Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen

Paul Collier schreibt über Migration und man könnte meinen, dass seine Erkenntnisse in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise gar nicht anwendbar wären. Sind sie aber doch, denn viele Menschen, die in diesen Monaten nach Europa gekommen sind, müssen wohl eher als Migranten gelten und nicht primär als Flüchtlinge. Und dazu kommt noch, dass sich die Themen, mit denen sich Collier befasst, ja grundsätzlich auf die Aufnahme von Menschen aus anderen Ländern beziehen, unabhängig davon, ob dies nun Flüchtlinge sind oder Migranten.

„Ist aber Migration nun gut oder schlecht?“ Collier meint ganz grundsätzlich, dass dies die falsche Frage sei und ungefähr so sinnvoll, wie zu fragen, ob zu essen gut oder schlecht sei. Es geht nicht um gut oder schlecht, sondern um das Maß der Migration. Kurz gesagt sieht Collier ein bestimmtes Maß an Migration als durchaus positiv, meint aber, dass diese ab einer bestimmten Größenordnung massiv problematisch wird.

In der Folge einige seiner Erkenntnisse die, wie ich meine, gerade für die aktuelle Situation von erheblicher Bedeutung sein können.

1. Migrationsdruck Drei wichtige Dinge, die wir über die Antriebskräfte der internationalen Migration wissen:

  • Migration ist auch eine ökonomische Reaktion auf die Einkommenskluft. Wenn alles andere gleich ist, wird der Druck auszuwandern umso größer, je tiefer diese Kluft ist.
  • Die zweite Erkenntnis ist, dass es eine Vielzahl von Migrationshindernissen gibt – ökonomische, rechtliche und soziale –, die sich addieren, sodass die Migration zur Investition wird: Bevor man einen Gewinn erzielen kann, muss man die Kosten aufbringen. Das wird den Ärmsten der Armen wohl gar nicht gelingen. Deshalb erhöht sich der Migrationsdruck auch in dem Maße, als sich der Wohlstand in armen Gesellschaften vermehrt und sie sich daraufhin Migration erst leisten können.
  • Die dritte Erkenntnis zeigt, dass Migration umso leichter wird, wenn es in den Aufnahmeländern bereits eine Gemeinde aus dem jeweiligen Herkunftsland gibt und damit ein unterstützendes Netzwerk im Einwanderungsland besteht.

Die Migrationsrate hängt also von der Tiefe der Einkommenskluft, dem Einkommensniveau in den Herkunftsländern und der Größe der Einwanderergemeinden in den Aufnahmeländern ab. Migration schafft Auslandsgemeinden, und Auslandsgemeinden schaffen Migration. Doch je größer diese Auslandsgemeinden dann sind, desto mehr werden die Migranten unter sich bleiben und umso schlechter gelingt Integration. Zu einem umso größeren Migrationsstrom wird es dann kommen, wenn eine tiefe Einkommenskluft sowie eine große Einwanderergemeinde in den Aufnahmeländern und ein ausreichendes Einkommensniveau in den Herkunftsländern vorhanden sind.

Die Migrationsdynamik wird dabei entscheidend jedoch nicht von den Herkunftsländern bestimmt, sondern durch die Aufnahmeländer. Wenn in den Aufnahmeländern jedoch Migrations-Restriktionen von vornherein als ethisch unzulässig gewertet werden, wird die Migration Ausmaße annehmen, die weit über all das hinausgehen werden, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. (Anm.: Collier hat das Buch im Jahr 2013 veröffentlicht!) Sind solche dagegen zulässig, wird der Forderungsdruck enorm zunehmen, wie die Prinzipien und Techniken der Kontrolle ausgebaut werden müssen, um dem entgegenzuwirken.

2. Faktoren der Migrationsdynamik

  • Der erste Faktor besteht in der Erkenntnis, dass die Migrationsdynamik von der Größe der Auslandsgemeinde abhängt: Je größer diese ist, desto leichter wird die Migration.
  • Der zweite Faktor besteht darin, dass Migration eben diese Auslandsgemeinde vergrößert, während die Absorption in die Mehrheitsgesellschaft (also Integration) sie verkleinert.
  • Der dritte Baustein schließlich ist die Erkenntnis, dass die Integrationsrate von der Größe der Auslandsgemeinde abhängt: Je größer diese ist, desto langsamer verläuft die Integration, Collier spricht hier von der „Absorptionsrate“.

