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Verhetzung als Resultat einer Gesamtbetrachtung? Zur Architektonik des Prozesses gegen die "Identitären"

Der aktuelle Strafprozess gegen siebzehn Mitglieder und Sympathisanten der "Identitären Bewegung" erfährt viel Kritik auch von unerwarteter Seite – und sei es nur aus der Furcht heraus, auch linken Gruppierungen könnten ähnliche Anklagen drohen. Doch nicht nur am schweren Geschütz einer "kriminellen Vereinigung" gibt es Kritik. Schon der Verhetzungsvorwurf selbst erscheint vielen (völlig zu Recht) nicht erfüllt. Warum überhaupt ein Prozess, wenn die Suppe derart dünn ist? Die folgende Analyse zeigt auf, dass die Anklage gegen die "Identitären" massiv an einem langjährig erprobten und durch die Judikatur gestützten Gebrauch des NS-Verbotsgesetzes orientiert scheint, nach welchem viele Zeitgenossen die "Identitären" ohnehin am liebsten angeklagt sähen.

Beim NS-Verbotsgesetz genügt es nämlich, dass eine Gesamtschau "Wiederbetätigung" ergibt, auch wenn keine einzige konkrete Handlung unter dieses Verdikt fällt: Zur Tatbestandsverwirklichung genügt dort "unter Umständen (...) ein Gesamtverhalten, welches einer Mehrzahl von Zielen dient, die wohl im einzelnen (dem Ideengehalt nach) auch von anderen politischen Bewegungen vertreten werden, gerade in ihrem Zusammentreffen aber für das vom Nationalsozialismus mit Gewalt durchgesetzte Programm charakteristisch sind." (OGH 25.06.1986, RS0079948)

Was solche "Umstände" sind, verrät dieser Rechtssatz nicht, aber man wird wohl getrost an die mediale Prominenz eines Akteurs oder an den (politischen, medialen, finanziellen ...) Erfolg einer missliebigen Gruppe denken dürfen.

Diese Mitte der 1980er Jahre kreierte Judikatur wurde seitdem regelmäßig bekräftigt: Es reicht beim NS-Verbotsgesetz, dass ein "Handlungskomplex (...) bei einer wertenden Gesamtbeurteilung als typisch nationalsozialistisch einzustufen ist, mag auch bei einer isolierten und bloß punktuellen Sicht einzelner Teilakte der ihnen zu Grunde liegende Ideengehalt für sich allein noch nicht Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankengutes sein." (OGH 13.09.2000, 13Os45/00)

Demnach kommt es "bei der Beurteilung, ob ein Verhalten als Wiederbetätigung zu qualifizieren ist, (...) nicht darauf an, ob einzelne Formulierungen schon bei isolierter Betrachtung bereits als typischer Ausdruck nationalsozialistischer Ideologie anzusehen sind oder ob manche Ideen in der Vergangenheit von anderen politischen Gruppierungen ebenfalls vertreten wurden und einzelne davon auch heute noch in Programmen demokratischer Parteien enthalten sind" (OGH 18.09.2007, 12Os112/07y), sondern ein Handlungskomplex kann auch dann "den Tatbestand verwirklichen, wenn die einzelnen Teilakte des betreffenden Gesamtverhaltens – isoliert betrachtet – noch nicht als typisch nationalsozialistisch zu beurteilen sind." (OGH 14.07.2004, 13Os28/04)

Wenn "die einzelnen Teilakte" – also offenbar alle – für sich nicht strafbar zu sein brauchen, muss keine einzige strafbare Handlung gesetzt sein, um Anklage erheben zu können. Die Judikatur zum NS-Verbotsgesetz fordert demnach auch nur ein "Verhalten, das eine auf Wiederbetätigung im NS-Sinn hinweisende Tendenz erkennen lässt." (OGH 09.12.1993, 15Os155/93, RS0079829) Außerdem kann die Strafbarkeit eines Verhaltens "auch auf pragmatischer Ebene, gleichsam zwischen den Zeilen, erkannt werden" (OGH 29.07.1998, RS0110511).

