Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Auch wer linke Politiker wählt, will noch lange keine linke Politik

Demokratie bedeutet vor allem anderen die Möglichkeit, Regierungen abwählen zu können. Wenn die Menschen Abwechslung wollen, wenn sie damit gegen irgendetwas protestieren wollen, wenn sich Regierungen als unfähig erweisen, wenn Minister der Korruption überführt worden sind, wenn die Opposition attraktive Kandidaten ins Rennen schickt, aber auch wenn eine Regierung Pech hat und Opfer externer Schocks wie Kriege, Inflation oder Energiemangel geworden ist. Das ist alles normal. Das ist gut so (wie gerne hätten die Bürger in Russland, China, Iran und Dutzenden anderen Diktaturen doch diese Möglichkeit!). Das heißt aber noch lange nicht, dass die Menschen auch eine linke Politik wollen, wenn sie eine sozialistische Partei in die Macht bringen. Wie sich jetzt wieder ganz dramatisch zeigt.

Nämlich von Chile bis zu den USA und Großbritannien.

In Chile hat der linke Präsident Boric, der erst vor neun Monaten gewählt worden ist, eine Volksabstimmung über einen von ihm beauftragten Verfassungsentwurf krachend verloren. Dabei enthielt der Verfassungsentwurf wirklich alles, womit Linke ständig glauben, die Welt beglücken zu müssen.

Noch viel erstaunlicher und aussagekräftiger: Während sich bei der Wahl des Gabriel Boric Ende des Vorjahres lediglich 55 Prozent der Chilenen überhaupt am Urnengang  beteiligt haben (von denen ihn dann 56 Prozent gewählt haben), haben jetzt weit über 80 Prozent an der Abstimmung teilgenommen; und 62 Prozent von ihnen haben "Nein!" zu den linken Träumereien gesagt.

Dabei enthält der Entwurf alles, was uns auch die hiesigen Mainstreammedien vom ORF angefangen jahraus, jahrein als gut, toll und notwendig verkaufen.

So hätte die von Boric gewünschte Verfassung vorgesehen,

  1. dass alle Staatsorgane künftig zur Hälfte von Frauen besetzt werden müssen (was noch weit über die bei uns seit etlichen Jahren vorgeschriebene und seither umstrittene und zu Ärgernissen führende Bevorzugung von Frauen in öffentlichen Stellen bei gleichen Qualifikationen hinausgeht);
  2. dass jeder Chilene ein Recht auf Wohnraum hat (dieses Recht hatten die Menschen auch im ehemals kommunistischen Ostblock – was zur Folge hatte, dass dort junge Familien 15 Jahre auf eine kleine Plattenbauwohnung katastrophaler Qualität warten und so lange im elterlichen Wohnzimmer leben mussten);
  3. dass jeder Chilene ein Recht auf Bildung hat (was in Wahrheit einen Generalangriff auf die qualitativ deutlich überlegenen chilenischen Privatschulen bedeutet, weil es selbstverständlich schon lange Schulpflicht in Chile gibt);
  4. dass jeder Chilene ein Recht auf Gesundheit hat (das ist wirklich regelmäßig der Punkt, wo linke Realitätsferne die Grenzen zur Lächerlichkeit überschreitet);
  5. und dass die indigenen Gemeinschaften das Selbstbestimmungsrecht erhalten sollen (was besonders unpopulär ist, seit indigene Extremisten mehrere Brandanschläge verübt haben).

Dabei haben noch vor der Wahl von Boric linke Massendemonstrationen genau eine solche Verfassung gefordert. Das zeigt wieder einmal: Jenes Meinungsbild, das die Straße zeigt, hat oft überhaupt nichts mit der demokratischen Meinung der Bürger zu tun, wie sie sich an der Wahlurne zeigt.

Noch viel deutlicher zeigt das wieder einmal, wie positiv – und dringend notwendig – die direkte Demokratie auch für andere Staaten wäre, um zwischen Personen- und Sachentscheidungen unterscheiden zu können. Auch die signifikant höhere Wahlbeteiligung zeigt, dass die Menschen mehr an Sachfragen als an Personen interessiert sind.

Zum gleichen Schluss, dass die Wahl von linken Politikern noch lange nicht heißt, dass die Wähler auch linke Politik wollen – und umgekehrt, kommt man, wenn man in die USA blickt. Dort ist Joe Biden bei der letzten Wahl ja auch nicht deshalb gewählt worden, weil die Amerikaner einen Linksruck wollten, sondern weil etliche US-Bürger der Eskapaden des Donald Trump überdrüssig geworden waren. Entscheidend Wähler verloren hatte Trump aber vor allem durch die Corona-Krise, seine erratische Reaktion darauf und durch die von Corona ausgelöste Wirtschaftskrise in den letzten Monaten vor der Wahl.

Viele Linke in der Demokratischen Partei begreifen das aber nicht, sondern steuern einen linken Kurs, mit dem ihre Partei einer sicheren Wahlniederlage entgegengehen würde – würden sie nicht (wahrscheinlich) das Glück haben, dass bei den Republikanern wiederum Minusmann Trump ins Rennen gehen dürfte, und dass die Republikaner durch die Abtreibungsfrage bei manchen Wählergruppen in die Defensive geraten sind.

So ist auch in Großbritannien Boris Johnson wegen Lächerlichkeiten gestürzt worden (verbotene After-Work-Umtrünke im Premierminister-Büro, die er ursprünglich verschweigen wollte) und gewiss nicht, weil die Briten nach links wollten. Seine Nachfolgerin Truss wird nun aber heftig zu kämpfen haben, das Charisma und die Führungsstärke Johnsons zu erlangen, will sie die nächsten Wahlen überleben. Denn bei den Sozialisten ist jetzt ein gemäßigter Mann der Mitte mit etlicher Ausstrahlung an der Spitze, der in vielem, etwa auch in Sachen Brexit, an Johnsons Kurs inhaltlich festhalten will.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung