Wenn alle so beschäftigt sind, Menschen zu erschrecken

Angesichts der Tatsache, dass Vizekanzler Kogler den ungarischen Präsidenten Orban vor kurzem scharf kritisiert, als "Semidiktator" bezeichnet und ihm mit dem Entzug von EU-Geldern gedroht hat, erscheint es angebracht, die ungeheuerlichen Zustände unter die Lupe zu nehmen, die sich im Zusammenhang mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit zum angeblichen Schutz unserer Gesundheit und der betagten Angehörigen innerhalb kürzester Zeit in unserem eigenen Land und ganz besonders im "heiligen Land Tirol" entwickelt haben.

Unsere Medien versetzen die Bevölkerung seit Wochen in Todesangst, indem sie jeden Toten und Neuerkrankten reißerisch in die Schlagzeilen stellen. Keine gute Strategie, wenn man bedenkt, dass Angst das rationale Denken und einen unvoreingenommenen Blick auf die Realität verunmöglicht, und somit vermutlich auch die gesündesten und mutigsten Österreicher schon beim Hauch eines Symptoms in Panik geraten und in eine Praxis oder Ambulanz stürmen werden.

Die in einer solchen Zeit essentiellen, weil beruhigenden Informationen werden leider nicht in den Vordergrund gerückt, sondern entweder wie nebenbei oder aber gar nicht verlautbart: zum Beispiel die Relation von Erkrankten und Toten zur Gesamtbevölkerung, zu den Gesunden, Wiedergenesenen, milden und kurzen Verläufen. Oder die tatsächliche tägliche Auslastung der auf Tausende Corona-Kranke vorbereiteten Krankenhäuser und Kliniken; ganz zu schweigen von einer differenzierten Analyse, wer tatsächlich und warum an COVID-19 verstorben ist und welche Todesfälle ganz anders zu erklären sind.

Und weil alle so damit beschäftigt sind, Menschen zu erschrecken, scheint es niemanden mehr zu interessieren, dass auch bei uns bereits Patienten mit aktuellen anderen Gesundheitsproblemen von Praxen und Krankenhäusern abgewiesen werden, weil sie "keine Notfälle" darstellen. Sie leiden "nur" unter eitrigen Zähnen, unbehandelt zu Dauerschäden führenden Schulterverletzungen, oder ohne operativen Eingriff wahrscheinlich lebensgefährlichen Brustkrebserkrankungen* usw.

Ganz übersehen werden offenbar Hinweise darauf, dass nicht alle der auftretenden Probleme diesem Virus angelastet werden dürfen, sondern Phänomene wie Versorgungsengpässe, die mögliche Zuspitzung der Situation (wie in Amerika) oder ein Systemkollaps (wie in Italien) durch eine Reihe von ganz anderen Faktoren begünstigt wurden: wie die seit Jahren praktizierten Sparmaßnahmen im Personalbereich, die nicht im eigenen Land befindliche Produktion medizinischer Güter oder Krankenhauskeime in veralteten Krankenhäusern mit desolaten Hygienebedingungen, um nur einige davon zu nennen.

Unsere Politiker – mit den Medien seit jeher in einer von Hassliebe bestimmten Zweckehe vereint – sind für die Sicherung des häuslichen Friedens mit Chefredakteuren, Interviewpartnern und Berichterstattern in einer solchen Geschwindigkeit dabei, Verordnungen zu erlassen, Gesetze anzupassen, unsere Rechte und Freiheiten einzuschränken, sich Kontrollmöglichkeiten auszudenken und umzusetzen, dass es unmöglich ist, genau zu prüfen, welche Konsequenzen sich langfristig daraus ergeben bzw. wie leicht und ob all das wieder rückgängig gemacht werden kann. Den wirtschaftlichen Ruin unzähliger Bürger nehmen sie dabei als Kollateralschaden großzügig in Kauf.

Und weil das mächtige (und aktuell offensichtlich gerade in den Flitterwochen befindliche) Ehepaar Medien&Politik widersprechenden Fachärzten und Wissenschaftlern von Anfang an keine gleichberechtigte Beratungsfunktion eingeräumt hat (wie es in einer funktionierenden Demokratie eigentlich der Fall sein sollte), sondern ihnen entweder gar keine Beachtung schenkt oder sie sofort vehement in die Schranken weist, konnten bei uns in Tirol Bewegungsvorschriften und -definitionen für Alltag und Freizeit im eigenen Gemeindegebiet eingeführt werden, die für den Schutz der Gesundheit von Jung und Alt – und diesem noblen Ziel sollten sie eigentlich dienen – völlig kontraproduktiv waren. Die außerdem inhaltlich und rechtlich geprüft werden müssten, da sie von den als "bundesweit einheitlich" deklarierten und seit dem 16. März nie abgeänderten Verkehrsbeschränkungen der Bundesregierung abweichen. Im Kapitel "Freizeit" wurde dort erklärt, dass "Spaziergänge und Aufenthalte im Freien auf ein Minimum reduziert werden müssen", mit einem "kurzen Spaziergang" das "frische Luft schnappen und Beine vertreten in unmittelbarer Nähe des Wohnortes" gemeint ist, in dieser Definition "eine Joggingrunde nicht beinhaltet ist" und Radfahren nur dann erlaubt ist, "wenn eine Tätigkeit im Rahmen der Grundversorgung erledigt wird".

Die Zahl der leider ebenfalls missachteten Studien, die nachweisen, dass Bewegungsmangel und soziale Isolation prinzipiell und bei entsprechenden (körperlichen bzw. psychischen) Vorerkrankungen besonders gesundheitsschädigend sind, ist Legion. Dem Hausverstand, der längst weiß, dass Coronaviren nicht von Bäumen fallen oder wie Flöhe von einem Menschen zum anderen hüpfen, wird’s auch nicht einleuchten, dass man nicht mehr aneinander vorbeispazieren, -radeln oder -joggen darf.

Obwohl die Bundesregierung zunächst darauf hingewiesen hat, dass die Exekutive beauftragt ist, "nur" zu informieren und zur Einhaltung der Verordnungen aufzufordern, wurden deren Kompetenzen sehr schnell erweitert; auf alle Fälle bei uns in Tirol nach Bekanntwerden der Schlampereien in Ischgl und am Arlberg sowie unter dem Druck von Medienvertretern, die mit diktatorischen Kommentaren die "richtige" Meinung zur aktuellen Situation in Österreich vorgegeben haben (z.B. wurde in einer Diskussion von Chefredakteuren kurz nach der Selbstisolierung Tirols gesagt: Man müsse den immer noch in Lokalen oder wie in Innsbruck auf der Innmauer anzutreffenden "vermeintlich Vernünftigen und Mutigen nach dem Motto ‚und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt‘ beibringen", was los ist).

Und plötzlich wurde es zulässig, z.B. einen alten Herren und einen Radfahrer festzunehmen (siehe TT vom 24. März); Familien und Spaziergänger nach Hause zu schicken, weil man sich (angeblich) "nur 200 m von der eigenen Wohnung entfernen darf"; Polizeistreifen im Wald und an diversen Zugängen dorthin zu postieren um (mit Erlaubnis der Bundesregierung) allein joggenden, radelnden und letztlich sogar Hunde ausführenden Menschen, die weder die öffentlichen Parks passieren noch die Innpromenade nutzen konnten und daher großräumiger auswichen, mit horrenden Geldstrafen zu belegen; Menschen, die (zu zweit und mit mehreren Metern Abstand) Federball bzw. Tischtennis spielen oder sich auf einer Bank miteinander unterhalten, auseinanderzujagen* - ...

Ein solches Gebaren erinnert an einen Polizeistaat, in dem wir nicht mehr beschützt werden, sondern in dem jemand die Jagd auf uns eröffnet hat, in dem Beamte nicht kontrolliert und zur Mäßigung aufgerufen werden, sondern willkürlich handeln und ihre Macht missbrauchen dürfen.

Auch das Miteinander und Füreinander, das derzeit in unzähligen aus dem Boden gestampften Werbespots betont und gelobt wird, schaut mancherorts in der Realität ganz anders aus.

Mit dem in der öffentlichen Berichterstattung völlig unkritisch gutgeheißenen Anstieg von Anzeigen und Strafen, mit dem die Betroffenen ohne genaue Prüfung als ungehorsam und unbelehrbar ausgewiesen oder sogar kriminalisiert werden, scheinen nämlich auch diejenigen Mitbürger, die durch die herrschende Corona-Angst verunsichert bis paralysiert waren oder noch sind, die eine oder andere Hemmung verloren zu haben:

Sie fotografieren Kinder in dem zur Wohnanlage gehörenden Garten und bedrohen sie mit einer Anzeige. Sie melden Kollegen, weil sie nach Genesung und Aufhebung der Quarantäne spazieren gehen. Sie schließen Freunde aus WhatsApp-Gruppen aus, weil diese es wagen, den sogenannten "Mainstream" in Frage zu stellen usw.* ...

Auch angesichts dieser Entwicklung fühlt sich bis jetzt noch kein politisch Verantwortlicher dazu berufen, die Österreicher darüber aufzuklären, dass erstens ein solches Verhalten unerwünscht ist und in erster Linie den disqualifiziert, der‘s zeigt, und zweitens mit der Ausgangssperre und dem Slogan "wir bleiben zu Hause / dahoam bleiben" nicht verboten wurde, selber und anders zu denken und diese Meinung auch kundzutun.

Solange ein Bericht der "Tiroler Tageszeitung" über mehr als 3000 Anzeigen gegen eigene Landsleute (und das allein in Tirol!!!) keine Entsetzensschreie, sondern "Bravo"-Rufe auslöst, wird sich diese Hoffnung allerdings wohl auch nicht erfüllen.

Die Demokratie braucht einen Trauerflor! Verlassen können wir uns mit Sicherheit nur darauf, dass es wie in längst vergangen geglaubten Zeiten anschließend niemand gewesen sein wird!

* alle genannten Beispiele stammen aus meinem unmittelbaren Bekannten- und Freundeskreis … und es sind noch längst nicht alle!

Mag. Sabine Gritsch ist Psychotherapeutin in Innsbruck

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