Die von mir ausgiebig zitierte Judikatur zum Verbotsgesetz lässt kaum Zweifel, dass mit dem aktuellen Prozess versucht wird, diese Denkmuster auf den Verhetzungsparagraphen zu übertragen. Ein "Gesamtverhalten" soll "unter Umständen" auch dann als "Verhetzung" klassifiziert werden können, wenn in keinem einzigen Fall in strafbarer Weise gehetzt wurde, sondern erst eine "wertende Gesamtbeurteilung" eine auf Verhetzung "hinweisende Tendenz erkennen lässt", und dies mitunter erst "zwischen den Zeilen".

Dass offenbar keine einzige den "Identitären" vorgeworfene Handlung "Verhetzung" ist, legt sich schon dadurch nahe, dass keine dieser Handlungen zeitnah angeklagt wurde. Allerdings gibt es zum Verhetzungsparagraphen (noch!) keine Judikatur, um auch ein diffuses "Gesamtverhalten" (und zwar hinterher, dann, wenn es politisch gerade passt!) als Verhetzung anklagen zu können.

Genau an dieser Stelle tritt nun die "kriminelle Vereinigung" zur Seite: Um eine Gruppe als solche anklagen zu können, braucht es zwar schon die "Verhetzung". Doch mit dem gravierenden Vorwurf der "kriminellen Vereinigung" muss die Verhetzung gar nicht gravierend gewesen sein. Vor allem stellt erst die "kriminelle Vereinigung", die per se ein "Handlungskomplex" sein muss, jenen "Kitt" bereit, der straffreie Handlungen zu einem strafbaren "Gesamtverhalten" zusammenschweißt. "Verhetzung" und "kriminelle Vereinigung" verstärken einander auf diese Weise wechselseitig – auch um den Preis der Lächerlichkeit, die behauptete "Verhetzung" dadurch zu bekräftigen, dass T-Shirts als Fanartikel verkauft wurden.

Ist eine dem NS-Verbotsgesetz ähnliche Judikatur zum Verhetzungsparagraphen einmal etabliert, hat die "kriminelle Vereinigung" ihre Schuldigkeit getan, und die Linke darf aufatmen. Dann wird jeder "Teilakt" (also jede Noch-nicht-Verhetzung) qua "Gesamtverhalten" schlicht durch die anderen Teilakte zur Verhetzung, um mit diesem Kunstgriff auch schon eine mehrfache Tatbegehung (mindestens aber einen langen Tatbegehungszeitraum) vorwerfen zu können.

Wenn also das Verbotsgesetz nicht auslangt, um den "antifaschistischen Grundkonsens" sicherzustellen und nach Belieben gegen Gruppen rechts der FPÖ vorzugehen, muss der Verhetzungsparagraph dessen Funktion übernehmen. Noch ist das Verbotsgesetz nicht, wie von SPÖ-Landeshauptmann Kaiser angeregt, auf diffus "Faschistisches" ausgeweitet. Der neue "Staatsfeinde"-Paragraph 246a StGB, den der vormalige Justizminister mit Bezug auf die "Identitären" unterstützt hatte, macht indes auch die Linke viel zu nervös.

Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass es sich beim Prozess gegen die "Identitären" um einen im schlechtesten Sinne politischen Prozess handelt, der an stalinistische wie austrofaschistische Traditionen anknüpft. Auch die Nicht-Namensnennung von Staatsanwalt und Richter in den Medien oder die Schlagzeile einer (freilich nicht konkretisierten) vereitelten "Stürmung" des Grazer Gerichtssaals fügen sich klar in dieses Bild.

Wie der Prozess ausgehen wird? Keine Ahnung. Gerade in der Instanz könnte eine Verurteilung auch durchgehen, schwingt sich Österreichs Spitzenjustiz doch zusehends zur Wächterin über einen "antifaschistischen" Gründungsakt der Zweiten Republik auf, um in das Kriegsende 1945 (wenngleich auch nur der Tendenz nach ...) eine sozialistische Revolution hineinzuinterpretieren, die den Österreichern damals glücklicherweise erspart geblieben ist. 

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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