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ÖGB im Überlebenskampf

Viele waren überrascht, als Österreichs Gewerkschaften aus dem Stand den Hebel auf „Volle Aggression voraus“ drehten und schon nach der zweiten von ihnen abgebrochenen Verhandlungsrunde wider alle bisherigen Rituale flächendeckend zu streiken begannen. Diese kritische Überrschung scheint sofort wieder verflogen zu sein, als es inzwischen doch einen Konsens zwischen den Akteuren über eine - durchaus saftige - Lohnerhöhung gegeben hat. Dennoch sollte diese Streikeslust viel ernster analysiert werden. Denn in Wahrheit geht es für die Gewerkschaften selbst um einen unausweichlichen Überlebenskampf.

Sie sehen ihre letzte Chance, das ununterbrochene Abbröckeln der Mitgliederzahl endlich zu stoppen. Denn 2012 wird es wieder viel höhere Arbeitslosenzahlen geben; da wäre ein Streik noch viel schwieriger als in den letzten Wochen einer kurzen, aber heftigen Zwischenkonjunktur. Da sich die Konjunktur derzeit von Woche zu Woche verfinstert, musste man besonders rasch handeln, ehe die ersten Anträge auf Kurzarbeit (also Gehaltskürzung) eintreffen. Da kann man mit einem Streik allemal die eigene Wichtigkeit simulieren.

Das zweite Motiv ist die dumpfe weltweite Facebook-Protestbewegung, die völlig unabhängig von jeder Gewerkschaft entstanden ist.  Die Medien – immer voller Lust, jede Woche eine andere Sau durchs globale Dorf zu treiben, – berichten derzeit täglich begeistert über einige junge Demonstranten und Camper in der Wall Street, so wie sie zuvor ähnlich junglinken Aktionismus in Madrid, in Athen, in Genua oder im Audimax bejubelt haben. Da muss die altlinke Gewerkschaft irgendwie zeigen: Hallo, uns gibt es ja auch noch! Diese Rivalität, wer der größere Scharfmacher ist, wird noch von dem fast rührenden Aktionismus einiger Uraltpolitiker überschattet, die plötzlich alles kritisieren, was sie einst selbst getan haben – siehe Hannes Androsch und die Schulden.

Heute ist klar, dass die Pleite Griechenlands vor allem anderen auf die „Erfolge“ der dortigen Gewerkschaften zurückzuführen ist; diese haben seit der Euro-Einführung rund 30 Prozent höhere Lohnsteigerungen erkämpft als die deutschen, und rund 20 Prozent höhere als die österreichischen. Jetzt glauben Europas Gewerkschaften, wenn nun auch in Deutschland und Österreich die Löhne recht rasch steigen, dann mildert sich das Problem Griechenlands.

Welch Irrtum! Denn dann werden natürlich nicht die Probleme Griechenlands geringer, sondern nur jene Deutschlands und Österreichs größer. Deren Industrie liegt auf dem Weltmarkt ja nicht mit Griechenland und Portugal in Konkurrenz, sondern mit China, Brasilien, Vietnam, Indien und einem Dutzend anderer Länder.

Alle sind heute irgendwie „wütend“, aber in Wahrheit jeder über etwas ganz anderes. Und fast niemand will die traurige Wahrheit zur Kenntnis nehmen: Die sechseinhalb Jahrzehnte eines ständigen Nochmehr, eines Immerbesser und Immerreicher sind zu Ende. Die westlichen Kulturen stehen vor einem langen ökonomischen Abstieg. Ein überdehntes Wohlfahrtssystem auf Pump platzt, so wie 2007/08 die amerikanischen Subprime-Hypotheken geplatzt sind. Diese Millionen Kredite für Menschen ohne Einkommen waren ja ohnedies nur eine besonders eitrige Spezial-Blase der gesamten Wohlfahrtsblase.

Heißt das, dass ich den Arbeitnehmern keine Beteiligung an den Unternehmensgewinnen der letzten anderthalb Jahre gönne? Ganz im Gegenteil. Wenn es Gewinne gibt, sollten die in Form von Prämien, Einmalzahlungen oder formalisierten Gewinnbeteiligungen sogar in größerer Höhe als der jetzige Lohnabschluss an die Arbeitnehmer weitergegeben werden. Aber eben nur in jenen Betrieben, die auch wirklich Gewinne machen. Gibt es doch auch in Konjunkturphasen Firmen, die - vielleicht auch nur aus einem kurzfristigen Problem heraus - an der Pleite entlangschrammen.

Saftige Erhöhung der Kollektivvertragstarife für alle haben hingegen zwei negative Folgen: Erstens für die erwähnten Problembetriebe, und zweitens müssen diese Erhöhungen auch in den wahrscheinlich kommenden Krisenjahren voll ausbezahlt werden. Was dann noch viel mehr Betriebe ins Scheudern bringen wird. Das wird dann drittens vor allem den Jungen und Arbeitslosen schaden, denen solcherart jede Chance auf einen Job genommen wird, weil kein Arbeitgeber einen solchen viel zu teuren Arbeitsplatz neu vergeben wird.

Aber eine solche Lösung der Vernunft und der Solidarität hat bei der Gewerkschaft keine Chance. Denn dann würden die Arbeiter endgültig sehen, dass ihre Einkommen vom Erfolg des Unternehmens abhängig sind und nicht von den scharfmacherischen Tönen irgendwelcher privilegierter Funktionäre. Die eben nur an den Überlebenskampf der Gewerkschaft und nicht an die Sicherheit der Arbeitsplätze denken.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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