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Baustelle Bildungswesen. Eine kritische Analyse aktueller Fehlsteuerungen und Mythen

Die Reformen bzw. Reformpläne im österreichischen Bildungswesen sind derzeit vor allem durch gesamteuropäische Trends, die Forderung nach mehr Effizienz und Effektivität sowie durch Parteipolitik geprägt.

Kursorisch und anhand ausgewählter Schlagworte erörtere ich pointiert in einer Art Feuilleton die Politikfelder Schulpolitik und Hochschulpolitik als Teilbereiche der Bildungspolitik. In beiden Politikfeldern gehen viele Forderungen auf internationale und gesamteuropäische Vergleiche sowie Entwicklungen zurück.

Die Gefahren der blinden Orientierung an anderen Staaten und Bildungssystemen werden jedoch von den politischen Akteuren derzeit noch unterschätzt, wenn nicht sogar negiert. Nur weil in anderen Staaten gewisse (Bildungs-)Systeme oder Rahmenbedingungen herrschen, müssen diese noch lange nicht automatisch für Österreich erstrebenswert sein. Dies trifft z. B. auf die häufig diskutierte Frage der im internationalen Vergleich niedrigen Akademikerquote Österreichs zu: Die Akteure, die dies immer wieder stur und ignorant behaupten, übersehen die Systemunterschiede zwischen den einzelnen Staaten völlig.

Denn es ist kein Wunder, dass in anderen Staaten die Akademikerquote deutlich höher ist, in denen beispielsweise Krankenschwestern, Bibliothekare usw. an einer Hochschule ausgebildet werden, oder in denen die berufsbildenden höheren Schulen (BHS) fehlen. In solchen Staaten ist jeder Schulabgänger mit Hochschulreife genötigt, auf Bachelor-Niveau eine Berufsausbildung zu beginnen, die die BHS wie HAK und HTL dem Großteil der österreichischen Maturanten bereits vermittelt haben.

Bisherige Entwicklungen

Schulpolitik

Betrachtet man die Pressemeldungen zur Schulpolitik, geht es darin häufig um folgende Problemkreise: a) mehr Output – weniger Drop-out, b) Qualität und Auswahl des Lehrpersonals, c) Lehrinhalte, d) Gesamtschule, e) Ganztagsschule. Ich greife bewusst nur diese Problemkreise heraus, um sie im Anschluss zu kommentieren.

Mehr Output – weniger Drop-out in der Sekundarstufe II („Oberstufe“)?

Ausgehend von den Bestrebungen des New Public Management (NPM) möchte die Bildungspolitik die Effizienz und Effektivität im Bildungswesen steigern. Man versucht hier das betriebswirtschaftliche Denken der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Sektor zu übertragen. Allerdings ist die Übertragung von Ansätzen aus dem NPM auf das Bildungswesen gefährlich. Eine Schule ist keine Fabrik, in der Waren erzeugt werden. Es geht also nicht darum, die Quote der Ausschussproduktion zu verringern, denn Menschen sind kein Ausschuss. Schüler sind Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied meint, der Drop-out (das „Aussieben“) in den ersten Klassen der berufsbildenden höheren Schulen (BHS) müsse vermieden werden. Die Forderung nach der Senkung des Drop-outs passt natürlich sehr gut zu einem Gedankengut, das davon ausgeht, alle Menschen seien gleich – und wenn sie nicht gleich sind, dann liege das am „bösen“ System, das die Menschen am „Gleichsein“ hindere.

Man übersieht jedoch dabei, dass Menschen zwar vor dem Gesetz die gleichen Rechte haben sollen, aber in ihren Begabungen und (Erb-)Anlagen eben nicht gleich sind. Auch wenn es gewisse Kreise nicht gern hören, sind nicht alle Schüler für den Besuch einer höheren Schule geeignet. Trotzdem drängen immer mehr Eltern ihre Kinder zum Besuch einer höheren Lehranstalt – gerade deswegen, weil immer mehr Kinder höhere Schulen besuchen und andere Bildungswege vor allem im städtischen Bereich damit entwertet werden.

Hier entsteht eine Spirale, deren Effekte sich selbst verstärken. Ein Nebeneffekt dieser verfehlten Bildungssteuerung ist die große Bedeutung der Nachhilfe-Branche. Wenn immer mehr junge Menschen eine (auf dem Papier) höhere Bildung aufweisen, wird die praktische Berufsausbildung (Lehre) immer mehr zurückgedrängt, obwohl wir gut ausgebildete Facharbeiter dringend bräuchten.

Das System kann nicht funktionieren, wenn die berufsbildenden höheren Schulen (HAK, HTL, HBLA) sich ihre Schüler nicht aussuchen dürfen, aber dann genötigt werden, möglichst alle Schüler zur Matura zu führen. Die Wirtschaft stellt hohe Ansprüche an die Absolventen, die jedoch so nicht einlösbar sind. Ein frühzeitiger Drop-out und die Wiedereinführung der allgemeinen Pflicht zur Aufnahmsprüfung an diesen Schulen sind sinnvoll, da man den Schülern und Eltern einen vermeidbaren Leidensweg durch eine ungeliebte bzw. nicht passende Ausbildung erspart.

Eine Lösung besteht natürlich darin, das Niveau so weit abzusenken, dass alle vorgeblich den Anforderungen genügen. Aber was erreicht man damit? Man erreicht nur eine Bildungsinflation, die die Zeugnisse öffentlicher Schulen wertlos macht. Auch auf dem Arbeitsmarkt gilt: Was jeder hat, ist auch nichts wert. Man betrügt die guten Schüler um ihren Erfolg, indem man einer Masse von Ungeeigneten die Noten schenkt. Die Effekte einer solchen verfehlten Bildungspolitik kann man sehr gut in Ländern wie z. B. Spanien sowie auch im hochgelobten Finnland beobachten: Dort gibt es zwar hohe „Maturantenquoten“, aber gleichzeitig eine gigantische Jugendarbeitslosigkeit.

In Spanien sind 48 Prozent, in Finnland 20 Prozent und im Vergleich dazu in Österreich nur 7 Prozent der jungen Menschen ohne Beschäftigung. Ein Reifeprüfungszeugnis alleine kann den Jugendlichen auch keinen Arbeitsplatz herbeizaubern und ist in manchen Staaten nur mehr bedrucktes Papier ohne Wert auf dem Arbeitsmarkt. Warum wird also Österreichs Bildungs- und Beschäftigungssystem stets schlechtgemacht, wenn wir die niedrigste Jugendarbeitslosenrate der EU aufweisen? Ich vermute dahinter teilweise politische Gründe, um durch Fehlinformation der Öffentlichkeit ideologische Ziele zu verfolgen.

Worin besteht ein weiterer Effekt der Bildungsinflation, durch die Abschlüsse öffentlicher Schulen wertlos gemacht werden? Betuchtere Eltern können ihren Sprösslingen Privatschulen, verschiedene Zertifikate oder Zusatzausbildungen finanzieren. Eltern aus sozial schwächeren Schichten können das nicht, obwohl ihre Kinder vielleicht auch dafür geeignet wären. Ist das Chancengleichheit? Ich meine nein.

An dieser Stelle hakt oft die Argumentation ein, das Bildungswesen müsse die Schüler nur besser fördern, um den Drop-out zu senken. Das ist sicher teilweise richtig, aber die zusätzlichen Ressourcen z. B. für kleinere Klassen und zusätzliche Förderangebote verschlingen wiederum Ressourcen – und das steht im Widerspruch zur Forderung nach mehr Effizienz. Ein Staat hat eben nur ein begrenztes Budget zur Verfügung.

