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Der Weltkrieg, Dollfuß und Stauffenberg

Vor hundert Jahren begann der Erste Weltkrieg. 30 Jahre hat er und der von ihm ausgelöste zweite Krieg Europa und viele andere Weltregionen verwüstet. In diesen Jahren haben die beiden großen Totalitarismen der jüngeren Geschichte begonnen. All das kostete hunderte Millionen Menschen das Leben. Erst die USA, ihr europäisches Engagement und der Sieg der liberalen Marktwirtschaft konnten dieses Ringen beenden. Am erstaunlichsten ist, wie wenig langfristig die Menschheit daraus gelernt hat, und wie sehr in den deutschsprachigen Ländern eine einseitige Geschichtsschreibung diese Epochen verfälscht.

Diese Verfälschung hat vor allem an den Universitäten stattgefunden. Und im Gefolge fast automatisch in vielen Medien. Im Gefolge dieser Verfälschung hat die Geschichtsschreibung zwei andere fast ebenso wichtige Jahrestage fast totgeschwiegen: Der eine war vor 80 Jahren die Ermordung von Engelbert Dollfuß durch die Nazis; der andere war das 70 Jahre zurückliegende Scheitern des Stauffenberg-Attentats auf Hitler.

Das Haupt-„Verschulden“ von Dollfuß wie Stauffenberg: Sie kamen von rechts; sie waren konservativ und christlich geprägt. Dabei waren beide die eindeutig relevantesten Versuche, sich in Österreich beziehungsweise Deutschland den Nazis entgegenzustellen. Dabei hätten beide – bei einem Erfolg – die Totenziffern in Europa möglicherweise deutlich gesenkt.

Es ist für die heutige Sozialdemokratie sehr peinlich, dass es aus ihren Reihen keinen einzigen ernstzunehmenden Versuch gegeben hat, sich Hitler entgegenzustellen. Gerade ihre Wähler sind großflächig zu den Nazis übergelaufen. In Österreich haben noch nach 1945 bedeutende damalige Führer der Sozialdemokratie zur Fortsetzung des Anschlusses aufgerufen. Erst Ende der 80er Jahre (als niemand mehr die alt gewordenen Nazis brauchte) riefen dementsprechend die Sozialdemokraten intensiv zum Kampf gegen die braune Flut. Ein wenig spät. Aber erfolgreich waren die medial-universitären Bemühungen der Sozialdemokratie zu vertuschen, dass sie ein dreiviertel Jahrhundert den Nazis fast Nichts entgegenstellte.

An Stauffenberg störte sie sein aristokratischer Umkreis, sein Einsatz für die Ehre Deutschlands. Dabei haben gerade die auch nach Österreich reichenden Attentäter von Juli 1944 sowohl die (nach dem ersten Weltkrieg sehr angeschlagene) Ehre der Aristokratie wie auch jene Deutschlands gerettet.

Aber Dollfuß! Hat er nicht die Demokratie ausgeschaltet? Hat er nicht wenige Monate vor seinem eigenen Ende Todesurteile gegen die putschenden Sozialdemokraten vollstrecken lassen? Ja, das hat er. Das waren schwere Fehler. Daher wird das auch hier hier keineswegs vertuscht, auch wenn damals Todesurteile noch in fast allen Ländern gebräuchlich waren. Auch wenn von den USA bis China selbst heute noch Staaten die (vom Autor immer abgelehnten!) Todesstrafe verhängen.

Nur: Die legitime Kritik an Dollfuß sollte bloß jene aussprechen, die auch den lauten und antidemokratischen Ruf der Sozialdemokratie nach der „Diktatur des Proletariats“ kritisch und deutlich ansprechen. Denn dieses auch im damaligen Parteiprogramm stehende Verlangen war für die meisten Österreicher wenige Jahre nach der Oktoberrevolution und des Beginns der Herrschaft Lenins und Stalins alles andere als bloß eine Redewendung.

