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Cui bono? Wem nutzen die Sprengungen?

Die Katastrophe rund um den gesprengten Staudamm am Dnjepr hat so wie die einstige Nordstream-Zerstörung keine klar identifizierten Täter, sondern jeweils nur von der Gegenseite (oder von dubiosen Informanten, die leider auf die Vorlage von Beweisen "verzichten") Beschuldigte. Es gibt auch kaum Aussichten auf und kaum technische Möglichkeiten für eine unabhängige Untersuchung. Daher bleibt der beobachtenden Außenwelt nur die Möglichkeit, nach erhältlichen und möglichst objektiven Indizien zu suchen. Wichtig ist aber auch noch eine ganz andere Lehre, eigentlich Erinnerung, die freilich besonders bei Grünen und damit den Mainstream-Medien unbeliebt ist.

Denn die Zerstörung des großen Staudammes und ihre Folgen zeigen, dass auch mit "guten" Stromerzeugungsformen immer Gefahren verbunden sind. Das wird aus ideologischen Gründen zwar gern verdrängt, da die Grünen in ihrer Schlichtheit immer manichäisch in guten und bösen Strom einteilen. Das kann aber auch ohne Krieg bisweilen zu schlimmen Unglücksfällen führen, wie es etwa einst der Bruch des Staudammes im französischen Frejus gewesen ist, der 400 Todesopfer gefordert hatte – um 400 mehr als der GAU im Atomkraftwerk Fukushima. Dennoch wird in den grün durchsetzten Mainstreammedien und den sie fütternden Agenturen Frejus nie erwähnt, dafür für Fukushima immer die Zahl von 18.000 Todesopfern genannt. Dabei sind diese alle durch die Wellen des Tsunami, nicht durch das Kraftwerk umgekommen. Dabei hätte es keinen einzigen Toten weniger gegeben, wenn dort kein AKW gestanden wäre.

Zurück in die Ukraine. Wie viele Todesopfer es dort durch die Dammsprengung gegeben hat, ist noch völlig unklar. Es gibt Hoffnung, dass die Zahl recht niedrig bleibt. Das ändert nichts daran, dass viele Zehntausende jedenfalls ihre ganze Existenz verloren haben, weshalb man jetzt schon die Sprengung zu den großen Verbrechen dieses Krieges zählen muss.

Freilich, im Krieg geht es auch sonst tausendfach um Tod oder Leben. Im Krieg ist offenbar allem von Diplomaten ausgetüfteltem Kriegsvölkerrecht zum Trotz alles erlaubt. Lediglich der Einsatz von Atomwaffen ist in der Ukraine bisher zurückgehalten worden. Wohl primär aus Angst vor Revanche (von wem auch immer). Aber niemand weiß, ob auch dann Zurückhaltung herrschen wird, wenn Russland und damit der über den Atom-Einsatz entscheidende Putin in eine schwere Niederlage geraten sollten.

Wer hat es getan? Wer hat den Damm gesprengt? Mangels handfester Beweise kommt die – zumindest vorläufige – Antwort auf diese Frage über einige Indizien und die Analyse "Wem nützt es?" nicht hinaus. Aber auch im vorläufigen Raum darf man nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, dass eine Sprengung nur deshalb erfolgt ist, um sie der Gegenseite in die Schuhe zu schieben. Und selbst eine vorgetäuschte Täuschung ist denkbar.

Nordstream

All diese Überlegungen tauchen ja auch noch immer genauso in Hinblick auf die Nordstream-Sprengung auf. Bei dieser ist zweifellos schon auf den ersten Blick ein großes Motiv der ukrainischen Seite zu orten, die Gaspipeline zu zerstören. Hat doch die Ukraine (wie aber auch andere Länder, insbesondere Polen und die USA) immer wieder gegen den Bau von Nordstream 2 protestiert, dessen einziger Zweck ja die Umgehung der vorhandenen, durch die Ukraine gehenden (und derzeit weiterhin genutzten) Gasleitungen ist. Der Hauptzweck von Nordstream 2 besteht also darin, dass die Ukraine bald keine Transitgebühren bekommen soll.

Auf der anderen Seite hat sich aber auch Russland verdächtig gemacht. Hat es doch viele Wochen lang vor(!) der Sprengung ständig die Lieferung von Gas durch die alte Nordstream-Leitung verhindert oder behindert. Einmal blieb das Gas ohne Begründung ganz aus oder kam nur zu 20 Prozent, einmal war die Leitung gesperrt, weil eine Turbine kaputt war, einmal wurde die Rücknahme der im Westen reparierten Turbine unter fadenscheinigen Vorwänden wochenlang verweigert.

