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Die Helden sprechen österreichisch

Aus Krisen werden Helden geboren. Oder was wir dafür halten. Vor allem die USA haben einen großen Drang zu Helden. Für die einen ist es Barack Obama. Aber auch die andere Reichshälfte hat ihren Hero. Er heißt Ron Paul. Er ist nicht ganz so fesch, nicht ganz so jung, nicht ganz so eloquent. Seine Ideen wirken ebenso undenkbar und undurchsetzbar wie eine Gesundheitsreform bis vor kurzem noch gewirkt haben mag (auf manche). Bemerkenswert sind sie trotzdem.

Oberflächlich betrachtet erfüllt der Kongressabgeordnete Ron Paul alle Kriterien eines klassischen amerikanischen Konservativen: Er ist gegen Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehe, für das Recht, Waffen zu tragen, und für niedrige Steuern. Soweit so unspektakulär. Er war aber auch einer der schärfsten Kritiker von George W. Bush. Er war gegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit, die nach dem 11. September beschlossen wurden (Patriot Act) und er ist gegen die zahlreichen Auslandsabenteuer der Freiheits- und Demokratieverbreitungsarmee. (Das war Bush auch einmal, aber das ist schon lange her.)

Am spannendsten sind aber Ron Pauls ökonomische Ansätze. Der Arzt aus Texas ist in den über dreißig Jahren seiner politischen Laufbahn nicht müde geworden, immer wieder höflich darauf hinzuweisen, dass wir volle Kraft voraus auf den großen wirtschaftlichen Kollaps zusteuern. Doch der Kassandra der amerikanischen Hauptstadt war es nicht vergönnt, Glauben zu bekommen. Stattdessen verabschiedeten ihre Freunde ein Gesetz nach dem anderen, das hölzerne Pferde zeugte und vermehrte.

Kassandra warnte vor dem aus allen Fugen geratenen Budgetdefizit, ihre Rufe verhallten in den Marmorgängen des Kapitols. Sie kritisierte die Fiskalpolitik der Zentralbank, die mit viel zu niedrigen Zinsen dazu motivierte, Geld auszugeben, das keiner hat. Und sie wurde dafür als Rassist beschimpft, weil das nicht vorhandene Geld vor allem Minderheiten zugute kommen sollte. Propheten haben’s schwer.

Als den Amerikanern langsam dämmerte, in welchen Schlamassel sie sich reingeritten hatten, kamen jedoch einige von ihnen auf die schlaue Idee, den Onkel Doktor mal zu fragen, woher er denn das alles wusste. Nun, er hat nebst Medizin zum Privatvergnügen auch eifrig die Werke der Österreichischen Schule der Nationalökonomie studiert. Dort hat er gelesen, dass Wohlstand durch individuelle Freiheit entsteht. Dass zu große staatliche Eingriffe immer die Einschränkung der individuellen Freiheit bedeuten. Dass solche Eingriffe zu künstlichen wirtschaftlichen Blasen jenseits des freien Marktes führen und dass es einen ziemlich lauten Knall geben wird, wenn diese platzen. Und dass zu große staatliche Eingriffe, die in aller Regel über Budgetdefizite – sagen wir mal – vorfinanziert werden, uns eher heute als morgen auf den Kopf fallen werden, weil sie die Währung destabilisieren.

Kommt mir irgendwie bekannt vor. Vielleicht sollten auch wir Europäer dem Rat des Doktors folgen und mal in der philosophischen Mottenkiste kramen.

2008 bemühte sich Paul um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten durch seine Partei. Er wollte die Vereinigten Staaten komplett auf den Kopf stellen. Eine Revolution, bei der alle großen und kleinen Sünden gegen die Intentionen der Gründerväter korrigiert werden sollten. Eine Revolution für den freien Markt, gegen einen aufgeblasenen Staatsapparat und gegen das amerikanische Selbstverständnis als Weltpolizist.

Diese Revolution fand freilich (noch) nicht statt, aber sie war raffiniert inszeniert. Ron Paul hat das viel strapazierte Nationalpathos  „Freiheit“ mit der Anlehnung an den Actionfilm „V for Vendetta“ entstaubt; bei den kinofanatischen Amerikanern bekanntlich ein beliebtes Genre. Im Film kämpft ein maskierter Rächer „V“ einsam und allein gegen ein faschistisches Regime. Heroisch.

