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Von Putin und Lukaschenko lernen

Das ist eine auf den ersten Blick ziemlich erstaunliche Überschrift. Was soll man, was kann die freie Welt von zwei verbrecherischen Diktatoren lernen, die Demokratie, Menschenrechte und Völkerrecht so oft mit Füßen getreten haben? Man scheint nur das eine lernen zu können, was man eh gewusst hat, dass nämlich Mafia-Bosse immer gut beraten sind, wenn sie zusammenhalten.

Aber bei aller Verachtung für so hemmungslose Diktatoren sollte man ehrlich sagen: Es zeigt etliches an Klugheit, wie sie den Bürgerkrieg mit relativ wenigen Opfern beendet haben. Das gilt auch dann, wenn die Informationen stimmen sollten, dass die eigentliche Initiative zu der nun realisierten Lösung von einem russischen Regions-Gouverneur mit guten Beziehungen zu Putin und Prigoschin ausgegangen sein sollte. Das gilt auch unabhängig davon, was eigentlich die inneren Motive Wladimir Putins in diesen Stunden gewesen sind. Die sind nämlich weiterhin ziemlich unklar:

  • War er wirklich von humanitärer Sorge getrieben, dass da viel russisches Blut fließen würde, wenn Russen gegen Russen kämpfen (diese Sorge ist nicht sonderlich glaubwürdig, hat dieser Mann doch kaltblütig schon Hunderttausende russische Soldaten in einen wahrscheinlichen Tod geschickt)?
  • Wollte Putin durch ein Abkommen mit Prigoschin jede zusätzliche Ablenkung in seinem ohnedies schon schlecht laufenden Krieg gegen die Ukraine vermeiden?
  • War Moskau zu sehr von allen Truppen und Sicherheitskräften entblößt, um effektiv Widerstand gegen die anrückenden Wagner-Truppen leisten zu können (was sich ja möglicherweise auch daran gezeigt hat, dass sie primär defensiv Straßensperren gebaut haben, und nicht versucht haben, den – allerdings überraschenden – Anmarsch offensiv zu vernichten)?
  • War es die ganz persönliche Angst eines mehr durch Brutalität und Verschlagenheit als persönlichen Mut geprägten Mannes um sein Leben?
  • War es die Sorge, dass sich etwa auch in Moskau die Bevölkerung und Teile der Sicherheitskräfte an die Seite der Prigoschin-Putschisten stellen würde, wie es offensichtlich in anderen Städten des Marsches auf Moskau der Fall gewesen ist (während kein einziger Deserteur von Prigoschin abgefallen sein dürfte)?
  • War es gar die Überzeugungskraft des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, den Putin bisher ja eher als Vasallen behandelt hat?

Wahrscheinlich hat da alles irgendwie mitgewirkt. Egal: Tatsache ist, dass die beiden dem rebellierenden Prigoschin das exakt richtige Angebot gemacht haben: Einerseits wird keine einzige seiner Forderung erfüllt; andererseits aber wird ihm und seiner Truppe die persönliche Sicherheit zugestanden. Beides scheint auch Tage nachher noch zu halten.

Dabei kann ja an sich überhaupt kein Zweifel bestehen, dass Prigoschin sich nicht nur nach dem russischen Rechtssystem zahlloser Verbrechen, insbesondere des Hochverrats, schuldig gemacht hat; das wäre auch in jedem anderen Staat der Welt strafwürdig. Und gleichzeitig bestehen auch wenig Zweifel, dass von der Wagner-Truppe bei einer echten militärischen Schlacht – insbesondere unter Einsatz der Luftwaffe und Artillerie – wohl nicht viel übriggeblieben wäre. Das ist ja auch der Grund, warum Prigoschin letztlich ohne echte Konzession Putins gegenüber seinen ultimativen Forderungen das Angebot angenommen hat.

Tatsache ist jedenfalls, dass durch dieses Lukaschenko-Putin-Angebot der für die Beteiligten noch relativ beste Ausgang des Putsches und des eintägigen Bürgerkriegs gefunden werden konnte.

Was aber kann man daraus lernen (außer, dass Putin dauerhaft geschwächt sein dürfte, und dass Lukaschenko seine von Putin abhängig gewesene Macht deutlich abgesichert haben dürfte)? Man kann, man soll daraus lernen, dass dieses Modell im Grund auch die einzige Formel wäre, wie der Ukraine-Krieg relativ rasch, also ohne weiteres Blutvergießen zu Ende gehen könnte:

  • Einerseits müsste Putin glaubhafte Garantien für seine persönliche Sicherheit und Zukunft bekommen – eben genauso, wie Prigoschin sie bekommen hat.
  • Andererseits dürfte dem russischen Herrscher das Erreichen keines einzigen seiner Kriegsziele zugestanden werden; er müsste also alle in den letzten zehn Jahren eroberten Gebiete zurückgeben – eben genauso, wie Prigoschin kein einziges Ziel seiner ruppig vorgetragenen Forderungen erreicht hat.

