Macht der Gewohnheit

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So auch der Politiker. Dagegen ist zunächst nur wenig einzuwenden, verschaffen Automatismen unserem Alltag doch enorme Erleichterung und unserem Leben eine gewisse Ordnung. Dummerweise stellen sich viele unserer Gewohnheiten als schlecht und irrational heraus. Zudem gelingt die Veränderung bestimmter Eigenarten nur sehr schwierig, wenn überhaupt. Auch die Politik wird bestimmt von Gewohnheiten, welche mächtig sind.

Eine stellte sich dieser Tage reflexartig in Italien ein, nachdem sich das befragte Volk klar gegen die von Matteo Renzi propagierte Verfassungsreform ausgesprochen hatte. Wie schon David Cameron zuvor, provozierte der italienische Premier eine Volksabstimmung. Und verlor. Es folgte seine Rücktrittserklärung und die Hoffnung auf einen Kurswechsel. Hatte Renzi den Ausgang des Referendums ja an sein politisches Schicksal geknüpft.

Die Hoffnung auf Renaissance war freilich nur von kurzer Dauer. Wer sich angesichts der klaren Abfuhr für Renzi optimistisch zeigte, dass mit seiner Person auch die herrschende sozialdemokratische Politik weichen würde, wurde recht rasch mit der Wirklichkeit konfrontiert. Obwohl sechzig Prozent der Italiener gegen eine weitere Beschneidung der Demokratie gestimmt und somit ihren Vertrauensverlust in das etablierte System offen kundgetan haben, denken die Verantwortlichen nicht an Erneuerung.

Nein, das Votum wird als populistischer Akt dämonisiert, der Wählerwille wird eher in Frage gestellt als die eigene subjektive Selbstüberschätzung. Renzis politisches Erbe, anhaltende Rezension, eine Jugendarbeitslosigkeit von knapp vierzig Prozent, die dritthöchste Staatsverschuldung weltweit und ein Bankensystem mit faulen Krediten in der Höhe von 360 Milliarden Euro, wurde im Blitztempo an Gleichgesinnte übertragen. Fortsetzung folgt.

Paolo Gentiloni, bisheriger Außenminister und nun Renzi-Nachfolger, blockierte nach dem Referendum beharrlich jedwede Aussicht auf vorgezogene Neuwahlen und stellte prompt eine neue Regierung auf, bestehend aus alter Politik in alten Köpfen. Einer abwegigen Gedankenakrobatik folgend, wurden die Wähler von den Abstimmungsverlierern über den Tisch gezogen, die deutliche Botschaft des Volkes wurde kraft eigenen Selbsterhaltungstriebs umgedeutet.

Das ist nichts Neues: Die Eliten in Politik und Wirtschaft kümmern sich nicht um die Sorgen der Leute, sie bemühen fortwährend Hohlfloskeln und begnügen sich mit Verschleppungstaktiken. Siehe das Schweizer Votum gegen die Masseneinwanderung, das von den wohlmeinenden Volksverächtern erst verzögert und nun endgültig versenkt wurde, weil es sich diametral gegen ihre persönlichen Machtinteressen stellte.

Zurück zur italienischen Ignoranz: Fast alle Minister bleiben im Amt, die frühere Reformministerin Maria Elena Boschi, ihres Zeichens Initiatorin der Verfassungsreform, wird für das Wahlfiasko sogar mit einem einflussreichen Posten belohnt. Sie darf jetzt als Staatsekretärin Gentilonis rechte Hand mimen und sich darauf konzentrieren, Renzis Comeback bei den nächsten Wahlen vorzubereiten. Bis dahin wird alles so bleiben wie bisher. Gentiloni wörtlich: „Ich werde Renzis Arbeit fortsetzen.“

Für Politiker sind Gewohnheiten gefährlich, verstellen sie doch den Blick auf geforderte Lösungen und machen taub für die Botschaft des Volkes. Der als sozialistische Heilsbringer angetretene Renzi wurde nach nur knapp drei Jahren aus dem Amt gejagt. Als Reaktion darauf schafft sich seine Partei eine eigene Realität, in der sie ihre Interessen optimiert, auch wenn diese mit denen der Bürger kollidieren. Die Botschaft war unmissverständlich. Angekommen ist sie dennoch nicht.

Mag. Jürgen Pock ist Kommunikationsexperte und Polit-Blogger.

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