Aber es kommt noch besser. In Schritt 2 wurden die Gründungsmythen der jungen Republik bemüht. Am 16. Dezember 1773 begann die amerikanische Revolution mit der Boston Tea Party. Als Indianer verkleidete „Patrioten“ lehnten sich  damals gegen das Steuerdiktat der britischen Kolonialherrn auf und versenkten symbolisch eine ganze Schiffsladung Tee im Hafen von Boston. In einer reifen Demokratie im 21. Jahrhundert leert man keine Naturalien mehr in den Ozean, sondern schreibt einen Scheck für die Wahlkampagne des Kandidaten „V“.

In einem Land ohne jegliche staatliche Parteienfinanzierung ist das Sammeln von Spenden die wichtigste Disziplin eines Politikers in Wahlkampfzeiten. Spenden bedeuten Geld für Werbeminuten, Werbeminuten bedeuten Bekanntheitsgrad und öffentliches Interesse. Und das wiederum zieht Anhänger und weitere Spenden nach sich. Wenn alles gut läuft, hat man am Schluss genug Anhänger, die einen wählen, genug Geld, den Wahlkampf zu finanzieren und bekommt dafür einen befristeten Mietvertrag im Weißen Haus.

Besonders wohlorchestrierte und effektive Spendenaufrufe werden von den Medien auch noch mit ausführlicher Extraberichterstattung belohnt. Derzeitiger Rekordhalter ist Ron Paul, der am 16. Dezember 2007, am Jahrestag der Boston Tea Party, in 24 Stunden über 6 Millionen Dollar (knapp 4,5 Millionen Euro) sammelte.

Aber auch dieser medial viel beachtete Spendenrekord konnte Ron Paul nicht als ernsthaften Präsidentschaftskandidaten etablieren. Doch spätestens seit der Steuerzahler 2008 die Wallstreet, die Autobauer und andere marode Komapatienten der amerikanischen Wirtschaft künstlich am Leben erhalten muss, ist dieser Steuerzahler aus seiner Lethargie erwacht.

Seither ist das Zelebrieren der Tea Partys zum Lieblingssport der Stammtischpolitiker geworden. Landauf landab wird leidenschaftlich über die Verfassung, die Prinzipien des freien Marktes und amerikanische Tugenden philosophiert, Thomas Jefferson rezitiert und Ronald Reagan glorifiziert. Alles, was von diesem Weltbild auch nur marginal abweicht, ist Teil der großen sozialistischen (in den USA ein Schimpfwort) Weltverschwörung, an deren Spitze der Marxist Barack Obama steht.

Und der Europäer wundert sich wieder. Aus einem kreativen Werbegag ist eine landesweite Bewegung der Unzufriedenen geworden. Diese hat bei den jüngsten Wahlen in Massachusetts schon die Muskeln spielen lassen. Aber nicht nur der verdutzte Europäer weiß nicht recht, wie er das Ganze einordnen soll. Derweil fehlt dem „Angry mob“ noch ein charismatischer Leitwolf. Führende Republikaner zögern noch.

Einerseits wissen sie nicht, ob die radikal-konservative Protestbewegung nicht zu sehr den Mainstream-Wähler verprellt. Und andererseits kann niemand voraussagen, ob das Feuer der Entrüstung nicht bald wieder erlischt, wenn die USA mit Gesundheitsreform entgegen allen Erwartungen doch nicht zu einem stalinistischen Sklavenstaat mutieren. Das „Freeze-Movement“ der Aufrüstungsgegner in den 80-ern hat Ronald Reagan auch nicht aus dem Sattel geworfen und die Welt ist auch damals nicht untergegangen.

Und Ron Paul? Er wird weiter die Werbetrommel für die Österreichische Schule rühren, vielleicht auch pro forma 2012 für die Präsidentschaft kandidieren. Dann geht er zwar schon auf die achtzig zu. Als Revolutionsführer ist er dann wohl schon zu alt. Aber wer weiß, vielleicht finden Amerikas „Österreicher“ ja wieder einen erfolglosen Schauspieler als Galionsfigur.

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