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Doppelter Schock für Wiens Rotgrün

So gut war der Wiener Wahlkampf für Rotgrün angelaufen. Die beiden Linksparteien steuerten auf einen sicheren Start-Ziel-Sieg zu. Entgegen dem Bundestrend sprach in Wien fast alles für die Linke. Und jetzt das! Ökonomen würden die Entwicklung der letzten Tage einen doppelten "externen Schock" nennen.

Die vielen Faktoren, die wunderbar für die beiden Rathausparteien gelaufen waren:

  1. Michael Ludwig erweckt durch sein gemütlich-harmloses Auftreten bei bürgerlichen Wählern viel weniger Abstoßungsreaktionen als sein sehr weit links stehender Vorgänger und als die schwer überforderte Pamela Rendi-Wagner.
  2. Die beiden Rathausparteien haben sich für die Zeit des Wahlkampfes geschickt und zweifellos kalkuliert auseinanderpositioniert. Die Wiener SPÖ nach rechts, die Wiener Grünen hingegen nach links. Beide Bewegungen bedeuten einen Gegensatz zur bisherigen Rathauspolitik wie auch zur Position der jeweiligen Bundespartei. Trotzdem macht jede Landespartei einen intern geschlossenen Eindruck. Und trotzdem war die Rathauskoalition nie in Gefahr auseinanderzubrechen.
  3. Besonders geschickt gelang dieses bewusste Sich-scheinbar-voneinander-Trennen in der Verkehrspolitik: Die Grünen senden seit einigen Monaten massive Signale als rabiate Anti-Auto-Partei aus, die Roten hingegen gegenteilige – während von der ÖVP nur Signale der Uneinigkeit kommen. Sie verlor durch Anti-Auto-Querschüsse zweier ihrer Bezirksvorsteher aus den inneren Bezirken viel von ihrem bisherigen USP als Partei mit Verständnis für die Autofahrer.
  4. Eine Verlängerung der Wiener Links-Festspiele ist spätestens seit der Selbstbeschädigung der Neos garantiert: Diese haben sich ganz offiziell als automatisch zur Verfügung stehende Mehrheitsbringer für die SPÖ positioniert, und sowohl der ÖVP wie auch der FPÖ schon vor der Wahl eine brüske Absage erteilt. Damit ist die Wiener SPÖ in eine Position geraten, wie sie die ÖVP auf Bundesebene zweimal hatte (2002 und 2019): Sie kann mit der Gewissheit in die Wahl gehen, weiter den Bürgermeister zu stellen und sich darüber hinaus wie an der Vitrine einer Konditorei aussuchen wen sie als Nachspeise vernaschen, beziehungsweise zum Partner machen will.
  5. Michael Ludwig hat sich durch einen geschickten unverbindlich-freundlichen Umgang mit der ÖVP fast jede schwarze Kritik vom Leib gehalten. Bei den Stadtschwarzen haben sich viele wegen des ungewohnt zivilisierten Tones des Bürgermeisters schon als Koalitionspartner gewähnt und kein einziges Thema emotional zu besetzen versucht. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit extrem groß, dass die ÖVP statt im Koalitionsbett zu landen, bloßer Bettvorleger wird.
  6. Der Wahlkampf der FPÖ ist zwar deutlich kritischer, aber – auch jenseits der Mega-Probleme Ibiza-Strache – qualitativ schlechter als alle Wahlkämpfe, die ich in Erinnerung habe. Sie will offenbar nur noch in der XYZ-Schicht ankommen.
  7. Durch indirekte Hilfe für H.C. Strache (die vor allem über den ORF und den Boulevard gelaufen ist, wo er ständig erwähnt und damit aufgewertet worden ist) hat Rotgrün dafür sorgen können, dass sich die Wähler rechts der Mitte noch weiter spalten. Gleichzeitig dürften die Stimmen für Strache mit etlicher Wahrscheinlichkeit überhaupt ins Leere gehen, weil sie nicht die notwendigen Mindesthürden nehmen.
  8. Wenn man von der Skurrilität der Kandidatur Straches absieht, treten sämtliche Parteien in Wien mit einem neuen Spitzenkandidaten an. Es ist aber eine alte Erfahrung, dass auf Landesebene ein oppositioneller Spitzenkandidat beim ersten Antreten keine Chance hat. Der Bürgermeisterbonus ist hingegen für einen neuen Mann schon nach zwei Jahren wirksam – selbst wenn der ORF diesen nicht noch gezielt verstärkt hätte.
  9. Für die SPÖ spricht auch das Gleichgewichtsdenken vieler Wähler angesichts der Stärke der Volkspartei auf Bundesebene.
  10. Für die Grünen spricht wiederum die Macht des ORF, der in grober Verletzung seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Objektivität ausgerechnet in den letzten Tagen vor der Wiener Wahl eine ganze Schwerpunktwoche mit dem zentralen Thema der Grünen angesetzt hat, nämlich der Klimapanik. Und keine Behörde erinnert ihn an seine gesetzlichen Pflichten.
  11. Und zu schlechter Letzt hat die ÖVP den Fehler begangen, Gernot Blümel als Spitzenkandidat zu belassen, obwohl im Frühjahr völlig überraschend die größte Wirtschaftskrise der zweiten Republik ausgebrochen ist. Seither ist Blümel eigentlich Tag und Nacht an der nationalen und europäischen Wirtschaftsfront gefordert. Seither ist jeder Unternehmer böse auf ihn, der meint, zu wenig Corona-Entschädigung zu erhalten. Seither ist die von der ÖVP geplante Erfolgsstory in sich zusammengebrochen: "Der erste Finanzminister, der keine neuen Schulden macht, saniert jetzt auch Wien".

Aus all diesen Gründen schien Michael Ludwig bis vor wenigen Tagen schon unangefochten der große Wahlsieger zu sein. Den Sozialdemokraten war eine Unterbrechung ihrer depressionsfördernden Pannen- und Niederlagenserie so gut wie sicher.

Jetzt aber ziehen zwei dunkle Gewitterwolken am Horizont auf. Zwar ist noch keineswegs sicher, wie stark diese das Wiener Wahlergebnis verregnen werden. Aber jedenfalls ist aus gleich zwei ganz verschiedenen Ursachen vielen Sozialdemokratien jetzt sehr bange geworden.

Der Lesbos-Schock

Die eine Ursache heißt wieder einmal Flüchtlinge. Dieses Thema war in den letzten Monaten zur Freude der Linksparteien viel weniger präsent gewesen als davor. Und dann passierte der Schock von Lesbos: Dort legten die aus der Türkei gekommenen "Flüchtlinge" das eigene Lager in Schutt und Asche (sie taten das aber so gut organisiert, dass kein einziger der Tausenden Lagerinsassen gefährdet wurde!). Prompt tönte aus der linken Basis und von allen linken Medien, insbesondere aus dem ORF der Ruf: "Aufnehmen! Herein mit weiteren Flüchtlingen!". Diesem Ruf hat sich auch die Wiener SPÖ nicht entziehen können.

Dieser Ruf von Rot, Grün und Pink wirkt sich aber nun ganz eindeutig als Wahlhilfe für die migrationskritischen Parteien aus. Den Wienern wird dadurch in Erinnerung gerufen, dass die Gefahr einer weiteren Immigrationswelle alles andere als vorbei ist, dass die Linksparteien weiterhin fanatische Immigrationsbefürworter sind.

Auch der Schmäh "Es sollen ja eh nur Kinder kommen", zieht nicht mehr. Denn erstens sind diese "Kinder" alles andere als Kinder, wie sämtliche Fernsehaufnahmen zeigen. Zweitens ist der Mehrheit der Österreicher längst klar, dass jedem dieser Kinder bald eine große Familie folgen wird. Und drittens wird die gegenwärtige deutsch-französische Kinderaufnahme nur dazu führen, dass viele solcher Ankerkinder ausgeschickt werden.

Der Corona-Schock

Der zweite Schock, der Rotgrün in der Endphase des Wahlkampfs zu schaffen macht, ist die Entwicklung der Pandemie. Die dramatische Explosion der Infektionszahlen ist sowohl auf Bundes- wie Landesebene zum Problem für die Linke geworden.

Auf Bundesebene hat sich der grüne Gesundheitsminister durch seine ständigen predigtartigen und inhaltsarmen Auftritte sowie zuletzt durch das blamable Scheitern der von ihm wochenlang präsentierten Ampelkonstruktion zunehmend als netter Schwätzer entlarvt, der nicht zum Macher taugt. Zugleich hilft es Sebastian Kurz eindeutig, dass er als konsequenter Verfechter schärferer Maßnahmen dasteht (dabei hilft ihm zusätzlich die wenig intelligente Anti-Kurz-Kampagne der Freiheitlichen, die zeitweise sogar so tun, als hätte Kurz die Pandemie aus Sadismus oder anderen sinistren Motiven erfunden).

Aber noch viel schlimmer ist für die Wiener SPÖ die dramatische Entwicklung der Infektionszahlen. Denn in Wien lebt weit mehr als die Hälfte aller derzeit Infizierten. Das kann nicht einmal mehr der ORF ganz unerwähnt lassen (auch wenn der Zwangsgebührensender über die Lage in Wien noch immer viel weniger berichtet als einst über Ischgl oder Sankt Wolfgang trotz der in Wien in jeder Hinsicht viel, viel größeren Dimension).

Die – schon über den ganzen Sommer zu beobachtende – Steigerung der Wiener Zahlen wäre dabei gar nicht so explosiv gefährlich für die Wiener SPÖ geworden, hätten sie und vor allem ihr Stadtrat Hacker nicht katastrophale Fehler begangen:

  • Die Wiener Machthaber haben zwar die Infektionsimporte durch heimkehrende Kroatienurlauber (überwiegend autochthone Österreicher) groß thematisiert; sie taten dies sogar mit der erstmaligen Errichtung einer eigenen Teststraße im Praterstadion. Sie haben aber in der Folge bewusst ignoriert, dass die zweite Importwelle durch die Rückkehr türkisch-kurdischer Urlauber aus der Türkei erfolgt ist. Viele Wiener sind überzeugt, dass dieses Problem deshalb unter den Teppich gekehrt wird, weil es sich dabei vor allem um Rot- beziehungsweise Grünwähler handelt (sofern sie schon die Staatsbürgerschaft bekommen haben).
  • Hacker hat sich monatelang in zahllosen präpotenten Auftritten mit der Behauptung profiliert, dass Wien alles bestens im Griff hätte. Er hat dabei auffallend überheblich die Angebote des Bundes zurückgewiesen, dass Polizisten beim sogenannten Contact-Tracing helfen könnten, mit dem man alle Kontaktpersonen von Infizierten warnt.
  • Jetzt muss ausgerechnet Wien den Bund um Hilfe und schärfere Maßnahmen anflehen: Das ist der wohl blamabelste Richtungswechsel in der Politik, den man in den letzten Jahren in der österreichischen Politik beobachten konnte.
  • Jetzt muss Wien sogar die Demütigung hinnehmen, dass es als einziges österreichisches Bundesland von der Schweiz mit einer Quarantänepflicht bei Einreise in die Eidgenossenschaft belegt worden ist.
  • Der schlimmste Fehler Hackers aber war und ist, dass der Gesundheitsstadtrat im Gegensatz zu den anderen Bundesländern keine zügige Durchführung der Corona-Tests zu organisieren vermocht hat. Vor wenigen Tagen habe ich von einer infizierten Richterin erfahren, dass sie erst vier Tage nach dem Test von ihrem "positiven" Ergebnis informiert worden ist, also vom Vorhandensein einer Infektion. Inzwischen berichten nun Ärzte sogar schon davon, dass es bis zu zehn Tage vom Verlangen, sich testen zu lassen, bis zum Testergebnis dauert. Das sind Zeiträume, die geradezu eine Garantie für die explosive Ausbreitung der Ansteckung darstellen.

Wären nicht europaweit die Künste der Medizin im Kampf gegen die Pandemie deutlich besser geworden, wären nicht die Infizierten im Schnitt jünger und im Sommer widerstandsfähiger, wäre nicht das Virus möglicherweise auch etwas harmloser geworden, so gäbe es längst die Schlagzeile:

Wien ist Bergamo geworden

Bergamo ist bekanntlich jene Stadt, die im Spätwinter zum Symbol für den Zusammenbruch des italienischen Gesundheitssystems gestanden ist, wo man sogar die Armee zum Abtransport der Leichen rufen musste.

Die einzige offene Frage bleibt: Können die linken Politruks im ORF und die Bestechungsinserate im Boulevard die Ausbreitung der Erkenntnis noch stoppen, dass das Rathaus da jämmerlich versagt hat und dass es skandalös ist, wenn ausgerechnet diese versagende Behörde jetzt nach dem Import illegaler Migranten ruft?

PS: Wie skandalös einseitig der ORF agiert, hat man jetzt wieder am Bericht über die Vorarlberger Kommunalwahl gesehen: Während die Seher von Servus-TV von ÖVP-Erfolgen erfahren, erfahren die ZiB-Seher nur, dass die ÖVP (vor einigen Bürgermeister-Stichwahlen) "zittern" müsse. Am objektivsten diesmal wohl die "Presse": "Eindeutige Trends brachten die Wahlen nicht" ....

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