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Der große Fehler von Rot und Schwarz

ÖVP und SPÖ begehen beide den größten Fehler, den Parteien überhaupt begehen können: Sie agieren so, dass sie noch weitere Wähler zu anderen Parteien vertreiben. Vor allem die Freiheitlichen haben ja von beiden einstigen Großparteien Wähler ab- und zu sich angezogen. Aber auch Bierpartei und KPÖ profitieren davon. ÖVP und SPÖ wollen zwar eigentlich das Gegenteil erreichen – machen aber genau das Falsche, weil sie die Psychologie der Wähler, ihrer einstigen Wähler nicht mehr verstehen.

Der Hauptfehler: Rot und Schwarz erwecken von Tag zu Tag immer massiver den Eindruck, über eine gemeinsame Koalition nachzudenken. Und sie machen das immer öfter auch öffentlich. Sie tun dies also noch, bevor die Wähler selbst gesprochen haben! Das ist aus mehreren Gründen schlicht dumm:

  1. Weil es die Wähler verärgert, die sich entmündigt fühlen.
  2. Weil die beiden Parteien, die einst Österreich zu 90 Prozent repräsentiert haben, seit langem bei Umfragen nicht einmal über 45 Prozent kommen – also höchstwahrscheinlich noch einen dritten Partner bräuchten, was insbesondere angesichts der furchtbaren Darbietungen der deutschen Dreierkoalition die Wähler nicht gerade anzieht und außerdem kaum funktionieren kann.
  3. Weil dieser dritte Partner für Rot-Schwarz nur von einer kleinen Linkspartei kommen kann, während aber beide Parteien am Wahltag nur dann bessere Chancen hätten, würden sie sich nach rechts bewegen. Das durchschauen die Wähler.
  4. Weil ein guter Teil der SPÖ-Wähler in der Ablehnung der ÖVP mit ihrer wirtschaftsliberalen (und ihrer wertkonservativen) Grundhaltung stärker motiviert ist als im Nein zu den wirtschafts- und sozialpolitisch unter Kickl nach links gerückten Freiheitlichen, die ähnlich wertkonservativ sind wie die ÖVP. Was die FPÖ für diese Wählergruppe auf der Linken zu einer ernsthaften Alternative am Wahltag macht, vor allem bei jenen, bei denen die Liturgie der "antifaschistischen" SPÖ-Rhetorik längst nur noch Langeweile auslöst.
  5. Weil einem guten Teil der ÖVP-Wähler die linksradikalen Positionen des Andreas Babler zutiefst zuwider sind, sie meist auch schon unter der gemäßigteren Pamela Rendi-Wagner aus der lähmenden Erfahrung einstiger großen Koalitionen heraus von einer klar antisozialistischen Haltung geprägt gewesen sind, während sie an die Zeiten der gemeinsamen Regierung mit der FPÖ viel positivere Erinnerungen haben. Was die FPÖ für sie zu einer ernsthaften Alternative am Wahltag macht.
  6. Gleichzeitig begründen SPÖ wie ÖVP ihre Absage an die FPÖ mit so dünnen oberflächlichen Argumenten, dass sie nicht einmal in dieser Absage wirklich glaubwürdig sind. Sie haben ja beide mit der FPÖ in Zeiten koaliert, in denen bei den Freiheitlichen noch viel mehr nostalgische Sympathien für die einstige Nazi-Schreckensherrschaft zu finden waren als heute.
  7. Die ÖVP begründet ihr Nein zu einer schwarz-blauen Koalition einzig mit der Person des Herbert Kickl, während die FPÖ als solche durchaus ein möglicher Partner sei. Dabei ist heute die FPÖ zu hundert Prozent Kickl und Kickl zu hundert Prozent die FPÖ. Dabei agieren in der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich engste Kickl-Mitarbeiter problemlos an wichtiger Stelle. Die einstigen Ideologie-Differenzen zwischen Kickl und den eigentlich pragmatischen und wirtschaftsliberalen Oberösterreichern sind nicht einmal mehr in Ansätzen erkennbar. Mit anderen Worten: Das "Ja zur FPÖ, aber Nein zu Kickl" ist fast keinem Wähler intellektuell vermittelbar.
  8. So ist das generelle Nein der SPÖ zur FPÖ fast nur noch ein historisches Relikt. Der burgenländische SPÖ-Chef Doskozil, der ja von einem weit über sein kleines Bundesland hinausgehenden Teil der Genossen unterstützt wird, hat sogar schon offiziell davon Abstand genommen.
    Der bekannte SPÖ-Propagandist Fußi räumt fast alle einstigen (Schein-)Argumente gegen die FPÖ in einer fast zynisch anmutenden Kehrtwende aus dem Weg:
  • Deutschnational? "Das ist weder anrüchig noch anstößig." (Richtig, aber da kommen die Genossen jetzt erst drauf?)
  • FPÖ-Korruption als Koalitionshindernis? "Nein gar nicht. (Auch) ÖVP, SPÖ und sogar Grüne zeigen in Regierungsverantwortung korruptives Verhalten." (ein erstaunlich ehrliches Bekenntnis eines Genossen)
  • Die konkreten Forderungen der FPÖ? "Mit der ÖVP ist das auch nicht einfacher als mit der FPÖ." (Gewiss nicht, denn der FPÖ ist die Wirtschaft ziemlich wurscht.)
  • Die Putinfans in der FPÖ? "Putinfans gibt es in der SPÖ auch." (Eine ziemlich schockierende Information, dass auch in der einst gegen die Kommunisten kämpfenden und den Nationalsozialismus zumindest verbal ablehnenden Sozialdemokratie Gruppen einen Diktator unterstützen, der immer wieder – wie soeben – politische Gegner umbringen lässt.)

