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Warum die Stichwahl wiederholt werden sollte

Folgt man den meisten Kommentatoren, erscheint eine Wiederholung der nun von der FPÖ angefochtenen Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten sehr unwahrscheinlich: Konkrete Manipulationsvorwürfe wurden nicht erhoben, und die bekannt gewordenen Rechtsverletzungen wie eine zu frühe Stimmenauszählung in manchen Bezirken sind überwiegend formaler Natur. Doch Demokratie lebt nicht nur von (gerade noch) hinreichender formaler Korrektheit, sondern ganz entscheidend vom Vertrauen der Bevölkerung in die Lauterkeit aller an einer Wahlhandlung Beteiligten.

Genau dieses Vertrauen erscheint bei dieser Wahl in einem bislang noch nie dagewesenen Ausmaß erschüttert. Für einen sehr großen Anteil der Bevölkerung ist nicht sichergestellt, dass der siegreiche Kandidat die Wahl tatsächlich nur durch die Mehrheit des Wählerwillens gewonnen hat. Was immer der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vorbringen wird: Er wird das verlorengegangene Vertrauen breiter Bevölkerungsschichten in die Rechtmäßigkeit dieser Wahl nicht wiederherstellen können.

Fehler können passieren, und die Stimmabgabe einiger erst 15-Jähriger in einer niederösterreichischen Gemeinde war gewiss ein solcher Fehler. Doch Dieter Böhmdorfer, der für die FPÖ die Wahlanfechtung einbrachte, spricht von 120.000 Wahlkarten, die noch am Wahlsonntag geöffnet wurden, und von sage und schreibe 573.000(!) Wahlkarten, die zu früh ausgesondert wurden. Man wird davon ausgehen müssen, dass es sich bei diesen Zahlen um keinen Publicity-Gag handelt, der jeder objektiven Grundlage entbehrt. Weder hat Böhmdorfer „Publicity“ nötig, noch könnte er sich als Spitzenanwalt haltlose Vorbringungen leisten.

Schon der enorme Anstieg an Wahlkarten innerhalb von nur vier Wochen sorgt angesichts zahlloser Manipulationsvorwürfe im Zusammenhang mit Wahlkarten bei früheren Wahlen nicht gerade für Vertrauen. Wohl gibt es keine Beweise für erfolgte Manipulation. Doch wenn ein Einzelner im stillen Kämmerchen Kuverts vorzeitig öffnet – und das hunderttausende Mal – weiß niemand, ob nicht da und dort, womöglich systematisch, Stimmzettel ausgetauscht wurden.

Zumal bei noch keiner Wahl die ungeschriebenen Gesetze der Zweiten Republik so sehr in Frage standen wie bei dieser. Der frühere ÖVP-Abgeordnete Michael Ikrath sprach ganz unverblümt aus, worum es gehe: „Das zu verhindern, was das Schlimmste für Österreich wäre, nämlich ein freiheitlicher Bundespräsident.“ Es geht also gar nicht um Hofer: Ein Freiheitlicher, gleich, wer es ist, darf nicht Bundespräsident werden. Punktum. Gerade weil die gesamte politisch-mediale Klasse sich zuletzt massiv und geschlossen hinter Van der Bellen stellte, bleibt ein äußerst flaues Gefühl zurück.

Es erhebt sich die Frage, ob es einer Demokratie gleichgültig sein kann, wenn bei einer Wahl, bei der es immerhin um das höchste Amt im Staat ging, und in der Folge auch bei künftigen Wahlen, für immer mehr Menschen das Vertrauen in die demokratischen Abläufe nicht mehr gegeben ist. Der Verlust dieses Vertrauens ist weitaus demokratiegefährdender als vieles, was als „Angriff auf die Demokratie“ tituliert wird (z.B. Genozidleugnungen).

Einem vielzitierten Diktum Ernst-Wolfgang Böckenfördes zufolge lebt der Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Auch die bedingungslose Lauterkeit aller an einer Wahlhandlung Beteiligten ist eine solche Voraussetzung. (Bewährt sich diese Lauterkeit im Zuge von Wahlhandlungen, so schafft die Demokratie in diesem Fall auch durch sich selbst das Vertrauen in sie selbst.)

Es geht jetzt nicht darum, so lange wählen zu lassen, bis den Unzufriedenen und Zweifelnden das Ergebnis „passt“. In diesem Punkt ist ohnehin die EU vorangegangen, manch nationale Abstimmung so lange wiederholen zu lassen, bis eine proeuropäische Mehrheit erzielt ist. Es geht einzig darum, dass nur eine Wiederholung der Stichwahl geeignet scheint, das Vertrauen breiter Bevölkerungskreise in die Rechtmäßigkeit dieser und mithin künftiger Wahlen wiederherzustellen. Rechtlich gesehen, muss die Wahl wohl nicht zwingend wiederholt werden. Aber gebührte es sich nicht, diesen Schritt angesichts der offenbar enormen Zahl an Unregelmäßigkeiten und Rechtswidrigkeiten dennoch zu setzen?

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

 

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