Gewiss, es ist vorerst total unwahrscheinlich, dass Putin einen solchen Doppelvorschlag annimmt – wie es freilich auch alles andere als sicher gewesen ist, dass Prigoschin den Vermittlungsvorschlag Lukaschenkos annimmt. Putin scheint derzeit doch noch zu glauben, dass für ihn alles wieder so ist wie früher. Andererseits deutet vieles darauf hin, dass es militärisch für die Russen an der Ukraine-Front gar nicht gut aussieht; und dass Putin nach den Prigoschin-Aktionen Angst haben muss, dass die russische Bevölkerung ihn jetzt endgültig als Kaiser ohne Kleider erkannt haben könnte.

Aber umgekehrt wäre es auch genauso fatal, wenn Kiew und der Westen jetzt fix davon ausgehen, dass Putin durch den Putsch so geschwächt ist, dass er sowieso fallen wird.

Wichtig und richtig wäre vielmehr, dass Kiew und dass der Westen diesen Weg eines solchen Doppelvorschlags offenhalten – auch für die nächsten Monate. Es ist zumindest zu hoffen, dass vor allem die jetzt wieder eifriger reisenden Friedensstifter von außen genau in diese Richtung argumentieren werden. Ob sie nun aus dem Vatikan kommen oder aus Südafrika.

Sollten sie hingegen nur die Hausmeister-Weisheit im Gepäck haben "Jetzt einmal Waffenstillstand, über alles anderer wird danach geredet", dann könnten sie sich die Flugtickets nach Moskau gleich ersparen. Denn das wäre ja ein kompletter Sieg Putins, da jeder weiß, dass sich Waffenstillstandslinien in Kriegen historisch nach dem Krieg fast immer zu dauernden Grenzen verfestigt haben. Das ist aber für keinen einzigen Ukrainer akzeptabel, schon gar nicht nach ihren opferreich erkämpften Erfolgen. Das sollte auch im freien Europa für niemanden akzeptabel sein (auch wenn da ein paar Putin-gläubige Dummköpfe herumlaufen). Denn das wäre geradezu ein Freibrief für künftige Aggressionsakte, nicht nur Russlands.

In Kiew und vor allem im Westen scheinen allzu viele aber noch an etwas ganz anderes, ebenso Dummes zu glauben, das sich etwa so zusammenfassen lässt: "Am wichtigsten ist, dass der Gerechtigkeit zum Durchbruch und Vorrang verholfen wird, selbst wenn darob die Welt untergeht, selbst wenn es weitere Zehntausende oder Hundertausende Tote geben sollte."

So hat ausgerechnet jetzt eine hohe US-Diplomatin betont, dass "fünf Wege zur Gerechtigkeit" wegen der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine warten. Diese fünf Wege sind die diversen Strafgerichtshöfe und Sondertribunale wie der Internationale Strafgerichtshof (IStGH). Das ist juristisch und völkerrechtlich auch völlig richtig. Die Internationalen Diplomaten – nicht zuletzt jene aus Österreich – waren und sind auch enorm stolz auf deren Schaffung.

Nur ist es völliger Schwachsinn zu glauben, dass auch nur einer dieser Wege klug wäre, dass ihre Betonung gar ein Beitrag zum Frieden wäre. Solche Strafgerichte, welcher Art immer, können nämlich nur dann in Aktion treten, haben nur dann einen Angeklagten vor sich, wenn eine Seite voll obsiegt hat. Vorher aber ist die Drohung mit der Bestrafung durch Strafgerichte nur ein sehr effizienter Beitrag zur Verlängerung des Krieges. Denn jeder Kriegsherr wird mit Sicherheit gleichsam bis zum letzten Soldaten kämpfen, wenn er weiß, welches Schicksal ihn persönlich erwartet. Auch wenn er keine Chance mehr auf einen Sieg hat.

Während eines Krieges auf die Justiz zu setzen, noch dazu lautstark, bleibt eine Dummheit, auch wenn der allgemeine Zorn ob der von Putin tausendfach begangenen Verbrechen mehr als verständlich ist und wenn das dem allgemeinen Gerechtigkeitsbedürfnis entspricht. Es ist nicht nur eine Dummheit, sondern ist auch ein moralisches Verbrechen, wenn dadurch Kriege verlängert werden.

So etwas wie Sankt Helena für Napoleon, den Führer zahlreicher opferreicher Angriffskriege, sollte man auch Putin anbieten – etwa ein sonniges Exil auf Kuba …

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