Für Fußi bleiben nur noch zwei Argumente, die gegen die FPÖ sprechen. Und das sind in Wahrheit Scheinargumente, die einer rot-blauen Koalition nicht im Wege stehen:

  1. "Wir brauchen Arbeitsmigration. Der offene Rassismus der FPÖ ist ein Problem, das Heruntermachen ganzer Ethnien. Das geht einfach nicht." Es wäre kein Problem, dieses Argument bei Koalitionsverhandlungen beiseitezuschieben. Schließlich sind auch in den früheren FPÖ-Regierungszeiten keine Arbeitsmigranten ausgewiesen worden. Und das "Heruntermachen ganzer Ethnien" findet man eher bei den antiisraelischen Demonstrationen der Linken als bei der FPÖ (außer man hält den Islam für eine Ethnie).
  2. Ein weiteres Hindernis sei die "mangelnde Abgrenzung (der FPÖ) zu Rechtsextremen, Faschisten, Identitären." Auch das ist in Wahrheit kein Koalitionsproblem: Bekanntlich vermeidet die Linke nach dem Motto "Wer ein Faschist ist, bestimmen wir" ja jede Definition, was Rechtsextremismus genau sei (nicht zuletzt, weil dann auch sie unter Druck käme, sich vom Linksextremismus abzugrenzen). Und den Satz: "Wir lehnen Rechtsextreme, Faschisten, Identitäre ab" unterschreibt jede FPÖ-Führung – eben schon deshalb, weil das zum Teil überhaupt undefinierte Begriffe sind, weil schon Kreisky sich besser mit ehemaligen Nazis als ehemaligen Vaterländischen vertragen hat, weil der Titel "Rechtsextremist" von der Linken immer nur je nach taktischem Bedarf willkürlich vergeben wird und weil sich die Identitären selbst umbenannt haben (übrigens, ohne dass jemals gesagt worden wäre, warum ausgerechnet diese auf österreichischen Patriotismus setzende Gruppe eigentlich so böse sein soll: Haben sich doch schon viele Schwarze und Rote ebenso wie Kickl zu den Schlagworten der Identitären bekannt wie "Remigration" oder "Stopp der Islamisierung").

Eine rot-schwarze oder schwarz-rote Koalition ist freilich nicht grundsätzlich abzulehnen. Sie hat in der Nachkriegsgeschichte zumindest drei große Erfolge erzielt:

  • den Staatsvertrag, also vor allem den Abzug der russischen Besatzungstruppen;
  • die Privatisierung eines Gutteils der verstaatlichten Industrie und Banken, nachdem diese in den Regierungen Kreisky und Sinowatz fast komplett an die Wand gefahren worden sind;
  • und einen letztlich harmonischen Beitritt zum EU-Binnenmarkt.

Alle drei Dinge hätte eine andere Regierungsformel nicht so leicht erreicht. Ansonsten aber waren die schwarz-blauen Phasen sicher die besten für Österreich, vor allem die Jahre unter Wolfgang Schüssel, als zum letzten Mal noch mutige Reformen angepackt worden sind, und Österreich sogar von zahllosen deutschen Medien als vorbildlich bezeichnet worden ist.

Für ein Rot-Schwarz fehlt heute das große gemeinsame Projekt. Das könnte entweder darin bestehen, Österreich angesichts der immer schlimmer werdenden Bedrohung durch Russland durch einen Nato-Beitritt mehr Sicherheit zu verschaffen. Oder aber die beiden gehen den britischen, dänischen oder ungarischen Weg, die Migration einmal wirklich effizient zu bekämpfen. Von beiden Projekten sind aber beide weit entfernt.

Es bleibt aber ein großer Unterschied zwischen Rot und Schwarz:

 

  1. In der SPÖ erkennen immer mehr, dass der Traum des Andreas Babler von einer Linkskoalition mit den Grünen, den Neos und eventuell der KPÖ oder Bierpartei fast keine Chance auf eine Mehrheit hat. Daher sagen die einen wie Gewerkschaftsboss Muchitsch, die SPÖ müsse wirtschaftsfreundlicher werden (auf Deutsch: offener für die ÖVP), und andere wie Doskozil, dass man lieber an die FPÖ denken solle (das heißt unausgesprochen: Die Freiheitlichen müssen uns dankbar sein, dass wir sie – wieder einmal – aus der Unberührbarkeit herausholen; und sie sind sozialpolitisch so links wie noch nie, sodass das Regieren mit ihnen deutlich einfacher wird). Freilich bleibt das rote Grundproblem, dass ein Teil der SPÖ-Wähler weder Richtung ÖVP noch Richtung FPÖ gehen, sondern wie Babler ohne Rücksicht auf die Realität an den linken Volksfront-Träumen festhalten will: Das heißt, dass sie lieber zur Bierpartei oder den Kommunisten wechseln, statt über ÖVP oder FPÖ nachzudenken.
  2. In der ÖVP hingegen tut man sich noch viel schwerer mit allen rot-schwarze Tendenzen.

- Denn nach allen Umfragen gäbe es seit Jahren eine klare Wählermehrheit für eine Regierung der beiden Rechtsparteien.

- Denn die ÖVP hat bei Wahlen immer dann besonders gut abgeschnitten, wenn sie sich offen für ein Zusammengehen mit allen, also auch der FPÖ, gezeigt und nicht "Ohne Wenn und Aber mit der SPÖ" gesagt hat.

- Denn in den emotional bei Wahlen so wichtigen Wertefragen wie Migration, Trans- und Schwulen-Kult, Gendern, Familienorientierung liegen die beiden Parteien eng zusammen.

- Denn es gibt viele Wähler, die zwischen ÖVP und FPÖ schwanken, aber kaum welche, die nachdenken, von der ÖVP nach links abzuwandern (während die SPÖ ja sowohl Richtung rechts zur FPÖ wie auch Richtung links, also zu den Grünen, KPÖ und Bierpartei, ausfranst).


Daher kann man diesmal dem "Standard" nur zustimmen, der sagt, das sei "ein rot-türkiser Flirt, der beiden schadet. Das frühe Eintreten von ÖVP und SPÖ für eine gemeinsame Koalition stärkt nur die Parteien am rechten und linken Rand."

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