Politik, Recht, Freiheit, Verfassung und die geordnete Anarchie

Die Frage, ob und – falls ja – wie viel Staat es bedarf, um Freiheit, Sicherheit und Eigentum der Bürger zu schützen, ist nicht neu. Seit der griechischen Antike beschäftigt der unauflösbare Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheit die hervorragendsten Denker ihrer Zeit. Von Platon über Hegel bis Karl Marx und von Aristoteles über Locke bis Ludwig von Mises wurden Überlegungen angestellt, ob und wie weit die Macht des Staates beschränkt werden kann, soll oder muss – und/oder ob das abseits theoretischer Erörterungen überhaupt möglich ist. Letzteres wird von rezenten "anarcholibertären" Theoretikern wie Hans-Hermann Hoppe vehement bestritten. Das Wachstum des einmal etablierten Staates wäre demnach unter keinen Umständen aufzuhalten.

Jedes als "Minimalstaat" in die Welt getretene Konstrukt verwandelt sich im Laufe der Zeit unausweichlich in einen Maximalstaat.

Warum und auf welche Weise es zur Staatsbildung kommt, wer in welchem Ausmaß seine Mitmenschen beherrscht, welchen Wert und welche Bedeutung eine Verfassung hat, was die Gründe für die Bildung politischer Koalitionen sind und ob eine staatsfreie, geordnete Anarchie praktisch zu verwirklichen ist: Das sind hochinteressante Überlegungen, die nicht nur Gelehrte, sondern jeden an Politik interessierte Zeitgenossen interessieren sollten.

Darüber, dass das in westlichen Gesellschaften heute geradezu geheiligte, auf allgemeinem, gleichem Wahlrecht beruhende Demokratiemodell tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist, herrscht unter den Gelehrten bis in unsere Tage keineswegs völlige Einigkeit. Demokratie ist eben kein Wert per se, sondern lediglich eine von vielen möglichen Methoden zur Auswahl der Machthaber – und sie garantiert augenscheinlich keineswegs Qualität (eher im Gegenteil).

Dass jede Demokratie in der Praxis früher oder später auf einen alle Lebensbereiche durchdringenden Wohlfahrtsstaat, eine immer größere Ausdehnung der Staatsmacht und eine dementsprechend immer weitere Entrechtung der Bürger hinausläuft, ist eine empirische Tatsache. Selbst in der kleinräumig und direktdemokratisch organisierten Schweiz ist das nicht anders.

Allerdings besteht doch Hoffnung, weil es, getrieben von der Macht des Faktischen, immerhin doch geschehen kann, dass der Weg zum scheinbar unausweichlich dräuenden Sozialismus verlassen wird. So wurde etwa das im Würgegriff marxistischer Gewerkschaften befindliche Großbritannien Ende der 1970er Jahre von den Tories Margaret Thatchers vor diesem Schicksal bewahrt.

Der polyglotte Kosmopolit und Universalgelehrte Anthony De Jasay hat die um den Staat, dessen Aufgaben und Grenzen kreisenden Gedanken vieler großer Geister studiert, einer kritischen Analyse unterzogen und mit seinen eigenen Betrachtungen ergänzt. Spieltheoretische Überlegungen, Vertragstheorie, messerscharfe Begriffsdefinitionen und –Abgrenzungen helfen dabei, auf falschen Prämissen beruhende Schlussfolgerungen zu vermeiden – was etwa dann geschieht, wenn man Rechte zu etwas und die Freiheit von etwas miteinander verwechselt.

De Jesays Werk "Gegen Politik" ist keine Anfänger- oder leichte Nachttischlektüre. Wem die Beschäftigung mit Staatstheorie und Ideengeschichte indes nicht ganz fremd ist, findet hier eine in eleganter Sprache und nicht ohne Ironie verfasste Abhandlung zur Frage der Verfasstheit des "liberalen Rechtsstaates" und der denkbaren Alternativen dazu. Unbedingt lesenswert!  

Gegen Politik – Über die Regierung und die geordnete Anarchie
Anthony De Jesay
Verlag Tredition
415 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-347-15941-9
24,43,- Euro

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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