Wiener Tagebuch: Ein großes Abschiedsfest

Es war mein erster erster Mai am Wiener Rathaus Platz. Es war schon beeindruckend, wie das Heer an Sozis an mir vorüberzieht. Heuer sind viele gekommen, auch wenn so mancher Genosse gleich mehrmals mit seinem Pappschild am Rathausplatz einzieht, weil er nach der Bühne vor dem Rathaus links abbiegt und hintenrum um den Rathausplatz zurück zum Ring marschiert. Die vom roten Platzsprecher behaupteten 120.000 Anwesenden sind natürlich maßlos übertrieben, aber mit Zahlen nehmen es die Wiener Sozis ja nicht so genau, wie wir unter anderem vom KH Nord wissen. Ein bisserl wird man ja aufrunden dürfen.

Jedenfalls sind sie so zahlreich aufmarschiert wie schon lange nicht mehr. Man will es der verhassten und bei den Wählern außerhalb Wiens beliebten türkis-blauen Regierung zeigen. Die Angst vor Reformen und der geplante Rückbau des Staates haben die Genossen heuer trotz des schönen Wetters in Scharen auf die Straße getrieben. Am häufigsten ist der Typus älterer, schlecht gekleideter Mann zu sehen. Ob die immer so angezogen sind oder nur zur Feier des Tages ihr Lacoste-Polo gegen die Proletarierparnier getauscht haben, ist schwer zu beurteilen. So schlecht verdient man ja bei den Wiener Sozis und in ihrem Umfeld nicht.

Auch die Fraktion der engagierten Kurzhaarfrauen ist zahlreich erschienen und die eher spärlich anwesenden Jugendlichen, das sind bei der SPÖ alle, die noch mehr als 15 Jahre bis zur Frühpension haben, müssen in irgendeiner Multikultitrommeltruppe hüftschwingend mittanzen.

Man ist schließlich bunt und solidarisch.  Nach Menschen, die ihre Brötchen in der Privatwirtschaft verdienen und dort sogar erfolgreich sind, sucht man hier vergebens.  Was alle Rathausplatzbesucher eint, sie leben direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand. Und das soll auch so bleiben. Deshalb sind sie ja gekommen. All die Gewerkschafter, Landesbediensteten, Beamten, die Mitarbeiter von SVA, KAV, WGKK, AUVA, Wien Energie, Wiener Wohnen und von den unzähligen Integrations- und Sozialvereinen, die Arbeiterkämmerer, die Wiener Feuerwehr, die Straßenbahner usw.

Sie alle haben tatsächlich Angst vor der neuen Regierung.  Nicht weil die angeblich antisemitisch ist, wie an diesem Tag gleich mehrfach unterstellt wird, nicht weil sie schlecht für das Land wäre, nicht weil sie schlechte Politik machen würde. Ganz im Gegenteil. Eben weil sie für das Land und seine Menschen arbeitet, weil sie die verkrusteten Strukturen aufbrechen möchte, weil sie in genau jenen Bereichen und Ecken der Republik für Effizienz sorgen möchte, wo es sich diese Menschen über die Jahrzehnte so bequem eingerichtet haben. Empört fragt man sich an diesem 1. Mai: "Ja, dürfen's denn des?"

Wer vom Staat lebt, kämpft auch für einen möglichst aufgeblähten Staatsapparat. Am liebsten hätten die Sozis nicht 19 Krankenkassen und 15 Krankenfürsorgeanstalten, sondern gleich 80 oder noch mehr solcher Einrichtungen. Was gebe es da an neuen Posten, an neuer Arbeit! Der bürokratische Aufwand würde regelrecht explodieren. Herrlich.

Ob ein überdehnter Sozialstaat mit einem aufgeblähten Verwaltungsapparat im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig ist, ob Rekordsteuerquoten, das wachsende Heer an Transferleistungsbeziehern und Bürokraten das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringen werden, ist ihnen egal. Wird schon noch eine Zeit lang funktionieren. Man muss ja nur die "Reichen", sprich die Leistungsträger aus der bösen Privatwirtschaft, noch mehr schröpfen.

Man fürchtet um seine "wohlerworbenen Rechte", Pfründe, Privilegien, seine freien Fenstertage, Kuraufenthalte, Bildungskarenz und um seinen sicheren Arbeitsplatz unter dem Rock des Nanny-Staates. Nur nebenbei bemerkt sind die Wiener Landesbediensteten die österreichischen Staatsmeister im Verbrauchen von Krankenstandstagen.

