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Meinungsumfragen bringen noch keinen Frieden

Die an ein paar oberösterreichischen Wirtshaustischen entstandene Gruppe MFG hat nach ihrer Erkenntnis, dass sich manche Österreicher in einer für eine neue Kleinpartei ausreichenden Menge vor Impfungen fürchten, nun auch die Weltpolitik entdeckt. Sie hat deshalb zum Ukraine-Krieg den sensationellen Vorschlag gemacht, dass Österreich "die Streitparteien auf sicheren Boden einladen" solle. Genial! Endlich ist der Stein der Weisen gefunden worden, der den Krieg beendet! Dass da die Welt noch nicht draufgekommen ist!

Ob es wieder dieselben oberösterreichischen Landgasthäuser sein sollen, wo der Frieden gestiftet wird, haben die wackeren MFG-Denker leider noch nicht dazu gesagt.

Man könnte solche Stammtisch-Vorschläge locker beiseiteschieben, wäre da nicht ein beklemmendes Faktum: Diese neue Partei ist seit etlicher Zeit jene Gruppierung, die nach den Umfragen bei Neuwahlen die besten Chancen hat, mehr Stimmenprozente zu erobern, als jede andere Partei dazugewinnen könnte.

Noch beklemmender ist aber etwas Zweites: Praktisch genau der gleiche, völlige weltpolitische Ahnungslosigkeit zeigende Vorschlag ist auch schon von mindestens zwei weiteren Parteien gekommen, nämlich von SPÖ und FPÖ. Was ihn aber auch nicht sinnvoller macht.

Offenbar sind völlig realitätsfreie Vorschläge nach der Intelligenzmethode "Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass" in diesem Land noch immer die beste Strategie, um Wähler zu fangen. Denn sonst wäre ja auch Karl Nehammer nicht sowohl nach Kiew wie auch nach Moskau geflogen. Diese Laiensimulation einer Vermittlungsmission hat ihm allerdings keine zusätzlichen Sympathiepunkte gebracht.

Ein großer Teil der Österreicher glaubt noch immer die Schmähs der eigenen Staatspropaganda. Diese redet gehirnwäscheartig den Alpenrepublikanern seit Jahrzehnten ein, welch großen Wert die Neutralität für die Welt doch hätte. Dabei hatte diese nur eine einzige Funktion gehabt: 1955 die sowjetischen Besatzungstruppen endlich aus dem Land zu kriegen. Seither ist sie ohne jede Funktion für die Österreicher gewesen – außer jener der skurrilen Selbsttäuschung, dass man sich der Neutralität wegen für etwas Besseres hält, obwohl man in Wahrheit von den anderen ziemlich abfällig bewertet wird.

 Begonnen hat diese Selbsttäuschung unter Bruno Kreisky, der den Menschen einzureden versucht hatte, UNO-City und Konferenzzentrum wären wichtiger für die österreichische Sicherheit als das Bundesheer. Und sie ist seither als ständige Mythologisierung der Neutralität fortgesetzt worden. Immer öfter konnte man sogar Politikersprüche lesen: Wir brauchen ein Bundesheer – oder etwas korrekter: wir würden ein funktionsfähiges Bundesheer brauchen –, um unsere Neutralität zu verteidigen. Nicht etwa: um unsere Freiheit, um unsere Unabhängigkeit zu verteidigen.

In sämtlichen anderen Ländern, ob in der Nachbarschaft oder weiter entfernt, kann man Gesprächspartner zum Lachen bringen, wenn man ihnen erzählt, dass viele Österreicher wirklich glauben, die Welt bräuchte sie als Vermittler, als "sicheren Boden", wo sich Konfliktparteien treffen können.

Solche Sätze sind reinste Hybris, von Politikern, Medien, Lehrern, Bundesheeroffizieren geschürte Selbstüberschätzung. Wahr ist jedoch: Es ist in der Weltgeschichte noch kein einziger Konflikt in Gang gekommen – oder nicht zu einem Ende gekommen –, weil es keinen sicheren Platz für Gespräche gegeben hätte. Oder weil es keinen "Vermittler" gegeben hätte. Daran ändert auch die Miniepisode nichts, dass einmal zwei Streithähne eines afrikanischen Stammeskonflikts in einem österreichischen Gasthaus kurzfristigen Frieden geschlossen haben.

Auch der potenziellen Vermittler gibt es mehr als genug. Allein im Ukraine-Krieg haben sich von der Türkei über Frankreich bis Israel zahllose Nationen um eine Vermittlung bemüht. Und das sind nur die, von denen man weiß. Hinter den Kulissen haben zweifellos noch viel mehr eine Vermittlung versucht. Überhaupt die klassische Institution dafür ist etwa das Rote Kreuz. Alle blieben sie erfolglos.

Denn wenn keine Seite will, hilft der klügste Vermittler nichts, und auch nicht der "sicherste Platz" für Gespräche. Derzeit will sogar keine einzige Seite:

  • In der Ukraine dürfte wohl kein einziger Bürger einen Waffenstillstand mit den gegenwärtigen Frontlinien akzeptieren, bei denen die Russen durch ihren verbrecherischen Krieg ein großes Stück des Landes erobert und im Rest unglaubliche Zerstörungen angerichtet haben.
  • Der russische Kriegsherr Putin will ebenfalls keinen Frieden, solange er nicht als absoluter Sieger vom Schlachtfeld geht. Denn sonst droht ihm ein ständiger Guerillakrieg der besiegten Ukrainer (wie er jetzt schon aus manchen russisch besetzten Orten gemeldet wird). Sonst droht ihm innenpolitische Unruhe – vor allem weil er die Russen dann nicht durch einen imperialistischen Eroberungssieg von den Sanktionen ablenken kann.
  • Und auch der Rest Europas kann keinesfalls einen Frieden akzeptieren, bei dem Putin mit erhobenem Haupt davongeht. Denn dann ist kein Land mehr vor seiner Eroberungslust sicher. Denn dann ist dem ganzen Kontinent kommuniziert: Jedes Völkerrecht ist Makulatur; es gilt nur noch das Faustrecht, das Recht der Stärkeren. Alle Realisten, die nicht populistisch träumen, wissen: Man muss Putin genauso entgegentreten, wie es vor mehr als 200 Jahren notwendig war, durch gemeinsame Anstrengungen aller der kontinentalen Eroberungsgier Napoleons entgegenzutreten, oder im vorigen Jahrhundert der noch brutaleren des Adolf Hitler (wobei in beiden Fällen es viele Jahre gedauert hat, bis Europa das erkannt hat).

Natürlich sehnen wir uns alle danach, dass die Realität der Welt nicht so ist, dass etwa der schwer korrupte Patriarch von Moskau doch noch einen Hauch Christentum in sich entdeckt und Putin bekehrt, oder dass anständige russische Offiziere dem Spuk ein Ende bereiten. Aber man sollte bei aller Hoffnung realistisch bleiben und wissen, dass das total unwahrscheinlich ist. Die Wahrheit heißt: Nach drei Monaten des Krieges kann die Welt nur dann einer guten Zukunft entgegengehen, wenn Putin weg ist.

Es ist verständlich, wenn diese nüchterne Erkenntnis, dieses Fehlen jeder Alternative uns allen tiefes Unbehagen, tiefen Schmerz bereitet.

Gerade die dramatische Realität macht es zunehmend unerträglich, mit welcher Dummheit sogenannte Politiker dennoch ständig davon schwätzen, dass Österreich doch endlich vermitteln solle. Dass Österreich doch einen sicheren Platz für Verhandlungen anbieten solle. Abgesehen davon, dass auch das schon geschehen ist, so fehlt es auch in anderen Ländern nicht an Hotelportieren, die ganze Hotels, und nicht an Regierungen, die schöne Staatspalais für Verhandlungen zur Verfügung stellen würden, wenn nur jemand verhandeln will.

Faktum ist ebenso, dass Österreich in der ganzen Geschichte trotz allen Neutralitätsgeschwurbels keinen einzigen Konflikt durch seine Vermittlung beeinflusst hat. Erfolgreich vermittelt in den letzten Jahrzehnten hat lediglich das Nato(!)-Land Norwegen im Nahostkonflikt. Und noch öfter, noch erfolgreicher waren die USA als Vermittler, etwa mehrmals zwischen der Türkei und Griechenland, zwischen Israel und Ägypten, zwischen Japan und Südkorea.

Man kann zwar – ganz selten, aber doch – wie die Norweger nach Art des Hotelportiers vermitteln. Aber zu dessen Fähigkeit gehört die absolute Diskretion, die in Österreich aber eine völlig unbekannte Eigenschaft ist. Und man kann nach amerikanischer Art vermitteln, indem man Druck ausübt, indem man die Konfliktparteien mit Dollarmilliarden motiviert, indem man einer unwilligen Seite Kompensationen etwa durch Waffenlieferungen anbietet.

Nichts davon kann Österreich. Und der bisweilen als angeblicher Vermittler genannte Kreisky war sogar das absolute Gegenteil: Er hat sowohl die Amerikaner wie auch die Israelis durch seine ständigen Stänkereien, durch seine Flirts mit eindeutigen Terroristen von Arafat bis Gadhafi nur provoziert und tief verärgert. Er war milchstraßenweit vom Vermitteln entfernt.

Die einzigen, die aber dennoch trotz aller Realität an eine solche Restfunktion der Neutralität glauben, sind die Österreicher selber. Zugegeben, solche Selbsttäuschung ist auch viel netter, als den Realitäten der Welt ins Auge zu blicken, einer Welt, in der es offenbar immer wieder Napoleons, Hitlers und Putins mit all ihrem Schrecken und Blutvergießen geben wird.

Die kollektive Dummheit schmerzt einfach – auch wenn sie eindeutige Schuld innenpolitischer Ratgeber ist, die glauben, dass man auch Außen- und Sicherheitspolitik einfach gemäß den Meinungsumfragen gestalten kann. Diese aber zeigen lediglich, dass eine Mehrheit der außen- und sicherheitspolitisch ahnungslosen Österreicher auf die ständige Propaganda der Politik hineingefallen ist. Ein widerlicher Hexenkreis.

Aber der passt perfekt zu einem Land, wo ja auch sonst keine Partei der letzten 16 Jahre, kein Politiker in irgendeiner Frage die Wahrheit zu sagen imstande oder bereit ist. Sie verschweigen ja beispielsweise auch alle, dass Österreich in eine Megakrise hineinsteuert, wenn es nicht das Pensionsalter drastisch erhöht. Unangenehmes wünscht man sich einfach weg.

Wie etwa auch in der Corona-Pandemie. Da gibt es lediglich den Unterschied im Wie der Reaktion auf diese Krankheitswelle und auf die durch sie deutlich gestiegenen Todeszahlen. MFG und die Freiheitlichen versuchen sie komplett wegzuignorieren oder – noch perverser – die Impfungen zu verteufeln, was bei habituellen Realitätsverdrängern gut ankommt, die ja auch sonst vor Impfungen davonlaufen.

Die SPÖ wiederum versucht das absolute Gegenteil. Ihre Kritik an allen Regierungsmaßnahmen der Pandemie-Bekämpfung als unzureichend lässt nur den Schluss zu, sie möchte eigentlich das Land in ein zweites Shanghai verwandeln. Das ist jene Stadt mit mehr als drei Mal so viel Einwohnern wie ganz Österreich, wo seit Wochen ein totaler Lockdown verhängt worden ist und das Virus dennoch weiter wütet.

Ob es um die Sicherheit des Landes geht, um sein wirtschaftliches Überleben, um seinen gesundheitlichen Schutz: Österreich hat auf allen Seiten des parlamentarischen Spektrums nur noch Parteien, deren Horizont bloß bis zur nächsten Schlagzeile der Kronenzeitung reicht. Und deren "Politik" rein von oberflächlichen Meinungsumfragen und oberösterreichischen Wirtshaustischen bestimmt wird.

Irgendwann wird uns das auf den Kopf fallen.

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