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Wie umgehen mit Wladimir Putin?

Wie können wir uns einen Erdball mit einem russischen und chinesischen Diktator teilen, die beide aggressiv bis zum Äußersten sind und die beide zugleich ihr eigenes Volk brutal unterdrücken? Beide haben ebenso hemmungslos fremde Gebiete (von der Ukraine bis zu strategischen Inseln im Südchinesischen Meer) zu erobern begonnen wie sie interne Gegner erbarmungslos verfolgen und zu Tode bringen. Wie können wir daneben dennoch frei und sicher leben? Das sind die zentralen Herausforderungen der freien und demokratischen Rechtsstaaten dieser Welt. "Ohne Sicherheit ist alles nichts." Mit diesen Worten hat der deutsche Bundeskanzler Scholz die Aufgabe präzise auf den Punkt gebracht. Er liegt damit trotz der sonstigen Schwäche seiner Regierung auf einer Linie mit der großen Mehrheit der Deutschen und Europäer. Es ist auch kein Zufall, dass heute ausgerechnet der Verteidigungsminister der populärste deutsche Minister ist. Das wäre früher bei einer deutschen Linksregierung absolut undenkbar gewesen. Wie anders steht da Österreich da. Da hat man noch immer gar nichts begriffen.

Noch nie ist in der Alpenrepublik ein Verteidigungsminister populär geworden, obwohl er die wichtigste Aufgabe der gesamten Regierung hat. Noch nie ist hier ein populärer Politiker Verteidigungsminister geworden, weil dieses Ressort im politischen Kanon der Republik das Undankbarste ist. Das Interesse an der Sicherheit und Unabhängigkeit der Republik ist in der ganzen politischen Kaste jenseits des ganzen Neutralitäts-Schwachsinns gleich Null.

  • Der Chef der derzeitigen Umfragesiegerpartei plappert davon, dass die Neutralität und eine schlechte Rüstung Österreichs (etwa der Verzicht auf Raketenabwehr) irgendeinen Nutzen für die Sicherung der österreichischen Unabhängigkeit hätten. Wenn dem wirklich so wäre, dass Neutralität eine hilfreiche Option für ein Land wäre, dass sie dessen Sicherheit erhöhen würde, dann würden zumindest alle ausländischen Schwesterparteien dieses österreichischen Umfragesiegers fordern: "Austritt aus der Nato und Ausrufung der Neutralität!" Jedoch tut das keiner der europäischen Rechtspopulisten, weil das alle für reinen Schwachsinn halten, was die FPÖ für eine gute Sicherheitspolitik hält.
  • Der Chef der bei Umfragen zweitgrößten Partei Österreichs hat meines Wissens noch nie irgendetwas Relevantes zur Notwendigkeit der Verteidigung von Freiheit und Unabhängigkeit dieses Landes gesagt. Er hat ganz im Gegenteil noch im Jahr 2011 sogar in einer offiziellen Presseaussendung verlangt: "Nicht nur die Wehrpflicht, sondern generell das Militär abschaffen!" Und er will auch heute noch lieber den letzten Rest der wirtschaftlichen Kraft Österreichs für die Einführung der 32-Stunden-Woche und höhere Löhne aufwenden als für irgendetwas Sicherheitsrelevantes.
  • Gewiss, die Grünen sind von ihrem einstigen Bundesheer-Hass deutlich abgerückt. Das ist anzuerkennen. Aber auch bei ihnen ist nicht einmal ein Hauch von kritischem Nachdenken über den Sinn der einst zur Erreichung des Abzugs der Besatzungstruppen notwendigen, aber heute in Wahrheit völlig aus der Zeit gefallenen und die eigene Sicherheit reduzierenden Neutralität zu erkennen.
  • Die ÖVP hatte zwar einst – so wie auch die damalige FPÖ – unter Wolfgang Schüssel die Sinnlosigkeit der Neutralität erkannt. Diese Erkenntnis ist aber an seine Nachfolger nicht weitergegeben worden. Seit Karl Nehammer gilt in der ÖVP vielmehr wieder das erbärmliche österreichische Denkverbot: "Wir sind neutral und bleiben neutral!"

