Klimaschutz: Folgt das Verfassungsrecht der Politik?

Die Verfassung bildet die Grundlage staatlichen Handelns und regelt die Einrichtung und Ausübung staatlicher Herrschaft. Die allermeisten Juristen sind sich weiters darin einig, dass eine Verfassung etwas anderes ist als ein politisches Programm. Diese Dichotomie von Verfassung und Politik gerät derzeit ins Schwimmen. Zunehmend schreiben vulgärjuristische Politiker sogenannte Staatsziele in die Verfassung. Aus diesen Staatszielen sollen die Bürger keine Rechte ableiten können, sie mögen aber das angenehme Gefühl vermitteln, dass der Gesetzgeber die Gemeinschaft auf den richtigen Weg bringt. Insofern degeneriert die Verfassung zu einer Art Wunschkonzert: Jeder kann sich seine Ziele grundrechtlich verankern lassen und auf diese Weise glücklich werden.

So verliert die Verfassung ihre starre Ankerfunktion und wird Teil der lebendigen Entwicklung der Gesellschaft. Die Verfassung wird inhaltlich und formal zersplittert (und dann als elegant gelobt, wenn sich die ursprünglichen Regeln bewähren). Was gerade der Mode entspricht, soll auch als Staatsziel seinen angestammten Platz im Katalog der guten Werte erhalten. Bisheriger Höhepunkt war das 2013 beschlossene Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung.

Die Folgen sind bekannt: Ein Verwaltungsgericht nahm diese Staatszielbestimmungen irgendwie ernst und erteilte der Dritten Piste des Flughafens Wien eine Absage. Seit damals kämpfte die ÖVP mit viel Energie, aber vergebens, um die Etablierung des Staatsziels "Wirtschaft" in der Verfassung. Wenn man schon den seinerzeitigen juristischen Sündenfall nicht rückgängig machen kann, sollte doch eine Art Neutralisierung durch ein weiteres Staatsziel angestrebt werden. Dies scheiterte bekanntlich an den Mehrheitsverhältnissen im Parlament.

All dies scheint am Beginn des nunmehrigen Wahlkampfes in Vergessenheit geraten zu sein. Elisabeth Köstinger und Sebastian Kurz forderten im Rahmen ihres Einsatzes für den Klimaschutz eine verfassungsrechtliche Verankerung dieses Staatsziels – zusätzlich zu den schon verankerten Staatszielen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Das wahlumkämpfte Staatsvolk könnte das in etwa so verstehen: Wenn wir schon das Staatsziel Wirtschaft politisch nicht umsetzen können, so doch das ebenfalls wichtige Staatsziel Klimaschutz. Eine solche Taktik könnte allerdings auch zur Verwirrung beitragen und nach hinten losgehen. Manch einer könnte da den Rückbau der zweiten Piste herbeiphantasieren.

Mag sein, dass Ökologen in der sukzessiven Erweiterung des Staatszielkatalogs mit gerade populären Schlagworten tatsächlich einen politischen Mehrwert ausmachen. Juristisch gesehen schreitet die Deformierung der Verfassung fort und wir werden in Zukunft weitere Urteile zu erwarten haben, die aus angeblich unverbindlichen Staatszielen doch konkrete Entscheidungsmaximen ableiten. Ganz verdenken kann man es den Richtern ja nicht, wenn sie im Fall des Falles dem Verfassungsgesetzgeber unterstellen, sich doch etwas bei der Formulierung solcher Staatsziele gedacht zu haben – die Verfassung muss doch schließlich etwas anderes sein als ein politisches Programm.

Die Anhänger von Staatszielbestimmungen sollten schließlich auch so ehrlich sein, den Primat der Politik gegenüber der Verfassung klar auszusprechen. Wenn das, was politisch gerade erwünscht ist, auch zeitnah Eingang in die Verfassung finden kann, dann bedeutet das nichts anderes, als dass die Verfassung der Politik zu folgen hat. Als der blaue Ex-Innenminister ähnliche Gedanken artikulierte, war in der politisch-korrekten Reichshälfte der Teufel los. Wenn die türkise Ex-Umweltministerin die Verfassung verpolitisiert, herrscht Schweigen im Blätterwald. Als wäre alles erlaubt, wenn es um die gute Sache geht.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass sich die nächste Regierungskoalition um juristische Kompetenz bemühen sollte.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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