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Willkür und Verunsicherung

Gewiss: Politik und Exekutive sehen sich mit etwas völlig Neuartigem und Gewaltigem konfrontiert. Lassen wir einmal beiseite, dass ein Teil der Ärzteschaft überzeugt ist, die Corona-Pandemie würde durchaus vielem ähneln, was die Menschheit schon erlebt und mehrheitlich überlebt hat, ohne dass die Welt deswegen zu einem totalen Stillstand gebracht worden wäre. Man kann dennoch nachvollziehen, dass die Politik sich im Zweifel lieber auf die Seite der besorgten Ärzte schlägt. Unverständlich, ja beängstigend ist jedoch, wie leicht sich die politische Macht dabei tut, unter Berufung auf die medizinischen Gefahren gleich in zwei zentralen Bereichen die Fundamente unserer gesamten Gesellschaftsordnung zu unterminieren. Es ist absolut beklemmend, auf wie wenig Widerstand sie dabei stößt, wenn sie einerseits Grundrechte und Rechtsstaat weitgehend zertrümmert. Und wenn sie andererseits das wirtschaftliche Fundament unseres Wohlfahrts- und Wohlstandssystems überhaupt atomisiert.

Gewiss: Jeder von uns fürchtet sich vor Krankheit und Tod. Aber dennoch hat es die Menschheit immer verstanden, verstehen müssen, mit Krankheit und Tod zu leben. Wir haben im Lauf der Zeit große Erfolge im Kampf gegen zahllose Krankheiten errungen. Es ist wahrscheinlich eine direkte Folge unserer Erfolge in diesem Kampf, dass wir nicht mehr imstande sind, geistig mit einer Krankheit fertigzuwerden, die wir nicht in den Griff bekommen.

Wohl deswegen stellt die Menschheit jetzt angesichts der pandemischen Ausbreitung einer neuen bisher nicht heilbaren Krankheit die ganze Welt buchstäblich auf den Kopf. Dabei sterben an dieser Krankheit nur wenige Prozent. Wahrscheinlich bewegt sich die Rate der Todesopfer sogar nur im Promillebereich, wenn man sie zur Zahl aller – auch unbemerkt – Infizierten in Relation setzt; und wenn man nur jene zählt, die AN Corona sterben und nicht auch jene, die MIT dem Virus, aber eigentlich aus anderen Ursachen sterben.

Während also die Weltgesellschaft mit gewaltigem Engagement auf die Konfrontation mit Tod und Krankheit reagiert, die sie zuletzt beide offensichtlich aus ihrem Kollektivbewusstsein gestrichen hat, gibt sie all die gewaltigen Errungenschaften der letzten beiden Jahrhunderte mit unglaublicher Leichtigkeit, ja fast kampflos preis.

Konzentrieren wir uns heute einmal auf das Schicksal unserer Grund- und Freiheitsrechte – unserer ehemaligen Grund- und Freiheitsrechte, muss man präziser sagen. Diese Rechte, die von unseren Vorfahren unter Todesgefahren erkämpft worden sind, sind in den letzten Wochen in atemberaubendem Tempo beschädigt worden. Aber dennoch sind die sonst so lauten Großjuristen offenbar in tiefe Schockstarre verfallen.

Dabei müsste eigentlich längst ein Sturm kritischer Debatten wegen der vor 14 Tagen in Kraft getretenen Verordnung des Gesundheitsministers entbrannt sein. Es herrscht jedoch Totenstille, obwohl diese Verordnung mit einem atemberaubenden Satz beginnt, der mit einem Federstrich ein zentrales Grundrecht, das der Bewegungsfreiheit beseitigt: "Auf Grund von §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes ist das Betreten öffentlicher Orte verboten."

Das Betreten öffentlicher Orte ist verboten. Punkt.

