Erdbeben in Deutschland, Israel und den USA – und dessen 26 Hintergründe
07. November 2024 00:12
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 9:00
Gestern wurde hier analysiert, was Donald Trumps Wahlsieg für Europa bedeutet. Nur wenige Stunden später donnern sowohl die deutsche wie auch die israelische Regierung gegen die Wand. Das wird in beiden Ländern für dramatische Änderungen und Wendungen sorgen, deren genauer Inhalt aber vorerst noch völlig unabsehbar ist. Rot und Grün in Berlin werfen die FDP in einer hasserfüllten Atmosphäre hinaus, weil diese an der Schuldenbremse festhält und bei Sozialausgaben sparen will. Rot und Grün wollen aber erst im März oder April wählen lassen und bis dahin ausgerechnet mit Hilfe der CDU Haushalt und einige Gesetze durchbringen. Extrem zweifelhaft, dass die Union sich dafür hergibt, um Scholz zu helfen, noch fast ein halbes Jahr im Amt zu bleiben. Dabei ist die SPD nicht einmal halb so groß wie die Union. Wenige Stunden vorher wirft in Israel Premier Netanjyahu mitten in einem Mehrfachkrieg den überaus beliebten Verteidigungsminister hinaus. In beiden Ländern haben grundlegende Meinungsverschiedenheiten in der Regierung für massive persönliche Kontroversen und Aversionen gesorgt. Beide Schlüsselstaaten sind damit bis in die Wurzeln erschüttert – genau in dem Moment, da Amerika eine totale Umwälzung erlebt, weil Donald Trump nicht nur die Wahl gewonnen hat, sondern auch die Unterstützung des Kongresses haben wird. Genauso interessant ist aber vorerst, was der amerikanische Wahlausgang für die USA selbst bedeutet, und vor allem welche nationalen wie globalen Faktoren, welche psychologischen wie ideologischen Entwicklungen überhaupt zu ihm geführt haben. In der Folge seien 26 zentrale Aspekte des Wahlausgangs von Arroganz bis Zuwanderung herausgearbeitet.
Bunt gemischt die inneramerikanischen Aspekte:
- Die Machthaber: Fast überall verlieren derzeit weltweit die jeweiligen Machthaber gegen ihre Herausforderer, ob diese nun von links oder rechts gekommen sind – siehe Großbritannien, siehe Frankreich, siehe Deutschland, siehe Österreich, siehe Japan, siehe Kanada, siehe Italien, siehe Polen. Die Zeiten eines Amtsbonus scheinen in einem generellen Trend vorbei zu sein. Regierungen werden immer kritischer gesehen.
- Der Friede: Fast weltweit gewinnt jene Seite die Wahlen, die sich lauter in Friedens-Rhetorik ergeht, unabhängig davon, wie viel Realismus dahintersteht, unabhängig davon, dass Friede zu 99 Prozent von Entscheidungen Ressentiment-gefüllter Männer in Moskau sowie Teheran und nicht von den Wünschen der Wähler in den USA abhängt. Solidarität mit einem grundlos angegriffenen Land wie der Ukraine zählt hingegen weniger denn je.
- Das Impfen: Mit dem Versprechen, den radikalen Impfgegner Robert Kennedy zum Verantwortlichen für den Gesundheitsbereich zu machen, hatte Trump einen potentiellen Konkurrenten dazu gebracht, aus dem Präsidentenrennen auszuscheiden. Er hat damit auch einige fanatische Impfgegner für sich gewonnen, die eigentlich sonst eher im grünen und esoterischen Lager zu finden waren.
- Die Medien: Die Tatsache, dass bis auf einen Fernsehsender sämtliche mehr oder weniger großen Medien Trump vehement bekämpft haben, hat diesem letztlich Wählersympathien eingebracht. Denn Medien und Journalisten sind zunehmend unbeliebt, und es ist daher besonders kontraproduktiv, wenn sie so einseitig kampagnisieren. Daran ändert die Tatsache nichts, dass zwei um den Anschein der Unabhängigkeit bemühte Zeitungseigentümer ihren Redaktionen verboten haben, im Gegensatz zu früher sogar ausdrückliche Unterstützungs-Aufrufe für einen Kandidaten zu veröffentlichen (wobei es immer der demokratische gewesen ist) .
- Die Frau: Es ist kein Zufall, dass Trump mit seinem Machismo-Gehabe seinen zweiten Wahlsieg neuerlich gegen eine Frau als Gegenkandidatin errungen hat, während er dazwischen gegen einen Mann verloren hatte. Ansonsten waren bisher auf beiden Seiten absolut immer nur Männer zur Präsidentschaftskandidatur angetreten. Ein Teil der Wähler beiderlei(!) Geschlechts lehnt innerlich Frauen an der Machtspitze ab. Das trifft besonders – aber nicht nur – auf junge Männer aus dem schwarzen und dem hispanischen Milieu zu (daher scheint es übrigens besonders tollkühn, dass die britischen Konservativen gerade eine schwarze Frau an die Spitze ihrer Partei gehievt haben …).
- Die Frauen: Der Effekt eines unterschiedlichen Wahlverhaltens der Geschlechter (Männer wählen rechts, Frauen links) war lange nicht so stark wie angenommen.
- Die Jugend und das Alter: Es ist absolut verblüffend, dass der älteste je gewählte US-Präsident besonders von der Jugend gewählt worden ist (mit Ausnahme der Studenten), obwohl er noch vor wenigen Monaten selbst vehement gegen das noch höhere Alter seines vermeintlichen Gegenkandidaten Joe Biden polemisiert hat. Aber sein eigenes Alter hat der 78-Jährige mit Schminke und ein paar Tanzschritten bei Wahlkampfauftritten komplett aus dem Wahlkampf eliminieren können.
- Die Zuwanderung: Dass Migrationsthemen, dass Versprechen von Massenabschiebungen viele Wähler ganz stark motivieren, ist auch von europäischen Wahlen bekannt (wo ja das zusätzliche Megaproblem einer Islamisierung Ängste verdoppelt). Überraschend ist aber auf den ersten Blick hin doch, wie sehr dieses Thema in den USA gerade bei den früher demokratischen Arbeitern und bei den untersten sozialen Schichten gezogen hat, also auch bei Schwarzen und Hispanics. Auf den zweiten Blick wird aber klar, warum das so ist: Gerade in diesen Schichten muss man die Konkurrenz durch illegale Zuwanderer fürchten, die auch Jobs mit Niedrigstlöhnen annehmen, die den hier Geborenen Konkurrenz um billigen Wohnraum machen, und die als Gefahr für Law and Order gerade in den ärmeren Vierteln empfunden werden.
- Die Elite: Selten wie je zuvor war diese Wahl eine Konfrontation der weniger gebildeten Amerikaner gegen College-Absolventen, die als abgehobene und arrogante Oberschicht empfunden werden. Solcher Populismus war lange eigentlich eine klassische Strategie der Linken als "Klassenkampf" gegen Kapitalisten und Besitzende, bevor Trump sie als Waffe der politischen Rechten einsetzte.
- Die Intoleranz: Eng mit diesen Anti-Elite-Emotionen hängt die gewaltige Intoleranz an vielen US-Universitäten zusammen. Dort sind in den letzten Jahren oft als politisch inkorrekt empfundene Referenten am Auftritt gehindert worden. Dort haben wilde proislamische, propalästinensische und antisemitische Demonstrationen stattgefunden. Von dort sind Unsinnigkeiten wie der Transkult und die Ideologie vom beliebig wechselbaren "sozialen" Geschlecht ausgegangen sowie die "postkolonialen" Ideologiephrasen. Das alles hat für viel Empörung gesorgt.
- Die Arroganz: Eng damit hängen überhebliche Ausdrücke von führenden Demokraten über die Wähler Trumps zusammen, die als "Müll" (garbage) und "Beklagenswerte" (deplorables) bezeichnet wurden. Was Trump sofort ausnutzte, indem er im Wahlkampf als Müllmann und McDonald’s-Verkäufer auftrat, obwohl er mehrfacher Milliardär ist, während seine Gegenkandidatin eine echte Vergangenheit bei McDonald’s hat.
- Die Desorientierung: Die demokratische Partei ist in Wahrheit in zwei Teile zerbrochen. Der eine Teil will sich an jene wenden, die einst das Rückgrat der Partei gebildet haben und die den Demokraten diesmal großteils Ade gesagt haben, also an Arbeiter und Minderheiten. Die anderen wollen die Demokraten dauerhaft zu einer Partei der ideologischen Linken machen, der woken und palästinafreundlichen Studenten.
- Die Würde: Trump hat den Angehörigen ärmerer Schichten verbal die Rückkehr ihrer früheren Würde projizieren können. Trotz seiner Herkunft aus einer extrem reichen Schicht konnte Trump so reden wie ein Angehöriger der Unterschicht.
- Die Religion: Katholische (lateinamerikanische!), jüdische und evangelikale Wähler haben besonders stark für Trump gestimmt. Das ist eine totale Umkehrung früherer Trends, als die Republikaner als bloße Partei der "WASP" gegolten haben, der weißen angelsächsischen Protestanten (die zum Teil noch immer die Republikaner wählen), während Katholiken und Juden klar zu den Demokraten geneigt haben.
- Die Abtreibung: Zwar hat die linke "Choice"- (also Proabtreibungs-) Kampagne noch immer viele Frauen in ihrem Lager; sie ist zwar sehr lautstark, aber insgeheim auch abstoßend für viele andere Frauen und Männer; die Pro-Lebens-Kampagnen von vor allem jungen Amerikanern haben immer großen Zulauf.
- Die Sexualisierung: Die woken Kampagnen zur Frühaufklärung von Kindern in staatlichen Schulen, auch in Richtung Homosexualität und Transideen haben viele Familien empört, insbesondere die Mütter, was auch den Frauenbonus von Harris abschmelzen hat lassen.