Bei der schwarz-grünen Bundesregierung als Ganzes ist zwar irgendwie schon das dumpfe Gefühl zu finden, dass man sicherheitspolitisch nicht mehr ganz an den alten Positionen und Illusionen festhalten kann. Als Ergebnis dieses Gefühls hat man sich aber nur einem neuen Wunschdenken hingegeben: Man wünscht sich eine europäische Verteidigung im Rahmen der EU, die irgendwie die Aufgaben der Nato übernehmen soll, will aber gleichzeitig neutral bleiben.

Das alles ist bestenfalls als süß zu bezeichnen, in Wahrheit aber peinlich realitätsfern und verantwortungslos.

Denn kein einziges der Nato-Länder in der EU, und das sind seit dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands fast alle Mitgliedsländer, denkt daran, die Nato zu verlassen, oder die zusammengewachsenen Nato-Verteidigungsstrukturen durch eine EU-interne Verteidigungsstruktur teuer zu verdoppeln. Daher zerrinnen regelmäßig alle Anläufe zu einer europäischen Armee sehr bald zu netten, aber irrelevanten Bemühungen.

Österreich und seiner Neutralitätsneurose zuliebe will kein anderes Land ernsthaft eine solche teure Doppelstruktur. Das ist noch viel weniger der Fall seit dem Nato-Beitritt der letzten nordeuropäischen Länder, die erkannt haben, dass Neutralität in einer Welt völlig unsinnig ist, in der Putins möglich sind. Lediglich Frankreich träumt hie und da von einer Abnabelung von den USA. 

Die anderen Nicht-Nato-Mitglieder in der EU neben Österreich sind völlig unbedeutende Spezialfälle: Malta und Irland wollten damit primär ihre Distanz zur ehemaligen Herrschaftsmacht Großbritannien demonstrieren, das ja das zweitwichtigste Nato-Land ist. Außerdem ist Irland geographisch so ziemlich das sicherste Land Europas, das zum Unterschied von den sich am meisten bedroht fühlenden Ländern auch nie Teil der sowjet-russischen Machtsphäre gewesen ist. Zypern wiederum kann (ähnlich wie die Ukraine) nur deshalb nicht der Nato beitreten, weil ein Teil der Insel von einem anderen Land, der Türkei, besetzt gehalten wird – außerdem gibt es dort ohnedies einen großen britischen Militärstützpunkt.

Die österreichische Haltung des Wissens um die dringende Notwendigkeit einer funktionierenden Nato mit dem gleichzeitigen Festhalten am substanzlosen Neutralitätsgeschwafel erinnert lebhaft an die 70er und 80er Jahre. Damals stand Österreich vor einem ähnlichen Dilemma zwischen der Erkenntnis auf der einen Seite, dass wir aus vielerlei Gründen Anschluss an die europäische Integration brauchen, und auf der anderen Seite dem Glauben, wegen des Neutralitätsgesetzes nicht der EU (damals EWG) beitreten zu können. Damals sind ein paar schlaue Diplomaten auf die Idee gekommen: Dann werten wir halt als Ersatz für eine EU-Mitgliedschaft den Europarat auf. Das war lächerlich, da ja sonst niemand in Europa mehr an den Europarat glaubte. Das war genauso lächerlich, wie es heute die Idee einer gemeinsamen Verteidigung durch die EU, aber ohne Nato ist. So etwas denkt man sich nur in Österreich aus.