Da die schiere Größe ein entscheidender Aspekt von Auslandsgemeinden ist, tendieren solche dazu, sich in Städten zu formen und Migranten dazu, sich dort zu konzentrieren. Ohne eine entgegenwirkende Politik haben sich z.B. die Einwanderer in Großbritannien im Lauf der Zeit immer stärker in wenigen Städten konzentriert, insbesondere in London. Der britische Zensus von 2011 hat ergeben, dass die einheimischen Briten in ihrer eigenen Hauptstadt bereits zu einer Minderheit geworden sind. Auch in anderen Städten gibt es beachtliche Konzentrationen von Einwanderern.

Koopmans hat außerdem festgestellt, dass großzügige Sozialleistungen die Integration verlangsamen, da sie Einwanderer verleiten, auf den untersten Stufen der sozialen Leiter zu verharren. Natürlich verleiten sie auch die einheimische Bevölkerung, aber für Einwanderer scheinen sie verlockender zu sein, da sie an einen deutlich niedrigeren Lebensstandard gewöhnt sind. Dagegen scheint selbst das bescheidene Einkommen, das man vom Sozialsystem erhält, attraktiv zu sein, sodass der Anreiz, mehr Geld zu verdienen, indem man sich eine Arbeit sucht, relativ schwach ist.

3. Integration als Schlüssel

Für Collier ist klar, dass Multi-Kulti nicht funktioniert. Das Memento der heutigen Debatte lautet dementsprechend Integration. Aber schaffen wir Integration denn überhaupt? Was nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass der Historiker Michael Ignatieff in Kanada für viel Aufregung sorgte, als er den Versuch für gescheitert erklärte, eine sprachübergreifende gemeinsame Identität von frankofonen Quebecern und anglofonen Kanadiern der übrigen Provinzen zu schaffen. In Belgien, gegenwärtig das Land, das am längsten ohne Regierung war – weil Flamen und Wallonen sich nicht auf eine Koalition einigen konnten –, wurde nicht einmal versucht, eine gemeinsame Identität zu schaffen. Wenn schon das nicht gelingt, wie sieht es dann um die realistischen Erfolgsaussichten einer Integration aus, die sehr viel weiter entfernte Kulturen miteinander verbinden möchte?

4. Migration und ihre Auswirkung auf den Wohlstand eines Landes

Das Nationalgefühl hat seine Vorteile. Zwar darf man nicht vergessen, dass es missbraucht werden kann, aber das Gefühl einer gemeinsamen Identität stärkt auch die Fähigkeit zur Kooperation. Dies zeigt sich bei der Steuererhebung und den öffentlichen Ausgaben. Die Ablehnung der nationalen Identität kann also kostspielig werden, verringert sie doch die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und die soziale Gleichheit.

Für eine dauerhafte Zusammenarbeit, die Kooperationsrenditen erst ermöglicht und damit den Wohlstand steigen lässt, ist Vertrauen unabdingbar. Das Ausmaß, in dem Menschen bereit sind, einander zu vertrauen, unterscheidet sich jedoch von Gesellschaft zu Gesellschaft erheblich. Bei einem hohen Maß an Vertrauen arbeiten die Menschen besser zusammen und die sozialen Kosten der Kooperation sind geringer, da weniger Zwangsmaßnahmen erforderlich sind.

Entscheidend für den Erfolg eines Landes ist dabei sein Sozialmodell, also die Kombination von Institutionen, Regeln, Normen und Organisationen. Trotz aller Unterschiede im Detail besitzen jedoch alle Länder mit hohen Einkommen gut harmonisierte Sozialmodelle.

Migranten allerdings fliehen zumeist aus Ländern mit nicht funktionierenden Sozialmodellen, aus Kulturen, die zwar zu respektieren, die gleichzeitig aber nicht selten die Hauptursache der herrschenden Armut sind. Qualifizierte Arbeiter, die aus armen in reiche Länder auswandern, wechseln in ein anderes Sozialmodell, was potenziell eine deutlich ansteigende Produktivität zur Folge haben kann.

5. Folgen der Migration für die einheimische Bevölkerung

Migration wird zwangsläufig wachsen, wenn sie nicht durch wirksame Kontrollen aufgehalten wird. Doch welche Folgen hätte es für die einheimischen Bevölkerungen, wenn die Einwanderung in ihre Länder beträchtlich zunähme. Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, wie schnell die Einwanderer mit der Aufnahmegesellschaft verschmelzen.

Jedenfalls erhöht Migration die Diversität in einem Land. Dies bringt aber auch Probleme mit sich, denn der Erfolg einer modernen Gesellschaft beruht wesentlich auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl, das gegenseitige Rücksichtnahme ermöglicht. Diese ist weit mehr als nur gegenseitiger Respekt, nämlich Sympathie und Mitmenschlichkeit. Der gegenseitige Respekt kann schon erfüllt sein, wenn man zu anderen eine respektvolle Distanz einhält. Hingegen fördert die gegenseitige Rücksichtnahme zwei Verhaltensweisen, die für eine erfolgreiche Gesellschaft grundlegend sind, nämlich:

  • Die Bereitschaft der Erfolgreichen, die weniger Erfolgreichen mit Transferleistungen zu finanzieren.
  • Die Bereitschaft zu Kooperationen, die in der Regel jedoch zerbrechlich sind.

In gewisser Hinsicht ist erfolgreiche Kooperation ein kleines Wunder, denn wenn alle anderen kooperieren, werden sie das jeweilige Ziel auch dann erreichen, wenn ich mich nicht beteilige. Ich werde dann als Trittbrettfahrer profitieren, ohne mich anstrengen zu müssen. Weshalb also soll ich mitmachen? Ernst Fehr, der Kooperationsforscher der Gegenwart schlechthin, macht klar, dass für Kooperation die Bereitschaft einer genügend großen Zahl von Menschen entscheidend ist, auch den zweiten Schritt zu tun, nämlich diejenigen zu sanktionieren, die nicht kooperieren. Geschieht das nicht, zerbricht Kooperation indem die Zahl der Trittbrettfahrer ansteigt. Doch in den meisten modernen Gesellschaften zögern die Menschen immer mehr, über das Verhalten anderer zu richten.

Wenn aber zur Gruppe derjenigen, die eher opportunistische als kooperative Strategien verfolgen, unverhältnismäßig viele Einwanderer gehören, kann Bestrafung leicht als Diskriminierung missverstanden werden. Als Folge widerstrebt es den Menschen noch mehr, diese Gruppen zu strafen.

Gerade das bequeme Gutmenschentum hängt davon ab, ob es eine Minderheit gibt, die bereit ist, klare Urteile zu fällen. Zu strafen ist kostspielig, weshalb die Menschen nur dann dazu bereit sind, wenn sie nicht nur eine gewisse Gutmütigkeit internalisiert haben, sondern auch die moralische Empörung über Trittbrettfahrer. Kooperative Leistungen sind fragil, weil nur genügend Menschen vor Bestrafung zurückschrecken müssen, um die Nichtbeteiligung zur vernünftigen Strategie zu machen. Wenn manche Menschen eine Heldenrolle ausfüllen, indem sie die Nichtbeteiligung an kooperativen Anstrengungen bestrafen, bereitet das wiederum „Superschurken“ die Bühne. Diejenigen, die nicht kooperieren, sind die kleinen Gauner; die „Superschurken“ sind diejenigen, die die Helden bestrafen.

Vertrauen und Kooperation entstehen nicht von selbst und das  Fehlen von Vertrauen ist ein Grund dafür, dass arme Gesellschaften arm sind. Migranten aber bringen nicht nur das in ihren eigenen Gesellschaften angesammelte Humankapital mit, sondern auch deren Moralvorstellungen und deren (oft defizitären) Vertrauensspiegel.

Beispiel:

In einer Studie über kulturelle Verhaltensunterschiede haben Ray Fisman und Edward Miguel die Bezahlung von Parkgebühren durch ausländische Diplomaten in New York untersucht. Im Untersuchungszeitraum genossen die Diplomaten Immunität vor Strafverfolgung, sodass ihre eigenen ethischen Maßstäbe das einzige Gegengewicht zur Versuchung bildeten, die Gebühren nicht zu zahlen. Fisman und Miguel stellten fest, dass das Verhalten von Diplomaten verschiedener Staaten stark voneinander abwich, aber durch das unterschiedliche, in Standardumfragen ermittelte Korruptionsniveau in ihren Heimatländern erklärt werden konnte. Die Diplomaten brachten einfach nur ihre Kultur mit und hielten dauerhaft daran fest, ohne durch die in New York bestehenden anderen Moralvorstellungen zu einem Umdenken zu kommen.

Gegenseitige Rücksichtnahme innerhalb der Familie und zumeist auch innerhalb der lokalen Gemeinden ist in allen Gesellschaften die Regel. Aber einkommensstarke Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass die gegenseitige Rücksichtnahme eine wesentlich größere Gruppe umfasst, nämlich alle Landsleute. So sind beispielsweise Franzosen eher als Nigerianer bereit, miteinander zu kooperieren und Transfers an Mitbürger vorzunehmen, worauf eine Reihe von Institutionen und Normen beruhen. Das hat es Frankreich ermöglicht, wesentlich wohlhabender und gleicher zu werden als Nigeria.

Doch eine wachsende Gruppe von Menschen mit niedrigem Vertrauensniveau kann für eine Gesellschaft destabilisierend wirken. Wenn die Zahl der Menschen zunimmt, die anstelle von kooperativen Strategien nach opportunistischen Regeln spielen, wird es auch für andere zunehmend nicht mehr vernünftig erscheinen, weiterhin kooperative Strategien zu verfolgen. Was das für einen Staat bedeutet, kann man sich ausmalen!

Der anerkannte Sozialwissenschaftler Robert Putnam aus Harvard, der führende Vertreter des Konzepts des „sozialen Kapitals“, hat anhand einer großen US-amerikanischen Stichprobe die Auswirkungen der Einwanderung auf das Vertrauen untersucht. Ergebnis: Je größer der Einwandereranteil in einer Gemeinde, desto geringer das Vertrauen zwischen Einwanderern und Einheimischen. Mit anderen Worten: Die Nähe führt nicht zu einem größeren gegenseitigen Verständnis, sondern zu mehr Misstrauen.

Jedoch ein anderes Ergebnis der Studie ist erstaunlich: Je mehr Einwanderer in einer Gemeinde leben, desto geringer wird das Vertrauen (und die Kooperationsbereitschaft) nicht nur zwischen den verschiedenen Gruppen, sondern auch innerhalb der jeweiligen Gruppen.

6. Integration – eine Frage der Identität(en)

Die Auswirkungen von Immigration hängen einerseits von ihrem Ausmaß und andererseits von dem Tempo ab, mit dem die Einwanderer sich den Vertrauensnormen der Aufnahmegesellschaft anpassen. Doch die einzelnen Länder unterscheiden sich erheblich darin, wie erfolgreich sie Einwanderer und deren Kinder dazu bringen, die Normen ihrer neuen Gesellschaft zu übernehmen. In den Vereinigten Staaten aufwachsende Kinder können kaum anders, als die dortigen Werte zu assimilieren. Für Europa gilt dies keineswegs. Tatsächlich häufen sich die Anzeichen dafür, dass das Gegenteil geschieht: Einwandererkinder widersetzen sich hartnäckiger als ihre Eltern der Anpassung an die Mehrheitskultur.

Jeder Mensch besitzt mehrere Identitäten, etwa als Arbeiter, Familienmitglied oder Staatsbürger. Wie jeder andere können auch Einwanderer verschiedene Identitäten annehmen. Doch wie sie diese Identitäten gewichten, beeinflusst ihr Verhalten. Anfangs wurden die Einwanderer aus der Türkei als vorübergehend im Land lebende Gastarbeiter betrachtet, bevor man auf eine Strategie des Multikulturalismus einschwenkte. Wenig überraschend hat sich weder die erste noch die zweite Einwanderergeneration in die Mehrheitsgesellschaft integriert. Mit Blick darauf hat Bundeskanzlerin Merkel den Multikulturalismus kürzlich für „absolut gescheitert“ erklärt. Deutschland befindet sich also unverkennbar am unteren Ende der Absorptionsskala, auf der abzulesen ist, wie schnell Einwanderer sich assimilieren. (Anm.: Insofern ist das „Wir schaffen das“ schon äußerst optimistisch!)

Wir haben jetzt zwei Blöcke von Behauptungen:

  • Der erste handelt von gegenseitiger Rücksichtnahme, die für das Vertrauen unerlässlich ist, das seinerseits die Kooperation und das Mitgefühl stärkt, die der sozialen Umverteilung zugrunde liegen. Vertrauen und Mitgefühl in großen Menschengruppen sind nicht naturgegeben, sondern auf dem Weg zu mehr Wohlstand erworben worden.
  • Beim zweiten Block geht es um Identität: Welche Identität Menschen annehmen, beeinflusst ihr Verhalten, oft werden das jedoch stereotype Verhaltensweisen aus ihrer Herkunftskultur sein. Je mehr sich die Einwanderer als Latinos und nicht als Amerikaner verstanden, desto geringer war ihre Kooperationsbereitschaft.  

7. Migration und die kulturelle Kluft

Die Diversität in einer Gesellschaft hängt nicht nur von der Zahl der Migranten, sondern auch vom kulturellen Abstand zwischen Einwanderern und einheimischer Bevölkerung ab.

Wie bereits besprochen, verlangsamt das Wachstum der Einwanderergemeinde die Integration. Eine plausible Annahme ist, dass die Integrationsrate umso kleiner sein wird, je größer der kulturelle Abstand zwischen Einwanderern und einheimischer Bevölkerung ist. Je größer der die Kulturen anfänglich trennende Abstand, desto länger wird es dauern, bis sie miteinander verschmelzen, wenn überhaupt.

Eine Folge davon kann sein, dass der Migrationsprozess immer weiter steigt, bis dieser durch staatliches Eingreifen gestoppt wird.  

8. Migranten: Auswanderer oder Siedler?

Der Wirtschaftshistoriker James Belich hat entdeckt, dass sich zwischen 1810 und 1830 ein schleichender Sprachwandel bei der Beschreibung der Migranten vollzog. Wurden sie um 1810 noch überwiegend als „Auswanderer“ bezeichnet, so war 1830 ein neuer Begriff üblich: „Siedler“.

Historisch waren Migranten oft genau deshalb so wertvoll, weil sie sich als Siedler verstanden und als solche auch ihr Know-How darüber mitbrachten, was einen Staat ausmacht und wie ein solcher zu organisieren und zu führen ist. Dadurch versetzten die Siedler die Länder, in die sie einwanderten, in die Lage, der Armut zu entkommen. Gleichzeitig bedeutete ihr Zustrom für die eingeborene Bevölkerung dennoch häufig nichts Gutes, siehe Amerika, siehe Australien etc.

Doch was geschieht, wenn Siedler aus armen Kulturen in reiche Gesellschaften mit der Absicht einwandern, ihre dysfunktionalen und armutserzeugenden Kulturen zu bewahren und zu verbreiten? Wohlhabende Gesellschaften hätten jeden Grund, solchen Siedlern gegenüber argwöhnisch zu sein.

Anders als Siedler lassen Auswanderer die Gesellschaft ihres Herkunftslandes hinter sich und schließen sich einer neuen an, weshalb es ihnen leichter fällt, die Notwendigkeit der Assimilation zu akzeptieren. Siedler dagegen haben nicht die Absicht, sich anzugleichen; sie wollen vielmehr auch in der Aufnahmegesellschaft ihre Werte und ihre Kultur (weitgestgehend) behalten.

Es bestehen also für Migranten konkurrierende Narrative:

  • Sie können traditionelle Einwanderer sein, die die Assimilation in die einheimische Kultur akzeptieren und anstreben und dabei auch selbst gewissermaßen etwas auf den Tisch legen, wovon alle profitieren.
  • Sie können Kulturseparatisten sein, die sich selbst von der einheimischen Gesellschaft isolieren, aber an deren Wirtschaft beteiligen, sie sind letzten Endes also Gastarbeiter.
  • Oder sie können Siedler sein und die Absicht verfolgen, ihre Kultur unter den Einheimischen zu verbreiten.

Bei der Integration in Vertrauenskulturen bleibt das Vertrauen auf einem hohen Niveau, weil die Migranten die Einstellungen der Einheimischen übernehmen. Migranten und Einheimische lernen, einander mit der gleiche Rücksichtnahme zu behandeln, die in der einheimischen Bevölkerung bereits üblich ist. Da sie ein ähnliches kulturelles Verhalten an den Tag legen, erkennen Migranten und Einheimische, wie ähnlich sie einander sind.

 

Buchbesprechung zum Buch „Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" von Paul Collier (Buch bei Amazon)

Mag. Johannes Leitner ist verheiratet und Vater von sechs Kindern. Er ist Leiter eines genossenschaftlichen Revisionsverbandes, Steuerberater und langjähriger Leiter einer christlichen Laiengemeinschaft im Raum Wien.

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