Warum der Medien-"Skandal" kein solcher ist und was wirklich zu tun wäre

Die Aufregung war groß, nachdem eine Mail aus dem Innenministerium an die Pressestellen der Landespolizeidirektionen an die Öffentlichkeit gekommen kam. Die Botschaft darin kann man grob in zwei wesentliche Aussagen aufteilen. Einmal geht es darum mehr Transparenz zu gewährleisten und dass die Polizei zusätzliche Informationen weiterleiten soll, wie etwa die Herkunft des Täters. Der zweite Teil geht um den Umgang mit besonders kritischen Medien. Diese sollen "nur" noch die Standardinformationen erhalten und keine darüber hinausgehende Zuckerl wie etwa Exklusivbegleitungen.

Die Opposition (natürlich inklusive des Bundespräsidenten) schäumte und auch der Koalitionspartner ÖVP war hörbar irritiert. Die Empörungswelle ist allerdings schwer nachvollziehbar. Schließlich stellt diese Anregung, oder Weisung, wie manche es, juristisch wohl nicht haltbar, nennen, keineswegs eine neue Dimension im Umgang mit den Medien dar. Vielmehr ist es lediglich eine konsequente Fortsetzung der letzten Jahre.

Bereits unter Rot-Schwarz ist Österreich beim Pressefreiheitsindex abgerutscht. Nach einem Zwischenhoch 2010 mit Platz 7 (trotz schon damals deutlicher Kritik von Reporter ohne Grenzen, dem Ersteller dieser Rangliste) rutschte die Republik bis 2017 auf Rang 11 ab und das trotz weltweit rückläufiger Pressefreiheit.

Während Faymanns Medienpolitik noch eher subtil ablief, bestach vor allem Christian Kern durch klare Ansagen gegenüber ihm zu kritischen Medien. So verhängte er im Rahmen der Silberstein-Causa einfach eine Informationssperre gegenüber "Profil" und "Presse", die beide groß über den Skandal berichtet haben und auch an der Aufdeckung beteiligt waren. Beide hatten es gewagt, unangenehme Sachverhalte über den Kanzler zu veröffentlichen und wurden dafür bestraft.

Ähnliches Verhalten zeigte er beim Umgang mit der ihm ebenfalls zu kritischen Tageszeitung "Österreich". Hier stoppte er SPÖ-Einschaltungen und verweigerte sämtliche Interviews und Teilnahme an TV-Diskussionen. Was die E-Mail des Innenministeriums den Polizei-Pressestellen nahelegt, wurde von Kanzler Kern also bereits praktiziert.

Auch der andere Punkt, und zwar der, in dem es um Detail-Angaben zu mutmaßlichen Tätern geht, ist keineswegs neu. Mit umgekehrten Vorzeichen hat das Justizministerium in einem Erlass 2014 genau das Gegenteil "empfohlen". Wörtlich heißt es: "Bei der Informationserteilung soll auf die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe oder auf persönliche Merkmale (Hautfarbe etc.) nur hingewiesen werden, wenn dies für das Verständnis des berichteten Vorgangs unbedingt notwendig ist."

Die Aussendung des Innenminsteriums ist in diesem Punkt also keineswegs einzigartig, sondern reiht sich ein als eine unter vielen. Nun wird sogar mehr Information angeboten. Dass sich gerade die sonst (zurecht) auf Transparenz erpichten NEOS dagegen aussprechen, ist nur durch Parteitaktik erklärbar. Dass die sonst (zurecht) als mündig bezeichneten Bürger mit dieser Information nicht umgehen können und lediglich ausländerfeindliche Ressentiments bedient werden würden, kann ja wohl kaum der echte Grund für die Kritik daran sein.

Hinzu kommt, dass, bloß weil eine Information herausgegeben wird, die Zeitung damit nicht gezwungen wird, diese zu veröffentlichen. Wenn sich eine Redaktion, aus irgendwelchen Gründen dazu entschließt, dies nicht zu tun, eine andere aber schon, dann wird der Markt das Verhalten entsprechend quittieren. Doch diese Vorfälle der Vorgängerregierung verblassen sogar, wenn man sich die vergangenen Jahre in Europa vor Augen führt. In Malta und der Slowakei wurden Journalisten gar ermordet, ihre Recherchen richteten sich auch gegen die Regierung. In Deutschland wurden Reporter der Plattform Netzpolitik.org vom Verfassungsschutz eingeschüchtert, überwacht und letztlich wurde öffentlich wirksam wegen "Geheimnisverrats" ermittelt. Erst nach massiven Protesten dagegen wurden die Ermittlungen wieder eingestellt. Vom neuen deutschen Zensurgesetz (Netzwerkdurchsetzungsgesetz), das die Meinungsfreiheit im Internet massiv gefährdet, wollen wir gar nicht erst reden.

In Großbritannien zerstörten Geheimdienstmitarbeiter digitale Speichergeräte der renommierten Zeitung "the Guardian", die offensichtlich zu brisante Informationen enthielten. Im Anschluss wurden Mitarbeiter der Zeitung eingeschüchtert, um nicht darüber zu berichten.

Was in Ungarn und Polen passiert, dürfte durch die mediale Dauerschelte ohnehin bekannt sein. Über die unfassbaren Vorgänge in Rumänien berichten immerhin einige Medien, wie etwa diese Plattform. Die Liste ließe sich natürlich noch lange weiterführen, eine ganze Litanei an Einschränkungen der Pressefreiheit ließe sich erstellen und kaum ein Land würde ausgelassen werden. Auch Interviews von Aussteigern sind in diesem Zusammenhang interessant. Sie schildern oft erschreckend wie sehr die Politik sie unter Druck setzt und mit Zuckerbrot und Peitsche zu "ordentlicher" Berichterstattung bewegt.

Der Punkt ist jedenfalls klar: die Pressefreiheit ist allgemein bedroht. Überall in Europa, egal ob es konservative, linke, (selbsternannte) liberale oder rechte Politiker sind, geht der Staat mit zunehmender Härte gegen unangenehme Berichterstattung vor. Warum ist das wichtig festzuhalten? Um die E-Mail des Innenministeriums zu verharmlosen und die FPÖ zu verteidigen? Mitnichten! Es geht um die Analyse des Problems. Für die Opposition ist das Problem Kickl. Es handelt sich also um ein personelles Problem. Wenn Kickl durch einen anderen ersetzt wird, ist das Problem gelöst.

Nach vielen Beispielen wie den obengenannten liegt aber der Verdacht nahe, dass der Umgang von Regierungen mit der Presse kein personelles, sondern ein systemisches Problem darstellt. Und bei einem systemischen Problem hilft ein Austauschen von Köpfen gar nichts. Es mag aus parteitaktischer Sicht verständlich sein, sich jetzt auf den Innenminister einzuschießen, alleine vernebelt es leider den Blick auf den wirklichen Missstand.

Dieser ist vielmehr in einer unseligen Vernetzung zwischen Staat und Medien zu finden. Das hat für beide Seiten Vorteile, für die Menschen aber Nachteile. Für die Politik hat es den Vorteil, dass man Medien besser kontrollieren kann und ihre Reichweite zur Steigerung der eigenen Popularität nützen kann. Für die Medien hat es den Vorteil, dass man immer mal wieder Zuckerln wie Exklusivinformationen erhält und von den Inseraten sehr gut leben kann.

Für die Menschen aber hat es den großen Nachteil, dass kritische Berichterstattung zunehmend verloren geht. Im Doppelpassspiel zum beiderseitigen Nutzen tun Politik und Medien einander nur selten weh. Und wenn, dann ist es eher die Politik, die die Medien durch Mittel, wie sie oben beschrieben worden sind, an kritischer Berichterstattung hindert.

Überhaupt hat auch der libertäre Standpunkt etwas für sich: alleine der Staat vermag die Pressefreiheit überhaupt einzuschränken. Je weniger Staatsmacht es also gibt, desto freier ist auch die Presse. Pragmatischer aber nicht unbedingt realistischer (weil diese Schritte eben von der Politik gesetzt werden müssten) wären Maßnahmen wie eine massive Reduzierung der Presseförderung inklusive der Inserate und Werbeeinschaltungen von Seiten der öffentlichen Hand, um so den Zeitungen zu mehr Unabhängigkeit zu verhelfen. Die Missstände (Wien allein gibt etwa mehr für solche Inserate aus als alle anderen Bundesländer zusammen) sind bekannt, werden allerdings nicht angegangen.

Auch von Multitalent Blümel, der unter anderem auch Medienminister ist, hört man nichts in diese Richtung. Das Argument, das man in diesem Zusammenhang oft hört, wonach eine Reduzierung von öffentlichen Geldern für Zeitungen die Qualität noch weiter senken würde, ist nicht haltbar. Man kann natürlich über diese Zuschreibungen streiten, doch gerade die sogenannten Qualitätszeitungen wie "die Presse", "der Standard" oder die "Salzburger Nachrichten" erhalten bereits jetzt deutlich weniger Geld als sogenannte "Popular papers" wie "Österreich" oder "Krone". Das heißt, die Qualitätszeitungen werden durch die Förderungen, die bei anderen Zeitungen höher sind, eigentlich benachteiligt. Durch eine Streichung oder zumindest massive Kürzung dieser Gelder gewännen die genannten also sogar relativ dazu.

Ein wettbewerbsverzerrender und unzeitgemäßer ORF hätte in einer modernen Medienlandschaft natürlich auch nichts zu suchen (siehe dazu das Volksbegehren vom 1. bis 8. Oktober). Er gehört ersatzlos abgeschafft.

Leider wird wohl in absehbarer Zeit nichts davon gesehen. Die Regierung wird die Medienpolitik der letzten Jahre allenfalls mit umgekehrten ideologischen Vorzeichen fortsetzen. Statt Reform wird nur die Richtung geändert. Statt Abschaffung des ORF wird dieser lediglich umgefärbt. So ändert sich am Prinzip aber gar nichts. Eine Regierung, die einen neuen Stil versprochen hat und alles anders machen wollte, muss man also gar nicht für die Vorfälle der letzten Tage verteidigen. Die simple Erkenntnis, dass sie alles genauso macht wie ihre Vorgänger, ist bereits vernichtendes Urteil genug.

Martin Holzmann ist überzeugter Liberaler und nach einem einjährigen Gastspiel als Landeskoordinator bei NEOS Salzburg Student der Forstwirtschaft.

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