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Fünf schwere Krankheiten, an denen unser Verfassungsschutz leidet

So toll und schnell die Einsatzeinheiten der Polizei in der letzten Woche gearbeitet haben, so katastrophal sind die Fehlleistungen in anderen Bereichen der Exekutive, bei den Polizeijuristen und im Verfassungsschutz. Wenn man genauer hinzublicken versucht, entdeckt man: Das waren nicht bloß zufällige Fehler und Fahrlässigkeiten, wie sie immer und überall passieren können. Im Verfassungsschutz gibt es vielmehr ganz schwere Strukturmängel, die immer wieder zu ähnlichen Katastrophen führen werden. Daher muss man vehement zweifeln, dass die seit längerem angekündigte Reform wirklich eine Besserung bringen wird.

Das parteipolitische Gezänk an der Oberfläche ist lächerlich und kontraproduktiv. Weder war es Herbert Kickl, der den Verfassungsschutz zertrümmert hat, noch hat Karl Nehammer aktuell Fehler begangen. In anderer Hinsicht sind aber beide schuldig: Keiner der beiden hat es geschafft, die wirklichen Strukturmängel zu beseitigen oder zumindest in der Öffentlichkeit klarzulegen. Bei beiden sind zwar wenigstens ein paar Versuche in diese Richtung zu verbuchen, aber nicht mehr. Bei den zahlreichen Vorgängern sind nicht einmal solche Versuche aufgefallen.

Die schweren Konstruktionsfehler, die der Öffentlichkeit großteils nicht einmal bewusst sind, lassen sich in fünf Kapitel gliedern:

  • 1. Die schwerste Krankheit des Verfassungsschutzes wurzelt darin, dass die "Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" (LVT) NICHT dem "Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" (BVT) unterstellt sind! Unglaublich, aber wahr.

Wenn das BVT von einem LVT etwas will, kann es das nur auf kollegialem Weg versuchen. Wenn es aber mit Weisungen etwas durchsetzen will, muss es den Weg hinauf zum Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit gehen und darum bitten. Und der gibt dann hoffentlich dem Landespolizeidirektor eine entsprechende Weisung. Und dieser gibt sie dann hoffentlich weiter an den LVT-Leiter. Und dieser hoffentlich an den Referatsleiter. Und dieser hoffentlich an den Sachbearbeiter.

Wenn man fragt, warum das so absurd ist, dann wird die Ursache rasch klar: Dieser schwere Konstruktionsfehler ist eine Folge des österreichischen Föderalismus. Die Landeshauptleute haben durchgesetzt, dass jedes Land erstens einen eigenen Landespolizeidirektor hat, dass dieser zweitens nur im Einvernehmen mit ihnen bestellt wird (also fast immer ein Parteigenosse ist), und dass es drittens in jedem Bundesland einen eigenen Verfassungsschutz, ein eigenes LVT gibt, das möglichst gegen Weisungen von oben abgeschirmt ist.

Auch wenn alle Fehler rund um den Wiener Terroranschlag im Verantwortungsbereich des roten Wiener Polizeidirektors passiert ist, und auch wenn es eindeutig die Mitarbeiter des Wiener LVT gewesen sind, die dann die eigenen Fehler in skandalöser Weise vertuschen wollten, so sind doch eindeutig auch die schwarzen Landeshauptleute massiv an der eigenen Quasisouveränität interessiert, in deren Rahmen sie eben auch einen eigenen Geheimdienst haben wollen.

  • 2. Die zweite schwere, geradezu genetische Krankheit, warum in Österreich der Verfassungsschutz nicht funktioniert, ist die Tatsache, dass BVT und LVT völlig schutzlos den Zugriffen von Staatsanwälten und Parlamentariern ausgesetzt sind.

Es waren die – hier schon mehrfach aufgezählten – willkürlichen, hemmungslosen und schikanösen Attacken und Missbrauchsakte aus diesen Bereichen, die den immer schon maroden Nachrichtendienst vor allem in den letzten zwei Jahren zusätzlich lahmgelegt haben. Abgeordnete, die über den U-Ausschuss kein Geheimnis mehr als einen Tag für sich behalten haben, die keine Sekunde an die Interessen der Republik gedacht haben, sondern ständig nur an die eigenen parteipolitischen und persönlichen Interessen; und Staatsanwälte, die wegen lächerlicher Vorwürfe mit parteipolitischem Hintergrund (der FPÖ-Innenminister hat die skurrile Beschwerde eines mehr als bedenklichen SPÖ-Anwalts ernst genommen) Razzien im BVT durchgeführt haben, oder die wegen Kaffeeabrechnungen allen Ernstes den Spionagechef vor Gericht stellen: Sie alle haben persönliche Profilierung oder parteipolitische Ideologie im Kopf, aber mit hundertprozentiger Sicherheit nicht die Interessen Österreichs.

Unter diesen Bedingungen kann kein Nachrichtendienst funktionieren. Weder Parlamentarier und schon gar nicht ideologisierte Staatsanwälte begreifen jedoch, dass gerade ein kleines, neutrales Land ohne Bündnisfreunde wie Österreich einen solchen dringend bräuchte.

Zum Vergleich ein Blick ins Ausland. Der zweifellos bekannteste Geheimdienst der Welt ist die amerikanische CIA, der effektivste ist der israelische Mossad: Beide haben zwar eine extrem strenge innere Dienstaufsicht, aber beide können niemals von Staatsanwälten und Abgeordneten so übel und vordergründig demoliert und missbraucht werden. Selbst wenn diese in Amerika oder Israel nicht so bösartig, ahnungslos und grob fahrlässig wären wie in Österreich.

  • 3. Die dritte Krankheit ist die Kultur der geschlossenen Gesellschaften, der Spaltung innerhalb von BVT und LVT. Die Kriminalbeamten und die Analyse-Abteilungen stehen einander dort fast überall feindselig gegenüber. Es ist keinem Minister, keinem BVT-Chef bisher gelungen, diese Aversionen auszubügeln.

Die Analytiker werfen den Kriminalbeamten vor, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, obwohl alle operativen Beobachtungen ja bei ihnen einlangen. Umgekehrt halten die Kriminalbeamten die Analytiker für sich wichtigmachende G'studierte, die eh nichts wissen.

  • 4. Vierte Krankheit: Nach dem alten Polizisten- und Bürokraten-Prinzip "Wer den Bericht schreibt, hat de facto die größte Macht" wird überall auf unterer Ebene geschrieben, um das gleiche Machtspielchen zu betreiben. Die Vorgesetzten sollen möglichst wenig erfahren.

Daher sind die diversen Informationen über den späteren Todesschützen (Munitionskauf im Ausland; Zusammentreffen mit internationalen Islamisten) im Wiener LVT sehr weit unten hängengeblieben. Daher hat ein Referent im Wiener LVT – aus Dummheit oder Sympathie? – ohne Rücksprache das unglaubliche Vorhaben zweier Islamisten genehmigt, in Wien eine Pro-Islamismus-Demonstration gegen Frankreich abhalten zu wollen (die erst dann im letzten Moment untersagt worden ist, als dieses Tagebuch und das oberösterreichische "Volksblatt" darüber informiert haben).

  • 5. Fünfte Krankheit: Die qualitative Auslese jener Exekutivbeamter, die zum BVT oder einem LVT wechseln, ist eine negative. Das ist schon in den Zeiten so gewesen, in denen das Ganze noch "Staatspolizei" geheißen hat. Denn dort ist der Dienst weit angenehmer als draußen bei der eigentlichen Polizeiarbeit – und zumindest bis vor etlichen Monaten war er auch durchaus angesehener.

Das führt in doppelter Hinsicht zu üblem parteipolitischem Einfluss: Viele Beamte wenden sich an "ihre" Partei um Unterstützung für einen Wechsel in BVT/LVT. Und die Parteien – respektive Landeshauptleute – sind hoch interessiert, gerade im Verfassungsschutz Vertrauensleute zu haben, die ihnen interessante Informationen zukommen lassen.

Die Hoffnung auf Heilung bleibt klein

Angesichts dieser fünf schweren Krankheiten kann man nur wenig Hoffnung haben, dass die Wiener Terrorkatastrophe wenigstens in einer Hinsicht, wenigstens für den künftigen Aufbau eines schlagkräftigen österreichischen Nachrichtendienstes auch positive Folgen haben könnte. Ein solcher Aufbau wäre aber mit Sicherheit nur dann erfolgreich, würde man sich mit gesetzlicher Totalerneuerung allen fünf schweren Krankheiten widmen.

Das könnte man nur dann schaffen, wenn man einen ausländischen Experten beauftragt hätte, ohne Rücksicht auf Landeshauptleute, Abgeordnete und Gewerkschafter die Blaupause für einen  österreichischen Geheimdienst zu konzipieren, und wenn diese dann umgesetzt würde.

Nur damit kein Missverständnis entsteht: Selbst die idealste BVT-Reform kann in keiner Weise die hier schon detailliert aufgezählten Notwendigkeiten in anderen Bereichen ersetzen. Vom Strafrecht über das Migrationsrecht und Islamgesetz bis zur Bildungspolitik.

Kommt die Gedenkminute samt Klartext?

Die Nagelprobe, ob Österreich die Terror- und Islamisierungs-Gefahren künftig irgendwie ernster bekämpfen wird, wäre in den nächsten Stunden zu sehen: Wird es in sämtlichen Schulen am ersten Tag nach den Herbstferien eine öffentliche Gedenkminute geben, in der Klartext gesprochen wird, dass es in Österreich keinen Millimeter Platz für islamistische Umtriebe geben wird? Oder wird man sich nur mit Psychologengewäsch und Dummphrasen wie "Nicht spalten lassen" und "Gemeinsamkeit!" um die notwendigen Worte herumdrücken? Oder wird man gar nichts machen?

Ja, gewiss: Im Fall von solchem Klartext in den Schulen würden sich ein paar Terrorsympathisanten unter den Schülern outen und dagegen stänkern. Dann könnte, dann müsste das Unterrichtssystem einmal Mut zeigen und diese jungen Kulturbereicherer ganz intensiv zusammen mit Deradikalisierern und Polizeibeamten zu bearbeiten beginnen.

Aber die Gefahr besteht eh nicht: Weil die Schule lieber gleich ganz wegschaut, so wie der Großteil der Gesellschaft. Weil die meisten glauben, die Feinde unserer Grundwerte werden wieder verschwinden, der schon begonnene Angriff wird nicht stattfinden, wenn man nur fest genug die Augen zumacht.

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