Ganz offensichtlich glaubte man also auch in Moskau einen Grund zu haben, die Gaslieferungen zu behindern, obwohl man dadurch vertragsbrüchig ist – freilich nur, sofern die unterbliebene Lieferung nicht auf höhere Gewalt zurückgeführt werden kann. Und das kann Moskau, zumindest solange nicht bewiesen ist, wer es getan hat. Man glaubte im Kreml im Vorjahr ja ganz eindeutig, die Europäer durch die Gasprobleme zur Aufhebung der Sanktionen gegen Russland bringen zu können. Viele auch westliche Politiker, Medien und moskaunahe "Energieexperten" verbeiteten durch ihre Wortmeldungen den Glauben, dass die Europäer das Ausbleiben des russischen Gases und damit einen kalten Winter nicht ertragen könnten.

Doch in einer der großartigsten Aktionen ihrer Wirtschaftsgeschichte gelang es im Vorjahr den europäischen Ländern, so viel alternative Gas- und Energielieferungen zu beschaffen und gleichzeitig auf breiter Front Einsparungen zu erreichen (was zweifellos mit starken Preissteigerungen am effektivsten zu erzielen war), dass für niemanden die Gasversorgung ausgefallen ist. Sie waren dabei so erfolgreich, dass der europäische Gaspreis auf den Märkten sensationell gefallen ist: Hatte er im August 2022 – als alle noch vor dem bevorstehenden kalten Winter bangten – mit 70 Dollar einen dramatischen Höhepunkt erreicht, so ist er jetzt wieder auf 10 Dollar gefallen. Das ist fast das Niveau vor dem Krieg (auch wenn die nach den meisten Verträgen über einen längeren Zeitraum durchgerechneten Endverbraucherpreise noch eine Zeit für den Rückgang brauchen werden; aber auch sie haben jedenfalls schon zu sinken begonnen).

Diese tolle Entwicklung hat man sich im Vorjahr weder in Moskau noch in der EU vorstellen können. Das zeigt leider auch, dass die wirklich positiven Entwicklungen medial meist untergehen (in diesem Fall aber vielleicht auch deshalb, weil den Grünen in Politik und Medien zwecks Planetenrettung ein weiterhin hoher Gaspreis eigentlich lieber gewesen wäre und ihnen daher die politisch ja nicht beeinflussbare Marktentwicklung gar nicht recht ist).

Der Staudamm

Wechseln wir zur Staudamm-Sprengung. Und gehen wir vorerst von einer vorsätzlichen Sprengung aus, selbst wenn es Hinweise aus der Ukraine gibt, die es für möglich halten, dass Schlamperei der Verantwortlichen des unter Kontrolle der russischen Besatzer gestandenen Dammes die Ursache gewesen sei. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass auch das nicht auszuschließen ist. Denn auch Staudämme brauchen in vielerlei Hinsicht Wartung, versichern mir Experten. Denn russische Schlampereien im Umgang mit Technik sind nicht erst seit Tschernobyl nichts Unbekanntes.

Während bei der Pipeline-Sprengung neben den Aspekten, die gegen Russland sprechen, auch noch ein starkes Motiv für eine ukrainische Täterschaft zu finden ist, so spricht beim Staudamm fast alles für ein russisches Verschulden, und zwar ein vorsätzliches, nicht nur ein fahrlässiges.

Dabei ist die Erfahrung, dass Russland in diesem Krieg eindeutig die meisten humanitären Verbrechen verschuldet hat, und dass es weitaus am meisten gelogen hat (auch wenn in Kriegen immer alle Seiten lügen), noch das relativ schwächste Argument. Wie zum Beweis für den Hang der russischen Befehlsspitze zum Lügen haben jetzt freilich russische(!) Militärblogger – die auch sonst erstaunlich freimütig sind – erzürnt darüber geschrieben, dass die russische Armee die Zerstörung eines Traktors als Vernichtung eines Panzers ausgegeben hat.

Noch viel gravierender als diese Erfahrungen ist aber der Umstand zu werten, dass der Staudamm unter russischer Kontrolle war und (soweit vorhanden) noch ist. Und dass schon seit längerem seine Verminung gemeldet worden ist. Die Russen hatten jedenfalls alle Möglichkeiten und alle Zeit dazu, den Damm zu verminen.

Soweit man das aus den verfügbaren Aufnahmen schließen kann, spricht auch alles für eine Zerstörung durch Minen. Zu genau, zu "sauber" ist die Lücke quer durch die Mitte des Dammes zu sehen. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf den von Moskau behaupteten Artilleriebeschuss von ukrainischer Seite. Das müssten Satellitenbilder eigentlich zeigen. Da müsste es auch links und rechts Spuren von Beschuss geben.

Russland hat bei seinen Rückzügen auch schon im vergangenen Kriegsjahr mehrfach Brücken zerstört. Das ist eine in der Geschichte der russischen Kriegsführung immer wieder angewendete Taktik. Zweifellos muss man in Moskau angesichts der Kriegsentwicklung insgeheim längst davon ausgehen, dass die jetzt überfluteten 80 Dörfer und großen Landwirtschaftsflächen sowie jene Äcker weiter im Norden, die nun nicht mehr bewässert werden können, mit Wahrscheinlichkeit an die Ukraine fallen werden, soweit sie nicht ohnedies schon von dieser zurückerobert worden sind. Das wäre ja auch dann der Fall, wenn Russland die schon 2015 eroberten Teile der Ostukraine und die Krim behalten kann. Die "verbrannte"(die überschwemmte) Erde liegt also im mutmaßlich künftig feindlichen Gebiet, auf das man sowieso keine Rücksicht zu nehmen gewillt ist.

Auch der Umstand, dass zwar der ukrainische Präsident ins Überschwemmungsgebiet gereist ist, der russische hingegen nicht – obwohl die Schäden auf der russisch kontrollierten Seite ähnlich groß sind –, ist ein gewisses Indiz für schlechtes Gewissen auf russischer Seite. Gewiss kann man das aber auch mit der bekannten Feigheit Putins erklären.

Ein weiteres kleines Indiz ist auch der Umstand, dass ausgerechnet am Tag nach Bekanntwerden der Dammkatastrophe wieder einmal ein von niemandem bestätigter angeblicher Geheimdienstbericht erschienen ist, der sich mit der Nordstream-Explosion befasst und wieder von einer ukrainischen Täterschaft spricht. Dieser Zeitpunkt riecht schon sehr stark nach einem gezielten Ablenkungsversuch.

Das stärkste Argument, warum man eigentlich von einer russischen Täterschaft überzeugt sein kann, ist jedoch die strategische Frage: Cui bono?

Da sprechen gleich mehrere Aspekte eindeutig für eine russische Täterschaft:

Erstens ist die bevorstehende mehrjährige Unterbrechung der Schifffahrt auf dem Dnjepr vor allem für die Ukraine eine Katastrophe. Ist doch der Oberlauf des Flusses komplett unter ukrainischer Kontrolle. Wird der Dnjepr doch massiv für den Transport des wichtigsten Exportartikels, nämlich Getreide benutzt. Und liegen doch oberhalb des (ehemaligen) Staudammes rund 50 nun ziemlich zweckbefreite Schiffe fest.

Zweitens leidet die Ukraine, die im Vorjahr Europa noch Stromexporte angeboten hat, nach Zerstörung des Dammes unter Strommangel, weshalb eine Zerstörung des Dammes besonders selbstbeschädigend wäre (viele Leitungen für den bisher bei der Staumauer erzeugten Strom gehen in die ukrainisch kontrollierten Gebiete).

Drittens waren Angriffe auf die ukrainische Strominfrastruktur immer schon ein typischer Teil des russischen Kriegsführung, weil Moskau dadurch die ukrainische Armee behindern wollte – nur hatte die Ukraine bisher die Schäden an Leitungen oder Trafos immer rasch reparieren können.

Und viertens ist Russland eindeutig nervös wegen der schon oft für dieses Frühjahr angekündigten ukrainischen Gegenoffensive, von der man aber noch immer nicht genau weiß, wo sie wirklich stattfindet (da ja viele der zuletzt neuentflammten Gefechte auch nur zur Ablenkung dienen könnten). Daher ist es militärtaktisch mehr als naheliegend gewesen, dass die russische Armee ein langes Stück der Front in einen de facto unüberwindlichen See verwandelt. Freilich dürfte das den Russen nur ein paar Wochen wirklich helfen, weil sich die Wassermassen ja dann abwärts ergossen haben dürften.

Gegen eine Täterschaft der Ukraine spricht auch, dass ihre Artillerie schon im Vorjahr die Straßenbrücke über den Staudamm mit Präzisionsangriffen zerstört hat. Damals hätte sie viel eher strategische Gründe gehabt, auch den Damm zu zerstören: Standen die russischen Truppen doch damals in jener Region noch zu beiden Seiten des Dnjepr. Damals hätte man der russischen Seite also durch eine Dammzerstörung viel mehr geschadet als jetzt, wo der Schaden überwiegend auf ukrainischer Seite zu sehen ist.

Was spricht nun für eine ukrainische Täterschaft? Da lassen sich zwei – nicht sonderlich starke – Argumente finden:

Erstens wird dadurch die Wasserversorgung der russisch besetzten Krim wahrscheinlich auf sehr lange beschädigt. Da Russland die Krim unbedingt behalten will, hätte es sich bei eigener Täterschaft dadurch ein zusätzliches Problem eingehandelt (einmal angenommen, die russischen Generäle sind an der Wasserversorgung der Krim interessiert …).

Zweitens sind durch die Überflutung etliche russische Stellungen am Ufer wahrscheinlich zerstört, die in den letzten Wochen aus Angst vor der ukrainischen Offensive hektisch errichtet worden sind.

Über all diesen Hinweisen und Argumenten ist aber eine Tatsache längst unbestritten: Den Krieg hat einzig und allein Wladimir Putin begonnen und verschuldet. Das überragt als kapitales Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Verschulden alle anderen Taten, die dann im Laufe des Krieges von welcher Seite immer begangen werden. Unter falscher oder unter richtiger Flagge.

PS: Dieser Text zeigt die weitaus umfassendsten Bilder, Videos und Karten zur Damm-Katastrophe.

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