Die Sozialdemokratie war mit diesem Ziel alles andere als demokratisch. Die Mehrheit wollte hingegen keineswegs eine Diktatur des Proletariats: weder Bauern, noch Beamte, noch Gewerbetreibende, noch Kirchgänger. Die Tragik jener Jahre liegt also auch bei den Sozialdemokraten selber. Da mögen sie noch so sehr die heutigen Medien und Universitäten beherrschen. Damals erkannte der Großteil ihrer Anhänger die Bedrohung durch Hitler nicht. Franz Olah war eine große Ausnahme. Kritik an Dollfuß sollte im übrigen auch nur der aussprechen, der den Antisemitismus eines Karl Renner und dessen Anbiederung an Hitler und Stalin beim Namen nennt.

Die Lunten des Jahres 1914

In Hinblick auf 1914 ist es naiv zu meinen, dass es keinen Krieg gegeben hätte, hätte es keinen Gavrilo Princip gegeben. In Wahrheit gab es viel zu viele Lunten in dem Pulverfass, das Europa damals war:

  • zum Krieg verpflichtende Bündnissysteme,
  • den Glauben vieler Nationen an die eigene Machtsteigerung durch Kolonien,
  • den überall erwachten Nationalismus,
  • das besonders heftig um seine Rechte kämpfende Slawentum,
  • das Streben der Italiener und Ungarn,
  • die Überlegenheitsgefühle der Deutschnationalen,
  • der verbreitete Militarismus, also das hohe Ansehen von Uniformträgern und Armeen,
  • die Dynamik der Industrialisierung,
  • die Überforderung der erstmals mit einer relevanten öffentlichen Meinung kämpfenden politischen Klasse,
  • die gefährliche Rhetorik der Medien,
  • die fast nirgendwo sauber geklärte Machtteilung zwischen Aristokratie und Zivilpolitikern,
  • die völlig unzureichende Trennung zwischen Religion und Staat,
  • die nach einem Jahrtausend sinnfrei gewordenen dynastischen Herrscher
  • und die totale Brüchigkeit gleich dreier großer Vielvölkermonarchien.

Das alles hätte wohl so oder so zu einem furchtbaren Krieg geführt.

Hundert Jahre später beklemmt jedoch etwas anderes als die längst hinfällige Frage nach der Kriegsschuld. Es ist die Erkenntnis, wie wenig offenbar die Menschheit dauerhaft gelernt hat. Es ist gerade 2014 das Jahr besonders schlimmer Wiederkehr: Russland verändert nicht durch Selbstbestimmung, sondern wieder durch das Militär Grenzen. Der Balkan ist noch immer ein Chaos. Serbien steht in einer totaler Zerreißprobe zwischen Russland und dem Westen. Wieder (wenn auch auf ganz anderen Wegen) greift der Islam nach Europa. Zunehmend wenden sich die USA von dem Kontinent ab. All das war schon vor hundert Jahren relevant.

Es sind aber auch jene Dinge kaum trostreicher, wo sich 2014 total von 1914 unterscheidet. Im Westen sind heute die Grenzen unbestritten; Deutschland ist mit Großbritannien und Frankreich ziemlich einig; es herrscht alles andere als Militarismus: Aber eine taugliche Antwort auf den russischen Vorstoß, auf die Balkanfrage und eine wirkliche Führung fehlen. Die einen schützen ihre Banken und ihr Gas gegen wirkliche Sanktionen, die anderen ihre Kriegsschiffproduktion. Dabei sind zweifellos Sanktionen das beste Mittel, um Kriege zu vermeiden.

Vor allem ist dieses Europa mehrheitlich noch immer nicht dem Prinzip der Selbstbestimmung nähergerückt. Daher hat Europa keine gute Antwort auf die Ukraine-Krise. Daher wäre ich nicht einmal sonderlich überrascht, wenn es in wenigen Monaten auch in Spanien zu Blutvergießen zwischen Spaniern und Katalanen kommen sollte.

Zugegeben: Es ist historisch schon viel wert, dass es fast 70 Jahre in West- und Mitteleuropa Frieden und wirtschaftlichen Aufstieg gegeben hat. Das sind immerhin zwei Generationen.Dafür muss man dankbar sein, wenn man gerade in dieser Zeit leben darf.

Aber angesichts des düsteren Ausblicks macht das für die Zukunft nicht wirklich Hoffnung. Denn auch vor dem Ersten Weltkrieg hat es eine lange friedliche Phase gegeben.

 

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