Wer den Menschen die Arbeit wegnimmt, begeht eine schwere Sünde

Nun, das sage nicht ich, sondern niemand geringerer als Papst Franziskus. Über die Generalaudienz am 15. März 2017 berichtet Radio Vatikan:

„Wer den Menschen die Arbeit wegnimmt, begeht eine schwere Sünde. Klare Worte des Papstes bei der Generalaudienz an diesem Mittwoch auf dem Petersplatz. Er kritisierte jene Geschäftsleute, die „aus wirtschaftlichem Kalkül" oder um bei Verhandlungen die Oberhand zu gewinnen, Menschen die Arbeit entziehen. Damit zerstörten sie „die Würde der Betroffenen“. In einer von ihm spontan im Redetext hinzugefügten Passage am Schluss der Audienz rief er vor tausenden Pilgern und Besuchern die Wirtschaftsverantwortlichen auf: „Tut alles in eurer Macht Stehende, damit jeder Mann und jede Frau eine Arbeit finden kann und so den Kopf hoch tragen und den anderen mit Würde ins Gesicht sehen kann. Wer aber für wirtschaftliche Manöver und nicht ganz transparente Verhandlungen Fabriken schließen lässt und so Arbeitsplätze beseitigt, der begeht eine schwere Sünde.““

Nun, wer den Papst kennt, wird sich über solche von ihm spontan hinzugefügte und inhaltlich nicht selten wirklich so weitreichende wie pikante Worte wohl nicht mehr wundern. Das macht er regelmäßig, wohl weil sein Herz mit ihm irgendwie durchgeht und das ist ja sehr sympathisch. Dann geht es ihm um die Not der Menschen und immer sagt er uns allen, wie wichtig der Mensch ist in seiner Würde und dass dieser im Zentrum unserer Überlegungen stehen muss.

Doch oft sind solche spontane Aussagen auch überschießend und simplifizierend. Sie haben schon einen wahren Kern, aber viele beschleicht das Gefühl, dass man es so nicht ausdrücken darf. Nicht selten nimmt dann der Vatikan später offiziell Stellung und stellt klar, was der Papst damit eigentlich gemeint habe. Eigentlich – soll heißen, dass er das eben nicht gemeint habe, was alle doch verstanden hatten. Klingt schon etwas nach einem Zurückrudern, ohne dies als ein solches zu bezeichnen. Ob das denn auch wahrhaftig ist? Na lassen wir diese Frage einfach offen.

In diesem Fall gab es bis jetzt ja keine solche vatikanische Interpretation und Richtigstellung dessen, was der Papst spontan gesagt hat. Wir verstehen es vielleicht doch einfach richtig, wenn wir es einfach auf uns wirken lassen. So habe auch ich mich gefragt – als einer von diesen Aussagen durchaus potenziell Betroffener – wie diese päpstlichen Aussagen bei mir ankommen. Und das klingt für mich dann so:

  1. Die Wirtschaftsverantwortlichen sollen alles in ihrer Macht Stehende tun, damit jeder Mann und jede Frau eine Arbeit finden kann und so den Kopf hoch tragen und den anderen mit Würde ins Gesicht sehen kann.
    1. Wer ist damit denn angesprochen? Wer soll alles tun, damit jeder Mann und jede Frau Arbeit findet? Und wer ist mit dem Begriff der „Wirtschaftverantwortlichen“ denn gemeint? Kann ein kleiner Gewerbetreibender diesem Aufruf gerecht werden, indem er Menschen Arbeit gibt, für die er eigentlich nichts zu tun hat? Und wie vielen soll er denn Arbeit geben? Einem, fünf oder gar zehn? Oder sind Konzernverantwortliche gemeint, die technische Neuerungen dann nicht einführen dürfen, wenn diese Arbeitsplätze kosten?
    2. Ist es wirklich schwere Sünde, Produktivitätssteigerungen abzulehnen, um der Arbeitsplätze von überholten Tätigkeiten willen? Sind IT-Systeme genauso von Übel wie Förderbänder, Produktionsautomaten und Roboter?
    3. Warum lässt der Papst die Politiker außen vor, die viel zu einem wirtschaftsfreundlichen Umfeld beitragen können, das erst die Schaffung von Arbeitsplätzen möglich macht?
    4. Meint er vielleicht auch das Arbeitsmarktservice, dessen Auftrag es ja gerade auch ist, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit jeder Mann und jede Frau eine Arbeit finden kann“?
    5. Will er – ohne dies klar zu sagen - die Überbürokratisierung geißeln, die arbeitsplatzvernichtend wirkt, oder die nationalen Abschottungen?
    6. Bricht er vielleicht gar eine Lanze für die WTO?
  2. Wer aus ökonomischen Gründen Fabriken schließen lässt und so Arbeitsplätze beseitigt, der begeht eine schwere Sünde.
    1. Seine Betonung der Bedeutung von Fabriksschließungen ist vielleicht einem konkreten Anlassfall geschuldet, aber weiß der Papst schon auch, dass das Gros der Arbeitsplätze schon lange nicht mehr in Fabriken zu finden ist?
    2. Hat er auch überlegt, dass es oft in Summe gesehen arbeitsplatzrettend ist, bestimmte unrentable Standorte zu schließen, um das Unternehmen insgesamt nicht zu gefährden? Versteht er das Prinzip der Markwirtschaft, dass jedes Unternehmen danach trachten muss, möglichst effizient zu sein, weil es sonst vom Markt verschwindet?
  3. Wer aber für nicht ganz transparente Verhandlungen Fabriken schließen lässt und so Arbeitsplätze beseitigt, der begeht eine schwere Sünde.
    1. Verhandlungen haben es oft einfach an sich, dass sie intransparent sind. Alle Karten aufzudecken führt wohl zu keiner besonders erfolgreichen Verhandlungsposition. Fordert der Papst also volle Transparenz in allen Verhandlungen?
    2. Wenn Fabriksschließungen eine schwere Sünde sein sollten, ist es besser diese Arbeitsplätze gegen jede wirtschaftliche Vernunft (vorläufig) zu retten, um damit die Insolvenz des ganzen Konzerns zu riskieren? Oder ist es ein Dilemma: Wer Arbeitsplätze abbaut, sündigt schwer, wer aber ein Unternehmen nicht vor der Insolvenz rettet, sündigt noch schwerer? Das wäre eine seltsame Logik!
  4. Was impliziert diese Position des Papstes für alle diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen könnten und dies nicht tun? Begehen auch sie eine schwere Sünde? Also derjenige, der ein Unternehmen gründen könnte, aber sich doch für einen Job als Angestellter entscheidet, jeder der eine Haushaltshilfe, einen Chauffeur etc. anstellen könnte und sich doch dazu entscheidet, seine Fenster selbst zu putzen und sein Auto selbst zu fahren? Sind dies alles schwere Sünden? Wohl kaum. Also geht es dem Papst um eine Bestandsgarantie von bestehenden Arbeitsplätzen und damit die Behinderung jeglichen technischen Fortschritts? Es klingt fast so und dennoch kann man sich schwer vorstellen, dass er das wirklich gemeint und durchdacht hat.

Irgendwie klingt das alles doch sehr nach Planwirtschaft und wir wissen nur zu gut, dass Planwirtschaft letzten Endes eine Maschinerie zur Arbeitsplatzvernichtung ist. Ich vermute, dass einfach wieder einmal sein Herz mit ihm durchgegangen ist und er vielleicht doch nur gemeint hat, wie besonders wichtig es für Entscheidungsträger aller Ebenen und aller Bereiche sei, immer die ganz konkreten Menschen mitzudenken, welche immense Bedeutung Arbeit für sie hat und auf deren Rücken keine leichtfertigen Entscheidungen zu treffen. So aber hat er in seinen Formulierungen faktisch jeden Unternehmer, der natürlich auch immer wieder Arbeitsplätze abbauen wird müssen, als potenziell schweren Sünder bezeichnet.

Für einen Papst, dessen Hauptanliegen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind, ein wahrlich seltsamer Zugang.

Mag. Johannes Leitner ist verheiratet und Vater von sechs Kindern. Er ist Leiter eines genossenschaftlichen Revisionsverbandes, Steuerberater und war langjähriger Leiter einer christlichen Laiengemeinschaft im Raum Wien. Er ist Mitautor des 2012 erschienenen Buches „Sexueller Missbrauch in Organisationen; Erkennen-Verstehen – Handeln“.

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