Qualität und Auswahl des Lehrpersonals

Ein großes Thema ist die Forderung der Politik nach der Auswahl des Lehrpersonals durch die Schuldirektoren und nicht – wie gehabt – durch die Landesschulräte. Es ist interessant, dass die Schulen sich die Lehrkräfte aussuchen sollen, aber sich die Schüler nicht aussuchen dürfen. Im Extremfall heißt das, wenn sich der Schüler für die betreffende Schule anmeldet, ist er – überspitzt ausgedrückt – quasi „pragmatisiert“. Die Lehrkraft soll jedoch von der Bewertung durch Schüler, Eltern und Direktoren abhängig sein. Nach wie vor ist es die Regel, dass Direktoren unter politischem Einfluss bestellt werden. Kann der Lehrer in einem solchen Umfeld noch objektiv beurteilen? Vielleicht möchte die Politik das ja gar nicht…

Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen als Allheilmittel zur Qualitätssicherung werden ebenfalls immer wieder propagiert. Dazu muss aber angemerkt werden, dass eine Verpflichtung der Lehrkräfte zu solchen Fortbildungsveranstaltungen nicht viel bringen dürfte. Der Effekt wäre bloß das Absitzen der Seminare, um wieder einmal die Pflicht erfüllt zu haben. Abgesehen davon sind auch nicht alle Fortbildungs-Seminare qualitativ hochwertig und für den Unterricht praktisch umsetzbar, wie ich aus eigener Erfahrung als Teilnehmer weiß. Ich plädiere für die Beibehaltung der freiwilligen Teilnahme an solchen Lehrveranstaltungen, auch um die Eigenverantwortung der Lehrkräfte – und damit ihre Motivation – zu stärken.

Die derzeitigen Bemühungen um Qualitätssicherung im Schulbereich (ein Modetrend?) scheinen sich derzeit zu weiten Teilen auf das Ausfüllen von Formularen und Evaluationsbögen zu erstrecken. Ich führe dies auf das meines Erachtens oberflächliche Qualitätsverständnis aus der ISO-Tradition zurück, wonach nicht die Qualität der Produkte selbst überprüft wird, sondern Handbücher bzw. Dokumentationen über die betrieblichen Prozesse. Ich bin nicht der Auffassung, dass pädagogische Qualität sich auf diese Weise messen lässt.

Lehrinhalte

Die Diskussion um die Auswahl der Lehrinhalte und deren Qualität ist keineswegs neu. Immer wieder ist seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, vom so genannten Entrümpeln der Lehrpläne die Rede. Ich möchte die Bemühungen um die Anpassung der Lehrinhalte an die aktuellen Anforderungen nicht per se in ein schlechtes Licht rücken. Allerdings weise ich darauf hin, dass in den öffentlichen Schulen Rahmenlehrpläne gelten, innerhalb derer die Lehrkraft ohnehin die konkreten Inhalte selbst auswählen und gewichten kann. Ich sehe also die Lehrpläne als solche nicht als das größte Problem, denn sie geben ohnehin nur die groben „Überschriften“ der Themen vor.

Ein Problem sehe ich eher darin, dass schleichend das Niveau verfällt und seitens mancher Führungskräfte im Bildungswesen Druck ausgeübt wird, damit möglichst viele Schüler bestehen (siehe oben). Unterrichtsfächer mit hochtrabenden Bezeichnungen und hehren, höchst schwammigen Lehrzielen werden eingeführt – andererseits kürzt das Ministerium Kernfächer auf ein Minimum oder streicht sie überhaupt.

Als sehr bedauerlich empfinde ich daher die Abschaffung des Gegenstandes Wirtschaftliches Rechnen in der HAS und HAK. Die Lehrinhalte wurden zwar in den Gegenstand Rechnungswesen integriert, wo sie allerdings aufgrund der geringen Wochenstundenzahl kaum vermittelt werden können. Gerade an der Rechenkompetenz, am Zahlengefühl, am Schätzen von plausiblen Ergebnissen mangelt es den meisten Schülern. In der HAS beherrscht nach meiner eigenen Erfahrung die Mehrheit der Schüler nicht einmal mehr die Maßeinheiten (beispielsweise g in dag oder t in kg umwandeln), vom Prozentrechnen ganz schweigen.

Gesamtschule

Die Gesamtschule ist gerade durch das Bildungsvolksbegehren von 2011 in Österreich ein politisch brisantes Thema. Die Befürworter vertreten die Ansicht, im städtischen Bereich gebe es ohnehin faktisch schon die Gesamtschule, da die Gymnasien in der Unterstufe einen Großteil der Schüler unterrichten. Abgesehen davon sei die Bildungsentscheidung mit zehn Jahren noch zu früh und die Trennung zwischen Hauptschule und Gymnasium führe zu einer ungerechten Selektion. Geheim gehalten wird aber das Faktum, dass mehr als die Hälfte der österreichischen Maturanten eine Hauptschule absolviert haben. Die medial kommunizierte Behauptung, dass das derzeitige differenzierte Schulsystem in der Sekundarstufe I jungen Menschen die Chancen versperre, ist also nichts anderes als ein politisch motivierter Mythos.

Die Gegner der Gesamtschule wenden sehr berechtigt ein, dass die Vielfalt des Bildungssystems zerstört wird und das Niveau weiter sinkt. Für umfangreiche pädagogische Fördermaßnahmen, wie sie bei den Schulversuchen der Neuen Mittelschule etabliert wurden, um die Evaluationen gut aussehen zu lassen, fehlt langfristig schlicht und einfach das Budget.

Das Argument, dass in den Ballungsräumen ohnehin der Großteil die AHS-Unterstufe (Sekundarstufe I) besucht, ist nur vordergründig schlüssig. Denn warum ist dies so? Der Grund ist eine verfehlte Steuerung der Bildungsströme. Volksschulzeugnisse sind offenbar nicht mehr aussagekräftig genug, um eine Zuordnung der Schüler in die einzelnen Schultypen zu ermöglichen. Volksschul-Lehrkräfte werden von den Eltern unter Druck gesetzt, die Schüler möglichst gut zu beurteilen, damit diese in der AHS aufgenommen werden.

Das Ergebnis liegt auf der Hand: Die Hauptschulen verkommen in den Städten zu Restschulen, in die gebildete Bürger ihre Kinder nicht mehr schicken wollen – aufgrund des hohen Migrantenanteils (der übrigens in der PISA-Diskussion geflissentlich totgeschwiegen wird), des niedrigen Niveaus, der Gewalt durch Mitschüler aus bildungsfernen Schichten etc. In den meisten Landgemeinden liegt der Fall anders: Hier besucht der Großteil der Kinder die Hauptschule. Befürworter der Gesamtschule verdrehen auch diesen Umstand zum Beweis für das Funktionieren und die Notwendigkeit der Gesamtschule.

Es mag stimmen, dass die Bildungsentscheidung mit zehn Lebensjahren noch zu früh ist. Allerdings ist das österreichische Schulwesen so durchlässig, dass den Absolventen der Hauptschulen alle Wege offen stehen: HAK, HTL, HBLA, BORG, Poly. Der Besuch der Hauptschule ist also keine Sackgasse, sondern ein gutes Fundament. Gerade auf dem Land kommt z. B. der Großteil der Schüler an der HAK aus Hauptschulen. (Wie weiter oben bereits erwähnt wurde, hat der Großteil der österreichischen Maturanten die Hauptschule besucht.)

Ich schließe mich den Argumenten an, wonach die Gesamtschule in Österreich nicht nötig ist und die Vielfalt eines organisch gewachsenen Schulsystems zerstört. Die Gefahr der Nivellierung nach unten sehe ich bei Gesamtschulen sehr wohl.

Ganztagsschule

Gewisse Kreise der Politik fordern vehement die obligatorische Ganztagsschule, da diese in der heutigen Gesellschaft nötig sei. Dies wird mit der Berufstätigkeit beider Elternteile begründet, die sich nicht den ganzen Tag ihren Kindern widmen könnten.

Mit dem Thema Ganztagsschule lasse ich mich sehr stark auf ein ideologisches Thema ein. Die Ganztagsschule darf auf keinen Fall zu einer „Zwangstagsschule“ werden, die auch für Kinder mit familiärer Nachmittagsbetreuung verpflichtend ist. Für viel besser halte ich freiwillige Betreuungsangebote am Nachmittag durch Freizeitpädagogen. Ich erachte den Freiraum, den Kinder am Nachmittag und in den Ferien haben, als besonders wichtig für deren Entwicklung. Nur so ist es den Kindern möglich, sich einen selbst ausgewählten Freundeskreis aufzubauen, eigenen Interessen nach Gutdünken nachzugehen, Selbstorganisation und Selbstbestimmung zu erfahren oder sich schlicht und einfach einmal zurückzuziehen und ein Nickerchen zu halten.

