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Das Parteienjahr zwischen Corona und Inflation

Die erste Eilmeldung aus Österreich am Beginn des Jahres 2022 war gleich doppelt symbolisch: "Corona – Nehammer positiv getestet. Derzeit keine Symptome". Das erinnert erstens daran, wie sehr Österreich damals – wie der Rest der Welt – noch ganz im Zeichen der Pandemie gestanden ist. Und zweitens an den ja erst knapp davor erfolgten Amtsantritt von Karl Nehammer als Bundeskanzler. Die Pandemie und der Kanzlerwechsel waren am Jahresbeginn monatelang eindeutig die dominierenden Themen der Republik – bevor diese dann in einem ziemlich abrupten Paradigmenwechsel ganz in den Bann des Gefahrendreiecks Krieg-Energiemangel-Inflation geriet.

Beginnen wir mit Nehammer: Dieser hat wie die meisten – freilich nicht alle - Infizierten seine Infektion rasch überstanden. Das blieb aber für ihn fast die einzige positive Nachricht des Jahres. Sonst ist es von allen Seiten auf ihn eingeprasselt. Der ehemalige Offizier hat sich zwar tapfer gehalten – aber er blieb glück- und erfolglos. Die ÖVP, die unter Sebastian Kurz die Wahlen 2017 und 2019 souverän gewonnen hatte, musste zuerst der SPÖ, dann der FPÖ  die Führung bei allen Umfragen überlassen. Sie liegt nun abgeschlagen erst an dritter Stelle. Das ist eine der dramatischsten Entwicklungen in der österreichischen Parteiengeschichte seit 1945, das wird nur durch den steilen Aufstieg des Jörg Haider ab der Mitte der 80er Jahre übertroffen.

Die Ursachen dieses – dauernden oder vorübergehenden? – Abstiegs der ÖVP sind vielfältig.

So fehlt Nehammer zweifellos die charismatische Ausstrahlung von Kurz, aber auch die inhaltlich überragende Kompetenz seines anderen erfolgreichen Vorgängers, also Wolfgang Schüssels, in den beiden Schlüsseldisziplinen Wirtschafts- und Außenpolitik. Nehammer strahlt zwar Bemüht- und Anständigsein aus, aber er vermittelt keinerlei politische Vision, er hat nichts emotional Mitreißendes, keine Vorstellung von der Zukunft, keine Empathie.

Noch schlimmer für ihn als diese persönlichen Defizite waren 2022 die externen Schocks, die Krisen durch Pandemie, Krieg, Energieknappheit und Inflation. Obwohl die Regierung – auf Schulden – viel Geld in die Hand nahm, um die Konsequenzen jedes einzelnen dieser Schocks abzumildern, obwohl manches sogar überkompensiert wurde, verschlechterte sich die Stimmung der Österreicher laufend. Und das trifft natürlich zuerst immer die Partei, die den Regierungschef stellt.

Zugleich schadete der ÖVP das fast wie auf militärisches Kommando gleichzeitig auf sie losgehende Trommelfeuer durch alle vier anderen Parteien, also auch durch die Grünen, die eigentlich ihr Koalitionspartner sind. Diese Vier hatten sich im Parlament in einem Untersuchungsausschuss das ganze Jahr über einzig dem Thema "Korruption durch die ÖVP" gewidmet. Dabei bliesen sie in enger Absprache mit der schwer politisierten Korruptionsstaatsanwaltschaft wöchentlich neue Verschwörungstheorien in die Medien – auch wenn diese Vorwürfe fast durchwegs beweisfrei geblieben sind.

In zwei Fällen hatten aber die auf ÖVP-Jagd ausreitenden Staatsanwälte tatsächlich klares Fehlverhalten aufdecken können – was auch den anderen Vorwürfen indirekt Glaubwürdigkeit verlieh.

Der eine Fall war der des ÖVP-nahen Spitzenbeamten Thomas Schmid, der politisch motivierte Meinungsumfragen offensichtlich unkorrekt auf Steuerkosten abgerechnet hatte. Der zweite war eine ehemalige ÖVP-Ministerin, die in ihrer Amtszeit bei Aufträgen an ihr früheres Institut durch die Regierung geheim einen satten Anteil mitgeschnitten hatte. Das hatte zwar nichts mit der Partei zu tun, ist aber ein ganz übles Fehlverhalten einer Ministerin..

Hingegen gab es auch 2022 keine Beweise für die Vorwürfe gegen Kurz selbst, obwohl ihn einige Staatsanwälte damit zum Rücktritt getrieben hatten. Diese behaupten  seit Jahr und Tag in einem strafrechtlichen (Vor-)-Verfahren beweisfrei, dass Kurz damals Schmid zu seinen mutmaßlichen Betrügereien angestiftet hätte. Die weitere Entwicklung dieser Verschwörungstheorie wird noch sehr spannend. Denn die Staatsanwälte ahnen, dass sie, wenn sie nicht endlich Beweise dafür finden, nicht nur den größten Justizskandal der Nachkriegszeit und eine Staats- wie Demokratiekrise, sondern auch einen klassischen Amtsmissbrauch aus parteipolitischen Motiven verschuldet haben. Daher werden sie wohl das – laut Gesetz eigentlich rasch zu beendende – Vorverfahren gegen Kurz auch weiterhin noch lange in Gang halten. Dadurch schieben sie ihre eigene Blamage hinaus. Dadurch perpetuieren sie den schweren Schaden für Kurz und die ÖVP. Was ja die eigentliche Motivation der Staatsanwälte gewesen sein dürfte.   

Die ständigen Vorwürfe gegen die ÖVP haben dieser aber auch ohne Beweise schwer geschadet. Denn die ständige Wiederholung von Vorwürfen entwickelt im Bewusstsein der Menschen nach dem Motto "Wo viel Rauch ist, muss ja auch ein Feuer sein" das Gefühl, dass da dran schon irgendetwas stimmen müsse.

Von den Vorwürfen gegen die ÖVP profitierte anfangs des Jahres 2022 die SPÖ, der ja die Staatsanwalts-Hilfe wohl auch zugedacht war. Dieser Profit währte aber nicht lange. Denn allzu bald brodelt es auch bei den Sozialdemokraten.

  • Zum ersten verloren sie wirtschaftspolitisch bald ihre Glaubwürdigkeit. Denn während die Bundesparteispitze ständig einen "Deckel" für alle möglichen Preise vom Gas bis zur Miete forderte, war die sozialistisch dominierte Gemeinde Wien besonders eifrig im Hinauftreiben aller möglichen Gebühren. Das ist ein allen Österreichern auffallender Widerspruch. 
  • Zum zweiten brach in der SPÖ ein schwerer innenpolitischer Führungsstreit aus, der auch nach außen voll durchdrang. Die Attacken des  burgenländischen Landeshauptmannes Doskozil (der migrationspolitisch nach rechts, sozial- und wirtschaftspolitisch hingegen populistisch noch mehr nach links gehen will) auf Parteichefin Rendi-Wagner demolierten deren Ansehen schwer. Doskozil konnte freilich Umfragen vorweisen, dass die Partei mit ihm als bodenständigen Ex-Polizisten und Law-and-Order-Mann an der Spitze deutlich erfolgreich abschneiden würde als mit der Diplomatenfrau und Medizinerin Rendi-Wagner als Vertreterin des arrivierten städtischen Linksmilieus mit starken Woke-Tendenzen. Sie hat keinerlei Kontakt zu den einfachen Menschen gefunden.
  • Und zum Dritten schadete der SPÖ die Milliarden-Affäre um die Energie-Tochter des rot beherrschten Wiener Rathauses. Bürgermeister Ludwig war, ohne irgendein Gremium gefragt zu haben, um die Wien-Energie zu sichern, heimlich gewaltige Haftungen in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro, also Risken zu Lasten der Steuerzahler, eingegangen. Das ist rechtlich extrem bedenklich, auch wenn die Haftung nicht schlagend geworden ist.

Der wahre Profiteur der Angriffe der linken Staatsanwälte und des ebenfalls völlig gleichgeschalteten ORF auf die ÖVP ist aber am Ende des Jahres die FPÖ geworden. Denn die Angreifer haben eines übersehen: Bürgerliche und rechte Wähler sind zwar relativ leicht durch Dauerdenunziationen gegen eine Partei dieser gegenüber misstrauisch zu machen. Sie werden aber deswegen nur selten zu einer Linkspartei wechseln, sondern sich vielmehr eine andere Rechtspartei suchen.

Dies werden sie insbesondere dann tun, wenn neben dem Krisenkonglomerat aus Inflation und Energieknappheit wieder die Migrationskrise ganz stark an Bedeutung gewinnt.

Diese hat 2022 ein ähnliches Niveau wie 2015/16 erreicht, als sie ganz Österreich erschüttert und Kurz an die Spitze von ÖVP und Regierung gebracht hatte. Allerdings hat die FPÖ in der ersten Hälfte des Jahre 2022 davon nicht profitieren können und sich bei allen Umfragen mit dem dritten Platz begnügen müssen. Denn sie hat anfangs eindeutig aufs falsche Pferd gesetzt: auf eine scharfe und aggressive Kampagne gegen die Corona-Impfungen und sonstigen Pandemie-Maßnahmen.

Die rasch wechselnden Einschränkungen der persönlichen Freiheit, die Maskenpflichten, die Auswirkungen auf die für Österreich zentralen Bereiche Tourismus und Kultur waren sehr unbeliebt. Es gab deshalb zeitweise viele Demonstrationen, die mehr "Freiheit!" forderten, die die Impfungen als riskant kritisierten und die Gefahren durch das Virus als übertrieben bezeichneten. Die FPÖ hat sich monatelang aber auch deshalb an die Spitze der Proteste gesetzt, weil gleichzeitig eine neue Kleinpartei "Menschen Freiheit Grundrechte" entstanden ist, die nur Corona als Thema hatte, und weil mit dieser ein Wettkampf zwischen beiden um die "Corona-Leugner" aufgelodert ist. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres flauten die Proteste ab. Dazu hat nicht zuletzt das mäßige Abschneiden der Kandidaten beider Corona-Parteien bei der Bundespräsidentenwahl beigetragen.

Dennoch war ganz eindeutig: Bei aller Kritik im Detail wurden bei bürgerlichen Menschen die Corona-Maßnahmen von der Mehrheit doch jedenfalls als positiv empfunden. Und die Impfungen erst recht. Deshalb kamen die Freiheitlichen bis zur Mitte des Jahres auch nicht vom Fleck. Deshalb stießen sie bei vielen Wählern rechts der Mitte auf Ablehnung. Der Höhenflug der FPÖ bei den Umfragen setzte erst ein, als sie sich von diesem Thema fast komplett abwandte und auch ein zweites Thema des Frühjahres nur noch mit deutlich reduzierter Energie betrieb: Das war die zeitweise sehr scharfe Kritik an der Ukraine und an den Sanktionen gegen Russland.

Als sich die FPÖ deutlich mehrheitsfähigeren Themen zuwandte, wandte sich der Trend der Umfragen jedoch wieder sehr rasch. Die neuen Themen waren vor allem die Rekordhöhe erreichende Migration, aber auch die Energieknappheit und die dadurch ausgelöste Inflation. Viele Österreicher bangen, ob es in Zukunft genug Gas zum Heizen gibt, und sie sind noch mehr  empört über die Preisexplosionen als Folge von Krieg und Energiemangel. Viele schieben die Schuld daran der Regierung zu (auch wenn alle anderen Länder genauso darunter leiden).

Mit diesen Themen – und der gleichzeitigen Zetrümmerung der ÖVP durch die linken Staatsanwälte und die mehrheitlich genauso linken Medien – gelang der FPÖ in der zweiten Jahreshälfte ein sensationeller Wiederaufstieg, der sie am Schluss des Jahres zur Nummer eins gemacht und und auf solche Umfragewerte gebracht hat, wie die FPÖ sie nur unter dem seither scheinbar unerreichbaren Übervater Jörg Haider erreicht hatte.

Zwischen diesen drei skzzierten parteipolitischen Giganten fanden Grüne und Neos nur wenig Platz. Die Neos erweckten teils  den Eindruck, ideologisch zwischen Rot und Grün zu stehen; teils versuchten sie aber auch, die durch die Regierungsteilnahme behinderten Grünen links zu überholen. Diese Grünen selbst haben – trotz einer recht geschickten Führung durch Vizekanzler Kogler und ständiger Unterstützung durch "ihren" Bundespräsidenten Van der Bellen – das Problem nicht lösen können, dass sie mit der ÖVP, die ja in fast allen grundsätzlichen und inhaltlichen Fragen ihr Hauptfeind ist, in einer Koalition verbunden sind.

Wegen dieser Feindschaft werden auch kaum Wetten angenommen, dass diese Koalition noch imstande ist, die eineinhalb Jahre bis zum nächsten Wahltag durchzuhalten.

Einige Passagen dieses Beitrags sind in ähnlicher Form auch in "Rotweissrot - das Magazin der Auslandsösterreicher" erschienen.

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