Natürlich fürchten sie sich vor einem schlanken und effizienten Staat. Sie alle, bis hinauf auf die Tribüne vor dem Rathaus, haben Angst um ihren sozialen Status, um ihr Ein- und Auskommen. Den freien Arbeitsmarkt fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Hier haben sich die künftigen Modernisierungsverlierer wehklagend versammelt. Weil man das aber nicht so offen sagen kann, ist das Zauberwort an diesem sonnigen Maitag Solidarität.

Ein Redner betont nach dem anderen, wie sehr und wie aufopferungsvoll man sich nicht "für die Menschen" einsetze und wie wichtig Solidarität nicht sei. Und solidarisch ist man vor allem mit sich selbst und seinem direkten Umfeld. Schließlich fällt beim fröhlich-solidarischen Umverteilen auch eine Menge Geld für die Verteiler ab.

Nein, hier geht es nicht um das Wohl der Mitmenschen, hier geht es um das eigene Wohlergehen. Solidarität ist nur ein weiteres linkes Weasel Word. Mit dem Solidarität-Gedöns will man lediglich die längst notwendigen Reformen abwehren und die alten Strukturen erhalten.

Die progressiven Sozis wollen, das alles bleibt wie es ist, und Christian Kern warnt vor dem "digitalen Kapitalismus", was immer er auch damit meint. Die Angst vor Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel ist am Rathausplatz allgegenwärtig. Sie träumen von den längst vergangenen Kreisky-Jahren und vergessen dabei, dass sie es selbst waren, die den Karren in den Dreck gefahren haben.

Dieser 1. Mai – und das ist überall zu spüren – markiert eine Zeitenwende in der SPÖ und in Österreich. Da gibt es die alten Sozis, verkörpert durch die Festtagsredner Renate Brauner, Christian Kern und Michael Häupl. Mehr als aufgesetzte Kampfrhetorik und Hass auf die neue Regierung haben sie nicht zu bieten. Keine Konzepte, keine Visionen, kein Plan, einfach nur Hass, Trotz und Angst vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Der ehemalige Slim-Fit-Kanzler, der seine Degradierung zum roten Klubchef immer noch nicht verkraftet hat, rotzt gegen die Regierung und hat außer seinen immer gleichen hohlen Phrasen und seinen leeren Versprechungen den zahlreich versammelten Genossen nichts zu sagen. Applaus bekommt er trotzdem. Ein rotes Trauerspiel.

Michal Häupl ist ohnehin nur noch ein Zyniker, der mit ein paar lahmen Wuchteln und unter tosendem Applaus das sinkende Schiff gerade noch rechtzeitig verlässt. Sie alle haben nur ein Thema: die neue Regierung, die ihnen als Projektionsfläche für ihre Ängste dient und die von ihrer Konzept- und Ideenlosigkeit ablenken soll. Dagegensein als Plan A, B und C.

Anders Michael Ludwig: Er geht erst am Schluss seiner Rede auf die neue Regierung ein und das auch nur, um die murrenden Genossen doch noch zu etwas Applaus zu animieren. Denn zuvor war er sehr moderat und der einzige unter den Rednern, der auch Leistung, im Sinne von Leistung muss sich lohnen, und die Interessen der Unternehmer erwähnte. Alle anderen haben nur vom Geldverteilen gesprochen. Ludwig weiß zumindest, dass das Geld, das die Linken so gerne und großzügig verteilen, auch erwirtschaftet werden muss.

Für einen Sozi ist das eine ökonomische Erleuchtung. Das kommt bei der roten Masse vor der Bühne nicht besonders gut an. Die Genossen sind nicht zum Rathaus geströmt, um sich kritisch mit sich, ihrer Ideologie und Partei auseinanderzusetzen, nein, sie wollen wie gewohnt die ranzige linke Theorie von der kapitalistischen Weltverschwörung hören, wollen ihre Feindbilder und Vorurteile von Brauner und Co. bestätigt bekommen.

Und außer von Ludwig bekommen sie, was sie hören wollen. Nur über die Witzchen von Christian Kern können nicht einmal die bravsten Genossen lachen. Verständlich. So verzweifelt sind sie nun auch wieder nicht.  Es ist offensichtlich: Ludwig will die Tür zur FPÖ nicht zuschlagen. Ihm sind die Blauen wohl lieber als die grüne Chaostruppe um Maria Vassilakou.

Für die linken Parteifundis war der 1. Mai kein guter Tag. Sie träumen von den guten alten Zeiten, während Ludwig sich auf die neuen Machtverhältnisse einstellt und nach neuen politischen Partnern sucht.

Das "Wiener Tagebuch" ist eine Kolumne von Werner Reichel mit Wiener Streifzügen und Erkundungen. Werner Reichel ist Autor und Chefredakteur von Frank&Frei – Magazin für Politik, Wirtschaft und Lebensstil.

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