Nach der Nationalratswahl droht Österreich politische Lähmung

Autor: Stefan Beig

Warum Babler Kanzler einer Zweierkoalition werden kann

Autor: Klaus Lange

Die sexuelle Revolution frisst unsere Kinder

Autor: Werner Reichel

Wind und Atom – die Gegensätze

Autor: Gerhard Kirchner

Wie die Politik Betriebe schädigt

Autor: Andreas Tögel

Frohe Ostern!

Autor: Markus Szyszkowitz

90 Jahre Februar-Aufstand – 90 Jahre Juli-Putsch

Autor: Herbert Kaspar

Wer die Mär von der Frau als Opfer weitererzählt, ist kein Feminist

Autor: Christian Klepej

Nicht Messer, sondern Menschen töten

Autor: Andreas Tögel

Und wieder eine Print-Zeitung weniger ...

Autor: Günter Frühwirth

Alle Gastkommentare

Im Namen des Volkes: Karlsruhe hat die ESM-Klagen abgewiesen

Fürst Charles Maurice de Talleyrand, Minister Napoleons und einer der geistreichsten Zyniker, die je Gottes Erdboden betraten, hat recht: „Die Justiz ist die Hure der Politik“. Die Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts machten mit ihrem Urteil vom 12. September 2012 für Deutschland den Weg in den Schuldensumpf frei, aus dem es nie mehr herauskommen wird.

Deutschland bebt vor Wut. Eine Leserin schreibt für das Minutenprotokoll der FAZ unter größter Zustimmung unmittelbar nach dem Urteilsspruch: „Deutschland wurde soeben zu Grabe getragen, mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes. Denn die Haftungshöhe kann der deutsche Gouverneur jederzeit erhöhen. Dass der Bundestag mal dagegen stimmt, werden wir nicht erleben.“

Noch einen Tag vor dem Urteil prophezeite der in London lehrende EU-Verfassungsrechtler  Gunnar Beck, dass Karlsruhe den ESM-Vertrag mit ein paar Auflagen, die nicht wehtun, billigen werde, obwohl er völlig rechtswidrig sei.[i]

Eine der ersten spürbaren Wirkungen war, dass sich während der Urteilsverkündung die Zinsen für deutsche Staatsanleihen verdoppelten, die für italienische und spanische aber sanken. Den deutschen Steuerzahler kostet also der Spruch gleich einmal 6 Milliarden Euro pro Jahr. Dem vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Verbot des Aufkaufs von Staatsanleihen durch die EZB widersprach Präsident Draghi schon am nächsten Tag: Das Bundesverfassungsgericht habe unrecht, und er werde sich nicht an das Verbot halten.

Und auch die vom BGH für Deutschland eingezogene Haftungsobergrenze von 190 Milliarden hielt näherer Prüfung nicht stand. Die Gesamthaftung Deutschlands aus der Währungsunion dürfte bereits die Billionen-Grenze überschritten haben. Allein das zehnmal kleinere Österreich haftet bereits mit 81 Milliarden Euro, wie Professor Hans-Werner Sinn vorgerechnet hatte[ii].

In Griechenland wurden inzwischen über 750 Milliarden Euro vernichtet oder zur Entsorgung bereitgestellt.[iii] Die am Tage nach der Urteilsverkündung in Zypern zusammengetretenen Finanzminister haben „angedeutet", Reform- und Sparprogramme zeitlich zu „dehnen". Erleichterungen sind auch für Irland und Portugal in Aussicht gestellt. Spanien gegenüber wird man bei Vereinbarungen über die „Konditionalität" von Hilfskrediten die Schärfe nehmen.

Die traurige Bilanz, dass von 17 Mitgliedern der Eurozone in Bälde jetzt schon fünf (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern) die diversen Rettungsschirme in Anspruch nehmen und weitere vier auf der Kandidatenliste stehen (Slowenien, Italien, Frankreich, Belgien), bietet selbst den Euphorikern wenig Anlass zur Freude. Nüchterne Beobachter der politischen Szene sind mit dem Tschechischen Ministerpräsidenten Vaclav Klaus davon überzeugt: „The Eurozone has failed".[iv]

