Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Was Österreich am dringendsten bräuchte: eine liberale Partei

Viele in der Wiener SPÖ wollen jetzt mit den Neos koalieren. Das würde ich auch, wäre ich Michael Ludwig. Denn so leicht würde er es mit keinem anderen Koalitionspartner haben. Das macht nicht nur Herr Wiederkehr deutlich, bei dem absolut jeder Auftritt eine peinliche Anbiederung ist. Das wird vor allem durch die gesamte ideologische Positionierung der Neos klar, die "liberal" nur im amerikanischen Sinne begreifen, wo dieses Adjektiv nichts anderes als eine rhetorische Tarnung für "sozialistisch" ist, ein Wort, das in Amerika aber besonders unpopulär ist. Mit "liberal", wie es in den letzten 250 Jahren in Europa verstanden worden ist, haben die Neos aber (leider) gar nichts im Sinn. Dabei gibt es nichts, was Österreich dringender bräuchte, als einen massiven Input von echtem Liberalismus.

Zwar betonen die Neos das Wort "liberal" unserem Sprachgebrauch gemäß auf der letzten Silbe. Aber inhaltlich ist bei ihnen eindeutig ein gemäß der amerikanischen Bedeutung auf der ersten Silbe betontes "liberal" zu finden. Und das ist geradezu das Gegenteil.

Wie kam es zu dieser totalen Umdeutung eines Wortes? Das ist wohl nicht zuletzt ein Werk des Publizisten Oscar Bronner, der Ende der 80er Jahre bei der Lektüre liberaler (also linker) Zeitungen in den USA, wo er damals gelebt hatte, zu dem Schluss gekommen ist, dass in Österreich als Folge der (von der SPÖ angezündeten) Waldheim-Kampagne der Nationalsozialismus wieder auferstanden sei. Dagegen wollte er mit einer neuen linken Zeitung kämpfen – die er aber eben "liberal" nannte, weil er dieses Wort schon aus Amerika in der linken Bedeutung kannte, und gewiss auch, weil er mit einer Bezeichnung wie "links" oder "sozialistisch" dem "Standard" die Startchancen verschlechtert hätte. Auch wenn sie wahrheitsgetreuer gewesen wäre.

Dabei hatte es damals in Österreich schon längst eine Zeitung gegeben, die sich als "liberal" verstanden und bezeichnet hat, die "Presse". Sie benutzte dann zur klareren Unterscheidung vom linksliberalen "Standard" meist die Bezeichnung "bürgerlich-liberal". Und hatte nicht nur mit dieser Bezeichnung, sondern auch mit dem noch viele Jahre bis ins neue Jahrtausend verfolgten klaren Kurs – einem klassischen Liberalismus eben – große Erfolge: Eine Dekade nach der "Standard"-Gründung hatte die "Presse" den weitaus größten Marktanteil ihrer Geschichte unter den österreichischen Lesern und erstmals seit 1918 schwarze Zahlen.

Dennoch hat der "Standard" langfristig gesiegt. Wobei es hier nicht um die weitere für die "Presse" bedauerliche Entwicklung des Zeitungsmarktes gehen soll, sondern um die semantische Bedeutung des Wortes liberal: Heute bezeichnet sich kaum mehr jemand in Österreich als "links", bis auf eine kleine Splittergruppe aus dem Studentenmilieu. Heute sind sie alle "liberal".

Genau dieses ins amerikanische Gegenteil gewandelte Verständnis des Begriffes "liberal" ist auch bei den heutigen Neos zu finden. Das lässt sich in all ihren Inhalten und Aussagen nachweisen. Etwa auch in den sogenannten "Bedingungen", welche die Neos in Wien jetzt für eine Regierungsteilnahme gestellt haben.

Die könnten mit einer einzigen Ausnahme auch aus dem Munde von Michael Ludwig selbst kommen:

  • "Verstärkte Aufmerksamkeit für die Außenbezirke" (so wird ja Ludwigs politische Basis bezeichnet, wo die Neos selbst eigentlich kaum Wähler haben, sich aber dennoch mit einer solchen "Bedingung" anbiedern),
  • "Klimaschutz" (das ist "das" grüne Zentralvokabel als "Bedingung", das längst auch beim linken Flügel der SPÖ beheimatet ist),
  • "Gebührensenkung und weniger Bürokratie" (diese Phrasen finden sich in sämtlichen Wahlprogrammen aller Parteien der letzten Jahrzehnte, sind daher bedeutungslos),
  • "Mehr Geld für Kindergärten und Schulen" (Die Forderung nach "Mehr Geld für" – was auch immer – ist seit Bruno Kreisky zweifellos die häufigste von Sozialisten gemachte Aussage)
  • und "ein Corona-Krisenkabinett" (also noch ein bisschen mehr Bürokratie, die ganz zwangsläufig eine zusätzliche Machtkonzentration für den Bürgermeister bedeutet).

Die einzige pinke "Bedingung", die wenigstens ein bisschen nach klassisch liberal klingt und für Ludwig unangenehm zu sein scheint: "Gläserne Parteikassen: Der Stadtrechnungshof soll endlich die Parteifinanzen prüfen dürfen".

Aber auch diese "Bedingung" ist in Wahrheit extrem seltsam. Denn sie ist eigentlich gar nicht liberal: Läuft das doch auf einen eindeutigen Eingriff der politischen Macht in die Parteien hinaus. Dabei ist die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Parteien seit dem 19. Jahrhundert, in dem die wichtigsten Parteien entstanden sind, ein ganz zentrales liberales Anliegen. Zu dieser liberalen Position hat insbesondere gehört, dass auch die Finanzen der Parteien den Staat nichts angehen.

Und überdies: Die großen Sauereien der seit Kriegsende in Wien regierenden SPÖ finden sich ja gar nicht in den Parteifinanzen, sondern die laufen alle ganz direkt über das vom zwangsverpflichteten Steuerzahler gefütterte Gemeindebudget.

Wären die Neos wirklich im klassischen Sinn liberal und nicht nur halt eine dritte Linkspartei, würden sie wirklich für die klassisch liberalen Grundwerte (wie insbesondere mehr Freiheit, Sauberkeit und Transparenz, weniger Staat und gegen Kollektivismus und Machtmissbrauch) stehen, dann müssten insbesondere folgende Punkte an der Spitze ihrer Wiener wie auch der österreichischen Forderungslisten stehen:

  • Ein Ende für alle Bestechungsinserate, die mit missbrauchten Steuermitteln bezahlt werden;
  • Offene Nennung aller direkten und indirekten Subventionen an die noch immer boykottierte Transparenzdatenbank;
  • Streichung aller Subventionen an ideologische und parteinahe Vereine wie die Denunziationsplattform "Zara";
  • Weitgehende Privatisierung des unglaublich angewachsenen verstaatlichen Imperiums der Gemeinde Wien (die zuletzt sogar bei Modeschmuckfirmen eingestiegen ist!);
  • Informationsfreiheit, also die Offenlegung aller öffentlichen Akte außerhalb des Strafrechts, vor allem jener, wo Geld fließt, ohne dass sich korrupte Beamte oder Politiker auf das Amtsgeheimnis oder dessen modernes Substitut, den Datenschutz, berufen können (eine ziemlich abgeschwächte Forderung nach Informationsfreiheit steht zwar in allen Papieren der Bundes-Neos, aber ausgerechnet jetzt, da sie in Wien mitregieren können, wird die Informationsfreiheit bezeichnenderweise nicht einmal verlangt, weil man spürt, dass sie für die SPÖ unangenehm wäre);
  • Die Übernahme der Wirtschafts- und Finanzkompetenzen als wichtigstes liberales Gestaltungsressort statt der Forderung nach dem Bildungsstadtrat (der in Wien ja nur für die immer mehr zu Migranten-Ghettos werdenden Pflichtschulen verantwortlich ist);
  • Kleinere Klassen für alle anstelle der Forderung der Neos und aller anderen Linksparteien nach Ganztagsschulen;
  • Vor allem aber hätten die Neos, so wie echt liberale Parteien anderswo, eigentlich klarmachen müssen, dass sie mit regulierungssüchtigen und staatsinterventionistischen Parteien wie der SPÖ absolut nichts anfangen können, die ja bei allem, was sie für klassisch- oder neoliberal hält, sofort schwerste Abstoßungsreaktionen bekommt; während etwa die FDP trotz der Aussicht auf schöne Ministerposten honorigerweise Nein zu einer Regierungsteilnahme in Deutschland gesagt hat, weil in der gleichen Koalition eine sehr linke Partei sehr linke Positionen durchsetzen hat wollen.

Und auf Bundesebene wären klassisch liberale Anliegen:

  • Ein Ende der Rundfunk-Zwangsgebühren, die noch dazu nur einer einzigen Monopolanstalt zugutekommen, in der noch dazu Marktwirtschaft und Neoliberalismus ständig nur als verachtete Hassbegriffe vorkommen;
  • Ein Kampf für mehr Meinungsfreiheit als zentraler liberaler Wert und gegen deren ständige Einengung durch Zensurgesetze, die private Meinungen und "Hass" zum Verbrechen stempeln; spätestens zu jenem Zeitpunkt, da jetzt die Richtervertretung sage und schreibe 50 zusätzliche Posten zu Verfolgung von "Hass im Netz" verlangt, hätte ein lautes Aufschreien gegen einen Maulkorb-Staat von den Neos gehört werden müssen, gäbe es dort auch nur einen wirklich Liberalen;
  • Kampf gegen die Diskriminierung von privatem Sponsoring – das ja die einzige Chance auf ein Gegengewicht gegen staatliche Bevormundung ist –, wie sie neuerdings (unter besonders tatkräftigem Mittun einer Neos-Abgeordneten) zum seltsamen Hauptinhalt des parlamentarischen U-Ausschusses geworden ist;
  • Einsatz für alle Privatklinikbetreiber (und damit Widerstand gegen die im gleichen Ausschuss stattfindende Hetze), damit sie endlich voll und automatisch mit den Landes- und Gemeindespitälern gleichbehandelt werden, also damit der Skandal beendet wird, dass eine Blinddarmoperation einem öffentlichen Spital mehr bringt als einem privaten, und dass manche Privatspitäler gar nichts bekommen, weil sie nicht politisch abgesichert sind;
  • Stärkeres Engagement für die Bürgerrechte angesichts der vielen Einschränkungen unter dem Vorwand "Corona!"; dieses Engagement hat man jedoch ganz den Freiheitlichen überlassen (die dann absurderweise ihrerseits wieder gleich die Notwendigkeit aller Maßnahmen leugnen);
  • Vehementer Protest dagegen, dass manche linken Agitatoren ihnen (und dem Rektor) nicht genehme Professoren an der Uni bei Vorlesungen behindern;
  • Wären die Neos liberal, hätten sie insbesondere mit Donner, Feuer und Schwert gegen die Geldverschwendung eines schwer verschuldeten Staates durch eine weit über der Inflationsrate liegende Pensionserhöhung gekämpft, statt dessen habe ich nur eine einzige Neos-Presseaussendung dazu gefunden;
  • Wären die Neos liberal, hätten sie die jüngste Budgetrede mit ihrem gefährlichen Rekorddefizit von mehr als sechs Prozent BIP sofort auf konkrete Schwachstellen unsinniger und überflüssiger Geldausgaben abgeklopft – statt dessen machen sie nach der Budgetrede eine Dringliche Anfrage ausgerechnet zum Thema Ischgl, die wirklich von jeder anderen Oppositionspartei auch kommen hätte können, und wo man das gleiche zu hören bekommen hat wie im offiziellen Untersuchungsbericht;
  • und in Sachen der zuletzt so im Zentrum stehenden Casinos hätte sich eine echt liberale Partei hundertprozentig für den raschen Verkauf einsetzen müssen, statt eine Perpetuierung des in allen Staatsunternehmen unvermeidlichen politischen Einflusses zu akzeptieren.

Aber statt irgendwo für liberale Positionen einzutreten, haben die Neos ausgerechnet Gernot Blümel als unakzeptablen Koalitionspartner bezeichnet, der jetzt immerhin den großen Liberalen Friedrich August von Hayek in seiner Budgetrede als einzigen Ideengeber positiv angesprochen hat. Ein Ludwig, dem sich die Neos jetzt anbiedern, würde sich hingegen wohl eher die Zunge ausreißen, als Hayek zu loben.

Allerdings hat jetzt ein interner Kenner der Neos im Privatgespräch schmunzelnd gemeint: "Wahrscheinlich wissen dort viele nicht einmal, wer Hayek war". In der Tat: Wenn man Reden und Texte der Neos durchgeht, fehlt dort total das Interesse an allen großen liberalen Denkern. Ob diese nun Hayek geheißen haben, oder Ludwig von Mises, Adam Smith, John Locke, Thomas Hobbes, John Stuart Mill, Ludwig Erhard, Ralf Dahrendorf oder Milton Friedman (persönliche Anmerkung: Für mich sind der Wiener Mises und der Amerikaner Friedman die allergrößten unter großen Denkern, deren Lektüre sich immer wieder lohnt).

Manche Leser werden zur Verteidigung der Neos wohl einwenden: Aber sie sind für Immigration, und das sei doch immerhin eine liberale Position.

Diese Argumentation hat Nobelpreisträger Friedman glasklar zurückgewiesen: Freie Migration sei nur dann liberal – wie sie es in den ersten amerikanischen Jahrhunderten gewesen ist –, wenn jeder Immigrant komplett eigenverantwortlich gestellt ist, wenn er keine Ansprüche an ein Wohlfahrtssystem stellen kann: "It is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both. If you have a welfare state, if you have a state in which every resident is promised a certain minimal level of income, or a minimum level of subsistence, regardless of whether he works or not, produces it or not. Then it really is an impossible thing."

Das ist eigentlich so klar und zwingend logisch, dass es auch ein österreichischer Politiker verstehen müsste. Glaubt man.

Gerade in Österreich wäre eine liberale Partei jedenfalls nötiger denn je. Zwar gab es auch in den anderen Parteien einige Liberale (insbesondere in der ÖVP mit den Finanzministern Kamitz und Koren, in der FPÖ mit einem eigenen "Liberalen Klub", in der SPÖ etwa mit einem Wolfgang Ruttenstorfer). Aber heute fehlt eindeutig eine liberale Kraft, die ein wenig Druck auf die liberalen Spurelemente in den anderen Parteien ausüben würde. Es gibt in Österreich auch keine nennenswerten liberalen Think Tanks – sehr zum Unterschied von der Schweiz oder Deutschland. Es gibt hier nur ein paar ganz gute Wirtschafts-Institute, aber keines, das sich auch intensiv mit dem Verfassungsliberalismus und mit dem zentralen Begriff der Freiheit, etwa der jetzt so bedrohten "Meinungsfreiheit" auseinandersetzen würde.

Und wie ist es mit Sebastian Kurz bestellt? Immerhin versuchen Rot und Grün ja ständig, ihn als "neoliberal" zu denunzieren. Was eigentlich durchaus ehrenvoll wäre, würde es nur stimmen. Aber ich bekomme zunehmend den Eindruck, Kurz versteht unter Freiheit, Marktwirtschaft und Liberalismus bloß die Übernahme der Wünsche der Wirtschaftskammer. Was aber leider sehr, sehr wenig mit einer echten liberalen, daher auch nachhaltigen Ordnungspolitik zu tun hat. Eine solche wäre aber für Österreichs Zukunft unbedingt notwendig.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung