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Bildung als Formung – Chance oder Relikt?

Im Lärm der Meinungen, zu welchen Zielen denn eigentlich eine Bildungsreform führen soll, droht die oft einseitig geführte Diskussion wichtige Bausteine zu verdrängen, auf die der junge Mensch ein Anrecht hat und die eine Gesellschaft, sofern sie auf das Beiwort „human“ noch einen Wert legt, nicht ohne langfristige Folgen außer Acht lassen kann.

Viele höhere Schulen Österreichs bieten eine ausgezeichnete anwendungszentrierte und praxisorientierte Ausbildung, die entscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beiträgt. Diese Form der Schulbildung hat in unserer Gesellschaft keine Rechtfertigung nötig, der Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften und der Erfolg im Berufsleben geben ihr Recht. Dennoch versteckt sich in dieser „erfolgreichen Einseitigkeit“ auch eine Gefahr. Unser Blick auf die Welt, unsere „Weltanschauung“, d. h. die Art und Weise, wie wir die Welt und den Menschen betrachten, droht enger zu werden, das Selbstverständnis des Menschen unterliegt einem Wandel, der für die Gesellschaft nicht ohne gravierende Folgen bleibt.

Faszinierende Einblicke und Eingriffsmöglichkeiten in die Natur, rasante Entwicklungen im Bereich der Technik und vor allem der Informationstechnologie eröffnen uns zwar ungeahnte Chancen, in die Welt und selbstverständlich auch in den Menschen immer stärker und präziser einzugreifen. Wir sind heute in der Lage, von immer kleineren Ausschnitten der physischen Wirklichkeit immer mehr zu wissen. Der Blick für das Ganze aber und insbesondere für die geistig-kulturelle Dimension wird trüb.

Traditionsgeleitete Vernunft, Erinnerung als stets zu leistende Arbeit, um die kollektive (aber auch individuelle) Identität und damit auch Mündigkeit im Denken zu sichern, Reflexion und Orientierung stehen heute mehr denn je in einem Spannungsverhältnis zum (möglichst raschen) Kompetenzerwerb, zur Zurichtung, um bestimmte Funktionen zu erfüllen und erfolgreich zu sein. Wir sind mit unserem (aufgeklärten?) Bewusstsein gefährdet, die Welt und mit ihr den Menschen einfach als Objekte zu sehen, als Dinge, die man (nach welchen Kriterien?) verbessern und derer man sich vor allem bedienen kann.

Traditionsgeleitete Vernunft weiß dagegen auch (durch die Möglichkeit des Vergleichens) von der Vielfalt und Bedingtheit der „Weltanschauungen“. Sie kennt z. B. die bunten Erzählungen des Mythos mit seinen Warnungen vor dem Verlust des Maßes. Die Welt wird in diesem Verständnis samt allem, was sich in ihr tummelt, als „locus sacer“ (heiliger Ort) empfunden. Handlungsträger dieser Geschichten sind stets belebte Wesen, Götter und Menschen.

Physikalische Gesetze, chemische Formeln und mathematische Gleichungen waren dieser Art des Denkens fremd und sie taugen bis heute schlecht für die Beschreibung psychischer, geistiger und religiöser Wirklichkeitserfahrung. Philosophische und literarische Texte können uns z. B. daran erinnern, dass wir die mit unseren Sinnen erfassbare Welt immer nur bildhaft, immer nur als von uns im jeweiligen Kontext und der jeweils konkreten Sprache interpretiert erfassen können. Religiöse Rede versteht weder die Welt noch den Menschen als Zufallsprodukt und lässt den Menschen hoffen, dass er mehr als ein „Durchgangsphänomen des Kosmos“ sei.

Nur der Mensch kann kraft seines reflexiven Bewusstseins die Welt, aber auch sich selbst, seine eigene Psyche, ja sogar sein Denken gleichsam aus einem Abstand betrachten und zum Objekt des Bedenkens und der Analyse machen. Gerade in einer Zeit, in der wir dringend einer Neuorientierung bedürfen, ist also die seit Sokrates und (mit Kant) immer wieder gestellte Frage „Was ist der Mensch?“ aus einem ernsthaften Diskurs über Bildung nicht wegzudenken.

Sollte diese gedrängte Analyse für nachvollziehbar und treffend gehalten werden, stellt sich die Frage, welche Schulform dieser durch Verdrängung drohenden Einseitigkeit und dem in der Folge verzerrten und reduzierten Menschenbild konstruktiven Widerstand leisten könnte.

Der Bildungsbegriff des Gymnasiums

Ein „semantisch entleertes Bildungsversprechen“ oder eine solide und breite Grundlage fürs Leben?

Nun sollen wichtige Aspekte des achtjährigen Gymnasiums, im Besonderen des humanistischen Zweiges, dargestellt werden. Wenn auch umkämpft und rauen Gegenwinden ausgesetzt, behauptet sich ja dieser Schulzweig wie ein erratischer Block in der Bildungslandschaft. Wer diese Schulform heute verteidigt, muss sich jedoch im öffentlichen Diskurs den Anfragen der Gesellschaft und vor allem den interessierten Schülern und Eltern stellen und versuchen, redliche Antworten zu geben.

  • Das erste und entscheidende Merkmal eines Gymnasiums ist wohl, dass es der Allgemeinbildung schon in seiner Definition den Vorrang einräumt (AHS).
  • Im Zentrum des pädagogischen Bemühens steht die Formung junger Menschen, die Vermittlung von Kompetenzen ist zwar ein wichtiges, aber nicht das primäre Ziel dieses Schultyps. Das Training genereller Fertigkeiten hat Vorrang vor konkreter Verwertung.
  • Theoretisches und abstraktes Wissen gilt nicht als Ballast und als Luxus, sondern als wertvolle Hilfestellung für ein tieferes bzw. gründlicheres Verständnis.
  • Die Schüler sollen befähigt werden, Information in Wissen und Wissen in Verstehen zu transformieren.
  • Wissen soll nicht nur in a-historischer Form vermittelt, sondern in seiner Genese nachvollzogen und verstanden werden.
  • Dem Aufbau von Metaebenen wird bewusst Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet (z.B. Einordnung des erworbenen Wissens in größere Zusammenhänge, Vergleich und Bewertung verschiedener Lösungsmöglichkeiten, Sprachen nicht nur können, sondern auch in ihrem Werdegang kennen und ihre Eigenart verstehen, Fragen nach dem „Woher“ bzw. „Warum?“ sollen häufig und mit aller Hartnäckigkeit gestellt werden).
  • Erwerb einer breiten Studierfähigkeit durch eine konsequente und systematische Aufbauarbeit über einen langen Zeitraum (das Gegenteil davon ist eine möglichst rasche und funktionsgerechte Zurichtung).
  • Lernziele orientieren sich nicht nur am (unmittelbaren) Marktwert des erworbenen Wissens, vielmehr gelten Wissen um des Wissens willen, Neugier, Staunen, Aporie und Freude am Erkennen als eigenständige Werte und bedürfen nicht ständig der Rechtfertigung.
  • Im humanistischen Zweig wird dem vielschichtigen Prozess des Übersetzens und der Sprachreflexion ein besonderes Augenmerk geschenkt. Im Dekodieren der Originalsprache und im Rekodieren in der Zielsprache werden der Erwerb und die richtige Anwendung analytischer, synthetischer und hermeneutischer Fähigkeiten gezielt gefordert und gefördert. Durch das Kennenlernen der elementaren Bausteine unserer Kultur soll der Blick auf die Gegenwart und Zukunft erweitert und vertieft werden. Erst die Kenntnis der eigenen kulturellen Identität ermöglicht übrigens einen niveauvollen Dialog mit anderen Kulturen und kann so zu einer konfliktarmen Globalisierung beitragen.
  • Der Mensch soll mit seiner Größe und seinem Elend, mit seinen Chancen und seinen Gefährdungen gleichsam als anthropozentrisches Unterrichtsprinzip im Kanon der Fächer bewusst seinen Platz haben.
  • Neben der geistig-seelischen, musischen und kulturellen Bildung muss auch ein Gymnasium, in welchem Sprachen ein typenbildendes Merkmal darstellen, ein solides Wissen in den Naturwissenschaften vermitteln. Wertschätzung dieses Wissens und der Erwerb der Studierfähigkeit im Bereich der mathematisch bzw. naturwissenschaftlich ausgerichteten Studienrichtungen gehören wesentlich zur gymnasialen Formung.
  • Wissen soll und kann nicht wertneutral vermittelt werden. Daher werden Fragen der Ethik und der Verantwortung gezielt thematisiert. Ein entsprechendes Fundament für die Behandlung dieser Thematik bildet die Kenntnis naturwissenschaftlicher, philosophischer, religiöser und literarischer Texte in Originallektüre oder in Übersetzungen.
  • Lernbereitschaft und eine positive Einstellung zur Leistung tragen wesentlich zum Erfolg des gymnasialen Bildungskonzepts bei.
  • Gymnasiale Bildung soll als Menschenformung auch Wege und Hilfestellungen zu einer vertieften und gelungenen Lebensgestaltung aufzeigen. Das Prinzip Verantwortung für die Mitmenschen und für eine nachhaltige Weltgestaltung soll dabei eine wesentliche Säule bilden.

Hohe Zufriedenheit der Schüler, sehr gute Ergebnisse in diversen, auf Quantifizierung basierenden Tests, eine breite Studierfähigkeit und eine relativ geringe Anzahl von Studienabbrechern sprechen für das achtjährige Gymnasium. Vorwürfe wie Elitenbildung oder Benachteiligung sozial schwächerer Schichten gehen ins Leere, denn heutige (sogenannte) Eliten definieren sich längst nicht mehr über treffend ins Gespräch eingestreute lateinische Zitate oder die Kenntnis und Einordnung zahlreicher Motive bei einem Gang durchs Museum, zudem sind öffentliche Gymnasien (wie alle Pflichtschulen) zum Nulltarif zugänglich.

Übrigens denkt die Bevölkerung anders als Ideologen: Etwa zwei Drittel begrüßen die Vielfalt und den Fortbestand des Gymnasiums.

Heribert Derndorfer – langjähriger Griechisch- und Lateinlehrer am Petrinum, Linz.

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