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Der Fall des H.C. Strache

Die neuesten Probleme des ehemaligen Vizekanzlers und FPÖ-Obmanns haben zwei ganz unterschiedliche Aspekte: Der eine bezieht sich auf seine Persönlichkeit und spricht ganz und gar nicht für ihn. Der andere bezieht sich auf die Verfassungslage und lässt in ganz andere Richtung kopfschütteln.

Der Sachverhalt: H.C. Strache will seit langem für die Wiener Gemeinderatswahl kandidieren, hat aber jetzt enorme Probleme, zur Wahl zugelassen zu werden, weil man dafür seinen Hauptwohnsitz am Stichtag in Wien haben hätte müssen. Etliches spricht aber dafür, dass er mit seiner Familie eigentlich seit Jahren in Klosterneuburg in einem netten Anwesen wohnt und nicht in der sehr schlichten Wohnung seiner vor wenigen Monaten ins Altersheim gezogenen Mutter.

Zwar hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft Strache wegen ihrer Ermittlungen in Sachen Casinos an der Wiener Adresse gesucht (bekanntlich geht es dabei um eine der wildesten verschwörungstheoretischen Konstruktionen von WKStA und "Falter", die sowohl Blau wie Schwarz treffen soll, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit viel zu dünn ist, um jemals zu einer rechtskräftigen Verurteilung zu führen). Diese Suche deutet formal eigentlich auf einen Wiener Wohnsitz Straches hin.

Aber seine damals noch dort wohnende Mutter hat den anläutenden Beamten gesagt, dass er seit mindestens 19 Jahren nicht mehr da wohne. Das könnte – theoretisch – freilich auch eine Schutzbehauptung gewesen sein. Nun sagt Strache aber, dass er (erst) jetzt doch wieder dort wohne, halt während der Woche, und dass er nur am Wochenende in Klosterneuburg ist. Allerdings schreibt noch Ende Juli einer seiner eigenen Rechtsanwälte in einem Schreiben zu einer anderen Causa die Klosterneuburger Adresse Straches in den Schriftsatz.

Blöd gelaufen.

Noch blöder ist, dass jetzt ausgerechnet Wiener Rathausbehörden entscheiden werden, ob Strache kandidieren darf oder nicht.

Für ihn selber ist die Causa in jedem Fall peinlich und demaskierend. Dabei ist diese Kandidatur mindestens seit Jahreswechsel bei ihm Thema. Und sie ist enorm wichtig für den Mann. Einerseits, weil ein Mandat eine wichtige personelle Einnahmequelle brächte. Andererseits, weil er nur so wieder den Fuß in die Tür von Politik und öffentlicher Aufmerksamkeit hineinbrächte, was für ihn das Allerwichtigste im Leben sein dürfte.

Dieser Vorfall bestätigt jedenfalls das, was man schon rund um Ibiza und bei vielen anderen Vorfällen – insbesondere in der Spesenaffäre – an ihm beobachten hat können. Denn ständig zeigt sich, dass Strache halt zu unintelligent oder zu schlampig ist, um Rechtsvorschriften zu beachten. Oder er fühlt sich über solche Kleinigkeiten wie Gesetze einfach erhaben. Und das geht halt einfach nicht auf Dauer. Schon gar nicht, wenn man Spitzenpolitiker sein will; wenn man von allen Seiten ständig so argwöhnisch betrachtet wird wie Strache.

Denn ebensowenig, wie man als jemand, der respektiert werden will, einer (vermeintlichen) russischen Oligarchin bei der ersten Begegnung dubiose und korrupte Geschäfte in Aussicht stellen sollte, ebensowenig, wie man bei Spesenabrechnungen Privates und Berufliches hemmungslos vermengen sollte, genausowenig kann man die gesetzlichen Regeln für eine Kandidatur ignorieren. Schließlich war Strache umgekehrt ja auch jemand, der bei politischen Gegnern jeden kleinsten Fehler gerne aufgespießt hat.

Dabei wäre es schon seit Monaten ein Leichtes gewesen, sich einen außer jeder Debatte stehenden – echten – Wiener Wohnsitz sicherzustellen, anstelle einer recht unglaubwürdigen Konstruktion, bei der er angeblich während der ganzen Woche die Wiener Wohnung seiner Klosterneuburger Familie vorgezogen haben will, von der er ständig beteuert, wie sehr er sie liebt. Obwohl diese nur wenige Kilometer entfernt wohnt.

Das sind einfach zu viele Indizien, die dagegen sprechen, dass Strache ein verlässlicher und vertrauenswürdiger Politiker wäre.

Dennoch ist der Sachverhalt keineswegs so eindeutig, dass es völlig klar wäre, ob Straches Kandidatur unbedingt abzuweisen – oder zu genehmigen ist. Gibt es doch zuwenig Verfassungsregeln oder Präjudizentscheidungen zu dieser Frage. Daher ist es nur ein vages Gefühl, dass rein rechtlich ein leichtes Übergewicht für eine Nichtzulassung Straches wahrscheinlicher ist.

Aber das ist fast egal. Denn viel unmittelbarer ist die Gefahr, dass absurderweise in jedem Fall und bei welcher Entscheidung immer eine nachträgliche Aufhebung und Wiederholung der Wiener Wahl durch den Verfassungsgerichtshof droht. Dieser hat ja schon wegen kleinerer Unkorrektheiten eine ganze bundesweite Wahl wiederholen lassen.

Das ist eine alles andere als erfreuliche Situation. Nicht nur für Strache, nicht nur für die anderen Parteien, sondern für die Wiener Wähler.

Noch weniger erfreulich ist aber, dass es vorerst Wiener Gemeindebeamte sind, die über den Fall entscheiden. Und selbst wenn wir annehmen, dass diese – natürlich – nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden werden, und dass sie – natürlich – keine Weisungen vorgesetzter Politiker erhalten werden, so ist doch jeder Beamte, ganz speziell im Rathaus, konditioniert, die Wünsche der herrschenden Macht vorwegzuahnen, ihre Interessen ständig mitzudenken, sie zu erraten.

Das macht die Sache zusätzlich unerquicklich. Da entscheidet indirekt eine Partei letztlich über eine andere.

Aber was sind eigentlich die geheimen Wünsche der SPÖ in Hinblick auf die Oktoberwahl? Einerseits hat dort absolut jeder seit Jahrzehnten in Strache den Gottseibeiuns, die Verkörperung des Bösen an sich gesehen. Andererseits denken vor Wahlen so manche Sozialdemokraten nicht nur an ihren Hass, sondern auch durchaus an strategischen Nutzen. Und wenn man so denkt, kommt ein klarer Schluss heraus: Eine Kandidatur Straches würde der SPÖ eigentlich klar nützen. Er würde die in jedem Fall bevorstehende schwere Niederlage der FPÖ noch viel verheerender machen, weil er ihr etliche Prozentpunkte wegnähme. Ohne ihn hingegen wäre seine Liste zur Bedeutungslosigkeit verdammt, selbst wenn Strache noch so viel Wahlkampf für sie macht.

Noch schöner wäre es für die Rathausgenossen, wenn auch ihre allergeheimsten Träume wahr werden würden: dass Strache zwar kandidiert, dass er der FPÖ auch etliches wegnähme, aber dann haarscharf an der Fünfprozentklausel scheitert, also nicht in den Gemeinderat einziehen kann. Das wäre ein doppelter Triumph. Dann bekämen auch alle anderen mehr Mandate, als ihrem Stimmenanteil entspricht. Dann käme die SPÖ vielleicht sogar in die Nähe einer absoluten Mehrheit, profiliert sie sich doch in Wien so rechts wie schon lange nicht mehr. Dann könnte sich die SPÖ jedenfalls unter drei Partnern aussuchen, wer ihr künftig zur Mehrheit verhelfen darf: Nicht nur Grüne und ÖVP, sondern auch die Neos wären dann wohl mögliche Koalitionspartner.

Das schafft klare Interessenlagen: SPÖ und Neos sind zweifellos hochinteressiert an einem Antreten Straches. ÖVP und Grüne haben hingegen kein Interesse daran. Und die FPÖ kämpft geradezu militant gegen ein Antreten ihres ehemaligen Chefs. Fischt er doch absolut im gleichen Wählerreservoir wie seine ehemalige Partei.

Es wird spannend. Es wird aber auch sehr traurig, dass schon wieder Juristen und komplizierte Rechtsfragen bei einer Wahl wichtiger werden als die eigentlichen politischen Fragen. Dass darüber noch dazu nur beamtete Juristen und nicht unabhängige Richter entscheiden werden. Die werden nämlich erst nach der Wahl zu Wort kommen. Was ein schweres Defizit der Verfassung ist.

Die ganze Affäre wäre aber jedenfalls nicht passiert, hätte Strache viel einfachere und eindeutigere Rechtsvorschriften als die jetzt anstehenden ernster genommen und beachtet ...

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