Außerdem sind die politischen Forderungen nach der Ganztagsschule praktisch etwas unausgegoren, da die derzeitigen räumlichen und personellen Ressourcen der Schulen nicht ausreichen, um darin Schüler den ganzen Tag sinnvoll zu betreuen.

Hochschulpolitik

Sorbonne und Bologna

Auch die Hochschulpolitik ist gekennzeichnet durch Strömungen des NPM (New Public Management) sowie durch Trends auf europäischer Ebene. Diese Trends gehen vor allem von der Sorbonne- und Bologna-Erklärung und ihren Weiterentwicklungen aus und nahmen in den späten 90er Jahren ihren Anfang. Die beiden genannten Erklärungen sind freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen der Signatarstaaten (wozu auch Österreich gehört). Die EU als solche darf in die Bildungssysteme ihrer Mitgliedstaaten nicht eingreifen, obwohl natürlich derartige Bestrebungen solcher „freiwilliger Selbstverpflichtungen“ von der EU sehr erwünscht sind.

Sicherlich hat die Schaffung eines konvergenten, europäischen Bildungsraumes positive Effekte im Sinne der Mobilität und der internationalen Anerkennung von Diplomen. Die Frage ist nur, wie weit die nationale Politik mit ihren Bemühungen um eine europäische Konvergenz gehen soll, um nicht jegliche Eigenständigkeit aufzugeben. Formell ist Konvergenz (die Übereinstimmung bestimmter Merkmale) relativ leicht herzustellen. Materiell ist es schwieriger, da die tatsächliche Umsetzung auf den untersten Ebenen praktisch kaum – mit vertretbarem Aufwand – kontrollierbar ist. Letztendlich liegt es wieder an der einzelnen Institution, was sie wie konkret in Lehre und Forschung umsetzt.

Autonomie und Finanzierung

Die österreichischen Universitäten sind nun vollrechtsfähig und autonom, werden aber vom Bund finanziert. Mit der Autonomie ist die Gefahr verbunden, dass sich der Staat aus der Finanzierung der Hochschulen immer mehr zurückzieht und die Universitäten zur Einwerbung von Drittmitteln gezwungen sind. Dadurch wird die Konkurrenz um Geldmittel aus Fonds zur Forschungsförderung immer härter.

Die Folge davon ist eine sinkende Erfolgsquote bei eingereichten Förderanträgen. Teilweise muss man als Wissenschafter schon mehr Zeit und Energien für die Beantragung von Forschungsmitteln und für die Erstellung von Projekt-Proposals aufwenden als für die eigentliche Durchführung des Forschungsvorhabens selbst. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Natürlich sind institutionelle Antragsteller bei Förderungsfonds im Vorteil, da die institutionellen Forschungseinrichtungen auf einen Stab fest angestellter und bezahlter Wissenschafter zurückgreifen können, die sich den Projektanträgen widmen. Freiberufliche Forscher und kleinere Institute werden so abgedrängt, weil sie es sich schlicht und einfach nicht leisten können, mehrere Monate für die Antragstellung aufzuwenden, wenn noch dazu die statistische Erfolgswahrscheinlichkeit wesentlich niedriger ist als die Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs. Das gilt vor allem für die meisten EU-Projekte.

Die Autonomie bringt außerdem Leistungsvereinbarungen mit dem Wissenschaftsministerium mit sich, nach denen die Budgetzumessung entsprechend den festgelegten Indikatoren erfolgt. Gerade in diesen Indikatoren besteht die Gefahr der Fehlsteuerungen: Aufgrund der einfacheren Handhabbarkeit geben die Entscheidungsträger quantitativen Indikatoren (Kennzahlen) den Vorzug. Daran, dass Zahlen alleine eine geringe Aussagekraft besitzen, denkt die Politik zu wenig. Sofern die Budgetzumessung nach Studenten- und Absolventenzahlen erfolgt, besteht – wie im Schulwesen – die Gefahr eines massiven Qualitätsverlustes, da die jeweilige Hochschule eine starke Motivation hat, ungeeignete Studenten dem Budget zuliebe durchzuschleusen.

Eine andere Blüte quantitativer Indikatoren zeigt sich in der Evaluierung der Forschungs- und Publikationstätigkeit. Die Leistung der Wissenschafter wird unter anderem nach Zahl und Umfang der Publikationen bemessen – und nicht nach der Qualität. Demnach brächte es für einen Forscher mehr Punkte, wenn er ein 500seitiges Telefonbuch herausgäbe und nicht wissenschaftliche Werke von großer Bedeutung.

Die Politik bezieht qualitative Daten als Ergänzung zu Kennzahlen derzeit noch viel zu wenig in ihre Entscheidungen ein.

Dienstrecht und Karrieremodelle

Das österreichische Dienstrecht für Wissenschafter an Hochschulen entwickelte sich durch die jüngsten Universitätsreformen weg vom Status des öffentlichen Dienstes hin zu befristeten Dienstverträgen nach dem Angestelltengesetz. Die Politik versprach sich davon mehr Flexibilität und Leistungsorientierung. Der Nachteil besteht für die Betroffenen allerdings in einer nicht abschätzbaren beruflichen Zukunft, die die Forschung für junge Akademiker als Berufsfeld unattraktiv macht.

Kurze Befristungen von Dienstverträgen führen meines Erachtens nicht zu mehr Qualität in der Forschung, sondern zu mehr Abhängigkeit derselben von der Obrigkeit. Ignoriert wird außerdem, dass Wissenschafter aus vielen Disziplinen (vor allem aus den Kultur- und Geisteswissenschaften) in der Privatwirtschaft keinen adäquaten Arbeitsplatz finden können und daher auf die Universität als Arbeitgeber angewiesen sind. Auch deshalb ist ein derartiges Dienstrecht nicht dazu geeignet, fähige wissenschaftliche Kräfte anzuziehen und an die Universität zu binden. Dazu kommt eine permanente Budgetknappheit, die weniger Personal zulässt, als für die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsenen Studentenzahlen nötig wäre.

Ein Wunsch der Wissenschaft an die Politik wäre also die Wiedereinführung einer stärkeren dienstvertraglichen Absicherung in Verbindung mit durchgängigen Karriere-Modellen (so genannte Tenure-track-Modelle). Sicherlich wird eine Reform der Reform keine Rückkehr zur Pragmatisierung bedeuten, jedoch ist eine Verbesserung der unattraktiven Vertragsbedingungen im Interesse des Forschungsstandorts Österreich geboten.

Zur akademischen Karriere gehört nach wie vor die Habilitation, die die formelle Verleihung der Lehrbefugnis für ein bestimmtes wissenschaftliches Fach bedeutet. Der Antrag auf Habilitation des Bewerbers wird von einer Habilitationskommission an der jeweiligen Universität geprüft. Tatsache ist, dass die Verleihung der Habilitation häufig keine Frage der Qualifikation darstellt, sondern als Machtinstrument von den Universitäten missbraucht wird.

Ist ein Kandidat „genehm“, weil er von einem mächtigen Fürsprecher gefördert wird, ist die Habilitation so gut wie verliehen. Schwieriger wird es, wenn das Institut oder der Fachbereich in dem Habilitanden einen potenziellen Konkurrenten (um Lehraufträge, Ressourcen) sieht und/oder wenn der Bewerber ein Externer ist, der nicht jahrelang einem Professor „die Stiefel geleckt“ hat. Solche Bewerber haben praktisch kaum eine Chance, die Lehrbefugnis zu erhalten und werden mit juristischen Tricks bzw. Spitzfindigkeiten sowie unsachlichen Untergriffen abgewehrt.

Ganz anders sieht die Situation z. B. in England oder auch in Ungarn aus, wo die Universitäten jedem Bewerber im akademischen Bereich grundsätzlich offen und fair entgegentreten. Ich meine, dass Österreich nicht nur durch das finanzielle Aushungern, sondern auch durch falsches Konkurrenzdenken und Brotneid an Universitäten zu viele geistige Ressourcen verschwendet und an das Ausland verliert.

Schlussfolgerungen

Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass das Politikfeld Bildung ein äußerst vielschichtiges und vielfältiges ist. Gerade die Bildungspolitik ist besonders anfällig für ideologische Entscheidungen, je nach politischer Färbung des jeweiligen Ministers. Da die Gestaltung des Bildungswesens langfristige und schwer messbare Effekte zeigt, treten Fehlsteuerungen erst sehr spät, wenn nicht zu spät, zutage. Die Politik handelt aber im Gegensatz dazu im Rahmen relativ kurzer Legislaturperioden und hat ihrer Klientel ihre „Erfolge“ plakativ zu demonstrieren. Dieser Widerspruch führt, neben anderen Faktoren, zu Brüchen in der Kontinuität, zur Ressourcenvergeudung und zu Fehlsteuerungen.

Was zu tun wäre

  1. Keine kritiklose und unreflektierte Orientierung mehr an internationalen Vergleichen und Systemen anderer Staaten.
  2. Leistung soll wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden – im Sinne der Beschäftigungschancen der Absolventen.
  3. Kleinere Klassen steigern die Qualität des Unterrichts.
  4. Wiedereinführung der Aufnahmsprüfungen für alle Neueintretenden in BHS.
  5. Die Bestellung von Schulleitern sollte nur mehr auf Zeit erfolgen, um die Flexibilität und Qualität der Führung besser als bisher zu sichern. Die Wiederwahl sollte jedoch möglich sein.
  6. Die Qualitätssicherung im Bildungswesen sollte nicht im Ausfüllen von Formularen und Fragebögen bestehen, sondern wieder in aussagekräftigen Zeugnissen und Beurteilungen.
  7. Wiedereinführung des Gegenstandes Wirtschaftliches Rechnen an HAK/HAS.
  8. Rückbesinnung auf solide Basiskenntnisse statt hochtrabender „Schaumschlägereien“ in den pausenlos geänderten Lehrplänen.
  9. Keine Gesamtschule, da diese zu einer Entwertung des öffentlichen Schulwesens führt.
  10. Keine „Zwangstagsschule“, wobei ich mich aber für freiwillige Betreuungsangebote am Nachmittag ausspreche.

Tit. Univ.-Prof. DDr. Dr. habil. Bernhard F. Seyr ist Sachverständiger für Pädagogik, Bildungsökonom, habilitierter Wirtschafts- und Organisationswissenschafter sowie Mitglied des Vorstands der „Bildungsplattform Leistung & Vielfalt“.

Literatur

Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz: Jugendarbeitslosenquote im internationalen Vergleich, Datenstand September 2011. Wien, am 11.11.2011, basierend auf einer EUROSTAT-Abfrage.

Gütl, B./Orthey, F. M./Laske, S. (Hrsg.): Bildungsmanagement. Differenzen bilden zwischen System und Umwelt. München und Mering: Rainer Hampp Verlag, 2006.

Heinrich, M.: Governance in der Schulentwicklung. Von der Autonomie zur evaluationsbasierten Steuerung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007.

Kyrer, A. (Hrsg.): Integratives Management für Universitäten und Fachhochschulen. Oder: Governance und Synergie im Bildungsbereich in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Wien, Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 2002.

Kyrer, A./ Seyr, B. F. (Hrsg.): Governance und Wissensmangement als wirtschaftliche Produktivitätsreserven. Frankfurt/M. u. a.: Peter Lang, 2007.

Pellert, A. (Hrsg.): Einführung in das Hochschul- und Wissenschaftsmanagement. Ein Leitfaden für Theorie und Praxis. Bonn: Lemmens, 2006.

Seyr, B. F.: Governance im Hochschulwesen. Bildungspolitik des postsekundären Sektors in Europa – Prüfungsanerkennung an österreichischen Universitäten. Wien, Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 2002.

Seyr, B. F.: Handbuch der europäischen Berufsbildungspolitik. Einschließlich Evaluationsstudie über europäische Bildungsprogramme in Österreich. Frankfurt/M. u. a.: Peter Lang, 2005.

Seyr, B. F.: Integratives Management und Wissensbilanzierung in der Hochschulforschung. Einführung und Umsetzung von Universitätsreformen im deutschsprachigen Raum. Frankfurt/M. u. a.: Peter Lang, 2006.

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