In geradezu rührender Naivität hat die Göttin Justiz ihre Augen vor diesen Fakten verschlossen und sich geweigert, zur Kenntnis zu nehmen, dass Euro und Währungsunion auf der ganzen Linie gescheitert sind. Hätte sie ihre Augenbinde auch nur für ein paar Minuten abgelegt und wenigstens ein paar Überschriften in den bekanntesten Medien gelesen, sie wäre wohl erschrocken und vielleicht auch nachdenklich geworden: „Europa braucht den Euro nicht", „Der Gemeinsame Markt braucht keinen Euro", „Fehlschlag Euro", „Die Eurofalle", „Wir sind erpressbar geworden", „Euro-Der Blick in den Abgrund", „Der Weg in die Hölle", „Euroshima".

Sich mit der inzwischen auch von Frau Merkel oder Herrn Schäuble geteilten Ansicht auseinanderzusetzen, der Euro sei eine „Fehlkonstruktion“, hielt Iustitia für unter ihrer Würde. Auf den Gedanken, diese „Fehlkonstruktion“ könnte irreparabel sein oder die Behebung der Fehler könne mehr Kosten als Nutzen bringen, verschwendete Iustitia keine Sekunde. Ökonomische Erwägungen wies sie von sich, als seien sie irrelevant. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es ab, mögliche negative Folgen des Gesetzespakets zu beurteilen (Tz 200). Fiat iustitia pereat mundus. Hauptsache, dem Recht wird Genüge getan, möge die Welt daran auch zugrunde gehen. Das mag der Bürger bedauern, dem Gericht ist das egal.

Kläger und Klagen

Die Liste der Kläger und ihre Rechtsvertreter, welche durch Eilantrag die Unterzeichnung, Ratifikation und damit das Inkrafttreten des mit dem ESM zusammenhängenden Gesetzeswerks verhindern oder verzögern wollten, las sich wie das Vorlesungsverzeichnis einer Universität, die sich auf Staats- und Verwaltungsrecht, das Recht der Europäischen Union und das Völkerrecht spezialisiert hat und auch einer nationalökonomischen Fakultät gebührenden Platz einräumt. An Professoren seien hier nur aufgezählt Murswiek, Schachtschneider, Degenhardt, Schneider, Nettesheim, Müller, Starbatty, Hankel, Spethmann, Häde, Nölling. Die Klagen wurden unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Zehntausenden von Mitgliedern.[v] Die Fraktion der „Linken“ im Bundestag reichte eine Organklage ein. Noch nie in der Geschichte des Bundesverfassungsgericht wurde eine Klage derart umfangreich unterstützt.

Die deutsche Bundesregierung schloss sich dem Verfahren als Antragsgegner an (wie übrigens auch der Parlamentspräsident namens des Bundestags).

Inhaltlich betrafen die Klagen im Wesentlichen die Gesetze, durch die Bundestag und Bundesrat die auf EU-Rats- oder Ecofinebene getroffenen Beschlüsse mehrheitlich durchwinkten, nämlich

  1. Die Ergänzung des Artikels 136 des Lissabonvertrags (AEUV) zur Ermöglichung der Schaffung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus, seine Einrichtung und Finanzierung  (insgesamt 3 Gesetze);
  2. Den Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion („Fiskalpakt“).

Die Kläger begründeten ihr Verlangen nach Verhinderung der Gesetzeswerdung und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden mit dem Hinweis, die Verträge und Gesetze verstießen gegen das Grundgesetz Artikel 20 Absatz 1 (Deklaration der Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat) und  Absatz 2 (Volkssouveränität), Artikel 23 Absatz 1 und Absatz 2 (Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat bei der Entwicklung der Europäischen Union) sowie Artikel 79 Absatz 3 (unzulässige Änderung des Grundgesetzes) und sie verletzten die Antragsteller in ihren Rechten aus Artikel 38 Absatz 1, Satz 2 (Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit der Abgeordneten).

Die Hinweise auf die für die Klagebegründung herangezogenen Gesetzesstellen genügen, um zu erkennen, auf welch dünnem Eis die Kläger sich zu bewegen hatten. Sie konnten ernstlich einen Erfolg ihrer Klagen nicht erwarten. Eines allerdings haben sie erreicht: Die Sinnhaftigkeit der Währungsunion, das Schicksal des Euro sowie die Entwicklung der ganzen Europäischen Union wird nun breit und intensiv diskutiert und auf den Prüfstand gestellt.

Der Haupteinwand

Mit den Einwänden gegen den „Fiskalpakt“ wollen wir uns hier nicht näher befassen. Er hat nur die Bedeutung eines Placebos, welches den die Gesetze zum ESM-Konvolut abnickenden Abgeordneten ein einigermaßen gutes Gewissen verschaffen sollte. Immerhin können sie jetzt darauf hinweisen, dass mit den Hilfen klammen, finanziell Not leidenden Staaten auch rigorose Sparprogramme auferlegt würden und deren Vollzug „streng“ kontrolliert werde. Dass dem Fiskalpakt das gleiche blüht wie dem in Maastricht vereinbarten „Stabilitätspakt“ wurde allerdings schon bei der Unterzeichnung im März 2012 deutlich: Spanien kündigte an, die Vorgaben nicht erfüllen zu können und das wurde von den versammelten Regierungshäuptern zur Kenntnis genommen.

Der Haupteinwand der Kläger bezog sich auf die Änderung des Lissabonvertrages. In der Tat wird durch einen kleinen Zusatz zum Art. 136  AEUV, der  die Schaffung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ermöglicht, das bisher geltende „Bailout-Verbot“ (Nichtbeistandsverpflichtung nach Art. 125 AEUV) aufgehoben und das ganze Konstrukt der Währungsunion auf den Kopf gestellt. Aus der Währungsunion wird nun das, was sie nie sein sollte, nämlich eine Schulden-, Haftungs-, Transfer- und jetzt auch noch Bankenunion!

Der Zusatz zu Art. 136 AEUV in der Form eines angehängten 3. Absatzes lautet: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“

In der Klage, die Professor Schachtschneider[vi] im Namen der Professoren Hankel, Starbatty, Nölling und Spethmann sowie dem Herausgeber der Deutschlandbriefe, Dr. Bandulet, eingebracht hat, wird treffend ausgeführt:

Durch die Ergänzung des Art. 136 wird „die Europäische Währungsunion von einer Stabilitätsgemeinschaft zu einer Haftungs- und Schuldengemeinschaft. Die Voraussetzungen der Währungsunion waren wirtschaftliche Konvergenz und stabile Haushalte der Mitgliedstaaten (Art. 109 j EGV, jetzt Art. 140 und Art. 126 AEUV) … Der „Stabilitätsmechanismus“ ist ein Risikopuffer, der die Schulden der Euro-Gruppe zu vergemeinschaften erlaubt und das geradezu aufdrängt. Die Gebervölker werden genötigt, ihre Wirtschaftsleistungen zur Finanzierung der Misswirtschaft anderer Staaten und Völker hinzugeben. Der Stabilisierungsmechanismus ist ein getarnter Ausbeutungsmechanismus, geradezu eine „Aufforderung zum ´beggar your neighbour ´ … Die ´Stabilität der Euro-Zone´ wird nicht gesichert werden, weil auch diese Schulden-, Finanz- und Transferunion nicht zu dem optimalen Währungsraum wird, der allein eine Währungsunion zu tragen vermag.“

„Das Einstehen für Schulden anderer Staaten, das bereits praktiziert wird, ist der endgültige Schritt zum europäischen Bundesstaat, selbst wenn das nur für haushaltliche Notfälle der Euro-Länder vereinbart wird. Spezifisch in Notfällen zeigt sich die bundesstaatliche Substanz einer solchen Schuldenunion. Weiterhin muss der Unionsbundesstaat durch ein Verfassungsgesetz der Union insgesamt gegründet werden, der ein die Politik der Union demokratisch legitimierendes Volk der Unionsbürger verfasst. Das bedarf zusätzlich eines verfassungsgebenden Aktes des neu geschaffenen Unionsvolkes.“

Die Klage macht also ganz deutlich, was der ESM bezweckt und worauf er hinausläuft: Auf einen Bundesstaat „Europa“, auf die Vergemeinschaftung von Schulden und auf die Umverteilung durch Geldflüsse von den stärkeren zu den schwächeren Völkern. Doch das zu verhindern und das deutsche Volk vor seiner „Ausbeutung“ zu schützen, sah das Bundesverfassungsgericht nicht als seine Aufgabe an.