Als Argument wird gerne auf Donald Trump verwiesen, der ja angesichts der Senilität seines an einer Kandidatur festhaltenden Konkurrenten Joe Biden gute Chancen hat, neuerlich US-Präsident zu werden. Trump hat die europäischen Nato-Partner mehrmals aufgefordert, die lange schon – verbindlich gegebene! – Zusage endlich auch einzuhalten, zwei Prozent des Wirtschaftsprodukts für Verteidigungszwecke auszugeben; andernfalls würden sich die USA nicht mehr verpflichtet fühlen, ihnen im Rahmen der Nato beizustehen. Zuletzt hat Trump das sogar – wenn auch eigentlich für Zwecke seines Wahlkampfes – mit der Drohung verbunden, dass er andernfalls dem russischen Präsidenten Putin mitteile, mit den Europäern zu tun, was er wolle, oder zumindest mit jenen Ländern, die sich nicht an die Zwei-Prozent-Verpflichtung halten. Er ist da nicht so genau.

Dieser schon lange anhaltende Druck des Donald Trump hat die Europäer zutiefst verärgert und provoziert. Jedoch: Er hat gewirkt. Er hat die erwünschte Reaktion vieler Europäer bewirkt. Inzwischen hat die klare Mehrheit der europäischen Nato-Mitglieder die Zwei-Prozent-Grenze überschritten. Es mag dahingestellt bleiben, was alles Ursache dafür war: War es primär die Erkenntnis, dass in Moskau nach den kurzen Gorbatschow- und Jelzin-Jubeljahren und nach der mehrfachen Gerontokratie wieder ein extrem böser und gewalttätiger Diktator an der Macht ist, der von der Rückgewinnung aller einst kontrollierten Territorien träumt? Oder war es doch auch die Erkenntnis, dass man sich nicht mehr einseitig auf die Stärke der USA verlassen und sich selber in deren Schatten den Tagträumen vom schlaraffenlandartigen Wohlfahrtsstaat hingeben kann und darf?

Jedenfalls hat aber kein einziges europäisches Land aus der Motivation heraus seine Verteidigungsbudgets deshalb erhöht, damit man eine unabhängige EU-Armee neben der Nato aufbauen kann. Sie sehen Verteidigung immer nur in Verbindung mit einem starken amerikanischen und britischen Beistand – obwohl die Bedrohungen durch Russland ja immer die Kontinentaleuropäer als erste gefährden.

Sie wissen, so sehr sie über Trump auch schnauben: Ohne den amerikanischen Atomschirm, ohne die amerikanische Hilfe an Waffenproduktion und, last but not least, ohne amerikanische Führung ist Europa kopf- wie hilflos. Ob das rechts- oder linksradikale Amerikahasser nun mögen oder nicht. Aber im Grund ist die Erwartung absurd, dass das zunehmend isolationistisch fühlende Amerika in jedem Jahrhundert unter großem Blutverlust ein- oder zweimal in Europa interveniert, wenn die Europäer selbst nicht ihre verbindlich zugesagten Hausaufgaben in Sachen Verteidigung machen. Dies ist umso weniger von einem Amerika zu erwarten, als dessen Bevölkerung immer weniger weiß ist, also immer weniger mit Europa mitfühlt.

Unabhängig von dieser Bedrohung nach außen sollte man das Verhalten Russlands und Chinas nach innen analysieren. Ihre Unterdrückungssysteme sind absolut widerlich und furchtbar – aber sie sind an sich noch keine direkte Bedrohung der europäischen Sicherheit. Ganz im Gegenteil: Die russische und die chinesische Realität sind so abschreckend, dass eigentlich selbst jene Rechtspopulisten, die auf Moskau gesetzt haben (meist deshalb, weil sie in ihren Ländern oder EU-intern extrem unfair verfolgt worden sind), bald erkennen werden, dass sie nur dann für eine Mehrheit akzeptabel sind, wenn sie auf wirklich klare Distanz zu Moskau gehen und auf eine möglichst geschlossene Nato setzen. Wie es die Erfolgreichste unter allen rechten Politikern Europas schon sehr überzeugend getan hat, die Italienerin Giorgia Meloni.

Jedoch sollte man so ehrlich sein zuzugeben: Das Ändern der inneren Verhältnisse in Russland oder China kann nicht von außen erzwungen werden. Noch viel weniger als in kleineren Ländern wie Iran, Burma, Nordkorea, Kuba oder Venezuela. Der Verweis auf eine Bedrohung von außen würde ganz im Gegenteil den jeweiligen Diktatoren nur helfen, ihre Herrschaft zu vertiefen. Es sind ja auch die Demokratien nicht wegen der totalitären Herrschaft der Nazis oder wegen der Judenverfolgung in den Krieg eingetreten, sondern weil das Hitler-Reich wie auch das Mussolini-Italien andere Länder überfallen haben.

Man darf zwar keine Sekunde lang zögern, alle Verbrechen in Russland&Co beim Namen zu nennen. Regime-Change, der Sturz einer Regierung kann aber in aller Regel nicht Ziel der Außenwelt sein. Die einzige Ausnahme wäre ein Völkermord, eine gewaltsame Vertreibung, wie sie etwa Serbien gegen die Kosovo-Albaner versucht hat.

Regime-Change ist primär Aufgabe der Einwohner eines Staates selber, wie sie etwa in den Etappen 1848 und 1867 in Österreich den Wechsel vom Absolutismus zur Demokratie gebracht haben.

Man sollte nie versuchen, von außen einen Wechsel in irgendeiner Weise militärisch zu unterstützen. Man sollte das schon gar nicht bei einem Land tun, dessen Regierung über Atomwaffen verfügt.

Man sollte aber niemals jene, die sich zu Bütteln der Diktatoren gemacht haben, aus ihrer persönlichen Verantwortung entlassen, sobald sie einmal in einen Rechtsstaat kommen – es sei denn, jene Diktatur wechselt freiwillig in eine echte Demokratie, wie es etwa Südafrika einst getan hat. Aber ansonsten sollte wirklich jeder wissen, der etwa bei der russischen oder belarussischen Polizei oder der gar in einem Gefangenenlager tätig gewesen ist, oder der freiwillig an einem Angriffskrieg mitgetan hat, dass er in einem Rechtsstaat zur Rechenschaft gezogen wird, sobald er diesen betritt – es sei denn, er hätte aktiv irgendeinen Akt des Widerstandes geleistet.

Alexei Nawalny, der von Putins Schergen zu Tode gequälte russische Held, der freiwillig nach Russland zurückgekehrt ist, um dort für Demokratie und Rechtsstaat zu agieren, hat diesem Prinzip entsprechend auch nie vom Ausland eine Intervention verlangt. Er hat gewusst, dass Russlands Zukunft die Verantwortung der Russen ist. Auch wenn er jetzt verloren hat, wird er mit Sicherheit als einer der ganz Großen auf Dauer in die geistige Geschichte Russlands einziehen.

Besonders eindrucksvoll ist, wenn man in einem großen, von russischen Filmemachern vor seinem Tod produzierten und jetzt bei uns erstmals sehbaren Film jene geistigen Wurzeln erkennt, die Nawalnys Leben geprägt haben. Zur Charakterisierung der Werte, die den nun umgekommenen Demokratie-Vorkämpfer geprägt haben, fielen nur die Vokabel christlich, national und konservativ. Das ist das gleiche Wertedreieck, das für so viele Länder – etwa 1989 – der Wegweiser zu Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit gewesen ist.

Wenn es daher Kräfte gibt, die alle Eckpunkte dieses Dreiecks bekämpfen, die jemanden zum Extremisten oder Faschisten erklären wollen, weil er nationalkonservativ ist, dann sollte man vor solchen Kräften äußerst auf der Hut sein. Solange sie anderen Völkern die gleichen Rechte zubilligen, sind Christen, national und wertkonservativ, also rechtsstaatlich Denkende in Wahrheit die nachweislich positivsten Kräfte der Weltgeschichte.

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