Buchrezension: Jesus, der Kapitalist

Betrachtet man die hierzulande von christlichen Organisationen zu Phänomenen wie Privateigentum, Zins und Profit, oder ganz allgemein zu Fragen der Wirtschaft, abgegebenen Stellungnahmen, so kann einen leicht der Verdacht beschleichen, bei dem aus Nazareth stammenden Religionsstifter und dessen Gefolge habe es sich um die ersten Sozialisten der Menschheitsgeschichte gehandelt. Die bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Caritas, Diakonie oder Katholischer Sozialakademie formulierte Kapitalismuskritik könnte gar nicht schärfer ausfallen, würde sie von Aktivisten der Roten Falken abgesondert werden. In verteilungspolitischer Hinsicht stehen die Kirchen oft links vom sozialistischen Meinungshauptstrom.

Umso erstaunlicher – ja geradezu provokant – mutet daher der Titel des vorliegenden Buches an. Der Autor, Robert Grötzinger, ein deutschstämmiger Ökonom, der als Übersetzer in England lebt und sich zur anglikanischen Kirche bekennt, durchforstet sowohl das Alte wie auch das Neue Testament und kommt daraufhin zum Schluss, dass die Bibel zu nichts weniger taugt, als zur Apologie des Sozialismus – also zur Legitimierung hoheitlich erzwungener Einkommens- und Vermögensumverteilung. An keiner Stelle des Bibeltextes werde explizit die Verfügung über Besitz und Eigentum (z. B. Geld) angegriffen – sofern dessen Erwerb auf redliche Art erfolgt sei. Nach Paulus wäre lediglich die „Liebe zum Geld“, nicht aber das Geld selbst „die Wurzel allen Übels“ (1 Timotheusbrief 6, 10).

An keiner Stelle der Heiligen Schrift würde demnach die Verfügungsgewalt eines rechtmäßigen Herrn über sein Eigentum, das Erzielen von Profit, oder das Nehmen von Zins kritisiert. Das Gegenteil sei richtig, wie der Autor z. B. anhand des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20, 1-16) und des Gleichnisses von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25, 14-30) belegt. Unmissverständlicher könne die unumschränkte Verfügungsmacht des Eigentümers über seine Habe und die Rechtmäßigkeit und Vorteilhaftigkeit des Erzielens von Profit gar nicht gutgeheißen werden.

Die immer wieder gerne als Belege für die antikapitalistische Überzeugung des Gottessohnes ins Treffen geführten Textstellen (wie etwa die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel, oder das Gleichnis vom Nadelöhr, anlässlich der Bergpredigt) verlören augenblicklich die unterstellte, antimarktwirtschaftliche Bedeutung, wenn man den jeweiligen Kontext berücksichtigte, in dem sie stehen.

Der Hinauswurf der Tempelhändler lässt sich nach Meinung Grötzingers so erklären, dass Jesus mit deren unlauteren Geschäftpraktiken nicht einverstanden war – nicht jedoch mit dem bloßen Umstand ihrer Anwesenheit im Tempel. Im Gleichnis vom Nadelöhr indes, sei die Person des Adressaten von entscheidender Bedeutung: Nach dem Evangelisten Lukas handle es sich dabei um einen „Vorsteher“ (im Original „archon“, d. h. „Herrscher“). Der Mann habe sein Vermögen also offensichtlich nicht durch eigene Arbeit (durch „wirtschaftliche Mittel“) sondern durch Vorteilsnahme, Diebstahl oder Raub (also durch „politische Mittel“), auf unlautere Weise und damit unter Bruch der Gebote Gottes erworben. Deshalb sei ihm der Eintritt ins Himmelreich verwehrt – nicht, weil er „reich“ ist.

Es ist gleichermaßen erhellend wie kurzweilig, zu lesen, wie Grötzinger die von ihm zitierten Bibelstellen unter einem marktwirtschaftlichen Blickwinkel deutet und interpretiert. Als gelernter Ökonom verfügt er dazu auch über ein intellektuelles Rüstzeug, das der Mehrzahl der Kleriker leider vollständig fehlt – was erklärt, weshalb die Heilige Schrift mitunter auf haarsträubende Weise sinnentstellende Auslegungen erfährt, sobald die Sphäre des Wirtschaftens berührt wird.

Ob man dem Autor auch dann noch folgen möchte, wenn er schließlich zu der Erkenntnis kommt, dass Kapitalismus und Christentum einander gegenseitig bedingen würden (immerhin heißt der Untertitel des Buches „Das christliche Herz der Marktwirtschaft“), sei dahingestellt. Auch wird es wohl von der Beantwortung der „Gretchenfrage“ abhängen, wie der Leser das noch grundsätzlichere, seit der Aufklärung debattierte Problem, ob es in einer „gottlosen“ Welt überhaupt so etwas wie allgemein gültige, verbindliche, universale Werte geben kann, beurteilt.

Beachtung verdient jedenfalls die gegen Ende zitierte Aussage des (atheistischen) US-Ökonomen Walter Block, der meint: „Der Hauptgrund, weshalb Religion den säkularen Führern gegen den Strich geht, ist, dass diese Institution moralische Autorität definiert, die nicht von ihrer Macht abhängt. (…) Wer sich den etatistischen Plünderungen widersetzen will, kann dies ohne Unterstützung der Religion nicht tun.“

Da ist einiges dran!

Jesus, der Kapitalist
Robert Grötzinger
Finanzbuchverlag, Edition Lichtschlag 2012
ISBN 978-3-89879-711-5
192 Seiten, broschiert
€ 12,99,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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