Die ,weltbeste Autonomie´ auf Schwundstufe

In Südtirol hat die seit 1945 regierende SVP zwei Wahlen vor Augen und blickt in den Abgrund. Auch der blühende italienische (Neo-)Faschismus ist für die Südtiroler kein Wahlhelfer mehr.

Mit lobenden Worten für den „Duce“ sorgte Michaela Biancofiore für die nötige Wahlkampfstimmung. Benito Mussolini habe in Südtirol Kinderleben gerettet, behauptete Silvio Berlusconis PdL-Parteigängerin in Bozen, denn erst unter dem Faschismus seien Kanalisation und ordentliche Toiletten heimisch geworden. Vorher hätten sich Kinder eine Lungenentzündung geholt, wenn sie im eisigen Winter auf Plumpsklos zu gehen gezwungen gewesen seien.

Überhaupt: Mussolini, den man nicht  „Diktator" heißen dürfe, habe „viele gute Sachen gemacht“, wie etwa den Bau von Autobahnen. Die „Statthalterin“ des Cavaliere, die sich an Eisack und Etsch wiederum um einen Abgeordnetensitz in der römischen Kammer bemüht, tat damit nichts anderes als ihr Mentor: Auch Berlusconi hatte Mussolinis Politik gerühmt.

Solche und ähnliche Einlassungen kamen früher vornehmlich von Politikern der extremen italienischen Rechten. Zwischen Salurner Klause und Brenner – wo der „schwarze“ Bodensatz des (Neo-)Faschismus nicht auf Wahlkampfzeiten beschränkt bleibt, sondern auch im politischen Alltag ausgeprägt in Erscheinung tritt – waren derartige Äußerungen für die Südtiroler Volkspartei (SVP), die seit 1945 ununterbrochen mit absoluten Mehrheiten – der Stimmen (bis 2008) und der Mandate – regierte, stets Garantie für sichere Wahlsiege gewesen. Das ist heute anders. Die Wahl von Kammer und Senat in Rom am 24. sowie 25. Februar und, mehr noch, die Landtagswahl am 27. Oktober vor Augen, schaut die SVP in den Abgrund.

Jüngste Umfragen besagen, dass sie bei den Parlamentswahlen auf nur noch 32 Prozent der Stimmen kommen dürfte. Damit könnte sie keinen Abgeordneten mehr in die Kammer entsenden, denn dafür müsste sie mindestens 40 Prozent erreichen. Kommt es so, wäre es der Tiefschlag für die erfolgsgewohnte Partei schlechthin, die über viele Legislaturperioden hin stets zwei, oft drei Kammerabgeordnete stellte. Den im Aufwind befindlichen Freiheitlichen, der stärksten – rechts der SVP angesiedelten – Oppositionspartei, verheißen die Demoskopen hingegen 24 Prozent.

„Wahnsinnspakt“ mit den Linken

Ähnlich düster sieht es für die SVP im vornehmlich von ethnischen Italienern bewohnten Wahlkreis Bozen-Unterland hinsichtlich des Erringens eines Mandats für den römischen Senat aus. Dort warf sie sich dem vom einstigen Kommunisten Pier Luigi Bersani geführten linken Partito Democratico (PD) an die Brust, dessen parteifreier Kandidat Francesco Palermo den Senatssitz nur mithilfe der SVP-Stimmen erringen kann.

Pferdefuß: SVP-Chef Richard Theiner schloss den Wahlpakt mit der Begründung, „um der Aushöhlung der Autonomie durch Mario Monti“ zu entgehen. Dies halten selbst eingefleischte Parteigänger Theiners für einen fundamentalen Fehler und sehen in Palermo ein „Trojanisches Pferd“. Der Verfassungsrechtler leitet das Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung an der maßgeblich vom Land Südtirol finanzierten Europäischen Akademie (EURAC) in Bozen und schreibt Kolumnen für den nationalistischen „Alto Adige“.

Hinzu kommt, dass PD-Chef Bersani in Rom nur als Koalitionspartner Montis in der Lage sein dürfte, eine Regierung zustande zu bringen. Und mit Monti hat die SVP hinsichtlich Missachtung des Autonomiestatuts schlechtere Erfahrungen gemacht als zuvor mit Berlusconi. Bersani spricht wie Monti davon, die „Privilegien“ der Regionen und Provinzen mit Sonderstatut seien abzubauen.

In geglätteter Form brachte dies ein Sprecher der Monti-Liste „Scelta Civica – Con Monti per l’Italia” zum Ausdruck: Man wolle „in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam mit dem Experten Palermo die Überarbeitung des Autonomiestatuts in Angriff nehmen“. Palermo selbst bekundete, die Südtirol-Autonomie sei vom „ethnischen Ballast zu befreien“.

Solche Aussagen müssten eigentlich, wie bei Montis unsäglicher Einlassung zuvor, wonach es sich hinsichtlich Südtirols „um eine rein inneritalienische Angelegenheit“ handele, alle Warnlampen in der SVP aufleuchten lassen. Weit gefehlt. Nur die langjährige SVP-Senatorin Helga Thaler-Außerhofer betätigte sich als einsame Warnerin. Sie fühlt sich der seit Jahrzehnten geltenden „Blockfreiheits“-Maxime ihrer Partei verpflichtet. Diese bedeutet, gegenüber den politischen Lagern Italiens Äquidistanz zu wahren. Thaler-Außerhofer nennt die von der Parteiführung gebilligte Vereinbarung mit dem PD einen „Wahnsinnspakt“. Ulli Mair von den Freiheitlichen sieht darin eine „gefährliche Drohung“, und Eva Klotz von der Partei Süd-Tiroler Freiheit brandmarkt die Vereinbarung als „weiteren Schritt der SVP nicht nur zur politischen, sondern auch geistig-kulturellen Einverleibung in Italien".

Nicht allein dieser Vorgang legt offen: Die SVP ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist von Flügelkämpfen geschüttelt und durch Skandale angeschlagen.

Als für den bisherigen Landesrat Hans Berger, der für den Senat kandidiert, der Landtagsabgeordnete Arnold Schuler zum Nachfolger bestellt werden sollte, fielen ihm neun Ränkeschmiede aus seiner SVP-Fraktion in den Rücken. Die Betrugsaffäre rund um die Landesenergiegesellschaft SEL, die den zuständigen Landesrat Michl Laimer zum Rücktritt zwang, belastet auch Landeshauptmann Luis Durnwalder. Dieser war seit 1989 der mächtigste Mann in der Partei, ohne den in der Südtiroler Politik nichts lief.

Durnwalder tritt mit der Neuwahl des Landtags im Herbst ab. Seinen Nachfolger soll die Parteibasis küren. Er ist zudem wegen des Sonderfonds seiner Landesräte ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Zu allem Überfluss bewegt eine obskure Affäre um (Abhör-)Wanzen in Regierungsbüros die Gemüter. All das und anderes mehr hat das Vertrauen in die Sammelpartei der Deutschsüdtiroler und Ladiner demoskopisch messbar erschüttert.

Die SVP weigert sich, über politische Alternativen auch nur nachzudenken. Sie versteift sich auf den Ausbau der angeblich „weltbesten Autonomie“ Südtirols zur „Vollautonomie“. Damit und mit ihrem flehentlichen Wahlslogan „Achtung! Autonomie in Gefahr – Autonomie schützen wählen!“ macht sie sich angesichts der von Rom betriebenen Aushöhlung der Autonomie lächerlich.

Sie treibt so der Opposition scharenweise Wähler zu. Davon dürften vornehmlich die Freiheitlichen profitieren: Bei den Parlamentswahlen am Sonntag und Montag sowie erst recht bei der Landtagswahl Ende Oktober.

Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Journalist.

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