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Die weißen SchimmelInnen und die jungen Friseurinnen

Irgendwie haben wir uns ja schon daran gewöhnt. Je erfolgreicher hierzulande eine Frau die Erfolgsleiter der Politik hinaufsteigt, umso verbissener und humorloser ist ihr Umgang mit dem Thema Frauen. Da muss als Zeichen der Annerkennung der – und auch das muss einmal neidlos zugegeben werden – vielen erfolgreichen Frauen in unserem Land dringend viel Geld für die genial-fortschrittliche Hymnenversion der großen Söhne und Töchter dieser Heimat ausgegeben werden. Was freilich noch das Harmloseste ist (wäre es nicht so lächerlich), was uns in Zeiten von ernsthaften Forderungen nach Frauen-Quoten in Aufsichtsräten oder „Gender-Budgeting“ passieren kann.

Wie entspannt sind doch da die Französinnen (die ja auch immer noch „Liberté! Egalité! FRATERnité!“ auf ihre Münzen prägen)! Etwa die Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, deren Performance in der Krise allseits bewundernd anerkannt wurde, ohne darauf hinzuweisen, dass sie eine Frau ist. Diese erfolgreiche Christine Lagarde legt Wert auf eine korrekte Anrede.

Grammatikalisch korrekt. Und daher politisch inkorrekt.

Sie weist die Anrede „Madame LA ministre“ zurück und besteht auf „Madame LE ministre“. Mit der simplen Begründung, dass der männliche Artikel die grammatikalisch richtige Wahl ist.

Bei uns geistert hingegen nicht nur das grausame „Binnen-I“ als Zeichen ultimativen Gleichberechtigungswillens herum. Nein, es muss auch noch die „Frau Präsidentin“ Prammer interviewt werden. Das ist der sprichwörtliche weiße Schimmel oder kleine Zwerg. Denn korrekt wäre einzig und allein die „Frau Präsident Prammer“ oder aber die (anredelose) „Präsidentin Prammer“.

Eine Winzigkeit, sicher, aber auch ein Zeichen für die fehlende Entspanntheit einer Gleichberechtigungs-Diskussion, die bei uns allzu oft ins Irrationale weist.

Wie relativ das Geschlecht in vielerlei Hinsicht heutzutage allemal ist, zeigt eine weitere Fußnote aus Frankreich. Die überaus mächtige Freimaurer-Loge „Grand Orient“ hat ihr erstes weibliches Mitglied. Und das, obwohl sich der Männerbund allen Forderungen, Frauen in die Bruderschaft aufzunehmen, standhaft verschließt. Wie die „Unterwanderung“ zustande gekommen ist, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Die Loge hat vor einem Jahr einen neuen Bruder aufgenommen. Und der hat nun das Geschlecht gewechselt. Die Realität hat die Theorie wieder einmal überholt.

Und trotzdem ist zweierlei nicht passiert: Weder hat die französische Freimaurerei die überraschende Schwester ausgeschlossen, noch hat sie sich in ihr Schicksal ergeben und sich Frauen allgemein geöffnet. Auch mit einer Frau in ihren Reihen geht das maurerische Business mit Kelle und Schurz männerbündlerisch weiter.

Es hat aber auch kein Triumphgeheul gegeben, dass diese Männerbastion nun endlich gestürmt ist. Anders als bei uns, wenn die langen und publicityträchtigen Kämpfe für die erste Philharmonikerin, die erste, zweite, dritte Rektorin und die sechste, siebente oder zehnte Sektionschefin ausgefochten sind. Vielleicht weiß man in Frankreich besser als hierzulande, dass solche Siege der Masse der Frauen genau nichts bringen.  Das sind Scheinaktivitäten genauso wie die Schokoladeverteilung an die Männer, die sich die Frauenministerin zum Internationalen Frauentag – den uns die längst untergegangenen kommunistischen Staaten hinterlassen haben – geschenkt hat.

Eine rationale Frauenpolitik hätte ein reiches Betätigungsfeld. Und sie könnte viele Probleme der gesamten Gesellschaft erkennen und lösen helfen – denn Schwächen eines ganzen Systems werden oft an Problemen einzelner Gruppen deutlicher sichtbar. Nur ein Beispiel: Angesichts der Tatsache, dass sich Mädchen offensichtlich für die ökonomisch falschen (weil schlechter bezahlten) Berufe entscheiden (Friseurin, Verkäuferin etc.), reicht es nicht, ein bisschen Werbung für Mädchen in Männerberufen zu machen. Oder – wie es die Gewerkschaft tut - nach dem volkswirtschaftlichen Harakiri eines 1300-€-Mindestlohns zu rufen, damit auch Verkäuferinnen mehr verdienen.

Da wird man wohl grundsätzlicher denken müssen. Man könnte sich die simple Frage stellen, ob denn 15 das Alter ist, wo man wirklich die richtigen Entscheidungen über die Berufswahl zu treffen imstande ist. Ob eine lebensentscheidende Wahl in diesem Alter, das in fast allen Fällen von den Wirren der Pubertät geprägt ist, nicht schlicht zu früh ist. Da geben dann die üblichen Kurzschlüsse den Ausschlag, dass Lernen megaout und das eigene Geld der Selbständigkeits-Himmel auf Erden ist. Auch bei den Burschen. Und in weniger finanzkräftigen Haushalten wird das Ende der Bildungskarriere auch gerne unterstützt, weil so das Familienbudget früher entlastet wird. Auch das ist ein Grund, warum Bildung, zumal höhere Bildung, vererbt wird. Und es ist sicher ein Grund, warum uns viel mehr großartige Köpfe aus den so genannten „bildungsfernen Schichten“ verloren gehen, als uns die vorgebliche Bildungschance Gesamtschule je retten wird.

In unserem Land versucht man immer noch mit den Mitteln der Vergangenheit die Zukunft zu gestalten. Mit überkommenen ideologischen, sprachlichen und gesellschaftspolitischen Schablonen, die nicht einmal zur Verwaltung der Gegenwart reichen. Bei der hohen Lebenserwartung, auf die wir heute hoffen dürfen, wäre es wohl nur richtig, später in die Berufswelt einzutreten (und sie auch erst später zu verlassen). In Deutschland, Belgien oder Holland liegt die Schulpflicht längst bei 18. Wir grundeln am unteren europäischen Ende. Und wollen eine Bildungsgesellschaft sein.

Das 21. Jahrhundert haben unsere Politiker noch nicht erreicht.

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