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Schüssel - ein Abgang und viele Zusammenhänge

Wolfgang Schüssels überraschender Abgang aus dem Nationalrat wird vielfältige Interpretationen auslösen. Die einen, die ihn vom ersten Tag an gehasst haben, da er eine Regierung ohne SPÖ zu bilden gewagt hat, werden in dem Rücktritt ein Schuldeingeständnis in der Telekom-Affäre sehen. Das überrascht wenig.

Andere werden darin eine viel zu späte Reaktion darauf sehen, dass ihn die ÖVP nach seinem Abgang – insbesondere in der Ära Pröll – eher als eine heiße Kartoffel statt als den erfolgreichsten Regierungschef der letzten Generation behandelt hat. Und die Dritten werden nun gar hoffen, dass es endlich statt des schweigenden Wolfgang Schüssel wieder einen Ansprechpartner für wirtschaftsliberal und wertkonservative Menschen in diesem Land gibt. Denn sie sind heimatlos, seit sich die ÖVP unter Pröll von den Konservativen verabschiedet hat und die FPÖ unter Strache zu einer linkssozialistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik gewechselt ist.

Vor all dem muss aber jetzt möglichst rasch Klarheit in die Telekom- und die Buwog-Affären gebracht werden. Dabei hat jedoch das Tempo der Staatsanwaltschaft, aber auch deren einseitiger Umgang mit der Amtsverschwiegenheit einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Wer am Wochenende nun auch im „Kurier“ die Beweise für die von langer Hand geplante rote Durchdringung der Staatsanwaltschaft nachlesen konnte, der wird sich nicht wundern, wenn ein – mutmaßlich von Willi Molterer erbetenes – Mini-Sponsoring eines Fußballklubs in Sierning dank gezielter Informationsweitergabe aus der Staatsanwaltschaft medial zum Megathema wird, wenn zugleich die um ein Vielfaches größeren Sponsoring-Summen durch Gemeinde-Wien-Konzerne für Rudolf Edlingers „Rapid“ oder ähnlich große Summen der Verbundgesellschaft für die „Austria“ des roten Energie(!!)sprechers Wolfgang Katzian die Staatsanwaltschaft jedoch noch keine Sekunde lang beschäftigt haben. Noch viel gravierender ist der von den Staatsanwälten ignorierte Finanzkomplex SPÖ-Bawag.

Keine Frage, dass die SPÖ und ihre grüne Vorfeldorganisation nun die schwarz-blaue Regierungsphase endgültig zertrümmern wollen, und dass sie die Indizien für Verfehlungen von Gorbach oder Strasser nun Schüssel anhängen wollen. Das ist eine übliche politische Taktik. Diese ist für die SPÖ umso wichtiger, als wir erstmals mit einer Regierung konfrontiert sind, deren massive Korruption und direkte Gesetzesverletzungen schon zu Amtszeiten offenkundig sind.

Deren Sündenliste reicht von der gezielten Medienbestechung durch Werner Faymann über einen ÖBB-Aufsichtsratspräsidenten, gegen den in Sachen Buwog-Schmiergeld viel konkretere Beweise vorliegen als gegen den von der Staatsanwaltschaft ständig vorgeführten Karl-Heinz Grasser, bis zu einer Unterrichtsministerin, die nicht nur wegen der Kommunalkredit-Pleite in ganz schiefem Licht steht, die auch gesetzeswidrig den AHS und BHS nicht genügend Lehrerposten gibt, um die Klassenschülerhöchstzahlen einhalten zu können.

Faszinierend ist in diesen Tagen auch, wie Orange und Blau auf Distanz zur erfolgreichsten Regierung der letzten Jahrzehnte gehen, so als ob sie mit dieser nichts zu tun gehabt haben. Seit Pröll ist auch der Trennungsstrich zwischen der ÖVP und jener Periode so dick, dass jene sechs Jahre von niemandem mehr in der Politik positiv gesehen werden.

Warum aber scheinen sie mir dennoch so erfolgreich, sind doch so manche Reformen auf halbem Weg steckengeblieben? Das stimmt zweifellos, aber immerhin gab es damals noch eine Fülle von Reformen, die in die absolut richtige Richtung gegangen sind. Was man von den beiden Nachfolgeregierungen in keiner Weise behaupten kann – es sei denn, man bewertet das Erfinden neuer schuldenfinanzierter Geldausgaben als eine richtige Reform.

Der größte Erfolg Schüssels war zweifellos, dass in seiner Zeit die Staatsverschuldung um acht Prozentpunkte zurückgegangen ist, während sie in allen anderen Regierungen seit 1970 steil angestiegen ist. Wer darin nicht die zentrale Leistung einer Regierung sehen will, der ignoriert total, wie es derzeit in fast allen anderen Ländern Europas zugeht. Der hat auch vergessen, wie 2006 praktisch alle deutschen Zeitungen Österreich als Erfolgsbeispiel für die Bundesrepublik dargestellt haben. Was heute keine einzige mehr auch nur annähernd tut.

Zu den Erfolgsbeispielen der Ära Schüssel zählen das Auslaufen der privilegierten Beamtenpensionen, das Ende der Frühpensionen (welches allerdings unter Druck von ÖAAB, Gewerkschaft und BZÖ durch die skurrile Hacklerpension wieder unterlaufen worden ist), das Zurückdrängen des Sozialpartner-Filzes, die Öffnung für das Privatfernsehen, extrem erfolgreiche Privatisierungen wie bei der Voest, die Ausgliederungen der Universitäten, die Stuidengebühren, die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, etliche kostensparende Verwaltungsreformen wie die Buchhaltungsagentur oder die Bundesbeschaffung, oder das mutige Stoppsignal gegen einen türkischen EU-Beitritt. Gescheitert ist Schüssel wie alle anderen Regierungen freilich am Milliarden-Loch ÖBB und am föderalistischen Beton. Auch das ORF-Gesetz ist ebenso wie die Strafprozessordnung kräftig daneben gegangen.

Die Nostalgie nach ihm wird aber vor allem dadurch befeuert, dass er der letzte Politiker war, der langfristig zu denken versucht hat, der überdies auch außen- und europapolitisch etwa im Vergleich zur Gegenwart ein Gigant war.

Aber hat sich Schüssel nicht vielleicht doch die Hände schmutzig gemacht? Hat er von Sauereien zumindest gewusst? Ich kann für keinen anderen Menschen diesbezüglich garantieren. Tatsache ist aber, dass auch die intrigantesten Bemühungen der Opposition, der bestochenen Medien und der gleichgeschalteten Staatsanwaltschaft bisher nicht einmal den Hauch eines Verdachts gegen ihn vorlegen konnten. Tatsache ist auch, dass Schüssel in seinen Machtzeiten von vielen in Politik und Verwaltung durch geradezu kleinliche Sparsamkeit und Korrektheit als Nervensäge empfunden worden ist. Tatsache ist schließlich auch, dass die ÖVP mehr Schulden und geringere Wahlkampfbudgets hat als andere Parteien.

 

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