur Zahlungsunfähigkeit. Bei Prozessverlust droht sogar der Konkurs. Da schiebt man das Prozessende natürlich mit allen Mitteln hinaus. Der Sieger kann sich dann sein endlich ergangenes Urteil an die Wand picken. Er bekommt von einem zahlungsunfähigen Gegner trotz des Urteils kein Geld. Und er muss am Ende sogar seinen eigenen Anwalt zahlen.

Die Gesetzesbeschwerde wird auch Querulanten aller Art beflügeln. Künftig können sie sich sogar als lebendes Opfer einer Verfassungswidrigkeit profilieren. Und besonders gerne werden davon auch all jene Gebrauch machen, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessieren, die also wegen Verfahrenshilfe nichts fürs Prozessführen zahlen.

Das alles wird möglich, wenn Ahnungslose Gesetze machen. Manche Verteidiger der Neueinführung sagen jetzt: „Das war ja nur die Verfassungsbestimmung und nun kommen erst die Einzelgesetze mit den Ausnahmen, wann man doch nicht zum VfGH gehen darf.“ Eigenartig. Ist das nur ein Beschwichtigungs-Schmäh vor der Wahl oder will man damit wirklich sagen, dass eine funkelnagelneue Verfassungsbestimmung nur dazu gedacht ist, um nachher durch Einzelgesetze wieder komplett ausgehöhlt zu werden? Soll eine solche Perversion tatsächlich die Absicht des Gesetzgebers sein?

Parlamentarische Juristenflaute

Aus diesem Anlass sei gleich noch eine Frage gestellt: Wann wird es wieder halbwegs brauchbare Juristen in diesem Parlament geben? Dann haben nämlich Lobbyisten aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm mit solchen Ideen keine Chance mehr.

Wir müssen ja nicht gleich an einen Michael Graff denken. Den gibt es sicher nicht allzu bald wieder. Aber so katastrophal wie es jetzt ist, müsste es nun auch nicht sein. Denn beispielsweise die ÖVP hat keinen einzigen Abgeordneten mehr mit Justizerfahrung. Und die SPÖ hat nur einen einzigen, der sich aber vor allem darum sorgt, dass Drogendelikte entkriminalisiert werden und dass es kein „Lebenslänglich“ mehr gibt.

Statt auf Qualifizierung wird jetzt bei der Erstellung der zahllosen Kandidatenlisten jedoch heftig auf Frauenquoten geschaut. Freilich gibt es kein Anzeichen, dass dadurch an der inhaltlichen Parlamentsmalaise irgendetwas besser wird (wir sollten als Ergebnis der vermehrten Quotenfrauen im neuen Parlament höchstens mit Zwangsquoten für die Wirtschaft und Umdichtungen der Hymne rechnen).

Dabei wäre es dringend notwendig, dass die parlamentarische Mischung aus Gewerkschaftern und Arbeiterkämmerern, aus Beamten und Bauern aller Schattierungen durch Menschen mit der wirklich benötigten Expertise aufgebessert wird.

Für jedes Hörndl und Körndl findet sich sicher auch in den neuen Wahllisten wieder ein Spezialist, ebenso wie für die ausgefallenste Spezialart sozialer Versorgungwünsche. Justiz, Außenpolitik, Kultur, Medien, Technik, Forschung, Europa und Ökonomie interessieren jedoch in unseren Parteiapparaten niemanden. Man kann sich ja nicht um alles kümmern.

PS.: Zur Rolle des Verfassungsgerichtshofs bei der Gesetzesbeschwerde: Wichtiger als sich jetzt in ganz normale Prozesse einzumischen, wäre etwas ganz anderes – aber das ist ganz offensichtlich unseren Verfassungsrichtern zu heikel. Sie täten dem Land jedenfalls einen viel größeren Dienst, wenn sie sich um die wirklich großen Verfassungsverletzungen kümmern, nämlich um jene in der Schuldenkrise. Die Verletzung von europäischem und auch österreichischem Verfassungsrecht durch die Umgehung des Bailout-Verbots ist ganz eklatant. Dennoch hüten sich die österreichischen wie – vermutlich – auch die deutschen Verfassungsrichter, die Milliarden-Verbrennungen zugunsten Griechenlands & Co aufzugreifen. Denn da müssten sie sich mit der Politik anlegen. Und davor haben die Verfassungsrichter Angst – auch wenn der Schaden für die Allgemeinheit größer ist als in der Summe aller anderen Verfassungsverletzungen.

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