Orban, Salvini und Strache: „Es geht ein Gespenst um in Europa“

Ein bekannter Italowestern beginnt mit folgender Szene (ab Marke 4.0): Auf einem gottverlassenen Bahnsteig inmitten einer Wüste erwarten drei Banditen einen gespensterhaften Unbekannten als dessen Himmelfahrtskommando. Auf dessen Frage "Habt ihr ein Pferd für mich?" erhält er eine zynische Antwort: "Wenn ich mich so umsehe… Dann sind nur drei da… Sollten wir denn tatsächlich eines vergessen haben?!" - Mit regungslosem Gesichtsausdruck erwidert der Unbekannte: "Nein. Ihr habt zwei zu viel." – Schlagartig vergeht den bösen Buben ihr höhnisches Gelächter. Dann ballert der Gespensterhafte blitzschnell alle nieder…

Der Film "Spiel mir das Lied vom Tod" ist des ungarischen Ministerpräsidenten Orbans deklarierter Lieblingsstreifen

20.3.2019: High-Noon in Brüssel. Die Europäische Volkspartei enthalftert Orbans Pferd, suspendiert den Fremden aus dem undurchsichtigen Osten und lässt ihn nicht mehr mit ausreiten. In regungslosem Poker-Ton erwiderte Orban lakonisch: "Ich werde meine Politik nicht ändern. Ich schätze Salvini als Premierminister sehr." (Spiegel) – Schwupps gefror den Brüsseler Polit-Spitzen ihr höhnisches Gefeixe: Denn just dieser West-Salvini hatte italienische Häfen für die selbsternannten Refjutschies-Lebensretter-Kreuzfahrt-NGO-Abenteurer einfach gesperrt.

Die besorgte Frage "Wieso hat Osteuropa ein Populismusproblem?" (Tagesspiegel, Juni 2016) beschäftigt nun das eigene linke West-EU-Zentrum plötzlich selbst. Nur drei Wochen nach der EVP-Suspendierung (am 6. April) bezichtigte Orban Brüssel der Refjutschie-Schlepperei: "Ist Europa ein Ort für Europäer oder für eine Masse aus anderen Kulturen? Verteidigen wir unsere christliche, europäische Kultur oder geben wir dem Multikulturalismus Raum?" (Orban)

"In der Politik geschieht nichts zufällig" (Roosevelt)

Knapp vier Wochen vor den EU-Wahlen dramatisiert das Orban-Lager ihr "Populismus"-Drehbuch stetig: Ausgerechnet am Tag der Arbeit (1.5.2019) flog Orban zu einem Treffen unter Freunden nach Warschau. Anlass: "15 Jahre Beitritt osteuropäischer Staaten – 2004" (Tschechien, Estland, Polen, Lettland, Litauen, Ungarn, Slowakei, Slowenien, inklusive Malta und Zypern), organisiert durch den rechts-konservativen polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki (dessen PiS-Partei von den links-nihilistischen West-Eliten mindestens genauso gehasst wird – aber in der Bevölkerungsgunst mit knapp 39 Prozent bei EU-Wahl-Umfragen führt). Von Seiten der West-EU war nur Kommissions-Vizepräsident Katainen geladen (sozusagen als schimpfender Zaunspatz: "Wir erwarten von Polen einen substanzielleren Beitrag für die Zukunft Europas." – Deutsche Welle). – "Auf die Arbeit schimpft man nur solange, bis man keine mehr hat." (S. Lewis, US-Literatur-Nobelpreisträger)

Gleichzeitig stellte Orban eine Warnung auf Facebook: "Jetzt müssen wir Europa schützen, einschließlich der nationalen und christlichen Kultur." Und an all jene, die jetzt immer noch weggehört hatten: "Wir müssen Pro-Einwanderungs-Politiker hinauswählen und Anti-Einwanderungspolitiker nach Brüssel hineinbringen." (Orban)

Na, wer damit wohl gemeint sein könnte?

