Der unsterbliche Glaube an den „echten“ Sozialismus

Wer nach dem Untergang des Realsozialismus in Osteuropa an den totalen Sieg des Kapitalismus geglaubt hat, lag falsch. Nie zuvor waren sozialistische Ideen derart populär und bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen wie heute. Das gilt beiderseits des Atlantiks und ist, angesichts der verheerenden Bilanz der bisher verwirklichten Experimente, mehr als erstaunlich.

Rund zwei Dutzend Versuche, den "wahren Sozialismus" zu verwirklichen, hat es seit der Oktoberrevolution gegeben. Alle sind – gemessen am von ihren Protagonisten erhobenen Ansprüchen und Versprechen – fulminant gescheitert. Die meisten davon nicht, ohne Leid, Elend und zum Teil beachtliche Leichenberge zu hinterlassen. Jeder einzelne dieser Versuche wurde vom begeisterten Beifall westlicher Intellektueller begleitet – zumindest zu Beginn. Nach einer Phase vereinzelten Anfangserfolgen geschuldeter Euphorie folgte, sobald die ersten Probleme und Rückschläge einsetzten, regelmäßig die Ernüchterung, gefolgt von jener immer gleich lautenden Distanzierung: Das sei kein "echter" Sozialismus gewesen.

Das gegen jedwede Kritik zuverlässig immunisierende Prinzip: "Echter Sozialismus" verwirklicht das Paradies auf Erden. Da aber die Experimente von Lenin, Stalin, Mao, Kim Il Sung, Pol Pot, Chavez & Genossen dieses hierarchie- und gewaltfreie Arbeiterparadies offensichtlich nicht verwirklicht haben, konnte es folglich auch kein "echter" Sozialismus gewesen sein. Klar soweit?

Auf die Idee, dass ein zentral organisierter Sozialismus, dank der Abwesenheit von Marktpreisen, zwangsläufig am ihm immanenten Informationsproblem scheitern muss, ist offenbar noch keiner seiner westlichen Apologeten gekommen. Und auf die Frage, wie denn ein dezentral organisierter Sozialismus aussehen könnte, gibt es bis heute keine Antwort, die sich nicht in Abstraktionen und ebenso vagen wie phantasievollen Wunschbildern verliert. Handfeste, konkrete Vorstellungen dazu existieren nicht.

Fazit: Sozialismus fühlt sich – im Gegensatz zum "kalten" Kapitalismus – einfach gut an. Dass die meisten Sozialisten letzterem ihre schiere Existenz verdanken, ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte. Und weil Gefühle die Vernunft jederzeit schlagen, wird es die "anthropologische Konstante" des Sozialismus (Igor Schafarewitsch) auch in Zukunft leicht haben, als utopisches Wunschbild weiterzuleben.

Sozialismus bedeutet den Versuch, durch unbeirrtes Glauben an die Kraft des Willens den Verstand zu schlagen: zurück hinter die Errungenschaften der Aufklärung. Deprimierend, dass dieser haarsträubende gedankliche Sondermüll nicht längst auf dem Misthaufen der Geschichte liegt.

Kristian Niemitz, Head of Political Economy am Londoner Institute of Economic Affairs, hat zu diesem Thema ein tief recherchiertes und mit zahlreichen Quellennachweisen versehenes Buch vorgelegt. Wer sich einen wohlfundierten Überblick über die Geschichte des Sozialismus im 20. und 21. Jahrhundert verschaffen will, sollte sich diese Lektüre nicht entgehen lassen (Kristian Niemietz: "Sozialismus: Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt"; Finanzbuchverlag).

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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