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Die verlogene Welt der 68er

Die Chiffre "68" gilt heute als wichtiger Wendepunkt der Nachkriegsgesellschaft. Dabei wird oft ausgeblendet, dass dieses – oft nur als Generationenkonflikt verstandene – Phänomen wichtige Vorläufer hatte, die schließlich eine explosive gesellschaftliche Gemengelage erzeugten. Mit durchaus unterschiedlichen Folgen in den einzelnen Ländern.

Da waren einmal die fortschreitende Dekolonisierung, die kubanische Revolution sowie der Vietnam-Krieg, die erstmals die Grenzen der Großmächte aufzeigten. Dazu kamen innerstaatlich selbstbewusst auftretende Bürgerrechtsbewegungen in Irland und den USA (1963: Marsch auf Washington, 1964: Bürgerrechtsgesetz). Da war das 2. Vaticanum (1962-65) schon im Gang, das – ohne dies bewerten zu wollen – eine Abkehr von liebgewordenen Traditionen und eine gewisse Verunsicherung der Gläubigen brachte. Ab 1966 faszinierte Maos "Kulturrevolution" die westliche Linke, die banale Sprüche skandierend den chinesischen Kommunismus als erfrischende Alternative feierte. (Dass dies ein zehnjähriger Machtkampf innerhalb Chinas KP mit Millionen Opfern war, hatten die Salonsozialisten im Westen – wie so vieles andere auch – nicht begriffen. Deshalb wurden wohl auch gerne Poster der Massenmörder Mao, Ho Tschi Minh und Stalin geschwenkt.)

Keine Frage, es gab nach den harten Jahren des Wiederaufbaus schon einen bescheidenen Wohlstand und den Wunsch nach Veränderungen: im Familien- und Eherecht, im Strafrecht oder etwa in Fragen der Mitbestimmung in Unternehmen und Hochschulen. Die 68er haben diese Themen nicht erfunden, sie waren bereits in Diskussion beziehungsweise in Vorbereitung, wie etwa auch die Frauenemanzipation, Reformen im Strafrecht sowie der Ruf nach sexueller Befreiung. Nicht zu vergessen die revolutionären Entwicklungen in der Jugendkultur, von der Popmusik, die damals einzigartige Höhepunkte erreichte, über die Mode bis zu einem neuen Lebensstil. Im "Summer of Love" in Kalifornien 1967 manifestierte sich deutlich dieses neue Lebensgefühl – Drogen inklusive.

Während sich der Protest in den USA auf die Bereiche Civil Rights, Womens' Liberation, den Vietnam-Krieg und die Lockerung gesellschaftlicher Konventionen fokussierte ("Make Love Not War") stand etwa im Mai 1968 Frankreich am Rande eines Bürgerkrieges. Hier ging es nicht nur um bessere Studienbedingungen sondern auch um einen Kampf gegen das gaullistische Establishment und massive Forderungen der Arbeiterschaft. Viele Gewerkschaften und deren Mitglieder solidarisierten sich mit den radikalisierten Studenten, die in Paris an die 60 Barrikaden für den Straßenkampf errichtet hatten.

Intolerante Feinde der offenen Gesellschaft

Zu dieser Solidarität von Arbeitern und Studenten kam es in Deutschland (und Österreich) nicht. Hier ging es einerseits um bessere Studienbedingungen sowie andererseits um einen radikalen Umbau der Gesellschaft. Pseudowissenschaftlich unterfüttert durch die "Kritische Theorie" der "Frankfurter Schule" war eine kritische Analyse der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft angesagt sowie insbesondere die Aufdeckung ihrer "Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen" und die Entlarvung ihrer (faschistischen) Ideologien. Es ging um eine "Abrechnung" mit der Elterngeneration und einem latent faschistischen Establishment mit dem Ziel einer aufgeklärten Gesellschaft mündiger Menschen. Soweit die schöne Theorie. In Wahrheit entstand eine radikale, intolerante Bewegung, die Sozialismus meinte, wenn sie von Freiheit sprach, die gegen eine "offene Gesellschaft" gerichtet war, wie sie Karl Popper postuliert hatte. Rede- und Denkverbote wurden brutal exekutiert, Andersdenkende niedergebrüllt oder sogar mit physischer Gewalt entfernt. Die Funktionärskaste des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) wähnte sich im Besitz der gesellschaftlichen "Wahrheit", Diskussionen mit Andersdenkenden, die das "Schweinesystem" repräsentierten, waren sinnlos, denn die waren ja Faschisten.

Chaotische Zustände auf deutschen Hochschulen

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) – 1961 von der SPD ausgeschlossen – dominierte ab Mitte der 60er Jahre unter seinem charismatischen Anführer Rudi Dutschke die deutsche Hochschulpolitik. Er verstand sich als Teil der internationalen Neuen Linken, seit 1966 auch als Teil der westdeutschen Außerparlamentarischen Opposition (APO) und vertrat einen antiautoritären Sozialismus. Nach dem Attentat auf Dutschke (11. April 1968) zerfiel der SDS in verschiedene, untereinander verfeindete kommunistische Gruppen (Marxisten-Leninisten, Trotzkisten und andere), linkssozialistische sowie auch einige terroristische Gruppen.

Ganz anders die Situation in Österreich. Zwar gab es auch hierzulande – unterstützt durch aus Deutschland importierte Polit-Hooligans – Störversuche bei Vorlesungen, Demonstrationen, Sit-Ins, Teach-Ins und was auch immer. Das Happening "Kunst und Revolution" – besser bekannt als "Uni-Ferkelei" – im Hörsaal 1 des NIG ist noch ebenso in Erinnerung, wie etwa gewaltsame Störmanöver bei einer Rektoreninauguration. Doch das gehört heute zur studentischen Folklore. Wichtig war, dass die Österreichische Hochschülerschaft die Sache im Griff hatte.

Von 1945 bis1968 hatte der "Wahlblock" – ein Wahlbündnis aus ÖCV, KV, KÖL und FÖST, in dem wiederum der ÖCV dominierte – mit über 50 Prozent die Hochschulpolitik dominiert. Der RFS hatte so um die 30 Prozent, der VSStÖ pendelte bei zehn Prozent.

Im denkwürdigen Jahr 1968 kam es über Initiative von CVern zur Gründung der Österreichischen Studentenunion (ÖSU), da die Verbändekonstruktion als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde und nunmehr auch eine direkte persönliche Mitgliedschaft möglich war.

Die nächsten ÖH-Wahlen waren für 1969 angesetzt. Die Zeit für die neue Partei war knapp und der Start war chaotisch. Es gab keine Infrastruktur, man musste improvisieren. Zahlreiche Cartellbrüder engagierten sich für das neue Projekt, denn es ging um viel – man hatte die Zustände in anderen Ländern vor Augen. Und der Einsatz machte sich bezahlt, die ÖSU kam im Jänner 1969 auf sensationelle 49 Prozent, der RFS auf 29 und der VSStÖ auf magere zwölf Prozent.

1971 konnte die ÖSU noch zulegen, und zwar auf 54 Prozent, der RFS kam auf 25 und der VSStÖ auf elf Prozent. Auch 1974 kam die ÖSU (42 Prozent) gemeinsam mit verbundenen Namenslisten auf über 50 Prozent, der RFS rutschte auf 21 Prozent und die sozialistischen Studenten kamen wieder nur auf 13 Prozent.

Die ÖSU, die sich als "Partei der progressiven Mitte" zwischen links (VSStÖ) und rechts (RFS) positionierte und effiziente Politik im Interesse der Studenten betrieb, verhinderte damit linke Mehrheiten (und Zustände) wie in Deutschland, Frankreich oder Italien.

Keine kommunistische Gesellschaft…

Hochschulpolitisch war also die Linke in Österreich gescheitert, aber auch allgemeinpolitisch sind die 68er europaweit total gescheitert. Ihr Traum von einer kommunistischen Gesellschaft blieb unerfüllt; im Gegenteil, zwei Jahrzehnte später sollte der "reale Sozialismus" hinter dem Eisernen Vorhang jämmerlich zusammenbrechen.

Dennoch sind die Nachwirkungen dieser Bewegung enorm. Einige der Fundamentalisten drifteten in die Kriminalität ab: etwa zu den antiisraelischen und antisemitischen Stadtguerillas oder zur mörderischen RAF, die auf eine Abschaffung der bestehenden Ordnung abzielte und jahrelang den demokratischen Rechtsstaat in Atem hielt. Auch die "fortschrittliche" Mühl-Kommune, vom linken Feuilleton jahrelang als alternatives Projekt hochgejubelt, endete schließlich mit der Auflösung und Verurteilung des Gründers.

Das Gros der Mitläufer und "Realos", die mit der linken Phrasendrescherei ohnehin nicht viel anfangen konnten, hatte bald begriffen, dass die proletarische Revolution und das Ende des Kapitalismus wohl noch etwas dauern würden und traten den "Weg durch die Institutionen" an. Sie wurden erfolgreiche Börsenspekulanten, Sektionschefs und Journalisten. Auch als Lehrer/Hochschullehrer konnten sie "erfolgreich" als Multiplikatoren wirken. Diejenigen, die sich weiterhin politisch betätigen wollten, erkannten rasch, dass die Chancen für kommunistische Parteien gleich null waren und unterwanderten konsequent die sozialistischen Parteien und vor allem auch die damals noch junge grüne Bewegung.

…aber signifikante Nachwirkungen

Demgemäß ist die gesellschaftliche Wirkung bis heute enorm. Die Familie wurde in Misskredit gebracht, die bürgerliche Ehe verspottet. (Fällt niemandem auf, dass die gleichen, die verbissen bürgerliche Ehe und Moral bekämpften und für "offene Beziehungen und alternative Lebensmodelle" warben, heute vehement die Homo-Ehe fordern? Einfach spießerhaft!) Die antiautoritäre Erziehung wurde propagiert, sie hat – wie die autoritäre – nicht funktioniert, aber enormen Schaden angerichtet; für die "ideale Kindererziehung" taugen ideologische Rezepte nicht, hier sind wohl primär menschliche Qualitäten gefragt, die sich ihrerseits aus positiven Erfahrungen in intakten Familien bilden. In der Schule wurde durch eine "verheerende Erleichterungsdidaktik" (Konrad Paul Liessmann) erreicht, dass heute hierzulande vier von zehn Volksschulkindern ihr Lernziel nicht erreichen und ein Viertel nicht sinnerfassend lesen kann. Das sind die katastrophalen Folgen einer Ideologie, die den Gleichheitsgrundsatz zur primitiven Nivellierung pervertiert hat.

Leistung, Fleiß, Anstand, Eigenverantwortung oder etwa religiöse Haltungen wurden zu Themen für Kabarettisten – ein Scherz über den Papst garantiert immer einen Schenkelklopfer. Bei den Themen Zuwanderung, Multi-Kulti und Islam verbietet man sich Satire und Kritik, weil sie ja nur rassistisch und faschistisch sein könne.

Was Alt-68er gar nicht gerne hören: Diese antibürgerliche, antireligiöse und antifamiliäre Bewegung begann einen "antikulturellen Zertrümmerungsfeldzug" (Torsten Krauel), der, darauf haben mehrere deutsche Experten – allen voran der Historiker Götz Aly in seinem Standardwerk "Unser Kampf" – hingewiesen, große Parallelen zum Aufstieg der Nazis aufweist. Die Vorlage für den konsequenten (Meinungs)Terror, die rabiate Ablehnung der parlamentarischen Demokratie sowie den Kampf einer neuen Generation gegen ein vermorschtes, verkommenes System haben die Nazis geliefert.

Verlogene Freiheitskämpfer

Nicht nur hier zeigen sich die Verlogenheit und die realitätsferne Scheuklappenmentalität der 68er. Im gleichen Jahr, in dem in Paris Massenunruhen stattfanden und in Deutschland der SDS die Hochschulen lahmlegte, gab es im kommunistischen Ostblock den "Prager Frühling", wo man versuchte, einen "Kommunismus mit menschlichem Antlitz" zu schaffen; eine völlig unrealistische Utopie, die auch postwendend von sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde. Für die Niederschlagung einer Studentenrevolte in Polen genügte den Machthabern der eigene Sicherheitsapparat.

Den "heroischen" Steinewerfern im Westen, die sich als "Freiheitskämpfer" verstanden, waren ihre Kommilitonen im Osten egal, sie werkten unbeirrt an der Zerstörung der bestehenden Ordnung. Und was die Emanzipation der Frauen betrifft: aus den Führungskadern der linken Studentenpolitiker sind von Rudi Dutschke über Daniel Cohn-Bendit bis Joschka Fischer nur Männer in Erinnerung, das bestätigt etwa auch die Witwe von Rudi Dutschke, wonach Frauen nur "schön sein, putzen und tippen, aber nicht diskutieren sollten".

Verlogen auch noch der heutige Anspruch der Alt-68er, die sich ihre Vergangenheit schönreden, wenn sie behaupten, sie wären die aufgeklärten Modernisierer gewesen, die uns erst so richtig demokratisiert hätten. Nichts könnte falscher sein. Im Gegenteil: heute –ein halbes Jahrhundert später – müssen mühsam Fehlentwicklungen korrigiert werden, etwa im Erziehungs- und Schulwesen, weshalb der neue Bildungsminister, der erste zaghafte Reformen setzt, bereits als "Anti-68er" bezeichnet wurde. Die Politik sollte ihn hier nicht alleine lassen, es bedarf einer nachhaltigen Trendumkehr in Richtung der Werte, Einstellungen und Tugenden, die durch die 68er unter die Räder geraten sind.

Dr. Herbert Kaspar war langjähriger Herausgeber bzw. Chefredakteur der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes. Der Beitrag ist sein adaptierter Gastkommentar in der Mai-Ausgabe dieser Publikation.

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