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Der Zustand der FPÖ oder: Wie man Konservative vertreibt

Die absurdesten Verschwörungstheorien der letzten Jahrzehnte sind fast immer von links gekommen. In der Corona-Krise hat das gewechselt: Da akkumulieren sich die wildesten Behauptungen im Dunstkreis von FPÖ und AfD. Auch wenn manche dabei Mitmachenden früher ganz links gestanden sind; auch wenn manche unausgegorenen "Beweisstücke" der Corona-Quer-"Denker" eher aus dem Angstarsenal grün-affiner Esoteriker stammen; auch wenn das, was bei der FPÖ derzeit zu sehen ist, nichts mehr mit ihren einstigen Wurzeln als Nationalliberale zu tun hat; auch wenn das schon gar nicht an eine Partei erinnert, die der ÖVP noch jemals wieder irgendwelche konservativen Wähler abnehmen könnte. Was ist von der derzeit überdies durch einen parteiinternen Atomkrieg zerrissenen FPÖ noch zu halten? Warum befindet sie sich so in der Krise – im Gegensatz zu vielen anderen europaweit im Aufwind befindlichen Rechtspopulisten?

 Jene Parteiengruppe, die oft als rechtspopulistisch bezeichnet wird, ist vor allem durch folgende sechs Positionen gekennzeichnet:

  • starke Ablehnung der illegalen Einwanderung, besonders jener aus der islamischen Welt;
  • Bekenntnis zu Familienwerten im Gegensatz zu den modischen Gender-, Feminismus- und LGBTQ-Parolen radikaler linker Gruppierungen;
  • Klare Law-and-Order-Orientierung;
  • skeptische Begleitung der EU-Entwicklung;
  • große Sympathie für Donald Trumps "America First", was dann in jedem Land auf die eigene Nation hingemünzt wird;
  • Verachtung für alle Linksparteien, aber auch für die in manchen Ländern müde und identitätsarm gewordenen Christdemokraten, vor allem, wenn diese die Vertretung dieser Werte und Positionen allzu erkennbar aufgegeben haben.

Das sind an sich starke Eckpfeiler, die vielfach auch die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung finden. Insofern könnten sie dem Rechtspopulismus also zu einer dominierenden Rolle verhelfen.

Doch, wie fast bei jeder politisch-ideologischen Entwicklung gibt es gerade am Anfang gewaltige interne Kontroversen. Die gravierendste ist zweifellos die Frage der internationalen Orientierung. Die FPÖ, die Front National von Maria Le Pen und die italienische Lega von Matteo Salvini sind eindeutig in ihrer Mehrheit russlandfreundlich; die FPÖ seit dem Abgang der Herren Gudenus und Strache allerdings deutlich weniger, Herbert Kickl hat diese Russophilie nie goutiert.

Andere, insbesondere die polnische PiS-Partei, sind (wie fast jeder Pole) geradezu genetisch gegen Russland und ganz nach Amerika orientiert; wobei ihnen allerdings Donald Trump erkennbar lieber gewesen ist als Joe Biden. Aber an der Amerika-Liebe Polens an sich hat das wenig geändert: So hat das Land in einer symbolisch starken Geste jetzt auf etliche ihm zustehende Impfdosen verzichtet, damit vorrangig das gesamte Nato-Personal in Brüssel geimpft werden kann. Die ungarische Fidesz von Viktor Orbán bewegt sich da irgendwo dazwischen und will im Kampf gegen die antiungarische Hetze der EU-Linken möglichst gute Beziehungen zu beiden Supermächten.

Eine weitere Spaltlinie ist die EU-Skepsis: Diese ist zwar allen gemeinsam (und hat als logische Folge dazu geführt, dass die Rechtspopulisten bei EU-Wahlen regelmäßig schlechter abschneiden als bei nationalen, weil an EU-Wahlen viele EU-Skeptiker nicht teilnehmen). Aber die meisten dieser Parteien leiten daraus keineswegs die Forderung nach einem EU-Austritt ab. In der deutschen AfD hat sich hingegen ein radikaler Flügel mit der Austrittsforderung durchgesetzt. Bei den Osteuropäern hingegen ist – trotz aller antiungarischen, antipolnischen und antitschechischen Aktionen der in der EU derzeit dominierenden Linken – Austritt schon aus ökonomischem Interesse absolut kein Thema.

Während die Differenzen zu Russland noch überhaupt nicht überwunden sind und die EU-Mitgliedschaft derzeit kaum Thema ist, ist mit Corona eine weitere tiefe Spaltlinie quer durchs rechtspopulistische Lager aufgebrochen. Auf der einen Seite sammeln sich alle – nennen wir sie offen: Spinner,

  • die glauben, das Virus sei in die Welt gesetzt worden, damit Bill Gates den Menschen Chips in die Haut implantieren und daran verdienen kann;
  • die Corona nur für eine andere Form der Grippe halten;
  • die immer neue absurde Gründe gegen die Verwendung von Infektionsschutz-Masken verbreiten;
  • die jede Lockdown-Maßnahme für eine überflüssige und böswillige Machination der jeweiligen Regierung ansehen;
  • die jedes Problem beim Impfen groß dramatisieren und als Beweis verwenden, dass man sich überhaupt nicht impfen lassen soll – auch wenn dieses Problem nur alle hunderttausend Mal einmal auftaucht;
  • und die daher auch die Tatsache ignorieren, dass die Impfprobleme in Österreich bisher ein einziges Todesopfer gefordert haben, während das Virus selbst bisher fast zehntausend Opfer gefordert hat.

Sie finden Unterstützung bei jenen, die auch ohne spezifische Verschwörungstheorie deprimiert über die lange Dauer der Pandemie, über den ständigen Wechsel der Maßnahmen und die sonstigen Folgen sind, die es insbesondere in wirtschaftlicher und berufsmäßiger Hinsicht gibt, insbesondere dann, wenn sie um den eigenen Arbeitsplatz und das eigene Unternehmen bangen müssen. All diese Menschen klammern sich an jeden Strohhalm, der ihnen ein Ende des Corona-Jammers verspricht, und glauben, dass radikale Wortwahl auch mit dem nötigen Wissen um eine Lösung des Corona-Jammers verbunden ist.

Auf der anderen Seite stehen da jene rechtspopulistischen Parteien, die ganz im Gegenteil für sehr energische Maßnahmen im Kampf gegen das Virus eintreten. Diese findet man vor allem in den mittelosteuropäischen Ländern.

Diese Frontstellung, die quer durch das rechtspopulistische Lager und nicht nur bei der FPÖ auch quer durch einzelne Parteien geht, hat im letzten Jahr alle anderen Inhalte fast komplett vom Tisch gefegt, also auch das oben skizzierte ideologische Fundament.

Das lässt aber stärker denn je die Frage aufkommen, ob Parteien wie die FPÖ überhaupt eine klare Identität haben, wenn sie diese binnen eines Jahres so komplett wechseln können.

Gewiss, damit können FPÖ und AfD derzeit deutlich lautstärker auftreten. Nur sind sie gleichzeitig genau dadurch für viele Wähler absolut unwählbar geworden, die bisher auf Basis der eingangs aufgezählten sechs Grundpositionen Sympathie für sie empfunden haben, die sie deshalb auch des öfteren gewählt haben. Wie sie das in den beiden extrem erfolgreichen Phasen der FPÖ getan haben, zuerst unter Haider und dann unter Strache. Beide Male sind viele bürgerliche Wähler zu ihr gewechselt, weil sie eine stärker konservative, eine rechtere Politik gewünscht haben, als die ÖVP sie unter dem Einfluss eines linken Zeitgeistes in jenen Phasen gefahren ist.

Mit ihrer fanatischen Corona-Politik sind die beiden rechtspopulistischen Parteien jedenfalls auf massive Distanz zu den meisten eventuell wechselwilligen Wählern in Österreich gegangen, aber auch international zu den anderen rechtspopulistischen Parteien.  

Damit haben FPÖ und AfD aber auch historisch ihre Chance vertan, in ihren Ländern die große Partei des konservativ-bürgerlichen Lagers abzulösen. Im Gegensatz zu FPÖ und AfD ist genau das vielen anderen ebenfalls als rechtspopulistisch bezeichneten Parteien in den letzten Jahren und Jahrzehnten durchaus gelungen. Sie sind von Spanien bis Frankreich, und von Italien bis Ungarn zur dominierenden Kraft auf der politischen Rechten geworden.

Dabei ist auch die FPÖ selbst noch vor eineinhalb Jahren mit einem betont konservativen Programm in die Wahlen gegangen. Dabei hat sie damals als zentrale Aussage kommuniziert: Wir wollen Schwarz-Grün verhindern. Wir wollen die Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition und ihres Programms. Und: Wir wollen nur mit der ÖVP koalieren. Obwohl diese die FPÖ ein paar Wochen vorher hinausgeworfen hat.

Heute ist die FPÖ jedoch zu einer Partei mutiert, die absolut nichts mehr mit der FPÖ von 2019 zu tun hat. Damals hat sie trotz der unmittelbar vor der Wahl explodierten Strache-Katastrophen und trotz des Bruchs der schwarz-blauen Koalition mit einer für ÖVP-Wähler attraktiven Wahlkampflinie immerhin 16 Prozent errungen. Heute besteht die FPÖ aus zwei völlig anderen Identitäten: Einerseits aus Corona-Fanatismus bis hin zur Provokation für alle Österreicher durch die parlamentarische Maskenverweigerung; und andererseits aus ununterbrochen heraussprudelndem Hass auf die ÖVP.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich hat eine Partei das Recht, ihre Identität zu wechseln. Aber es erstaunt schon irgendwie, was sie – oder der für diesen Wechsel hauptverantwortliche und die Partei de facto führende Herbert Kickl – dabei alles übersieht oder nicht begreift:

  • dass durch einen solchen totalen Inhalts- und Politikwechsel die Glaubwürdigkeit der FPÖ mit Langfristwirkung zertrümmert worden ist;
  • dass dadurch all jene ÖVP-Wähler, die in der Vergangenheit schon zweimal zur FPÖ gewechselt sind, für längere Zeit komplett abgeschreckt worden sind;
  • dass es ihr nicht gelingen kann, jene Protestwähler aus dem linken und esoterischen Eck dauerhaft zu halten, die mit ihr momentan in Sachen Corona einen Gleichklang empfinden;
  • dass dieser Anti-Corona-Kurs, mit dem Kickl etliche Tausende ob der Lockdowns Frustrierte und Verzweifelte auf die Straße gebracht hat, wie ein abgeschlaffter Luftballon zu Boden sinken wird, wenn bis zum Sommer die Impfkampagne den erwartbaren Erfolg haben wird, wenn dann eine massive Aufbruchsstimmung durch Österreich gehen wird, so wie sie jetzt schon Israel und Großbritannien mit Begeisterung füllt.

Natürlich ist klar, warum Kickl diese massive Kampagne inszeniert hat: Damit kann er den seit eineinhalb Jahren schwelenden Machtkampf gegen Norbert Hofer endgültig für sich entscheiden. Hat sich dieser doch schon seit längerem fürs Impfen und einen ganz anderen Corona-Kurs ausgesprochen. Hat Kickl doch inzwischen den ganzen FPÖ-Parlamentsklub auf seine Linie gebracht. Kann Hofer doch als dritter Parlamentspräsident – der jederzeit von einer Mehrheit abgewählt werden könnte! – und als mutmaßlicher neuerlicher Präsidentschaftskandidat doch nie so hemmungslos agieren wie Kickl.

Mit den Vorgängen der letzten Tage ist der Machtkampf endgültig entschieden. Hofer ist nur noch ein Zombie-Parteivorsitzender, den niemand mehr ernst nimmt. Er musste einfach mit dem Versuch, die FPÖ wieder staatstragend zu machen, gegen die Lautstärke eines Schreihalses verlieren. Er wirkt (wohl deshalb) schon seit längerem unsicher. Er hat zwar den richtigen Kurs, also den einzigen, der die FPÖ wieder ins Machtspiel zurückgebracht hätte, aber er hat nicht die Leadership oder gar das Charisma dafür.

Sollte Hofer sein politisches Absterben noch zu verdrängen versucht haben, dann ist ihm dieses jetzt endgültig klar gemacht worden – ausgerechnet durch H.C. Strache. Dieser biedert sich plötzlich bei Kickl an, der 2019 fast die schärfsten Töne gegen ihn geäußert hatte. Er fordert diesen auf, die Obmannstelle zu übernehmen. Er schwadroniert davon, dass man doch zur "gemeinsamen freiheitlichen Familie" gehört (was manche wiederum an jene "Familie" erinnert, in die Gernot Blümel einst den gescheiterten Thomas Schmid aufgenommen hat …). Und er schickt Hofer mit den Worten die Seidene Schnur: "Ich bin davon überzeugt, dass er als Parteiobmann nicht imstande ist, diese Aufgabe zu meistern." Deutlicher kann man es seinem eigenen Nachfolger nicht sagen.

Es entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet jener Strache über seinen Nachfolger öffentlich den Stab bricht, der zweifellos hauptschuld ist am tiefen Absturz der Partei, der bei der Wiener Wahl sogar gegen diese "Familie" kandidiert hat.

Allerdings wird zunehmend klar, dass Strache auch zum Teil Unrecht getan worden ist, als er Opfer der kriminellsten Politaktion der Nachkriegsgeschichte geworden ist. Die zwei linksradikalen deutschen Medien, die als erstes Ausschnitte aus dem Ibiza-Video veröffentlicht haben, haben infamerweiser dabei all jene inzwischen bekanntgewordenen Passagen verheimlicht, in denen Strache (zum Ende des Gesprächs) in durchaus klaren Worten auf eindeutige Distanz zum eigenen auf Korruptionsbereitschaft hindeutendes Herumgerede davor gegangen ist.

In der FPÖ halten aber viele Strache weniger als Ibiza den überaus großzügigen Umgang mit dem Spesentopf der Partei vor, der durch eine andere kriminelle Aktion (der gleichen linken Mafia) bekannt geworden war. Und so mancher hat im Übrigen auch nicht vergessen, dass Strache schon einmal eine Schlüsselrolle dabei gespielt hat, dass die FPÖ abgrundtief abgestürzt ist, nämlich beim Putsch von Knittelfeld.

Dass Strache da jetzt dennoch ein Comeback in der FPÖ versucht, ist dann doch zu viel des Kühnen. Er wird mit Sicherheit der FPÖ durch sein jetziges Angebot nicht aus ihrem Tief heraushelfen. Denn die FPÖ hat einen Mann zuviel an der Spitze, nicht einen zu wenig …

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