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Wulff, ein Chefredakteur und die Dummheit

Es gehört fast zum täglichen Brot eines Chefredakteurs: Anrufe von Menschen, welche die Berichterstattung beeinflussen wollen, welche Kritik an Berichten üben, welche gegen einen „einfachen“ Redakteur intrigieren wollen. Zwei Typen von feindseligen Anrufen stechen besonders heraus – erfordern aber unterschiedlich große Widerstandskraft.

Das wirklich Heiße sind Anrufe aus der Inseratenabteilung. Etwa des Inhalts, dass die Gemeinde Wien (samt allen Töchtern und Enkeln) oder die größte Bank des Landes (samt allen Töchtern und Enkeln) wegen der kritischen Berichterstattung einen Inseratenstopp verhängt haben. Das sind für jeden Chefredakteur – der ja auch für die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter verantwortlich ist – dramatische Anrufe. In Zeiten einer schon die zweite Rezession auslösenden Krise lassen sich ganz offensichtlich etliche Zeitungen dadurch auch tatsächlich in die Knie zwingen.

Die Hauptverantwortung für die richtige Reaktion in solchen Zeitungskriegen tragen freilich die Verleger: Geben sie der Erpressung nach, können sie die Bedrohung der Umsatzzahlen abwenden; aber umso sicherer tritt ein langfristiger Verlust an Glaubwürdigkeit mit noch viel schlimmeren Folgen ein. Mutige Verleger stärken hingegen der Redaktion den Rücken für eine Gegenoffensive. In Österreich gibt es freilich kaum noch Verleger in der positiven Bedeutung des Wortes, sondern nur hemmungslose Geschäftemacher oder Managertypen, die genauso gut oder schlecht Gurkerl-Konserven verkaufen könnten.

Der zweite Typus – und um den geht es heute aus aktuellem Anlass – sind jene Anrufe, die primär das Trommelfell belasten. Politiker, die am Telefon lautstark werden, haben aber in der Sache schon verloren. Es gibt viele Taktiken im Umgang mit Journalisten: strafweise von Hintergrundgesprächen Ausschließen; Schmeicheln; mit (meist nur: scheinbaren) Exklusivinformationen Bestechen; ruhiges Argumentieren; oder gar: eine bessere Politik Machen.

Herumschreiende Politiker sind hingegen vor allem eines: dumm und unprofessionell. Sie können ihr Handwerk nicht. Sie haben ihre Emotionen nicht im Zaum. Noch dümmer und widerlicher sind nur noch jene, die persönliche Bestechungsversuche starten oder gar mit Gewaltakten drohen (was in Österreich zum Unterschied von Mexiko&Co zum Glück nicht üblich ist)..

Einen so dummen Politiker wie den deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff habe ich jedoch in meinem ganzen Journalistenleben nicht erlebt: Er schimpft und droht minutenlang – aber nicht einem Medienmenschen ins Ohr, sondern auf ein Tonband. Auch ein Bundespräsident sollte jedoch wissen, dass ein Tonband ziemlich langlebig ist. Dass es ihn auch noch nach Monaten mit jeder einzelnen Formulierung durch beweisbare Vorwürfe verfolgen kann. Was bei einem reinen Vierohren-Gespräch viel schwieriger ist.

Jetzt kann man im Fall Wulff nur noch über eines debattieren: Was ist für einen Spitzenpolitiker eigentlich schlimmer – solche Dummheit oder die Peinlichkeit eines sich ständig entschuldigenden Staatsoberhaupts oder die Charakterlosigkeit einer offenbar massiven Vorteilsannahme von seltsamen Menschen, die sich wie Schmeißfliegen an jeden Mächtigen herandrängen?

Deutschland muss mit diesem Dilemma offenbar nun auf Dauer leben. Die Österreicher wissen das schon längst: Gute Bundespräsidenten sind Mangelware.

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