- Die Latinos: Bei keiner anderen, früher demokratischen Wählergruppe gab es eine so starke erdbebenartige Verschiebung hin zu Trump. Da haben zweifellos die Religion und Abtreibung eine wichtige Rolle gespielt, aber auch die Ablehnung weiterer Zuwanderung. In dieser früher demokratischen Minderheit hat er 14 Prozentpunkte dazugewonnen und nun 46 Prozent (während bei den Schwarzen nur 13 Prozent für ihn gestimmt haben)
- Die Weißen: Hier hat Trump zwar marginal Anteile verloren, aber immer noch mit 57 Prozent eine klare Mehrheit.
- Die Inflation: Die Preiserhöhungen der letzten Jahre haben den Demokraten nachweislich schwer geschadet, obwohl die Biden-Jahre eigentlich wirtschaftlich und sozial sehr gut zu Ende gegangen sind: mit niedriger Arbeitslosigkeit, mit weit höherem Wachstum als in Europa und mit hohen realen (also auch nach Einberechnung der Preissteigerungen) Einkommenszuwächsen – aber dennoch ist den Amerikanern vor allem in Erinnerung, dass früher alles viel weniger gekostet hat. Nur 28 Prozent der Amerikaner waren daher am Ende der Biden-Zeit der Meinung, dass sich das Land in die richtige Richtung bewege.
- Das Wohlstandsgefühl: Trump konnte daher immer wieder seine rhetorische Schlüsselfrage stellen: "Geht es euch heute besser als vor vier Jahren?" Obwohl es dem Großteil der Amerikaner tatsächlich besser geht, hat die Inflation bei vielen den gegenteiligen Eindruck entstehen lassen, also die Dominanz der Perspektive, dass alles teurer geworden ist, während Menschen gern ignorieren, dass man noch viel besser verdient.
- Die Übertreibung: Selbst die Fülle von in Wahrheit absolut uneinlösbaren Wahlversprechen in alle Richtungen wurde Trump nicht übel genommen; sie wurden von manchen sogar geglaubt wie die Sprüche vom "goldenen Zeitalter" oder davon, dass es allen viel besser gehen werde, dass den Hochwasseropfern viel schönere Häuser gebaut würden.
- Das Klima: Trumps Ablehnung der für viele bedrohlichen Klima-Maßnahmen hat ihm zweifellos Sympathien eingebracht.
- Die Superreichen: In Amerika ist es – auch bei ärmeren Schichten – absolut kein Negativthema, dass Trump selber einer extrem reichen Familie entstammt, dass er sogar mit einem großen Privatflugzeug (das einer Linienmaschine entspricht) zu den Wahlversammlungen kommt, dass er von etlichen anderen Superreichen, wie dem Erfinder, Unternehmer und Twitter-Eigentümer Elon Musk lautstark unterstützt wird (der allerdings die Grenze zur strafbaren Wählerbestechung überschritten haben dürfte). Reichtum ist in den protestantisch-jüdisch geprägten USA ein Beweis, dass man es geschafft hat, dass man sein Leben richtig gestaltet hat, dass man tüchtig ist. Zugleich hat auch Kamala Harris aus Musk&Co nie ein Argument machen können, wurde doch auch sie – sogar in noch größerer Zahl – von sehr reichen Menschen wie Bill Gates, Michael Bloomberg oder George Soros unterstützt.
- Die Freiheitseinschränkungen: Marc Andreessen, einer der besonders erfolgreichen Trump-Unterstützer aus der Welt der Elektronik-Unternehmer, hat den Wust an die Wirtschaft lähmenden Reglementierungen und grünen Schlagworten sehr pointiert und empört aufgezählt: "Nachhaltigkeit", "existenzielle Risiken", "ESG" (die modische Berichtspflicht zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung), "nachhaltige Entwicklungsziele", "soziale Verantwortlichkeit", "Stakeholder-Kapitalismus", ""Vorsichtsprinzip" oder "Risikomanagement".
- Die Prozesse: Die vielen Verfahren gegen Trump wurden von den Wählern überwiegend als politisch motiviert eingeschätzt, weil sie sich zum Teil auf Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse bezogen (wie eine angebliche sexuelle Attacke auf eine Frau in einem Kaufhaus), weil sie Lächerlichkeiten aufbauschten (wie die pauschale Mitnahme von Aktenkisten nach seiner ersten Amtszeit, die auch geheime Dokumente enthielten), weil sie alle erst im letzten Jahr vor seinem neuerlichen Antreten in Gang gebracht worden sind.
- Die Stimmen: Trump hat im Gegensatz zu seinem Sieg vor acht Jahren diesmal auch eine große Mehrheit der Stimmen eingefahren (4 bis 5 Millionen mehr als Harris) und nicht nur der meist nach dem Mehrheitsprinzip bestimmten Wahlmänner.