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Der neue Verhetzungsparagraph wirft seine Schatten voraus

Ab 1. Jänner wird der Verhetzungsparagraph § 283 StGB massiv erweitert, um u.a. auch Hetze wegen des Merkmals der „fehlenden Staatsangehörigkeit“ zu ahnden. Musste bislang die Gruppe, gegen die gehetzt wurde, hinreichend bestimmt gewesen sein, so sind fortan auch heterogene Großgruppen wie „Ausländer“ oder „Fremde“ vor Hetze geschützt. Ebenso Asylwerber und Flüchtlinge.

Diese Erweiterung scheint ihre Schatten vorauszuwerfen, wie ein wenige Tage vor Weihnachten über die Bühne gegangener Prozess zeigt: Eine Pensionistin hatte auf der Facebookseite einer Tageszeitung zu einem Bericht über den Besuch von Amnesty International im Flüchtlingslager Traiskirchen das Folgende gepostet: „Waffen kaufen, Gsindl entfernen, Notwehr“. Sie wurde (nicht rechtskräftig) zu 700 Euro Geldstrafe verurteilt.

Wo aber ist in dem inkriminierten Posting eine bestimmte Gruppe bezeichnet, wie sie der Verhetzungsparagraph bis 31.12.2015 sehr wohl fordert? In dem zugrundeliegenden Zeitungsbericht dürfte es kaum explizit um Tschetschenen oder um Afghanen gegangen sein, auf dass sich hieraus eine bestimmtere Gruppe als bloß die der Asylwerber bzw. „Flüchtlinge“ ergibt. Gegen Flüchtlinge zu hetzen, war bzw. ist 2015 noch straffrei!

Hinzu kommt: Ist mit „Gsindl entfernen“ überhaupt eine gesamte Gruppe gemeint, die als „Gsindl“ bezeichnet wird? Handelt es sich also überhaupt um eine pauschalisierende Aussage, oder ist das „Gsindl“ nur ein Teil einer noch dazu nicht näher bezeichneten und zudem höchst heterogenen Gruppe, aus welcher es „entfernt“ werden solle? Dieser Unterschied ist wichtig, denn ein Prozess vom November 2015 endete mit einer Verurteilung für die Aussage, jeder Moslem sei ein potentieller Terrorist. „Wenn Sie damals differenziert hätten, würden wir nicht hier sitzen“, erklärte der Staatsanwalt dem Angeklagten, „jeder“, so die Richterin, sei jedoch jeder. (Ob auf Grund des Worts „potentiell“ überhaupt gehetzt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Letzten Endes ist wohl jeder Mensch ein potentieller Mörder, Dieb oder Räuber.)

Doch auch, wenn nicht „jeder“ gesagt wird, unterstellt die Justiz, dass jeder gemeint war. Anders scheint es kaum zu erklären, wenn schon 2012 jemand, der zu einem Bericht über mutmaßliche türkische Erpresser gepostet hatte, dass man das „kriminelle Türkengesindel“ in zugeschweißten Zügen nach Ostanatolien schaffen solle, wegen Verhetzung verurteilt wurde. Es bedarf schon der sozialen Stellung und juristischen Gegenwehr eines Politikers, um ein Tatsachensubstrat, auf das sich eine Aussage (in diesem Fall: „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“) bezieht, von der Justiz auch als ein solches zugestanden zu bekommen.

Alle anderen müssen schreiben, dass sie nur diese bestimmten Türken bzw. Marokkaner meinen und auch dies einzig wegen ihrer Handlungen und nicht darob, dass sie Türken bzw. Marokkaner sind – auch in emotionaler Aufruhr, wohlgemerkt! Eigentlich viel verlangt für ein Land, das die Voraussetzungen für eine Deutsch-Matura in den letzten Jahren massiv gesenkt hat! Dass eine Aussage daran zu messen sei, wie ein durchschnittlicher Leser sie versteht, gilt für Teile der Justiz offenbar nur dann, wenn das Ergebnis gegen den Angeklagten spricht.

Gerade eine Formulierung wie „Gsindl“ geht immer über eine bestimmte Gruppe hinaus und bleibt zugleich im Umfang hinter dieser zurück. Sie ist, mit Hegel gesprochen, ein konkret Allgemeines und kein abstrakt Allgemeines. Niemand verortet „Gsindl“ nur unter Afghanen oder nur unter Tschetschenen, und niemand meint mit „Gsindl“ alle Afghanen oder alle Tschetschenen. So weiß es auch jeder Leser, und so ergeben es regelmäßig Rückfragen des Gerichts, um den Angeklagten dennoch auf eine abstrakte Allaussage festzunageln, die er getätigt habe.

Ist der Angeklagte gebildet, droht der „kleine Mann“ zum Maßstab der Rezeption zu werden, um auch getätigte Differenzierungen nicht gelten zu lassen, weil der „kleine Mann“ sie nicht verstehe. Ist er (was bei Verhetzungsdelikten oft der Fall ist) ungebildet, wird ihm die Spitzfindigkeit formaler Logik als Maßstab eines allgemeinen Verständnisses vorgehalten. Da ist es nur konsequent, es mit der Gruppe, gegen die gehetzt zu haben immerhin ein bedingter Vorsatz nachzuweisen ist, nicht allzu genau zu nehmen. Denn dann reicht es, dass gegen irgendwen auch immer „gehetzt“ wurde.

In diesem „Licht“ ist auch ein Strafverfahren aus 2014 zu lesen, wo sich jemand über Bettler echauffierte und postete, dass „diese Leute Dreck, Abschaum und wertlos sind.“ Bettler sind jedoch auch nach dem 1.1.2016 keine geschützte Gruppe! Gepostet wurde zwar in einer Facebook-Gruppe „Gegen rumänische und bulgarische Bettelbanden“, doch scheint die Staatsangehörigkeit der Bettler – auf die das Posting gar nicht Bezug nimmt! – nur Beiwerk. Entscheidend ist, dass es um aggressives Betteln ging, und nicht, dass es sich um rumänische oder bulgarische Staatsangehörige handelte.

In all den genannten Fällen stellt sich die Frage, warum nicht allerspätestens der Strafverteidiger auf das fehlende Tatbestandsmerkmal einer hinreichend bestimmten und auch tatsächlich geschützten Gruppe aufmerksam machte. Waren manche der Angeklagten gar nicht anwaltlich vertreten? Und wenn doch: Trauen sich Anwälte überhaupt noch, Verhetzungsvorwürfe inhaltlich auseinanderzusetzen und nicht bloß formale Tatbestandsmerkmale wie etwa die erreichte Öffentlichkeit in Frage zu stellen?

Dass auch Anwälte gefährlich leben, wenn Verhetzungsvorwürfe zum universellen Verfolgungsinstrument erhoben werden, zeigt eine weitere wenige Tage zurückliegende Verurteilung: In China wurde der regimekritische Bürgerrechtsanwalt Pu Zhiqiang wegen „Anstiftung zum ethnischen Hass“ verurteilt – also wegen Verhetzung! War die Gruppe, gegen die er gehetzt hatte, etwa durch das Merkmal der (kommunistischen) Weltanschauung bestimmt? Oder hatte Zhiqiang bei irgendeiner Gelegenheit irgendein Kriegsverbrechen angezweifelt, was in Österreich ab 1.1.2016 ebenfalls unter „Verhetzung“ fallen kann?

In Thailand wiederum wurde ein Facebook-User angeklagt, weil er eine Karikatur des Hundes des Königs geteilt hatte. Die Anklage lautete auf Majestätsbeleidigung (die in Thailand als „das“ Staatsverbrechen Nummer Eins in ähnlichem Rang steht wie in Österreich die „Wiederbetätigung“) sowie auf – „Volksverhetzung“. Die Internationalisierung des österreichischen Strafrechts ist, wie man sieht, in vollem Gange!

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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