Buchbesprechung: The Spirit Level Delusion

Bei seinem Erscheinen (2009) hat das Buch von Richard Wilkinson und Kate Pickett große Beachtung gefunden. Es hieß „The Spirit Level: Why more equal societies almost always do better“ (Gleichheit ist Glück. Berlin 2009). Das Medienecho war groß. Allzu gut passte es in das Credo der alten Linken, die sich immer gern als Neue Linke versteht: „Gleichheit“ ist eine alte Losung, die hier als Lösung präsentiert wird (nicht als Gleichheit der Chancen oder der Rechte, sondern der Ergebnisse; der Tocqueville’sche Unterschied wird im Buch wohlweislich nicht gemacht). Man ließ sich durch die Kernaussagen des Buches, die schon im Titel anklingen, bereitwillig zu der Meinung herumkriegen, die man vermutlich immer schon hatte: Ungleichheit ist ein Übel. Sie mache nicht nur die Gesellschaft krank, sondern (das ist neu!) auch den Einzelnen; ja mehr noch: Ungleichheit in der Gesellschaft senke die Lebenserwartung.

Wirklich geprüft haben die begeisterten Kommentatoren die der Behauptung zugrundeliegenden Daten offensichtlich nicht. Die letztere These hatte R. Wilkinson schon 1992 bzw. 1976 vertreten. Aber mit der Krise, die 2007 begonnen hatte, lohnte sich ein weiterer Aufguss – wenn auch mit alten Daten, die bei Erscheinen von „Spirit Level“ schon überholt waren. Nunmehr übernahmen sie viele Gutgläubige (Bereitwillige) – offensichtlich ohne einen professionellen Blick darauf zu werfen; sie bauten auf die Richtigkeit der Analyse. Aber viele Luftschlösser lösen sich in nichts auf, wenn man ihre Datenfundamente untersucht.

Eben dies tut Christopher Snowdon in seinem Buch „The Spirit Level Delusion“. Nüchtern und Schritt für Schritt. Er benützt dieselben Datenquellen wie Wilkinson und Pickett; einziger Unterschied: Sie sind aktueller und er inkludiert Länder, die jene (wohlweislich?) übergangen hatten.

Das Konzept von „Spirit Level“ ist einfach: Länder werden bezüglich des Grades der in ihnen herrschenden Gleichheit/Ungleichheit beschrieben. Als Maß dient der Abstand zwischen den untersten und obersten 20 Prozent einer Bevölkerung ihr Durchschnittseinkommen betreffend (Quelle: UN-Statistik). Snowdon kritisiert nicht den Maßstab – obwohl auch dies möglich wäre. Er übernimmt ihn vielmehr, um Wilkinson und Pickett (und Anhänger) mit den eigenen Analysewaffen zu schlagen.

Nach der Vermessung ganzer Länder bezüglich Gleichheit/Ungleichheit an Hand eines einzigen Merkmals hatte Wilkinson zu zeigen versucht, dass sein Kriterium Zusammenhänge mit einer ganzen Anzahl von Indikatoren aufweist: Dass z.B. höhere Ungleichheit mit einem schlechteren Gesundheitszustand der Bevölkerung, ja mit einer geringeren Lebenserwartung einhergeht. Das ist auch seine langgepflegte Hauptthese. Aber er erweitert sie durch die Behauptung, mehr Gleichheit sei auch förderlich für „Glück“ (Happiness, gemessen im World Value Survey); Vertrauen (in andere Menschen), mehr Arbeitsplätze, niedrigere Selbstmordraten, niedrigere Mordzahlen, mehr Spendenverhalten u.v.a.m.

Dieser – angeblich datengestützten – Behauptungen nimmt sich Christopher Snowdon kritisch an. Er bezweifelt nicht, dass Armut häufig mit einem schlechteren Gesundheitszustand und vielen anderen Übeln verbunden ist; er „zerlegt“ aber eindrucksvoll die These, dass es die „Ungleichheit“ in einer Gesellschaft ist, die als verursachender Faktor gelten kann.

Vom Umgang mit Statistik

Seine Stoßrichtung ist dabei nicht einmal der Hinweis auf die schlichte Wahrheit, dass aus Korrelationen keine Kausalschlüsse möglich sind. Das lernt man in jeder Einführung zur deskriptiven Statistik. Beispiele für „absurde“ Korrelationen gibt es schließlich zur Genüge (z.B. zwischen der Zahl der Vornamen eines Neugeborenen in alten Kirchenregistern und der Überlebensdauer der Kinder). Er macht auch nicht die größtenteils sehr sehr niedrigen Korrelationen (0.1 und weniger!), die sich aus den verwendeten Daten errechnen lassen, zum Hauptvorwurf. Er zeigt vielmehr, dass Wilkinson und Pickett selektiv vorgegangen sind (obwohl mehr Länderdaten verfügbar sind), dass sie alte Daten verwendeten (obwohl ihnen neuere, die ihrer These allerdings widersprochen hätten, vorlagen), dass sie auf der Hand liegende Erklärungen für die Situation in bestimmten Ländern einfach ignorierten – nur um ihre „große Idee“ von den verheerenden Folgen der Ungleichheit ungestört vertreten zu können.

Eine kritische Analyse dieser Art ist spannender als jeder Plagiatsvorwurf, wie er heute so gerne erhoben wird. Sie bestreitet den wissenschaftlichen Anspruch, den „The Spirit Level“ erhebt. Der Vorwurf lautet: Es werden Fakten ignoriert oder gar verfälscht. Hätte man sie berücksichtigt – und Snowdon zeigt das an Hand vieler Beispiele – wären die angeblichen „Zusammenhänge“ zwischen Ungleichheit und „Übeln“ glatt verschwunden.

Nun wäre ein Werk wie „Spirit Level“ und das darin enthaltene Credo nicht weiter beachtenswert, würde es nicht auch weitreichende Politikempfehlungen enthalten, die von „Gutgläubigen“ gerne aufgegriffen werden. Eine Schlussfolgerung von Wilkinson und Pickett lautet: Wirtschaftliches Wachstum hat keinen Effekt (mehr) auf die Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung. Es geht darum, die Ungleichheit zu reduzieren. Am besten durch höhere Steuern. Das nun klingt sehr vertraut. Aber die Behauptung, durch mehr Gleichheit der Einkommen entstünde eine gesündere, langlebigere und von vielen anderen Übeln befreite Gesellschaft, wird nur durch die Überzeugung der Autoren gestützt, nicht durch die von ihnen verwendeten Daten.

Es ist nicht das geringste Verdienst von Snowdon, dies durch detaillierte Analyse gezeigt zu haben. Die Lektüre lohnt sich für alle, die erfahren wollen, wie politisch Engagierte (auch Wissenschaftler) von ihren monokausalen Erklärungsmodellen und Theorien so besessen sind, dass sie sich die Daten zurechtbiegen, bis sie passen.

„…Menschen deuten oft nach ihrer Weise die Dinge – weit entfernt von ihrem Sinn“ (Cicero in W. Shakespeare „Julius Cäsar“ 1.Akt 3. Szene).

The Spirit Level Delusion: Fact-Checking the Left's New Theory of Everything, Christopher Snowdon

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung