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Sie müssen die Demokratie wirklich noch lernen

Die SPÖ hat sich auf einen Modus zur Vorsitzendenwahl geeinigt, der wirklich allen demokratischen Usancen Hohn spricht, der zur Wahl eines nur von einer Minderheit unterstützten Parteichefs führen kann, der offen für Manipulationen ist und der den einfachen Mitgliedern vermittelt, dass sie im Verhältnis zum "hohen" Parteitag halt doch etwas Unbedeutendes, eben sehr Einfaches sind.

Die SPÖ-Spitze war jedenfalls außerstande, auf die Tatsache richtig zu reagieren, dass es mehr als zwei Kandidaten gibt, dass sich vielmehr mindestens fünf bewerben. Bei sauberen demokratischen Verhältnissen müsste es bei mehr als zwei Kandidaten unbedingt eine Stichwahl geben, wenn keiner 50 Prozent der Stimmen erreicht, wenn es also nur relative Mehrheiten gibt. Das ist in vielen Länder so, weil völlig klar ist, dass sonst sehr leicht taktische Bewerbungen einem Kandidaten die Spitzenposition rauben können; dass dadurch jemand gewinnen könnte, der in einem direkten Duell niemals Chancen gehabt hätte. Um dieses Ziel zu erreichen, bräuchte man nur ein oder zwei Kandidaten zusätzlich ins Rennen zu schicken, die das gleiche ideologische Wählerspektrum ansprechen wie der bekämpfte Gegner. Womit sich dessen politische Freunde auf zwei (oder eventuell noch mehr) Kandidaten aufteilen würden.

Das Prinzip "The winner takes it all” gilt sonst fast nur in den USA und Großbritannien, wo der Kandidat mit – beispielsweise – bloßen 34 Prozent alles gewinnt (wo er etwa alle Wahlmänner eines Bundesstaats stellen kann), wenn die anderen beiden nur jeweils 33 Prozent haben. Und wenn noch mehr Kandidaten auf dem Stimmzettel stehen, dann wird der Sieg mit noch geringeren Anteilen möglich.

Dieses System wird daher seit langem zu Recht kritisiert, gerade auch von Linken. Es macht es allzu leicht, das Wählerpotential eines Konkurrenten (gezielt oder auch unbeabsichtigt) zu schwächen, wenn man noch mehr Kandidaten ins Rennen schickt, die diesem ganz ähnlich sind. Bei fast allen anderen Wahlen – vom österreichischen Bundespräsidenten bis zu den französischen Abgeordneten – gibt es daher immer einen zweiten Wahlgang unter den Spitzenreitern, wenn nicht einer schon am Anfang die 50 Prozent erreicht haben sollte.

Solche Manöver werden durch zwei weitere unglaubliche Tatsachen noch massiv erleichtert:

  • Zum ersten kann absolut jedes Parteimitglied noch über Nacht kandidieren. Es braucht keine Qualifikation, kein Quorum – also etwa tausend Unterstützungserklärungen anderer Genossen –, kein gar nichts.
  • Zum zweiten darf jeder abstimmen, der diese Woche noch schnell der Partei beitritt. Und damit auch kandidieren.

Beides macht jedenfalls gezielte Störaktionen extrem leicht. Auch wenn nicht gerade anzunehmen ist, dass Karl Nehammer aus der ÖVP aus-, der SPÖ beitritt und mit Hilfe von Zehntausend ebenfalls blitzschnell die Partei wechselnden Anhängern die SPÖ übernimmt …

All die in desem Text aufgezeigten Defizite kümmerten jedenfalls die SPÖ-Spitze nicht, als diese jetzt die Wahlregeln fixierte. Sollten diese Fehler nicht nur aus Dummheit passiert sein, dann steckt offenbar etwas anderes – nämlich ein noch viel mieseres Kalkül dahinter: Wenn man es durch solche Winkelzüge verhindert, dass ein Kandidat 50 Prozent erhält, erreicht man damit, dass die letzte Entscheidung dann jedenfalls doch wieder bei den am Parteitag versammelten Funktionären liegt.

