Ein Massaker und die Lehre daraus

Eine Stunde lang hatte Anders Behring Breivik auf der Insel Utöya bei Oslo Zeit, nach Belieben auf Menschen zu schießen. Die Polizei bot keine Hilfe – sie versagte vollständig. Der Fall zeigt – einmal mehr – daß der Staat über keine wirksamen Mittel gegen die kriminelle Energie eines intelligenten, entschlossenen und brutal vorgehenden Einzeltäters verfügt. Wenn es also knallt, muß der Bürger selbst sehen, wo er bleibt.

Die Schüsse waren kaum verhallt, da traten auch schon notorische Besserwisser, Überwachungsstaatsapologeten und Bürgerrechtsbeschränkungsexperten auf den Plan, um umgehend einem zügigen weiteren Ausbau des Polizeistaats das Wort zu reden. Nicht etwa in Norwegen, dem Schauplatz des Verbrechens. Die dort am Ruder befindliche Regierung verfiel nämlich – erstaunlich genug – nicht in den in derlei Fällen üblichen Aktionismus, der, nur um eine nach „politischen Aktionen“ geifernde Öffentlichkeit ruhigzustellen, regelmäßig auf Staatswachstum und die Bestrafung von Unschuldigen hinausläuft. Zumindest bislang fiel die Reaktion der norwegischen Politik sehr bedacht aus.

Konsequenzen werden dagegen in Deutschland und in Österreich angemahnt. Die Berichterstattung in den obrigkeitsverliebten Massenmedien bereitet den Boden für weitere Wucherungen des Überwachungsstaats. Prompt zeigt sich der Direktor des österreichischen Verfassungsschutzes, Peter Gridling, überzeugt davon, dass eine Ausweitung der Speicherungsbefugnisse im elektronischen Datenverkehr ein Schritt in die richtige Richtung wäre. „Kontrollfreie Zonen“ – insbesondere das Internet (das den Geschäften der etablierten Nachrichtenhändler zunehmend zusetzt!) – waren der Journaille und den beamteten Experten der verschiedenen Filialen der "Firma Horch und Guck" seit jeher ein Dorn im Auge.

Hat der vorgebliche Kampf gegen die Kinderpornographie leider nicht zum vollen Erfolg – einer flächendeckenden Zensur und amtlichen Kontrolle des Internets – geführt, soll jetzt das „Manifest“ des Attentäters, das dieser vor seiner abscheulichen Tat ins Netz stellte, den Anlass dazu bieten, weitreichende Einschränkungen der Freiheit im www durchzusetzen.

Das andere Ziel der Überwachungsstaatler ist, wie nicht anders zu erwarten war – ein Verbot oder die weitere Einschränkung des Besitzes von Feuerwaffen in Privathand. Immerhin handelt es sich bei Breivik um einen Sportschützen, der für seine monströse Untat legal erworbene Waffen benutzte. Das ist ein gefundenes Fressen für diejenigen, die nur über jeden Zweifel an ihrer Gutartigkeit erhabene Staatsschergen bewaffnet sehen wollen.

Merke: Zwar pflegt man die Zahl der von Uniformierten liquidierten Zivilisten spätestens seit dem 20. Jahrhundert in Hunderttausenden oder gar Millionen zu messen, während dilettierende Laien wie Breivik – so furchtbar ihre Taten auch waren – keinen damit auch nur entfernt vergleichbaren Schaden anrichteten, aber dieser Umstand irritiert gestandene Etatisten offensichtlich nicht im Geringsten.

Irgendwie scheint da eine Hierarchie der Opfer zu existieren. Opfer staatlicher Gewalt zählen entweder gar nichts oder jedenfalls nicht viel. So kommt eine Initiative aus den Reihen der Grünen in Österreich keineswegs überraschend, die den Besitz privater Feuerwaffen nur noch „Jägern und Sportschützen“ zugestehen möchte – und selbst das nur unter erheblichen Einschränkungen. Der Umstand, daß Breivik ja eben ein amtsbekannter Sportschütze war, ficht die um unsere Sicherheit so rührend besorgten Genossen nicht weiter an. Logik und konsequentes Denken ist ihre Sache eben nicht.

Der Illusion, mittels einer restriktiven Waffengesetzgebung Gewaltkriminalität verhindern oder eindämmen zu können, liegen mehrere Irrtümer und Fehleinschätzungen zugrunde:

  1. Ist festzuhalten, dass die Zahl der mit Schusswaffen begangenen Verbrechen sowohl in Deutschland als auch in Österreich äußerst gering ist. Ein mit einer Fülle statistischen Zahlenmaterials unterlegter Artikel im Focus (Nr. 27/2011) nennt einen Anteil von 0,2 Prozent von Straftaten, die im Jahr 2009 unter Einsatz von Schusswaffen verübt wurden. Seit 1997 geht dieser Wert kontinuierlich zurück.
    Das Bundesland mit der höchsten Zahl an registrierten Waffenbesitzern, das Saarland, weist die geringste Zahl von einschlägigen Straftaten auf. Im Falle Berlins liegen die Dinge genau entgegengesetzt. Ein Zusammenhang zwischen privater Bewaffnung und Kriminalität besteht also tatsächlich – allerdings exakt umgekehrt, wie von den Entwaffnungsaktivisten behauptet!
    In Österreich bietet sich ein ähnliches Bild. Eine von einem steirischen Polizeibeamten erstellte „Bluttatenstatistik“ weist für das Jahr 2007 4,5 Prozent der Tatbegehungen unter Verwendung legaler Schußwaffen aus, während 5,9 Prozent auf illegal beschaffte Feuerwaffen – zusammen also rund 10 Prozent – entfallen. Wäre es tatsächlich möglich, mittels Verbots bestimmter Tatmittel die allgemeine Sicherheit zu heben, müßte der Gesetzgeber sein Augenmerk auf Messer und „stumpfe Gegenstände“ richten, nicht auf Feuerwaffen…
  2. Wird gerne übersehen, dass im Falle einer restriktiven Waffengesetzgebung potentielle Interessenten auf den Schwarzmarkt ausweichen. Auch der Konsum von Haschisch ist bekanntlich verboten – und dennoch besteht kein Problem, an diesen Stoff heranzukommen. Handels- und Besitzverbote nutzen – bei Drogen wie bei Waffen – nur den Schwarzmarktakteuren und bereiten ferner den Boden für die organisierte Kriminalität. Die empirische Evidenz dafür ist erdrückend.
    Die Situation in Großbritannien, wo seit 1996 ein weitreichendes Schußwaffenverbot gilt und die Gewaltkriminalität seither unter Einsatz illegaler Waffen explodiert, liefert einen der Beweise für dieses Phänomen: Wer den schwerwiegenden Entschluss fasst, ein Kapitalverbrechen zu verüben, kapituliert nicht vor administrativen Hürden!
  3. Es bedarf keiner Pistole, keines Baseballschlägers und keiner Waldaxt, um zu töten. Dem entschlossenen Täter bieten sich jede Menge von Alternativen. Selbst das Basteln von Bomben wird halbwegs aufgeweckten Zeitgenossen mit rudimentären Chemiekenntnissen und geschickten Fingern keine Probleme bereiten.
  4. Ein völlig vernachlässigter Aspekt ist der Abschreckungseffekt, den private Waffen auf potentielle Straftäter auszuüben vermögen. Das Beispiel Englands zeigt, dass Kriminelle, die sich der Wehrlosigkeit ihrer Opfer sicher sein können, besonders dreist vorgehen. Die Zahl der „heißen Wohnungseinbrüche“ (so werden im Kriminalistenjargon Einbrüche in Objekte genannt, in denen die Bewohner für den Täter erkennbar anwesend sind) steigt mit einem zunehmend restriktiven Waffenrecht. Bewaffnete Opfer sind für Gangster, die ja lediglich an der Beute, nicht aber an Schießereien interessiert sind, unattraktiv.
  5. Zeigt eine Analyse einschlägiger Gewaltverbrechen – von Dunblane über Winnenden bis Utöya, dass derlei Exzesse stets und ausschließlich in deklariert „waffenfreien Zonen“ stattfinden. Eine einzige Waffe in der Hand eines der Attackierten hätte die Taten möglicherweise – wenn schon nicht verhindern, dann zumindest in ihrem Ausmaß massiv begrenzen können!
    Bei Treffen der „National Rifle Association“ oder auf Schießplätzen des Heeressportvereins passieren vergleichbare Verbrechen nie – und zwar aus gutem Grund! Ein Täter vom Schlage Breiviks würde dort gar nicht erst so weit kommen, das Magazin seiner Waffe leer zu schießen, ohne selbst zum Ziel robuster Gegenwehr zu werden.

Fazit: Sicherheit ist ein zu hohes Gut, um deren Gewährleistung dem Staat zu überlassen. Im Falle eines gewaltsamen Übergriffs ist man in 100 von 100 Fällen auf sich allein gestellt – Polizei ist garantiert nicht zur Stelle. Das Beispiel Israels, mit seiner unerhört großen Zahl ziviler Waffenträger zeigt: Massaker wie jenes in Norwegen kommen dort nicht vor. Dort aber, wo privater Waffenbesitz verboten ist oder von paternalistischen Bürokraten behindert wird, verfügen eben nur noch Verbrecher über Waffen.

Die Tragödie von Utöya sollte zu Denken geben…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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