Die Warschauer Deklaration offenbart ein erstarktes Selbstverständnis der 2004 beigetretenen EU-Staaten, um "die gemeinsamen Interessen der mitteleuropäischen(!) Länder zu gestalten." (Morawiecki) Einstimmig abgelehnt wurde auch der (EU-Kommissions-Vorschlag für den) EU-Haushalt – und zwar vorgetragen (im Duett) vom konservativen Morawiecki zusammen mit der sozialistischen(!) rumänischen Ministerpräsidentin Dancila. (Beim Gruppenfoto stand sie demonstrativ neben Orban.) Und weiter: Das neue EU-Budget "wird wahrscheinlich für die mitteleuropäischen Länder viel vorteilhafter sein, als einige vor einigen Monaten dachten." (Morawiecki)

Die Grundlage für dieses neue Machtbewusstsein beruht auf wirtschaftlichen, politischen und demographischen Fakten: "Wir sind heute die Lokomotive des Wirtschaftswachstums für ganz Europa. … Denn manchmal glauben einige zu Unrecht, dass (wir) so etwas wie der kleine Bruder sind." (DW) 75 Millionen Menschen leben in diesen 2004-EU-Staaten, in den (2007 und 2013) hinzugekommenen Ländern Rumänien, Bulgarien und Kroatien sind es noch einmal 31 Millionen, also insgesamt ein Fünftel der EU-Gesamteinwohnerzahl. Und in dem (nach rechts abgedrifteten) Salvini-Italien sind es 60, in Österreich 9 Millionen…

Diese Ost-EU verfügt gegenüber den gespaltenen West-EU-Ländern über einen strategischen Vorteil: Geschlossenheit und politische Homogenität aufgrund historischer Erfahrung: "Das ‚Böse‘ kam in (ihrer) Geschichte meistens … von außen." Die Folge: "Misstrauen gegenüber dem Fremden und eine defensive Haltung." (Tagesspiegel)

Orban: "Nach dem Ersten Weltkrieg fanden sich Millionen von Ungarn plötzlich in den Grenzen anderer Länder wieder... 1945 wurden wir von der Sowjetunion besetzt, 1956 haben wir uns aufgelehnt. … Uns haben sie Stalin überlassen, obwohl sie versprochen hatten, uns zu helfen. Sie sind nicht gekommen. Aus diesen Erfahrungen speist sich das unbändige Sehnen des ungarischen Volkes nach Freiheit." (Interview in La Stampa)

Die derzeitige politische Verfasstheit in der EU erinnert an die antike Schlacht bei Marathon (490 v. Chr): Die griechischen Mini-Stadtstaaten (zunächst noch untereinander zerstritten) verbünden sich gegen die Supermacht der Perser: Nur eine Phalanx von 11.000 griechischen (höchst motivierten, kulturell homogenen) Fuß-Hopliten steht 25.000 (schlecht motivierten, multi-ethnisch zersplitterten) "persischen" Soldaten gegenüber. Die Schlacht (ab Marke 3,0) geht in die Militärgeschichte ein: Kampfmoral und taktisches Kalkül (Umfassungsschlacht) siegen über pure militärische Arroganz (basierend auf Truppenstärke): Die Griechen lassen die Perser absichtlich durch ihre Mitte stoßen. Dann reiben sie die persischen Flanken auf, kesseln deren Zentrum ein und vernichten es. Die Perser fliehen mit ihren Schiffen, nachdem ein Drittel ihrer Einheiten vernichtet wurde.

Auch das neue Selbstbestimmungs-Bewusstsein der 2004-EU-Staaten klingt trotzig: "Alle Mitgliedstaaten sollten gleichbehandelt werden." (Hirado) - Orban: "Ich stelle nicht das Recht der anderen in Frage, sich ihres Multikulturalismus zu erfreuen. Aber Ungarn folgt West- und Mitteleuropa da nicht. Unsere Verfassung beschreibt das Christentum als eine Kraft, die die Nation stärkt." (Orban-Interview) – Soll heißen: "Wenn der Osten ’Nein!‘ sagt, meint er es auch so."

Und dann präsentierte der polnische Staatschef eine politische Ost-Phalanx:

  1. Gegen die West-Immigrations-Agenda (Alle hätten "in gleicher Weise über Migration nachgedacht.")
  2. Gegen krypto-imperialistische Doppelstandards (Absatz minderwertiger Produkte durch West-Firmen im Osten, Diskriminierung auf dem EU-Markt; Bekämpfung westlicher Steueroasen zulasten der mitteleuropäischen Länder, was eine erneute Spitze gegen den Luxemburger Juncker darstellt).
  3. Für die Anwendung des nationalen Subsidiaritätsprinzips.

In West-Europa gehe man "davon aus, dass Kriege, Diktaturen und Leid durch Nationalismus verursacht worden seien. Ich sehe das anders. Diese Tragödien wurden durch Versuche entfesselt, verschiedene europäische Imperien aufzubauen. In Brüssel sehe ich zurzeit genau diese Gefahr." (Orban-Interview)

Tönende Ignoranz der westlichen Mainstream-Medien. Nur die "Deutsche Welle" titelte: "Selbstbewusste Bilanz: … Polens Ministerpräsident Morawiecki hat auf die Stärke der östlichen Mitgliedsstaaten verwiesen." – "Schweigen ist auch eine Antwort."

Längst nämlich kann die linke West-EU-Elite das (aus dem Osten eingefallene) Populisten-Gespenst nicht mehr aus ihren eigenen vier Wänden vertreiben. Selbst im EVP-Kernland Südtirol liefen deutschsprachig-konservative Wähler der Südtiroler-Volks-Partei zur italienischen "Welschen"-Lega über (diese vervierfachte den Stimmenanteil 2018 auf 11 Prozent und 4 Mandate). (NZZ)

Orban lässt den Reigen weiter tanzen: Nur einen Tag nach dem Warschauer Gipfel traf er sich mit Salvini in Budapest, um per Helikopter den (knapp 600 km langen) ungarischen Grenzwall zu inspizieren. Und Salvini schwor: "Ich komme nach Ungarn, um ein neues Europa aufzubauen." (hirado) Orban: "Die Ungarn … sehen in Salvini einen Schicksalsgenossen. Er ist der Held, der die Migration über das Meer gestoppt hat, wir jene über Land."

Mehr noch: Am Tag des Warschauer Gipfels gab der ungarische Außenminister Szijarto triumphierend ein Treffen zwischen "Trump und Orban in Washington am 13. Mai" bekannt (knapp zwei Wochen vor den EU-Wahlen). Szijarto konnte endlich die in Brüssel zuvor erlittene Suspendierungs-Schmach revanchieren: "Wir Ungarn betrachten die USA als strategischen Verbündeten ... In ähnlicher Weise denken wir über Migration, den Schutz von Christen und Sicherheit nach." (Szijarto) – Soll heißen: "Wir können ab jetzt auch anders!"

Wie geschockt blickt die verunsicherte EU-Block-Linke nun auf den in Budapest entfesselten rechtspopulistischen Tanz-in-den-Mai. Zwischen Warschauer-Gipfel und Trump-Meeting traf Orban den österreichischen FPÖ-Vizekanzler Strache (Mitglied in der "Europäischen Allianz der Menschen und Nationen", zusammen mit der deutschen AfD, Salvinis Lega und der Le-Pen-Partei) in Budapest zu einem augurenhaften "populistischen diplomatischen Walzer: Die Botschaft ist eindeutig: Fidesz stärkt seine Beziehungen zu zwei Populisten mitten im EU-Wahlkampf – als Rivale zur EVP. Somit hält Orban noch mehr Eisen im Feuer" (die linke ungarische "Nepszava").  

Pikantes Detail: Trotz Suspendierung hatte der ungarische Justizminister Trócsányi kurz davor in Athen an einer EVP-Kampagne teilgenommen. Politisches Kleingeld stinkt eben nicht. Und FPÖ-Klubobmann Gudenus war zu einer AfD-Wahlkampfveranstaltung ins deutsche Pforzheim gefahren. Und beim Wahlkampfabschluss der italienischen Lega wird ein FPÖ-Vertreter mitorchestrieren.

"Divida et impera" – Orban enttarnt die Political-Correctness

Orbans Taktik "Teile und herrsche!" war schon bewährtes Machtprinzip des römischen Imperiums: Eine Zentralmacht mit hoher Autorität setzt sich gegenüber zerstrittenen Parteien durch und nützt deren Spannungen aus. Ein gewaltiger Vorteil der Ost-EU gegenüber den (linksideologisch verbrauchten und zerstrittenen) West-Polit-Eliten: "Über der EVP schwebt ein Urteil, nämlich das der Wähler." (Orban) Seine Idee von der "il-liberalen Demokratie" verfängt längst schon im West-Volk – als demokratischer Ausweg aus einem multipluralistischen Toleranz-Totalitarismus. "Wobei illiberal nicht zwangsläufig anti-liberal bedeutet. … Heute sind die liberalen Demokraten die wahren Feinde der Freiheit. Als Verfechter der Freiheit muss ich illiberal sein." (Orban-Interview)

Das klingt so grotesk, wie es das genaue Gegenteil ist: "Die Liberalen sind die Feinde der Freiheit?"

Orban: "Wer das Denksystem der politischen Korrektheit in Frage stellt, kann ihnen zufolge kein Demokrat sein. Aber so wird die Gedanken- und Meinungsfreiheit verletzt. Ich dagegen, als Illiberaler, verteidige die Freiheit des Wortes. Ich weiß, dass das in den westlichen Hauptstädten merkwürdig klingt. Aber hier im Herzen Mitteleuropas denken alle so." (Orban-Interview)

Orban enttarnt somit das infame (und beinahe perfekt-totalitäre) Muster des postmodern-orwell’schen "Neu-Denkens”. Denn das System der Political-Correctness ("Super! Daran kann nichts Schlechtes sein! Das beste aller Systeme!") basiert auf dem voreiligen Trug-Schluss-Schema des sogenannten "schnellen Denkens": automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst. Es nutzt den sogenannten "Halo"(Heiligenschein)-Effekt: Ein vordergründiger, alles überstrahlender Effekt ("Korrektheit") blendet aus (indem verallgemeinernd auf das Gesamtsystem geschlossen wird), was sich dahinter als das genaue Gegenteil versteckt: nämlich Totalitarismus.

Dem gegenüber destruiert das "langsame Denken" aber nachhaltig-effektiv solche Schimären. Es ist zwar anstrengender und nur selten aktiv; dafür aber logisch, berechnend, bewusst. Hier einige Witze dazu:

"Was ist der gefährlichste Tag für ein U-Boot?" – "Äh… Muss etwas mit Seekrieg zu tun haben…" – Weit gefehlt: "Tag der Offenen Tür."

Oder: "Wie nennt man eine Demonstration von Veganern?" – "Durchgeknallte Bio-Sektierer?" – Weit gefehlt: "Gemüseauflauf".

Einer geht noch: "Wie nennt man einen übergewichtigen Vegetarier?" – "Äh… Bio-Fettsack!" – Weit daneben: "Bio-Mülltonne"

Genau diese Groteske kann aber links-elitäres West-EU-Block-Denken weder verstehen noch auflösen: Weil sich dahinter (in Wirklichkeit) neoimperialistische ostrassistische Vorurteile verstecken. Ein heillos selbstgerechter Analyse-Wirrwarr ist die Folge: Von einer richtigen Annahme ausgehend ("Die osteuropäischen Parteisysteme sind, anders als die in Westeuropa, nicht durch die traditionelle Links-Rechts-Unterscheidung gekennzeichnet.") wird ein falscher Schluss gezogen: "Wenn die liberalen Parteien scheitern", gäbe "es (nämlich) keine demokratische Alternative (mehr). … Orbán und Kaczynski waren die einzigen Alternativen, nachdem die liberalen Eliten das Vertrauen der Bürger verloren hatten." (DerTagesspiegel) Diese linke Verleugnungs-Abwehrhaltung unterstellt nämlich, dass "die aktuelle anti-liberale Revolte (bloß) eine Reaktion" wäre "gegen das zutiefst liberale(!) Staats- und Gesellschaftmodell in den ehemaligen kommunistischen(!) Ländern." (Der Tagesspiegel)

In Wirklichkeit aber war der Kommunismus genau das Gegenteil: nämlich ein zutiefst antiliberales, dogmatisch-totalitäres Gesellschaftsmodell. (Das weiß mittlerweile jedes Schulkind.) Weil aber gerade diese postkommunistischen Gesellschaften nie vom postmodernen Hyper-Multipluralismus infiziert waren (und zudem geübt in der Wahrnehmung von totalitären Strukturen), erstellen sie dem sogenannten Freien Westen eine verheerende Diagnose: Das Trugbild eines multi-pluralistischen Toleranz-Totalitarismus.

Diese Desillusionierung wäre freilich für die Linken eine tödliche Erkenntnis. Weil sie genau das impliziert, was Mitscherlich (in "Die Unfähigkeit Unfähigkeit zu trauern", 1967) der post-nazistischen deutschen Öffentlichkeit diagnostiziert hatte: "Wo Schuld entstanden ist, erwarten wir Reue und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung, … wo das Ideal verletzt, ist Scham die natürliche Konsequenz. Die Verleugnungsarbeit erstreckte sich gleichermaßen auf Schuld, Trauer und Scham."