Dann kann man scheinheilig sagen: "Wir haben ja eh eine demokratische Willensbildung versucht, aber die Basis war halt nicht imstande, eine klare Entscheidung zu treffen." Wenn kein Kandidat 50 Prozent erreicht, wird man relativ leicht argumentieren können, dass man sich nicht mehr an eine Entscheidung der Basis zu halten brauche. Diese habe eben versagt und ihre Chance nicht genützt. Wir brauchen ja doch die Politkommissare …

Das alles wird die Lust der einfachen Genossen zweifellos enorm steigern, an dieser Farce teilzunehmen.

Fassungslos macht aber auch, dass die Abstimmung per Internet möglich ist. Das ist zwar zweifellos eine zukunftsweisende Möglichkeit – nur war es skurrilerweise gerade immer die SPÖ selber, die auf anderen Ebenen strikt gegen elektronische Abstimmungen gewesen ist (in Wahrheit vor allem, weil sie fürchtete, dass überdurchschnittlich viele ihrer Wähler aus der Pensionistenschar und aus den frisch eingebürgerten Migranten mit dem Internet nicht so gut umgehen können wie die Wähler der anderen Parteien).

Jetzt auf einmal wird das auf Parteiebene eingeführt, was die SPÖ bei den großen Wahlen immer verhindert hat. Das soll noch dazu unter großem Zeitdruck geschehen, was etwa für eine Neuordnung der Nationalratswahl (hoffentlich) jahrelange Vorbereitungen bekommen hätte. Durch eine sorgfältige Vorbereitung wären bei elektronischen Wahlen auf Staatsebene möglichst alle Fallen, Pannen, Missbräuche und Manipulationsmöglichkeiten ausgeschlossen, alle internationalen Beispiele sorgfältig studiert, die Abstimmungs-Software präzise ausgearbeitet und mehrere Probeläufe durchgeführt worden.

Aber nix da. Jetzt will die SPÖ mit einem Fingerschnipsen genau das machen, was sie in ihrer Strukturkonservativität immer strikt abgelehnt hat. Das lehrt, wie ernst die Partei zu nehmen ist.

Als Anhänger der Demokratie auch und gerade in einer künftig elektronischen Form muss man jetzt skurrilerweise bangen, dass die SPÖ-Abstimmung nicht schief geht. Denn in diesem Fall hätte die elektronische Demokratie in Österreich wohl auf viele Jahre ausgespielt. Und damit indirekt wohl auch die direkte Demokratie.

Die Zustände in der SPÖ sind jedenfalls für alle anderen rundherum ein Anlass zum Jubeln. Nicht nur für die anderen Parlamentsparteien, sondern auch für solche, die man sonst nicht so im Visier hat. Etwa für kommunistische und linkssozialistische Gruppierungen. So sei an den relativen Erfolg des Marco Pogo bei der Bundespräsidentenwahl erinnert. So sei an die Machtübernahme der Kommunisten in Graz erinnert.

Die heutigen Kommunisten beherrschen inzwischen den Linkspopulismus viel besser, der lange Prärogativ der SPÖ gewesen ist: Während die SPÖ dagegen wettert, dass keine Mietenbremse kommt (die zur Teilenteignung der Wohnungsvermieter und einem Rückgang des Wohnungsbaus geführt hätte), haben die Grazer Kommunisten die SPÖ-Forderung kurzerhand umgesetzt und die Erhöhung der Grazer Gemeindebaumieten auf zwei Prozent limitiert. Hingegen tun die Wiener Sozialisten nichts dergleichen, obwohl sie weitaus den größten Wohnungsbestand Österreichs zu verwalten haben. Sie erhöhen vielmehr die Mieten ganz normal der Inflation entsprechend.

So falsch eine Mietenbremse auch wäre, so absurd ist es, eine solche vom Bund vehement zu fordern, sie aber im eigenen Machtbereich nicht umzusetzen, weshalb man sich von anderen zeigen lassen muss, wie leicht das populistische Punkten geht …

Ein schwerer Glaubwürdigkeitsverlust für die SPÖ war auch ihr Auftreten bei den niederösterreichischen Koalitionsverhandlungen: Dort hat sie ultimativ ("lieber hacke ich mir die Hand ab"), Dinge gefordert, die nicht einmal dort umgesetzt sind, wo die SPÖ regiert.

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