Das Urteil[vii]

Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Maßgabe ab, „dass die Ratifikation des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Bundestagsdrucksache 17/9045, Seite 6 ff.) nur erfolgen darf, wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass

  1. Die Regelung des Artikel 8 Absatz 5 Satz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannte Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden;
  2. Die Regelungen der Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenstehen.“

Im Eilverfahren erklärten sich die Mitglieder der Eurozone mit den Vorbehalten (Beschränkung der Zahlungsverpflichtungen Deutschlands und Information von Bundestag und Bundesrat) einverstanden. Bundespräsident Gauck unterschrieb postwendend. Deutschland konnte als letztes Land die Ratifikationsurkunde für den ESM-Vertrag hinterlegen.

So sehr man Kritik an diesem Urteil üben kann und sie wohl auch geübt werden wird, es enthält einige überraschende Passagen, die für die künftige Gestaltung der Europäischen Union, Währungsunion und der Europäischen Zentralbank noch von Bedeutung sein werden und Beachtung verdienen.

Da ist vorerst einmal festzuhalten, dass der Vertrag über den ESM eine von den Unionsverträgen losgelöste, gesonderte völkerrechtliche Vereinbarung der Mitglieder der Eurozone darstellt, die weder die Europäische Kommission noch das Europäische Parlament betrifft noch ihnen irgendwelche Souveränitätsrechte überträgt. Kommission und Parlament bleiben, wie es in Deutschland (zum Unterschied von Österreich) so gerne formuliert wird, „außen vor“.

Man kann das als eine Ohrfeige für den Kommissions- und den Parlamentspräsidenten ansehen und begrüßen, oder auch nicht. Beide Präsidenten werden es wohl als geradezu zynisch empfunden haben, wenn das Bundesverfassungsgericht in der Ausschaltung von Kommission und Europäischem Parlament ein integrationsvertiefendes Moment sieht, werde doch durch die Betonung der Eigenstaatlichkeit der Bundesrepublik und der Souveränität ihrer Volksvertretungen der „unionale“ Prozess gefördert und beschleunigt!

Hinzu kommt, dass nach Art. 3, Abs. 1, Buchstabe c EUV die Zuständigkeit der Union „auf dem Gebiet Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist“, ganz eindeutig festgeschrieben ist. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts, „die Stabilitätshilfen der Mitgliedstaaten seien keine währungsrechtlichen (Anm. richtig müsste es heißen: „währungspolitischen“!) Maßnahmen, für die die Europäische Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c EUV zuständig wäre“ und „bei der Gewährung von Finanzhilfen handele es sich um wirtschaftspolitische Vorgänge, für die die Mitgliedstaaten zuständig seien“ (Tz 169), ist an Fadenscheinigkeit kaum zu übertreffen.

Die Gewährung der Finanzhilfen geschieht ja ausdrücklich zur Wahrung der „Finanzstabilität“, und diese ist höchstes Ziel der Währungspolitik. Sie fällt daher in die Zuständigkeit der EU.  Das Bundesverfassungsgericht hat hier ganz eindeutig das Recht gebeugt, um den Widerspruch zwischen den durch das Bailout-Verbot untersagten Finanzhilfen und den Zuständigkeiten der EU zu bemänteln. Dass Kommissionspräsident und Europäisches Parlament diesen Eingriff in ihre Zuständigkeit billigen, zeigt ihre Schwäche.

Die zweite Ohrfeige muss die EZB einstecken, wird sie doch mit Nachdruck an das Verbot des Kaufs von Staatsanleihen durch die EZB und die zum Europäischen Währungssystem gehörenden nationalen Notenbanken erinnert.

In der Sprache des Gerichtshofes lautet das wie folgt: Mit der Aufnahme von Art. 136 Abs. 3 AEUV in das Unionsrecht wird die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Währungsunion jedoch nicht aufgegeben. Wesentliche Bestandteile der Stabilitätsarchitektur bleiben auch in Ansehung dieser Öffnungsklausel unangetastet. So werden insbesondere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, ihre Verpflichtung auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität (vgl. Art. 127, 130 AEUV) und das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (Art. 123 AEUV) nicht berührt; im Gegenteil bekräftigt die Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV, einen dauerhaften Mechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen einzurichten, den Willen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, die Aufgaben der Europäischen Zentralbank strikt auf den ihr unionsrechtlich vorgegebenen Rahmen zu begrenzen“ (Tz 233). Durch das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (vgl. BVerfGE 89, 155, 204 f.; 129, 124, 181 f.) werde der Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, die Währungsunion als „Stabilitätsgemeinschaft“ zu sichern, Rechnung getragen. Vor der Tatsache, dass die EZB diese Vorschrift laufend gebrochen hat und auch in Zukunft zu brechen beabsichtigt, verschloss das Bundesverfassungsgericht die Augen.

Die Urteilsschelte

Der Jurist wird den Richtern des Bundesverfassungsgerichts  zubilligen, dass ihre Argumentation über weite Strecken vertretbar und kaum anfechtbar ist. Sie haben tief, aber nicht unfair in die juristische Trickkiste gegriffen, um die Klagen abzuwehren. Die Verfassungsgrundsätze, auf die sich die Kläger beriefen – Eigenstaatlichkeit, Demokratie, Sozialstaat, Volkssouveränität, Unabhängigkeit von Abgeordneten, Budgethoheit des Parlaments, Informationsgebot – sind äußerst dehnbar und zum Teil inhaltsleere Scheinbegriffe. Carl Schmitt hat das in seiner heute noch immer lesenswerten Kritik am Parlamentarismus unwiderlegbar dargestellt.[viii]

In einem auf den ersten Blick ganz unwesentlich scheinenden, jedoch ausschlaggebender Bedeutung zukommenden Punkt hat das Bundesverfassungsgericht seine Ermessensmöglichkeiten überschritten. Sie betreffen das „vereinfachte Verfahren“ nach Art. 48 Abs. 6 EUV. Niemals hätte die Änderung des Lissabonvertrags in einer derart gravierenden Angelegenheit, wie es die Aushebelung des Bailout-Verbots, der eigentlichen Geschäftsgrundlage der Währungsunion darstellt, im Wege des „vereinfachten Verfahrens“ erfolgen dürfen. Durch die Akzeptanz des „vereinfachten Verfahrens“ leistet das Bundesverfassungsgericht dem von Regierung in die Wege geleiteten „Verfassungsputsch“ Vorschub und Tatbeihilfe.

Art. 48, Abs. 6 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), durch den das „vereinfachte Verfahren“ eingeführt wird, lautet:

„Die Regierung jedes Mitgliedstaats, das Europäische Parlament oder die Kommission kann dem Europäischen Rat Entwürfe zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union über die internen Politikbereiche der Union vorlegen.

Der Europäische Rat kann einen Beschluss zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlassen. Der Europäische Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank. Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Der Beschluss nach Unterabsatz 2 darf nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen.“

Der Dritte Teil, um den es hier geht, bietet dem Europäischen Rat u. a. die Möglichkeit, über Angelegenheiten auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Währungspolitik die Verträge zu ändern, unabhängig davon, wie tief und umfangreich diese Änderung in die geltende Währungsverfassung von Deutschland oder Österreich eingreifen. Mit Recht bemerken Kommentatoren, dass durch diesen Artikel ein neues Ermächtigungsgesetz von praktisch unbeschränkter Tragweite geschaffen wurde.

Das Bundesverfassungsgericht gibt selbst zu, dass „die Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV … eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Wirtschafts- und Währungsunion“ bedeutet (Tz 232). „Die Einrichtung eines dauerhaften Mechanismus zur gegenseitigen Hilfeleistung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes außerhalb des Rahmens der Europäischen Union löst sich, wenn auch noch nicht vollständig, von dem die Währungsunion bislang charakterisierenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte … (indem jetzt) Hilfeleistungen auch zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zugelassen werden“ (ebenda). Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt diesen Bruch mit der Behauptung „wesentliche Bestandteile der Stabilitätsarchitektur“ der Währungsunion blieben „auch in Ansehung dieser Öffnungsklausel unangetastet“.

Es verschließt einfach die Augen vor der Tatsache, dass dieser Bruch mit dem Bailout-Verbot und mit dem „bisherigen Prinzip der Eigenständigkeit nationaler Haushalte“ die Währungsunion ganz gegen ihre ursprüngliche Konstruktion nun in eine Schulden-, Haftungs-, Transfer- und jetzt auch Bankenunion umwandelt. Bei Einführung der Währungsunion würden einer solchen Umwandlung weder Regierungsvertreter, Parlamente oder die Bevölkerung zugestimmt haben, ja sie wollten das unter allen Umständen verhindern. Deshalb bestand ja die deutsche Regierung auf den Stabilitätskriterien, dem Verbot der Haushaltsfinanzierung durch die EZB und auf das Bailout-Verbot. Jetzt muss sich das hintergangene, betrogene und belogene Volk durch das Urteil des Gerichts „im Namen des Volkes“ auch noch verhöhnt vorkommen[ix]. Mit dem Urteil, schrieb Frank Lüberding in der FAZ-Frühkritik am nächsten Tag, gibt sich das Gericht „der klammheimlichen Verachtung“ preis. Wenn die Regierungen bei den laufenden „Rettungsgipfeln“ mit Billigung der Höchstgerichte das Recht nach Belieben brechen können, ist der Rechtsstaat am Ende.[x]

Wie geht es weiter?

Die möglichen Alternativen hat der britische Premierminister David Cameron in eine aus wenigen Worten bestehende Aufforderung an die Euro-Mitglieder zusammengefasst: „Make up or break up“[xi]. Das „Make up“ bedeutet Ausbildung einer Politischen Union, eines eigenen Bundesstaates mit einer eigenen Regierung, einer Vergemeinschaftung von Schulden, einer Gemeinschaftskasse („Fiskus“), gemeinsamen Steuern, einer gemeinsamen Zentralbank zur gemeinsamen Finanzierung von Staatsausgaben, mit anderen Worten: Übertragung aller wesentlichen Souveränitätsrechte und Entmachtung der nationalen Parlamente.

Schäuble[xii] und Merkel wollen diesen Weg gehen, doch er scheint ausgeschlossen. Zu glauben, dass selbstbewusste Völker wie die Briten, Dänen, Schweden, Polen oder Tschechen ihre Souveränität an einen europäischen Bundesstaat abtreten würden, erscheint realitätsfremd. Selbst für Bundesstaaten wie Deutschland, Österreich, Belgien oder Spanien wäre ein europäischer Bundesstaat existenzgefährdend: „Praktisch alle wesentlichen Zuständigkeiten der nationalen Bundesebene würden bei einem europäischen Bundesstaat nach Brüssel wandern und die nationalen Bundesstaaten als leere Hüllen zurücklassen (…) Das wäre nicht wünschenswert und auch nicht mehrheitsfähig“, meint Thilo Sarrazin ganz richtig.[xiii]

Der bisherige Weg des „Muddling through“, des Durchwurschtelns mit immer neuen, in sich widersprüchlichen Spar- und Wachstumsprogrammen[xiv], führt, wie Joschka Fischer anmerkt, früher oder später zum Kollaps des Euro und zur Gefahr des Auseinanderbrechens der Europäischen Union.[xv]

Damit bleibt als Alternative also nur das „Break up“, d.h. die als Menetekel an die Wand gemalte „Renationalisierung“, die Rückübertragung von Kompetenzen an die Nationalstaaten[xvi], die Rückkehr zu eigenen Währungen und eigenen Notenbanken. Die Vorschläge zur Einführung eines  Nord- und eines Süd-Euro erscheinen weder rational noch  durchführbar. Wie im Einzelnen diese Rückkehr erfolgen könnte und warum an ihr kein Weg vorbei führt, hat der Autor in seinem im September 2012 erschienenen Kaplaken-Bändchen „ESM –Verfassungsputsch in Europa“ ausführlich beschrieben. [xvii]

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er veröffentlichte zuletzt „Die Rechte der Nation“ (Stocker, Graz 2002), „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) und „ESM-Verfassungsputsch in Europa“ (Schnellroda 2012).

Endnoten

[i] http://staseve.wordpress.com/2012/09/12/zdf-esm-vertrag-ist-vollig-rechtswidrig-justitia-mit-offenen-augen/

[ii] http://www.heute.at/news/politik/art23660,775175

[iii]Nach Angaben des ehemaligen Parlamentspräsidenten Richard Sulik. http://www.unzensuriert.at/content/008650-Solidarit-t-mit-Griechenland-konkreten-Zahlen 

[iv]Interview: http://online.wsj.com/article/SB10001424052748704875604575280452365548866.html

[v] Darunter: „Bündnis Bürgerwille“, „Zivile Koalition“, „Bund der Steuerzahler“, „Aktionsbündnis Direkte Demokratie“, „Freie Wähler“ oder „Europolis“

[vii] http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20120912_2bvr139012.html

[viii] Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 6. Aufl., Berlin 1985; heute: H.-H. v. Arnim: Vom schönen Schein der Demokratie: Politik ohne Verantwortung – am Volk vorbei, München 2000

[ix] Eine besondere Note erhielt Lug und Trug in Österreich durch einen Brief des abtretenden Bundeskanzlers Gusenbauer und seines designierten Nachfolgers, des späteren Bundeskanzlers Werner Faymann, an den Herausgeber der größten österreichischen Tageszeitung kurz vor dem Koalitionsbruch in der Mitte des Jahres 2008. In diesem Brief wurde dem Wählervolk, angesichts der schon bei der Ratifikation der Lissabonverträge laut gewordenen, massiven Kritik, hoch und heilig versprochen, „dass zukünftige Vertragsänderung, die österreichische Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen“. In seiner Rede vor dem Nationalrat am 4. Juni 2012 rückte Faymann von seinem Versprechen ab und stellte die Abhaltung einer Volksabstimmung  nur noch im Falle  „weitreichender Vertragsänderungen“  in Aussicht (!). In der Ergänzung des Lissabonvertrags durch den Zusatz zu Art. 136, durch welchen Zusatz der ESM ermöglicht wurde, sah er keine „weitreichende Vertragsänderung“. Ähnlich argumentierte sein Staatssekretär Ostermayer. Die Argumentation zieht nach dem BGH-Urteil nicht mehr: Der BGH sieht in der „Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV … eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Wirtschafts- und Währungsunion“ (Tz 232).

Der Wortlaut des berühmten und lesenswerten Briefes abrufbar unter  http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/394148/print.do

[x] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/europas-zukunft/paul-kirchhof-zur-krise-der-eu-verfassungsnot-11817188.html

[xi] Laut BBC-News vom 16. Mai 2012: http://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-18088918

[xii]  http://www.spiegel.de/politik/ausland/euro-krise-schaeuble-prophezeit-baldiges-europa-referendum-a-840549.html

[xiii]Thilo Sarrazin: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat. München 2012, S. 406f

[xiv]Vorgestellt unter ständig neuen Namen, durch welche Aktivität und Entschlußstärke mediengerecht vorgetäuscht wird: „Koordination der Wirtschaftspolitik“, „Wirtschaftsregierung“, „Europäisches Semester“,  „Euro plus-Pakt“,  „Six Pack“, „Two Pack“, Euro plus-Pakt“, „Europäisches Semester“, „Schuldenbremse“, „Fiskalpakt“, „Stabilitäts- und Wachstumspakt“, „SWP-Reform“, „Selbstverpflichtung“, „vorbeugende Haushaltskontrolle“, „Verschärfung der Stabilitätskriterien“, „Sparauflagen“ „Strafzahlungen“, Einsetzung von „Finanzkommissären“ bei Schuldensündern, die Ausstattung der Kommissare mit „Durchgriffsrechten“.  Je zahlreicher die Programme, desto schwächer ihre Durchführung und Wirkung.

[xv] Joschka Fischer im Standard vom 30. Oktober 2011: „Die Eurozone steht vor einer Entweder-oder-Situation. Entweder lässt man die Dinge weiter treiben, und dann wird der Euro unter dem Druck der Krise und mit ihm die gesamte EU zerfallen und sich Europa renationalisieren. Die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Kosten einer solchen historischen Rückabwicklung wären enorm, und nicht umsonst fürchtet man sich weltweit vor einem solchen Kollaps Europas.“ http://derstandard.at/1319181550775/Nach-dem-Krisengipfel-I-Die-Waehrungsunion-braucht-eine-Regierung

[xvi] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article106427212/Lasst-uns-doch-weniger-Europa-wagen.html

[xvii] Friedrich Romig:ESM-Verfasssungsputsch in Europa. Edition Antaois, Reihe Kaplaken, Band 32
96 Seiten, gebunden, Schnellroda 2012, ISBN 978-3-935063-68-5. 8.50 €

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung