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Herr Moser, Herr Kickl, Herr Van der Bellen: Von wem geht das Recht aus?

Gleich zwei Minister und ein Bundespräsident haben in den letzten Stunden ziemlich Abenteuerliches von sich gegeben. Alle drei haben eine seltsame Einstellung zu den zentralen Grundfundamenten eines demokratischen Rechtsstaates gezeigt. Das macht besorgt, weil auch Opposition und Verfassungsgerichtshof mehrfach gezeigt haben, dass sie sich von diesen zentralen Fundamenten ebenfalls weit entfernt haben (Mit einer nachträglichen Ergänzung).

Zum Glück gibt es die Bundesverfassung. Deren erster Artikel sagt unmissverständlich: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus."

Vom Volk. Das ist eine ganz eindeutige Formulierung. Offenbar waren Hans Kelsen & Co, die Texter der Verfassung, auch Populisten. "Populus" heißt nämlich nichts anderes als "Volk". Populisten sind also die, die das wollen, was in der Verfassung steht.

Vom Volk. Also nicht von der Politik, nicht von irgendeiner Elite, nicht von Intellektuellen, nicht von der Regierung, nicht von der UNO, nicht von der EU, nicht von Richtern, und auch nicht von hohen Gerichtshöfen mit arroganter Anmaßungsattitüde.

Gewiss: Sie alle haben eine Rolle im Rechts- und Verfassungsstaat. Aber sobald sie diese Rolle nicht mehr als bloße Teilaufgabe in einem komplexen Prozess auffassen, sobald sie ihre Aufgabe nicht mehr mit dem notwendigen großen Ausmaß an Demut ausüben, sobald sie nicht mehr begreifen, dass sie jenen zu dienen haben, von denen einzig das Recht ausgeht, verletzen sie das alleroberste Prinzip der Bundesverfassung. Dann unterminieren sie das Überleben des Rechtsstaates an sich. Dann machen sie sich schuldig an revolutionärem Chaos,  an Anomie und Rückkehr zum Faustrecht.

Historisch war die Betonung der Volkssouveränität natürlich einst auch noch in einer weiteren Richtung entscheidend: nämlich als Gegensatz zu Verfassungen, die einem "legibus solutus", also über allen Gesetzen stehenden, Monarchen die oberste Souveränität einräumen (oder dem Naturrecht oder den heiligen Büchern einer Religion). In Österreichs heutiger Verfassung ist aber eindeutig das Volk das Fundament des Rechtsstaats und auch seine oberste Instanz. Ganz ohne Einschränkungen.

Alle genannten Akteure haben jedoch schon kräftig zur Unterminierung dieses Rechtsstaats beigetragen. Aus Machtrausch, aus Verachtung für "das Volk", aus Dünkel, aus Bereicherungsgier, aus Dummheit.

In Äußerungen der Minister Moser und Kickl war binnen weniger Stunden konzentriert zu beobachten, wie wenig selbst die beiden hauptzuständigen Minister Verfassung und Rechtsstaat begreifen. Das macht besorgt, auch wenn es oberflächlich nur um eine persönliche Animosität zwischen den beiden zu gehen scheint. Die Sorge um den Rechtsstaat sollte den Bundeskanzler dazu veranlassen, dieses Thema an die Spitze seiner Agenda zu stellen. Auch die geradezu mutwillige Zerstörung der innerkoalitionären Klimas durch die beiden sollte ihn dazu veranlassen. Sowie der – erwartbar gewesene – Umstand, dass auch der Bundespräsident sofort hineingestänkert hat.

Wenn Innenminister Kickl verlangt, "dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht", dann ist das so grundlegend falsch, dass man es nicht einmal mit dem Hinweis entschuldigen kann, er hätte sich nur unpräzise ausgedrückt.

Denn es ist ganz eindeutig: Das Recht hat nicht der Politik, sondern der Gesetzgebung zu folgen. Und das ist ein Riesenunterschied. Die Entstehung von österreichischem wie auch europäischem und internationalem Recht ist ein komplizierter, aber genau geregelter Vorgang, in dem auf österreichischer Seite Nationalrat und Bundesrat, Bundesregierung und Parlament ihre eindeutig identifizierten Rollen haben.

Über allem aber steht das Volk. Dessen Mitwirkung ist bisweilen obligatorisch (bei Wahlen oder Gesamtänderungen der Verfassung); sie wird in anderen Fällen bewusst gesucht (Zwentendorf- oder Bundesheer-Abstimmungen). An dieser zentralen Rolle ändert es nichts, dass das Volk in weiteren Bereichen nur vertreten, nur "repräsentiert" wird.

Diese zentrale Rolle des Volkes kann (und sollte) sich wie etwa in der Schweiz auch noch zu einer noch viel direkteren Demokratie weiterentwickeln. Aber auch im österreichischen System einer meist bloß repräsentativen Demokratie steht eindeutig das Volk an der Spitze.

Zwar gehören auch die bei der repräsentativen Gesetzgebung mitwirkenden Akteure zur "Politik". Aber zu dieser zählen auch noch viele andere Akteure – von Ministersekretären bis zu den Parteiorganisationen und wohl auch den Medien und den vielen parteinahen Vereinen und NGOs. Aber sie haben nichts mit der Gesetzgebung zu tun. Und sie sind nicht gewählt. Daran ändert es nichts, wenn sie sich selbst in einem Etikettenschwindel hochtrabend "Zivilgesellschaft" nennen, um aus der eigenen Irrelevanz herauszukommen. Und mit dem "Volk" der Bundesverfassung haben sie schon gar nichts zu tun.

Es ist jedenfalls grob fahrlässig, wenn Kickl davon spricht, dass das Recht der Politik zu folgen habe. Genauso falsch, genauso schlimm sind aber auch die kurz darauf folgenden Äußerungen des Justizministers: "In einem Rechtsstaat steht das Recht an oberster Stelle." Wäre dieser Satz wahr, würde das eine absolute Diktatur jener bedeuten, die zu befinden haben, was denn eigentlich genau das Recht sei. Dann hätten wir eine Richterdiktatur.

Wäre dieser Satz wahr, dann könnten Recht und Verfassung auch nie mehr geändert werden! Recht ändern kann ja nur jemand, der über dem Recht steht.

Wäre dieser Satz wahr, wäre auch Moser selbst im Grund ein Putschist. Ist er doch mit der öffentlich beschworenen Intention als oberstes Ziel angetreten, nicht nur Gesetze, sondern sogar die Verfassung zu ändern, um den bundesstaat zu reformieren. Genau dasselbe versuchen gerade die Wiener und Linzer Sozialisten: Sie versuchen, eine eindeutige Verfassungsregel zu kippen, nämlich die eindeutig beim Bund liegende Kompetenz für die Polizei. Politiker, die versuchen, die Verfassung zu ändern, stellen sich selbst über das Recht, stellen "die Politik" über das Recht. 

Daher ist es einfach mies, wenn der Justizminister noch dazu mit präpotentem Auftreten dem Innenminister genau das zu versagen versucht, was er selbst tut oder gerne tun will.

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt: Es gibt nicht nur das Volk und die vom Volk gewählten Gesetzgeber als eindeutig über dem Recht stehende Instanz, sondern auch noch zwei weitere Instanzen – selbst wenn man Naturrecht und göttliches Recht negiert, die lange als die obersten Instanzen angesehen worden sind. Über allem stehen auch einerseits die Naturgesetze und andererseits die Gesetze der Ökonomie.

Beide entziehen sich menschlichem Wollen. Wenn etwa Volk und Parlament beschließen sollten, dass jeder Österreicher künftig doppelt so viel Einkommen bekommt wie bisher, wäre das absolut wirkungslos: Denn das Geld wäre auf Grund der unveränderbaren Regeln der Ökonomie binnen kürzester Zeit nur noch halb so viel wert wie vorher. Und wenn die Gesetzgeber beschließen sollten, dass Energie nur noch aus Wind und Sonne gewonnen werden darf, dass aber der Lebensstandard gleich bleiben muss, dann ist das schlicht wirkungslos. Weil der Lebensstandard mit absoluter Sicherheit steil abstürzen wird.

Zurück zum Volk. Auch Justizminister und Bundespräsident werden irgendwann begreifen müssen, dass ein noch so ausgefeiltes Rechtssystem kollabieren muss, wenn es frontal gegen das Volk steht, wenn es zu ignorieren versucht, dass das Volk (abgesehen von ökonomischen und Naturgesetzen) die oberste Quelle des Rechts zu sein hat. Gerade wer den Rechtsstaat als friedensstiftendes Prinzip retten will, gerade wer unter Rule of Law eben nicht die elitär-abgehobene Herrschaft einer systemimmanent denkenden Juristenclique verstehen will, der muss auch zur Änderung von Rechtsregeln bereit sein, sobald diese nicht funktionieren, sobald sie schlimmen Schaden anrichten, sobald sie vom Volk ganz eindeutig abgelehnt werden.

Auch der Bundespräsident hat sich sofort einzubringen versucht. Was er ja immer tut, wenn er glaubt,  Dissens in der Regierung für sich nutzen zu können. Aber auch er hat dabei nur Nonsens geredet: Wenn an der Europäischen Menschenrechtskonvention gerüttelt werde, wäre das "eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik".

Lernen Sie Geschichte, Herr Van der Bellen! Die Zweite Republik ist einige Jahre älter als diese Konvention, sie hat eindeutig einen ganz anderen Grundkonsens. Daher würde die Zweite Republik auch ohne Konvention weiterbestehen. In mancherlei Hinsicht schlechter, in mancherlei – etwa bei der Migration – viel besser.

Wer es wie Van der Bellen oder Moser a priori ablehnt, dass die Menschenrechtskonvention in ihren nicht funktionierenden Teilen hinterfragt wird, ist letztlich ein Saboteur des Rechtsstaats. Denn Tatsache ist, dass es die große Mehrheit des Volkes empört ablehnt:

  • dass de facto fast jeder illegale Immigrant, der es bis hierher geschafft hat, in Österreich, in Europa bleiben kann;
  • dass selbst Rechtsverletzungen durch Asylwerber vielfach nichts an ihrem Bleiberecht ändern;
  • dass das judizierte Recht ihnen nach Verurteilungen (etwa wegen Drogendealens) sogar vertiefte Ansprüche aufs Bleiben gibt;
  • und dass Bürger zahlloser Staaten überhaupt von Abschiebungen ausgenommen sind, nur weil dort nach Ansicht einer welt- und bürgerfremden Richter-Elite ungute Zustände herrschen.

In all diesen Punkten muss ein am Überleben des Rechtsstaats Interessierter einen dringenden Handlungsbedarf erkennen. Einschließlich des Bedarfs der Änderungen an Gesetzen, an europäischen und internationalen Regeln und Konventionen, und einschließlich der sich immer übler entwickelnden Judikatur dazu, die ja weit über alles hinausgegangen ist, was eigentlich in jenen Konventionen steht.

Es ist geradezu ein Verbrechen am "Rule of Law", solche Änderungen, Diskussionen über solche Änderungen, ein solches Rütteln an Gesetzen verbieten zu wollen. Und wer in einer schwarz-blauen Regierung sitzt, die (endlich) diesen Änderungsbedarf erkannt hat, zumindest wenn man dem Wortlaut ihrer Wahl- und Regierungsprogramme glaubt, der sollte intensiv darüber nachdenken, was er in dieser Regierung eigentlich noch verloren hat.

Was aber ist, wenn kein Konsens mit anderen Nationen über die Änderung internationaler Konventionen und über Verträge zur Änderung einer sich fehlentwickelnden Judikatur gefunden werden kann? Ja, dann darf es am Ende auch keineswegs tabu sein, über den Austritt aus solchen Konventionen nachzudenken. Österreich ist ihnen freiwillig beigetreten. Es muss daher auch freiwillig austreten können.

Österreich hat allerdings nicht einmal noch begonnen, international mit Nachdruck auf solche Änderungen zu drängen und Gleichgesinnte zu suchen. Zuständig wären ausgerechnet die gerade streitenden Minister. Doch diese dürften nicht sonderlich geeignet sein, durch geschickte Kontakte in diesen Fragen einen internationalen Konsens zu schaffen. Diese Versuche müssen jedenfalls vorerst im Vordergrund stehen, bevor man an die nächsten Schritte auch nur denkt. Freilich darf der Versuch, Konventionen zu ändern, nicht ein ewiger Prozess werden, der länger als ein oder zwei Jahre dauert.

Und jedenfalls muss all das in korrekten Bahnen erfolgen. Sowohl Konventionsänderungen wie auch Austritte. Mutig, nur an Österreichs Interessen denkend, aber korrekt.

Und ebenso selbstverständlich sollte es absolut ausgeschlossen sein, dass die Verwaltung einfach tut, was sie will. Der Innenminister sollte seine diesbezüglichen Andeutungen dringend klarstellen und sagen, dass sich die Exekutive voll und ganz an Gesetze und Konventionen halten wird, solange diese noch gelten. Sie kann und soll zwar Druck Richtung Änderungen machen, sie kann und soll viel konkreter als bisher das unglaubliche Ausmaß des Missbrauchs im Migrationsrecht aufzeigen, sie kann und soll ausprobieren, ob man Gesetze nicht auch anders, sinnvoller auslegen kann. Aber ganz eindeutig haben alle Kritiker des Innenministers recht, die ihn darauf hinweisen: "Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden."

So steht es nämlich ebenfalls in der Bundesverfassung.

PS: Ein nur scheinbar fernab liegendes, aber aktuelles Exempel zeigt, in welch schwerer Krise der Rechtsstaat und die Juristenzunft als mächtige Akteure darin stecken. Es geht um das bisher weitaus größte gesellschaftliche Ereignis der heimischen Juristen, um den Juristenball. Dieser Ball wird von einem gewöhnlichen Verein veranstaltet, in dem aber seit einiger Zeit skandalöse Zustände herrschen. Denn er feuerte plötzlich seine eigene Generalsekretärin und Ball-Organisatorin nach vielen Jahrzehnten treuester Dienste. Und zwar im 75. Lebensjahr! Die völlig fadenscheinigen, geradezu lächerlichen Gründe, die man für ihre Entlassung anführt, machen das eigentliche Motiv klar, warum man sie nicht mit allen Ehren in die Pension schicken will: Der Verein will sich einfach die nach so vielen Jahren naturgemäß beträchtliche Abfertigung ersparen. Dieses miese Verhalten im Kleinen symbolisiert wie ein Fanal den miesen Zustand einer ganzen Zunft und des ganzen Rechtsstaats. Überall geht es offenbar nur noch um Macht und Interessen. Und nirgendwo um das Recht, um die Bürger, um das Volk.

Nachträgliche Ergänzung: Ziemlich grotesk ist auch die Erregung der Juristenklasse, die wie auf Pfiff von der Rechtsanwaltskammer angefangen über den Kickl-Sager hergefallen ist. Das ist nicht nur deshalb grotesk, weil daraus allzu vordergründig der Anspruch der Juristen ablesbar ist, an Stelle des Gesetzgebers selbst exklusiv das Recht definieren zu können. Sondern auch deshalb, weil diese Juristenfunktionäre sich total verschwiegen haben, als einige Tage davor der Wiener SPÖ-Stadtrat Hacker in aller Brutalität gesagt hatte, Gesetze nicht anwenden zu wollen. Das war um etliches mehr eine Kampfansage an den Rechtsstaat als die Aussage von Kickl über den Primat der Politik.

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