Das gemahnt an jene Zeiten, wo Juden das Betreten vieler öffentlicher Orte verboten war. Oder Nichtweißen dasselbe in Südafrika. Die Regierungsjuristen haben da jetzt noch eine Steigerung dazu geschafft: Jetzt ist generell allen das Betreten aller öffentlichen Orte verboten.

Und erst im §2 gibt es dann einige Ausnahmen von der Totalität dieses Generalverbots. Motto: Den Menschen ist künftig alles verboten, was nicht die Obrigkeit erlaubt. Dabei hat man noch vor kurzem geglaubt, dass das Gegenteil stimmt und fest einzementiert ist, dass wir also alles dürfen, was nicht spezifisch verboten ist.

So schlimm die Zertrümmerung dieses Grundprinzips für uns auch ist, so paradiesisch sind die Zustände für Polizisten und für alle jene geworden, die mit dem liberalen Rechtsstaat nie viel anfangen haben können. Übrigens: Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass die damalige Oberheilige der Grünen, ein schwedisches Schulmädchen, haargenau nach solcher Totalität verlangt hat. Nur halt aus anderem Grund – der behaupteten menschlichen Schuld an der Erderwärmung.

Zurück zu der Verordnung: Der Katalog der Ausnahmen ist eine weitere Absonderlichkeit. Denn da wird nicht etwa das Einkaufen in einem bösen Geschäftslokal verboten (also in einem, das nicht zur 22 Punkte umfassenden Ausnahmeliste mit Apotheken, Lebensmittelgeschäften usw. zählt). Vielmehr wird das Betreten "öffentlicher Orte" verboten, also der Straße, die zu einem – beispielsweise – Eisenwarengeschäft führt. So eine Konstruktion muss einem erst einfallen (im Gesundheitsministerium ist man vielleicht sogar stolz darauf …).

Noch absurder ist der Punkt 5 des Ausnahmenkatalogs, der zusammenfasst, wann dann doch das Betretens öffentlicher Orte erlaubt ist. Der ist so kompliziert formuliert, dass auch Juristen ihn dreimal lesen müssen, bis sie ihn verstanden haben. Dabei geht es da wohlgemerkt nicht nur um einen Text von Juristen für Juristen. Vielmehr haben acht Millionen Menschen und ein paar Zehntausend Polizisten die neuen Paragraphen täglich anzuwenden.

In dieser Ziffer 5 heißt es: "Ausgenommen vom Verbot sind Betretungen," … (dann folgen einige konkrete Ausnahmen wie "zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens" oder "für berufliche Zwecke") … "wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten."

Acht Millionen Österreicher sollen nun diesen Satz verstehen!

Die Übersetzung: Dieser Satz hebt in Wahrheit das generelle Verbot de facto wieder generell auf, verlangt er doch ausdrücklich keinen konkreten Zweck für das Betreten öffentlicher Orte! Allerdings – und da wird’s noch absurder: Einige Paragraphen weiter, wird diese Ziffer 5 für die Benützung von Massenverkehrsmitteln aufgehoben. Also Straßenbahnfahren darf man nicht zweckfrei, gehen schon …

Kein Wunder, dass solche juristischen Kunststücke das Denkvermögen einfacher Polizisten überfordern. Kein Wunder, dass sie jetzt einsame Bärlauchpflücker oder in der Wiese sitzende Familien zu bestrafen versuchen. Aber dieser Irrsinn ist primär den schwurbelfreudigen Regierungslegisten und nicht den überforderten Polizisten anzulasten.

Als fast einziger prominenter Jurist hat der Rechtsanwalt Georg Krakow (er war früher Oberstaatsanwalt und Kabinettschef im Justizministerium) die Schockstarre seiner Gilde durchbrochen und diese Verordnung und die Unklarheit ihrer genauen Bedeutung zu kritisieren gewagt. Er fand dabei sehr deutliche Worte: "Wenn Vorschriften uneinheitlich oder sogar falsch ausgelegt werden, führt das zu Willkür und zu Verunsicherung der Bevölkerung."

In einem Online-Gastkommentar für die "Presse", der leider im gedruckten Blatt nicht erschienen ist, zeigt Krakow auch auf, dass die Probleme mit dieser Verordnung eine logische Folge der Tatsache sind, dass Gesetz- und Verordnungsgebung binnen weniger Stunden erfolgt sind. Das ist in der österreichischen Geschichte noch nie der Fall gewesen ist. "Krisenzeiten wie die Corona-Pandemie laden dazu ein, sich ganz von Pragmatismus leiten zu lassen. Das ist auch grundsätzlich gut so. Wenn dabei aber das Recht unter die Räder kommt, drohen Willkür und Verunsicherung der Bevölkerung."

Krakow fürchtet – wohl zu Recht –, dass sich ein solcher lascher Umgang mit dem Recht dann auch "für die Zeit nach der Krise" einschleicht. Ganz im Gegensatz zur politisch herrschenden Panik-Devise "Alles Virus" warnt Krakow: "Die Bewahrung des Rechtsstaats ist daher gerade in Krisenzeiten von essenzieller Bedeutung." Sie wäre es, möchte man fast korrigieren.

Eigentlich ist diesen goldenen Worten aber nichts mehr hinzuzufügen. Dennoch seien sechs Anmerkungen gemacht:

  1. Absolute, unzweideutige Klarheit wie Verständlichkeit jeder Regel sollte gerade in der Krise oberste Pflicht sein. Wenn Gesetz- und Verordnungsgeber aber das Gegenteil tun, untergraben sie den Rechtsstaat.
  2. Es ist nur noch als infam zu bezeichnen, dass das Corona-Blitzgesetz vom 21. März ohne jeden inneren Zusammenhang (in ihrem Artikel 12) dazu genutzt worden ist, um die Tabaksteuern zu erhöhen. Motto: Wird schon niemandem auffallen …
  3. Zumindest vertrauensvernichtend ist, wenn auf der Homepage des Gesundheitsministeriums ständig die Fallzahlen geändert werden – sogar noch zwei Wochen im Nachhinein. Diese Infektionsstatistik ist daher nicht nur sinnlos (weil es ja eine riesige Dunkelziffer gibt), sondern auch lächerlich. Dennoch konzentrieren die Medien mit großer Intensität ihre Berichterstattung ständig auf diese Statistik. Gleichzeitig veröffentlicht das Innenministerium neuerdings wiederum ganz andere Fallzahlen …
  4. Enthüllend ist jenes Denken, das aus den Worten von Angelika Winzig dringt, der ÖVP-Delegationsleiterin im EU-Parlament: "Da der Parlamentarismus in den Nationalstaaten bisher funktioniert, habe ich aktuell keine Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Bürgerrechte." Das ist ganz typisch für Parlamentarier: Sie verwechseln ihre eigenen Rechte mit den Grundrechten der entrechteten Bürger …
  5. Geradezu gemeingefährlich wird es, wenn der grüne Sportminister(!) jetzt auch noch verbieten will, dass man längere Strecken wandert oder läuft. Der Mann gibt also Ratschläge, deren Verwirklichung einen schweren Schaden für die allgemeine Gesundheit anrichten würde (ich habe nur nicht begriffen, warum er eigentlich so einen Unsinn gesagt hat. Wahrscheinlich, weil die Menschen beim Laufen zuviel CO2 ausstoßen würden …).
  6. Zum Glück gibt es zu all dem auch eine heitere Fußnote: Die grüne Wiener Vizebürgermeisterin will allen Ernstes Wiener Straßen sperren, damit die Menschen dort in Corona-Zeiten spazieren gehen können. Sie hat nur eines vergessen: Setzt sich ihr Parteiobmann mit seinen Ideen eines Verbots längerer Ausmärsche durch, dann gibt es auch niemanden mehr, der auf diesen Straßen joggen oder gehen kann ...

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