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Der Besuch des (gar nicht so) alten Chinesen

Wenn der oberste chinesische Machthaber in Wien weilt, spielen sich Dinge ab, die lebhaft an Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ erinnern. Dieses Stück wird in Schulen und auf Theaterbühnen gerne als moralisierendes Lehrstück über die infame Niedertracht all der anständigen Bürger verwendet. Diese zeigt sich, wenn die Menschen plötzlich zwischen totaler Verarmung und großem Reichtum zu wählen haben.

Die alte Dame jenes Stücks fordert für die Entschuldung einer ganzen Stadt und die Übertragung eines riesigen Vermögens an deren Einwohner den Tod eines honorigen Einwohners der Stadt. Denn dieser hat ihr in ihrer Jugend Böses angetan. Sie wartet ab, wie die Bürger reagieren – bis am Schluss die Leiche auf der Bühne liegt.

Nicht anders verhält sich derzeit die Republik Österreich beim Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Hu Jintao. Österreich ist genauso gierig auf das Geld der Chinesen wie die Kleinstadt Güllen auf jenes der alten Dame. Der einzige Unterschied: Österreich existiert, Güllen ist eine Fiktion.

Noch liegen zwar keine menschlichen Leichen herum, aber die Republik opfert neuerlich bedenkenlos ein fundamentales Grund- und Freiheitsrecht: nämlich die Demonstrationsfreiheit. Die Stadt Wien wurde in ganzen Straßenzügen so weit geräumt und lahmgelegt, dass Herr Hu auch nicht einer einzigen tibetanischen Fahne oder eines sonstigen Zeichens des Protests ansichtig werden muss.

China hat dank des Wechsels zum Kapitalismus in der Wirtschaft große Erfolge errungen und den größten Devisenschatz irgendeines Staates angehäuft. Das erregt die Gier der schwer verschuldeten Alpenrepublik. Dieser ist es daher völlig gleichgültig, dass China in Sachen politischer Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat weiterhin eine brutale Einparteiendiktatur geblieben ist. Weil man von China Almosen haben will, darf man in Wien aber nicht einmal gegen jenes Land demonstrieren.

Das ist ein himmelschreiender Skandal. Nicht weil durch eine Demonstration in Wien die Tibetaner ihre Freiheit bekommen würden, sondern weil wir uns durch dieses Verbot die eigene Freiheit nehmen lassen, obwohl das Demonstrationsrecht durch Verfassung und Menschenrechtspakte garantiert ist. Das besonders Ärgerliche: Wenn es nicht um einen chinesischen Staatsgast geht, sondern wenn „nur“ eigene Bürger das Opfer sind, dann gilt "eh" wieder die Verfassung. Dann ist es sogar zulässig und wird auch aktiv von den Behörden geschützt, dass beispielsweise irgendwelche radikalen Tieraktivisten nicht nur durch Plakate und Sprechchöre öffentlich ihre Meinung kundtun können (was der Sinn des Demonstrationsrechtes ist), sondern dass sie darüber hinaus auch den Zutritt zu bestimmten Läden de facto weitgehend blockieren. Oder dass grüne Rad-Extremisten nicht nur der Allgemeinheit ihren Protest gegen was auch immer kundtun können, sondern auch stundenlang ganze Straßenzüge blockieren können. Was anderen Menschen zusätzlichen Benzinverbrauch und massiven Zeitverlust beschert.

Solange gegen Österreicher demonstriert wird, ist offenbar fast alles erlaubt - jedenfalls mehr, als anderswo unter Demonstrationsrecht verstanden wird, - einem chinesischen Diktator ist hingegen nicht einmal der Anblick einer unerwünschten Fahne zumutbar. Eine weitere Etappe auf dem stillen Todesmarsch Österreichs in den Unrechtsstaat.

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