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Schweiz und Australien: Zwei Waffendeals mit globaler Explosionskraft

Gleich mehrere Konflikte zwischen eigentlich soliden westlichen Staaten um den Ankauf amerikanischer statt französischer Waffen schlagen hohe Wellen. Unter diesen Wellen ist ein Dutzend weltpolitischer Trends und Lehren zu erkennen – die nur vielerorts ignoriert werden.

An der Oberfläche ist der laute wie ohnmächtige französische Zorn zu hören, der gleichzeitig sowohl gegen die Schweiz wie auch gegen Australien ausgebrochen ist. Hier bläst Paris verärgert ein Treffen der Präsidenten ab; dort beruft es demonstrativ seinen Botschafter ein.

Bern wie Canberra haben das gleiche "Delikt" gesetzt: Sie kaufen amerikanische statt französische Waffen ein. Bei der Schweiz ist es der Ankauf von F-35 Tarnkappenjets statt französischer Rafale-Flugzeuge. Bei Australien ist es der Ankauf atomgetriebener US-U-Boote statt dieselgetriebener U-Boote aus Frankreich.

Allein beim Australien-Geschäft entgeht Paris ein 56 Milliarden-Euro-Geschäft. Ein Vergleich lässt erkennen, wie gewaltig diese Summe ist: Der Finanzminister der österreichischen Bundesregierung kann für das ganze Jahr 2021 auch nur mit 76 Milliarden Einnahmen von allen österreichischen Steuerzahlern rechnen.

Bei der Schweiz ist zwar vorerst keine Summe bekannt. Aber zusammen ist das noch dazu gleichzeitige Platzen zweier so riesiger Geschäfte für Frankreich und seinen Präsidenten eine absolute Katastrophe:

  • Fällt Frankreich wirtschaftlich doch sowieso immer mehr zurück.
  • Sind doch die Rüstungsexporte Frankreichs neben den Exporten von mit Atomenergie erzeugtem Strom so ziemlich das letzte Feld gewesen, wo Frankreich noch wichtige Devisen verdienen hat können. Rotwein und Käse allein machen es nicht.
  • Ist doch auch Hauptpartner Deutschland, auf dessen Kosten Frankreich lange gut alle Krisen überdauern konnte, nun selber in einer schweren Mehrfachkrise.
  • Steht doch Präsident Macron im kommenden Frühjahr vor für ihn extrem schwierigen Wahlen, bei denen sich die Doppelaffäre sowohl durch die öffentliche Demütigung als auch den wirtschaftlichen Schaden katastrophal auswirken dürfte. Macron hatte lange gehofft, durch die Vermittlung des Eindrucks außenpolitischer Stärke die wirtschaftliche Schwäche seines Landes übertünchen zu können.

Das erklärt, warum er jetzt so laut aufheult. Eher fraglich ist freilich, ob dieses Aufheulen bei den Waffenkäufern in Australien und der Schweiz beziehungsweise den amerikanischen Waffenverkäufern noch ein Umdenken auslösen wird.

Recht unklar ist auch, was seine Forderung nach europäischer Solidarität bedeuten soll. Sind doch weder die Schweiz noch Australien EU-Mitglieder. Und wird die Schweiz – die zumindest geographisch in Europa liegt – doch von der EU-Kommission seit längerem in Hinblick auf die bilateralen Verträge zwischen Bern und Brüssel gedemütigt.

Es ist also von Frankreich recht kühn, da irgendwo Solidarität zu verlangen. Oder meint Macron gar, Deutschland als relativ größte EU-Macht hätte Druck auf die Käufer oder Washington ausüben sollen, die Umorientierung bei den Waffenkäufen abzublasen? Das wäre besonders naiv: Hat doch gerade Deutschland in den letzten Monaten den amerikanischen Präsidenten brutal abblitzen lassen, als dieser von Berlin vehement einen Stopp der ja schon fast (und jetzt ganz) fertigen russisch-deutschen Gaspipeline verlangt hat. So blöd sind nicht einmal die Deutschen, dass sie den gewaltigen Schaden eines Pipeline-Stopps Fünf nach Zwölf in Kauf nehmen, damit Frankreich dafür den gewaltigen Nutzen eines der größten Waffendeals der jüngeren Geschichte einstreichen kann.

Was für Lehren kann man aber aus der Doppelaffäre ziehen? Was steckt da dahinter? Eine ganze Menge:

  1. In beiden Fällen spricht sehr viel für die Annahme, dass die amerikanischen Angebote waffentechnisch einfach besser sind. Vor allem können die US-Flugzeuge beziehungsweise U-Boote von gegnerischen Kräften viel schwerer entdeckt werden. Überdies wirft Australien Frankreich vor, besprochene Zeitpläne um Jahre überzogen zu haben.
  2. Die Amerikaner dürften auch beim Preis flexibler gewesen sein. Sie haben dafür ein starkes Motiv: Sie brauchen nach der blamablen Schlappe in Afghanistan dringend internationale Erfolge.
  3. Zwar sind die Vereinbarungen nicht im Detail bekannt (was bei internationalen Waffengeschäften ja nie der Fall ist), aber es dürfte weder da noch dort schon rechtsverbindliche Kaufverträge gegeben haben, die Frankreich jetzt eine Chance geben würden, bei internationalen Schiedsgerichten Milliarden einzuklagen.
  4. Für beide Käufer-Länder, vor allem Australien, sind sicherheitspolitisch die USA weit wichtiger. Diese sind zwar nach Afghanistan angeschlagen, aber es gibt absolut nichts, wo Europa den Eindruck vermitteln könnte, militärisch relevanter als Amerika geworden zu sein.
  5. Geradezu blamabel für Europa und insbesondere Macron ist, dass sie die europafreundliche Rhetorik von Joe Biden für bare Münze genommen haben. Solche Nettigkeiten sind keine 50 Cent wert, wenn es darauf ankommt. Wenn es um die Interessen seines Landes geht, verhalten sich Biden und Donald Trump absolut gleich wie die Chefs aller anderen Länder. Das nicht begriffen zu haben, ist wirklich peinlich. Ist doch in jedem Lehrbuch der internationalen Politik nachzulesen, dass für jedes vernünftige Land die eigenen Interessen an der Spitze stehen, und erst meilenweit dahinter kommen Freunde oder politische Moral.
  6. Dieser Satz von den nationalen Interessen gilt natürlich auch für die Käufer. Und da sind vor allem für Australien in Hinblick auf seine eigene Sicherheit die USA ungefähr hundert Mal wichtiger als Frankreich. Das wäre selbst dann ein gravierendes Entscheidungsargument, wenn die US-Waffen technisch nicht besser wären. Die Franzosen haben noch nicht begriffen, dass 70 Jahre vergangen sind, seit sie irgendwo in Ostasien noch eine Rolle gespielt haben. Sie sind aber in den letzten 70 Jahren von der indochinesischen Kolonialmacht zu einer europäischen Regionalmacht abgestiegen.
  7. Der allerwichtigste globale Aspekt des Konflikts ist die Sicherheitslage im Pazifik und Südchinesischen Meer. Der chinesische Griff danach, Weltmacht Nummer eins zu werden, beunruhigt Australien wie die USA wie auch Großbritannien enorm, sodass sie eine neue Sicherheitsallianz eingegangen sind, die Chinas Expansionsdrang durch eine Art "Containment" ein Stoppsignal entgegenzusetzen versucht.
  8. Auf den ersten Blick schaut diese Allianz nach einer bloßen Wiederbelebung der alten angelsächsischen Allianz aus, bei der nur der frühere Partner Neuseeland fehlt. Dort kümmert sich eine sozialistische Ministerpräsidentin halt mehr um feministische, Klima-, Political-Correctness- und Aborigines-Themen als um die Sicherheit ihres Landes.
  9. In Wahrheit geht jedoch die strategische Dimension weit darüber hinaus. Es gibt zumindest starke Anzeichen, dass diese Dreierallianz auch noch von einer ganzen Reihe Anrainerstaaten jenes Raumes mit viel Sympathien gesehen wird, die auch die Perspektive einer künftigen Kooperation einschließen. Diese Staaten haben spätestens seit dem brutalen Vorgehen der Chinesen gegen Hongkong, seit der Besetzung eigentlich zu anderen Ländern gehörender Inseln und seit Chinas Einflussgewinn in Afghanistan, Myanmar und Pakistan die Alarmstufe deutlich erhöht. Dabei geht es um die ganz großen Mächte Japan (seit dem Weltkrieg ein enger US-Alliierter) und Indien (dessen Verhältnis zu den USA von Jahr zu Jahr freundlicher geworden ist; dieses Verhältnis hat auch den Wechsel von Trump zu Biden gut überstanden). Dabei geht es um Taiwan und Südkorea (die beide immer schon ganz vom US-Schutz abhängig gewesen sind), um die Philippinen, um Malaysia und sogar Vietnam, das trotz der Ähnlichkeit der Regierungsform (China wie Vietnam sind ja eine kommunistisch-kapitalistische Diktatur) ein alter Gegenspieler der Chinesen ist. Dabei wäre eine engere militärische Zusammenarbeit Vietnams mit den USA eine welthistorische Sensation. War doch das Vietnam-Debakel die schwerste Niederlage für die USA in ihrer ganzen Geschichte.
  10. Es kann überhaupt keine Frage sein, dass der Mittelpunkt der Weltpolitik während der nächsten Jahrzehnte in diesem Raum liegen wird. Selbst Russland, der alte Gegenspieler des Westens, ist dort aus dem Spiel – aus Schwäche, aber auch aus Unsicherheit, was den eigenen Interessen eigentlich am besten dienen würde.
  11. Für die Europäische Union ist es auf den ersten Blick sicher vorteilhaft, wenn Europa nicht mehr wie seit Jahrhunderten der zentrale (auch Kriegs-) Schauplatz der weltpolitischen Konfrontationen ist.
  12. Andererseits macht die doppelte Waffenverkauf-Affäre noch klarer denn je: Europa braucht dringend eine eigene sicherheitspolitische Identität, wenn es seine eigenen Interessen verteidigen will. Dabei kann es nicht mehr wie im 20. Jahrhundert auf die USA bauen und auch nicht mehr auf die aus der EU hinausgemobbten Briten. Die Amerikaner haben weitgehend das Interesse an Europa verloren, wo sie immer nur Belehrungen bekommen haben, aber keine Bereitschaft, sich ausreichend für die gemeinsame Sicherheit (die Nato) zu engagieren. Und die Briten haben jetzt pikanterweise genau jene britisch-amerikanische Kooperation begonnen, von der Boris Johnson seit Jahren geredet hat, die aber von den EU-Europäern immer als Hirngespinst hingestellt worden ist.

Europa braucht daher mehr denn je eine echte gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Für seine eigene umfassende Sicherheit; für die Sicherung seiner eigenen Umgebung, vor allem im Mittelmeer und in Nordafrika; um die Migranten-Invasion zu stoppen; um (nach australischem Beispiel!) Anlandeplätze für abzuschiebende Migranten zu sichern; um die Ausbreitung des Islamismus zu verhindern; um seine Handelsinteressen zu sichern;  um effektiv im Inneren gegen Terrorismus, Cyberattacken und Unruhen vorgehen zu können; aber eben auch, um nicht so blamabel ausgetrickst zu werden, wie es jetzt den Franzosen passiert ist. Was man auch in den anderen EU-Ländern nicht schadenfroh sehen sollte, sondern als ökonomischen Schaden für ganz Europa erkennen!

Doch was passiert in der EU?

Dort ist man in den letzten Jahren auch durch die heftigen Kriege in Syrien und Libyen nicht aufgewacht. Obwohl diese in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU stattfanden und stattfinden, hat man die Konflikte – von ein paar Wortspenden abgesehen – weitestgehend anderen überlassen: Russen, Türken, Iranern, Kurden, Ägyptern und ein wenig den Amerikanern (die aber auch bei diesen beiden Konflikten rasch wieder das Interesse verloren haben).

In EU-Europa werden die wirklich wichtigen Themen total vernachlässigt: Das ist neben dem Binnenmarkt und der wirtschaftlichen Stabilität eindeutig die militärische Sicherheit. Stattdessen versucht eine von allen guten Geistern verlassene linksliberale Mehrheit die Verehrung für Schwule, Transvestiten und "Diverse", das exzessive Schuldenmachen sowie die Demütigung der osteuropäischen Mitglieder zum zentralen Inhalt der Union zu machen.

Man greift sich verzweifelt an den Kopf.

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