Die linke politisch-korrekte Polit-Elite des Westens befindet sich nun in einem Bunker-Abwehrkampf gegenüber dem eigenen Volk: "EU-Wahltrend: EU-Wähler könnten laut einer Studie im Mai gegen statt für eine bestimmte Partei wählen." (Kurier) – Und langsam streckt dieses totalitäre Gutmenschentum (mit seinen hilflos-arroganten Vorurteilen) resigniert selbst die Schwerter: "Die bisherigen Musterschüler der Transformation sind … zum Vorreiter der Regression in nationalistisches Denken und populistisches Gebaren geworden. Orbán und Kaczynski sind Symbolfiguren eines Trends, der sich nun in ganz Europa breit macht." ("Der Tagesspiegel")

Die linke Furcht vor der Wiederkehr rechtspopulistischer "Gespenster"

Wie ein Gespenst war der geheimnisvoll-fremde Cowboy in der gesetzlosen Wildwest-Einöde plötzlich aus dem Nichts ausgestiegen. Dass nun erneut ein Gespenst durch Europa geistert (170 Jahre nach dem durch Marx beschworenen – allerdings mit umgekehrten politischen Zeichen) lässt die Westlinke fassungslos schäumen…

"Ein Gespenst geht um in Europa – Das Gespenst des Kommunismus…. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd … verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und deutsche Polizisten." ("Manifest der kommunistischen Partei", 1848)

Die (bisher so sakrosankten) kommunistischen Linkspopulisten des 19. Jahrhunderts ("Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre?" dasselbe Manifest) sind durch rechtspopulistisch-revolutionäre Kräfte ersetzt worden: "EU-Wahl: Rechtspopulisten erwarten hohe Zugewinne. In einem Drittel der EU-Staaten regieren sie bereits mit." (Kurier) Marx’ens Analyse gilt nun seitenverkehrt für die Rechtspopulisten: "Der (Rechtspopulismus) wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt." Und: "Es ist hohe Zeit, dass die (Rechtspopulisten) ihre Zwecke vor der ganzen Welt offen darlegen, und den Märchen vom Gespenst des (Rechtspopulismus) ein Manifest … entgegenstellen." (aktualisiertes "Manifest der kommunistischen Partei", 1848). Und so verfängt nun auch Orbans post-postmodernes Theorem von der illiberalen Demokratie.

Orbans "Divida-et-impera"-Taktik ist klar: Seine Fidesz verbleibt in der EVP – vorausgesetzt diese rückt so weit nach rechts, dass der Unterschied zu den Rechtsaußen-Fraktionen nur mehr ein nominaler ist. Aus reinem machtpolitischem Kalkül heraus: Denn die EVP "wird zwar die größte Fraktion bleiben, aber mit deutlich weniger Abgeordneten. Und weil auch ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner schrumpft, ist diese Allianz allein vermutlich nicht länger mehrheitsfähig." (Spiegel)

Orban baut darauf, dass "sich die EVP (schließlich doch noch) mit Salvini verbündet". (Süddeutsche) – "Die EVP bereitet sich gerade auf ihren Selbstmord vor. Sie will sich mit der Linken zusammenschließen, um gemeinsam unterzugehen." (Orban-Interview)

Orbans zwingendes Ziel: Die jetzige Links-Block-EU (von EVP und Sozialisten) in eine rechtskonservativ-rechtspopulistische Koalition umzupolen: "Würden dann alle Populisten im EU-Parlament an einem Strang ziehen, wären sie bereits die zweitstärkste Gruppe – hinter der EVP und noch vor den Sozialdemokraten." (Kurier) – "Binden wir uns nicht an die Linke, suchen wir (die) Zusammenarbeit mit der europäischen Rechten. … Hoffen wir, dass die Formation Salvini … eine starke sein wird. Die EVP muss mit dieser europäischen Rechten zusammenarbeiten." (Orban-Interview)

Die Stoßrichtung, die sich aus der Notwendigkeit eines Nach-Wahl-Szenarios abzeichnet: Um die EVP aus der Allianz mit den Sozialisten zu lösen, "muss man sie ködern, weiterhin die dominante Kraft bleiben zu können, wenn sie Verstärkung bekommt. Etwa durch Salvinis Lega-Truppe im Parlament, die deutlich größer sein wird als bislang." (Spiegel) Der rechte EVP-Flügel würden dem wohl zustimmen, weil der linke dezimiert werden wird.

Und zu guter Letzt auch noch das: Merkel war verbissen darum bemüht, Gerüchte über ihren eigenen politischen Rücktritt zu zerstreuen. ("Wo Rauch ist, ist auch Feuer.") Denn eines ist klar: Ihr Rücktritt nach einem EVP-Debakel wäre unweigerliche Voraussetzung für eine Tabula rasa.

Denn eine frustrierende Erkenntnis möchte sich wohl auch die EVP ersparen: "Kein Abschied auf der Welt fällt schwerer als der Abschied von der Macht." (Charles de Tayllerand, Außenminister des revolutionären Frankreich)

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung