Salafismus in Österreich

Wie in allen europäischen Ländern hat sich auch in Österreich der Salafismus als Oberbegriff für ein breites Spektrum indigen entstandener gewaltloser und gewaltsamer reformistischer Gruppierungen als derzeit dynamischste islamistische Bewegung mit lebenspraktischer Orientierung ausgebreitet. Diese zieht die in ihren extremistisch-militanten Ausprägungen insbesondere Kinder und Jugendliche an, womit sich auch eine junge aktionsorientierte gegen die österreichische Gesellschaft gerichtete gewaltaffine Jugend- und Subkultur etablieren konnte.

Auch wenn dieses Spektrum im Vergleich zum apolitisch puristischen Salafismus und dem politisch orientierten Dawah Salafismus (Dawah = Einladung zum Islam als Missionierung) nur einen quantitativ kleinen Teil des heterogen ausgerichteten Salafismus ausmacht, kann der militante jihadistische Salafismus derzeit die höchsten Zuwachsraten von Anhängern verzeichnen.

Das liegt auch an dem seit Jahren bestehenden engen Netzwerk zwischen österreichischen und deutschen Salafisten, dessen Fäden bis nach Bosnien und Syrien reichen, wo derzeit 80 Jihadisten aus Österreich kämpfen. Diese gehören zu den rund 2000 bis 4000 europäischen Jihadisten in Syrien, die auch für die zum jihadistischen Netzwerk al-Qaidah gehörende an-Nusrah Front und die sich inzwischen von al-Qaidah gelöste „Gruppe Islamischer Staat im Irak“ und ash-Sham (ISIS) kämpfen. Letztere kann dem extrem brutalen jihadistischen Spektrum der Neo Zarqawis zugeordnet werden, welches durch die Gewinnung von Raum und die Kontrolle von Städten in Syrien und dem Irak einen Dawla Islamyyia (islamischen Staat) auf Grundlage der Schariah errichten will.

Was ein Dawla Islamyyia in der Realität bedeutet, kann man in der syrischen Stadt Raqqah sehen, wo ISIS die Körperstrafen des islamischen Strafrechts und den sozial-politisch minderen Dhimmi-Status für Christen eingeführt hat, die dort als „Schutzbefohlene“ faktisch als Menschen zweiter Klasse leben müssen.

In Syrien selbst bestehen Anhaltspunkte für Verbindungen zwischen deutschen und tschetschenischen Jihadisten des „Islamischen Kaukasus Emirat“, was für Österreich insoweit von Bedeutung ist, als ein quantitativ nicht unerheblicher Anteil der 80 Jihadisten aus der tschetschenischen Community in Österreich stammen.

Die Verbindungen zwischen österreichischen und deutschen Salafisten lassen sich hierbei zumindest bis Ende 2010 zurückverfolgen, als Mitglieder der inzwischen in Deutschland verbotenen salafistischen Gruppierung DawaFFM (Dawa Frankfurt/Main) an einem Islamseminar in Wien teilnahmen.

Knotenpunkte dieses Netzwerkes in Österreich mit seinen lokalen und globalen Bezügen sind neben Einzelpersonen eine kleine Anzahl von Moscheevereinen, die etwa in Wien auch immer wieder deutschen Jihadpredigern Raum für ihre Agitation bieten. So im Oktober 2013 in einer den österreichischen und deutschen Sicherheitsbehörden bekannten Moschee in Wien-Leopoldstadt.

Diese Jihadprediger stammen primär aus dem Umfeld des salafistischen Netzwerkes „Die Wahre Religion“ (DWR) aus dem Raum Köln/Bonn, welches durch die LIES! Verteilkampagne des Koran bekannt geworden ist. DWR steht in Deutschland unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden, da man davon ausgeht, das mit der von ihr initiierten LIES! Kampagne gezielt Jugendliche rekrutiert und im Zeitablauf durch gruppendynamische Prozesse radikalisiert werden.

Dies ergibt sich aus der vermehrt zu beobachtenden Funktion eines Durchlauferhitzers von salafistischen Dawah Gruppen für eine folgende Jihadisierung, da die Grenzen zwischen missionarischem und militantem Salafismus amorph sind. Fast alle bisher bekannten militanten Jihadisten wiesen in ihrer Biographie Bezüge zum Da’wah Salafismus auf, bevor sie sich weiter radikalisierten und jihadisierten. In Österreich wird die LIES! Kampagne vom LIES! Projekt Österreich koordiniert, welches im ganzen Land Verteilungsaktionen durchführt.

Das salafistische Netzwerk in Österreich

Ebenso bestand früher eine Verbindung von DWR mit dem derzeit in der Türkei inhaftierten Wiener Jihadisten Mohamed Mahmoud (Abu Usama al-Gharib), der die seit Juni 2012 in Deutschland verbotene salafistisch-jihadistische Organisation Millatu Ibrahim (Die Gemeinschaft Abrahams) mitbegründete, die sich seitdem in ein dehierarchisch organisiertes jihadistisches Netzwerk mit informeller Mitgliedschaft gewandelt hat.

Mitglieder von Millatu Ibrahim waren 2012 an Krawallen in Solingen beteiligt, bei denen mehrere Polizeibeamte durch gezielte Messerstiche schwer verletzt wurden. Ebenso sollen Mitglieder von Millatu Ibrahim, die als Mudschahidun (die den Jihad ausübenden) in Syrien kämpfen, an Verbrechen gegen die dortige Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein.

Millatu Ibrahim ist der Titel eines Buches des in Jordanien inhaftierten und derzeit einflussreichsten lebenden Propagandisten des gewaltsamen Jihadismus Abu Muhammad al-Maqdisi. Al-Maqdisi bezieht sich hierbei auf die Sure 60:4 im Koran, aus der er das Konzept der Loyalität gegenüber dem einzigen Gott (Tawhid) und der Lossagung vom Polytheismus und seinen Anhängern ableitet, weil alles neben der alleinigen Anbetung Allahs Taghut (Götzendienst) ist, was etwa für die Demokratie als Menschenwerk gilt. Dieses Konzept ist bekannt als al-Wala wa l-Baraa (Loyalität und Lossagung), welches durch die Sure 5:51 im Koran legitimiert wird.

Demzufolge sei es die Pflicht des Gläubigen, den Kufr (Unglauben) vieler nomineller Muslime als solchen zu benennen und ihnen gegenüber eine offen feindselige Haltung einzunehmen. Mahmoud und seine Anhänger übernahmen dieses Konzept und forderten auch hier von den Muslimen, offene Feindschaft gegenüber den nicht gleich gesinnten Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft zu leben.

Das verdeutlicht, das der Salafismus in seinen extremistischen Ausprägungen primär gegen nicht-salafistische Muslime gerichtet ist, was in der aktuellen Diskussion bisher kaum thematisiert wird.

Ebenso wird im militanten Spektrum als Weiterführung von al-Wala wa l-Baraa das Konzept von at-Takfir wal-Hidschra (Entlassung in die Zeit der vorislamischen Barbarei und Auswanderung) propagiert.

Hiernach muss die Herkunftsgesellschaft in die Jahiliyyah (Zeit der vorislamischen Barbarei) entlassen werden, weil diese nicht auf Grundlage der Schariah regiert wird und, dem Beispiel des Religionsstifters Muhammad folgend, die Auswanderung (Hidschra) unternommen werden, um die ungläubige Gesellschaft mittels des gewaltsamen Jihad bekämpfen zu können, bis ein Dawla Islamyyia errichtet werden kann.

Ein Konzept, welches auf das Buch Ma’alim fi at-Tariq (Zeichen auf dem Weg oder Meilensteine) des 1966 hingerichteten Theoretikers der ägyptischen Muslimbruderschaft Sayyid Qutb zurückgeht und auch die Gründergenreration von al Qaidah beeinflusst hat.

Mohamed Mahmoud wurde bekanntlich wegen seiner Aktivitäten für die al-Qaidah-nahe Medienplattform Islamische Globale Medienfront (GIMF) zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, nach deren Verbüßung er Österreich verließ, um in Deutschland zu agieren, bevor er sich wegen des dortigen staatlichen Verfolgungsdruckes in die arabische Welt absetzte.

Mahmoud gilt heute in der salafistisch-jihadistischen Szene als Symbolfigur mit Vorbildfunktion für österreichische und deutsche Jihadisten, dessen Predigten global von der salafistisch-jihadistischen Medienplattform Tauhid Germany im Rahmen des Social Jihad bei You Tube und Facebook verbreitet werden.

Ebenso gilt Mahmoud als Mentor und Shaykh des deutschen Jihadpredigers Abu Ibrahim (Hasan K.), der derzeit gezielt zum zukünftigen wirkmächtigen Propagandisten des gewaltsamen Jihadismus aufgebaut wird, der gezielt Kinder und Jugendliche ansprechen soll.

Beide folgen den Lehren des al-Qaidah nahe stehenden Gelehrten Shaykh Abu Sufyan as-Sulami Turki al-Binali aus Bahrain, dem Ende Februar die Einreise nach Tunesien verweigert wurde. Shaykh as-Sulami kann als Jihadprediger eingestuft werden, der im Internet unter anderem zur Teilnahme am global ausgerichteten Jihadismus und insbesondere zum Jihad in Syrien aufruft, da die dort regierenden Nusairier (Alawiten) von den Sunniten in der Regel nicht als Muslime anerkannt werden. Ebenso legitimiert as-Sulami den Kampf gegen ungläubige Herrscher in der arabischen Welt.

Auch bestanden in der Zeit von Millatu Ibrahim in Deutschland enge Kontakte zwischen Mahmoud und dem derzeit aktivsten deutschsprachigen Propagandisten des gewaltsamen Jihadismus in sozialen Netzwerken Abu Talha al-Almani (Denis Mamadou Gerhard Cuspert), der in seinen global verbreiteten Anashiid (agitatorische Propaganda- und Kampflieder ohne Instrumentalbegleitung) offen zu Anschlägen in Syrien und Europa aufruft. Al-Almani agiert in Syrien für die an-Nusrah Front, während sich derzeit vermehrt deutschsprachige Mudschahidun für die Teilnahme am Jihad bei ISIS entscheiden.

Ebenso verbreitet Tauhid Germany über ihre Internetpräsenz, auf Youtube und Facebook die Predigten eines den Sicherheitsbehörden ebenfalls bekannten und in Wien agierenden salafistischen Predigers aus Bosnien, der auch bei der Veranstaltung in Wien-Leopoldstadt im Oktober 2013 in Erscheinung trat.

Dieser kann als Jihadprediger eingestuft werden, da er den gewaltsamen Jihad als Fard al-Ayn, als individuelle und nicht delegierbare Pflicht (Wadschib) im Rang der Ritenpraxis der Fünf Pfeiler des Islam predigt. Diesem muss jeder Muslim zur Befreiung islamischen Gebietes (Dar(u) l-Islam) angeblich folgen. Kinder, Jugendliche und Frauen können dort ohne Erlaubnis der Eltern oder des Ehemannes in den gewaltsamen Jihad auswandern, weil dieser Fard al-Ayn geworden ist.

Für militante Jihadisten ergibt sich hieraus die Legitimation, in Syrien zu kämpfen, um ihre sunnitischen Glaubensbrüder von dem säkularen alawitischen Assad-Regime und den mit ihm verbündeten Schiiten der libanesisch Hizb(u) Illah und Kräften der iranischen Revolutionsgarden im Sinne eines Verteidigungsjihads zu befreien und zu beschützen.

Dies ebnet gerade jungen Re- und Newborn Muslimen (wiedergeborene Muslime) und Konvertiten, die den historischen Hintergrund der Entstehung solcher Lehren aus dem Bereich des Fiqh as-Siyar (Rechtsgebiet, welches sich mit dem islamischen Kriegs-, Fremden- und Völkerrecht befasst und auch als International Islamic Law gelehrt wird) nicht kennen, den Weg in Hass, Fanatismus und Gewalt. Ein Weg, der vermehrt in den Tod in Syrien führt.

Die Fehler des Westens

Unterstützt werden militante Jihadisten im Ausland wahrscheinlich auch durch einen Teil der Spenden, die im Rahmen regelmäßig stattfindender Benefizveranstaltungen für Syrien in Österreich und Deutschland gesammelt werden. Hier gibt es eine Anzahl salafistischer humanitärer Hilfsorganisationen, die aufgrund von Anhaltspunkten für die Unterstützung verschiedener jihadistischer Gruppen in Syrien unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden stehen. Diese Hilfsorganisationen haben sich zu global agierenden NGOs entwickelt, die neben Syrien auch an vielen anderen jihadistischen Brennpunkten der Welt wie der Sahelzone aktiv sind.

Hierbei geht es nicht um Spendensammlung zur Linderung der humanitären Katastrophe in Syrien allgemein, da auch Salafisten für humanitäre Zwecke Spenden sammeln dürfen. Sondern es geht um die mögliche Unterstützung jihadistischer Gruppen in Syrien und an anderen jihadistischen Brennpunkten der Welt. Und das tangiert auch die außenpolitischen Interessen Österreichs.

Insgesamt wird sich das salafistische Spektrum mit seinen gewaltaffinen und extremistischen Ausprägungen in Österreich weiter ausbreiten. Es strebt die Überwindung der wertepluralistisch und freiheitlich verfassten Ordnung der Republik Österreich an, vergiftet das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener ethnischer Herkunft und religiöser Orientierung, spaltet die Muslime (da nicht-salafistischen Muslimen abgesprochen wird, Muslime zu sein) und entfremdet insbesondere Kinder und Jugendliche von der Gesellschaft, bis sie diese hassen, der Jahiliyyah überlassen und in den gewaltsamen Jihad auswandern.

Auch wenn das quantitative Mitgliederpotential zur Zielerreichung nicht ausreicht, wächst derzeit die Gefahr von Anschlägen in Österreich durch Rückkehrer aus Syrien. Ebenso durch indigene Einzelpersonen, Kleinst- und Kleingruppen, die sich durch das Internet jihadiseren (Homegrown Terrorism), wobei die Zeiträume von der Radikalisierung bis zur Jihadisierung immer kürzer werden. Dies ergibt sich aus dem Umstand, das Österreich als Teil eines globalen Gefahrenraums anzusehen ist und somit auch im Zielspektrum jihadistischer Gruppierungen liegt.

Auch wenn – im internationalen Kontext betrachtet im Vergleich zu anderen Ländern wie Deutschland – eine nachrangige, aber gleichwohl als relevant zu bezeichnende Gefährdungslage für Österreich besteht, kann sich diese jederzeit in entsprechenden Anschlägen als konkrete Gefährdungslage manifestieren. Daher muss eine offensive Auseinandersetzung mit diesem Spektrum von der gesellschaftlichen bis zur sicherheitspolitischen Ebene geführt werden, da die seit Jahren zu beobachtende Tatenlosigkeit und bis zur Selbstaufgabe betriebene Toleranz der angesprochenen Ebenen gegenüber diesen Gruppierungen bestehende Konflikt- und Gewaltpotentiale fördert, was nicht absehbare Folgen für die österreichische Gesellschaft haben wird, wenn diese zur Eruption kommen.

Vielmehr sollte man auch in Österreich das beherzigen, was der deutsche Staatsrechtler und SPD-Politiker Carlo Schmid, einer der Väter des deutschen Grundgesetzes, als Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik 1948 im zukünftigen Umgang mit den Feinden der Demokratie angemahnt hat:

„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass Sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. Ja, ich möchte weiter gehen. Ich möchte sagen: Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

(„Was heißt eigentlich: Grundgesetz?“, Rede des Abgeordneten Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat, 8. September 1948)

Dr. Thomas Tartsch, Jahrgang 1967, ist Wissenschaftlicher Berater zum Thema Salafismus, Dozent und Publizist.

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